Zwei Spätherbstrosen an meinem Bett
Zwei Spätherbstrosen an meinem Bett.[1]
Zwei Spätherbstrosen an meinem Bett,
Eine weiße und eine rothe –
Grüßt mich das Leben oder der Tod?
Sagt an, weß’ seid ihr Bote?
Da winkte die weiße geheimnißvoll:
„Von längst verschollenen Tagen,
Gestorbener Liebe, verlorenem Glück
Soll ich dir Grüße sagen.
Ich weiß in der Ferne manch’ einsam’ Grab,
Dort harrt man dein schon lange;
Ich kenn’ auch ein stilles Plätzchen für dich –
Laß küssen mich deine Wange!
Dann bist du befreit von des Lebens Pein,
Kannst schmerzlos träumen und schlafen.
Fernab tobt weiter Haß und Streit –
Du aber, du bist im Hafen.“
Sie schwieg; schon wollt’ ich in Todeslust
An’s Herz die Sprecherin drücken –
Da hub die rothe Rose an:
„O laß dich nimmer berücken!
Zwar kann ich dir nicht, wie die Schwester mein,
Den ewigen Frieden geben –
Ich bringe die Blüthe nicht ohne den Dorn –
Ich bin das ringende Leben.
Von rosigen Lippen künd’ ich dir Gruß,
Die ohne dich müßten erblassen;
Ich bin die Liebe und rufe dir zu:
Du darfst von Liebe nicht lassen.
Du darfst nicht feige entfliehen dem Kampf,
Ob schmerzen die klaffenden Wunden;
Zu neuem Leben, zu endlichem Sieg
Noch einmal mußt du gesunden.“
Da schrak ich empor vom Fiebertraum:
Die weiße Rose verwehte –
Die rothe küßt’ ich mit bebendem Mund
In stillem Dankesgebete.
- ↑ Aus Ernst Scherenberg’s soeben erschienenen „Neuen Gedichten“ (Leipzig, Ernst Keil), welche wir schon jetzt der Beachtung für den Weihnachtstisch bestens empfehlen. D. Red.