Zwei schwedische Schriftstellerinnen
Zwei schwedische Schriftstellerinnen.
Wie still ist Schweden geworden, wie schweigsam! So dachte ich, als ich am Tage nach meiner Landung in der Heimath der Wikinger vor den beiden unweit von einander gelegenen Buchhandlungen Jönköpings nach meiner alten Gewohnheit stehen blieb und die Bücher in den Auslagen musterte. Nicht ein deutsches war darunter, aber merkwürdig! ich fand auch nur einen einzigen schwedischen Autor vertreten. Von Starbräck – der Name klang mir vollkommen unbekannt – war ein in Stockholm erschienener historischer Noman „Engelbrecht Engelbrechtson“ ausgelegt, die Geschichte also jenes muthigen Dalarner Bauers, der 1435 mit Hülfe seiner Genossen die Tyrannei Dänemarks brach.
Außerdem hörte ich in der Romanliteratur kaum noch von neuen Erscheinungen. Der alte in Linköping lebende Wetterbergh, der Schöpfer so vieler trefflicher Genrebilder, ist gleich andern verstummt, er ist des Schreibens müde geworden, wie Flygare-Carlén; Marie Sophie Schwarz aber – die einzige fleißig fortarbeitende Schriftstellerin Schwedens, seit Friederike Bremer starb – scheint beinahe mit ihren Landsleuten zu schmollen und veröffentlicht ihre neuen Werke volle drei Jahre früher in deutscher Uebersetzung, ehe dieselben in schwedischer Ausgabe erscheinen. Ich glaubte sie sogar nach Angabe ihres deutschen Verlegers in Berlin auf einer längern Reise durch Süddeutschland begriffen und war nicht wenig überrascht, als mir gelegentlich die Auskunft wurde, daß sie ebenso wie Frau Flygare-Carlén in Stockholm wohnhaft und momentan auch da anwesend sei.
Herr B., der Besitzer des größten Bücherverlags in Stockholm, gegen den ich den Wunsch äußerte, daß ich die beiden Frauen, deren Werke ich ja fast alle kenne, nun auch sehen möchte, schaffte dazu in der freundlichsten und dienstfertigsten Weise Rath.
Als wir einige Tage später, bald nach der Mittagsstunde, zu dem angesagten Besuche aufbrachen, meinte B. mit gutmüthig spöttischem Lächeln: „Nur machen Sie mir keinen Krakeel, wie dies schon einmal mit Theodor Mügge passirte, den ebenfalls ich zu Frau Carlén brachte, und der im höchsten Grade ungehalten darüber war, daß sie weder seinen Namen, noch ein Buch von ihm kannte. Er verhehlte ihr durchaus nicht, daß er ihr das gewaltig übel nehme, und es kam darüber zu sehr lebhaften Auseinandersetzungen, die für mich noch weit komischer gewesen wären, hätte ich dabei nicht das peinliche Gefühl des Einführenden gehabt.“ – „Mügge,“ fuhr er fort, nachdem ich eingeschaltet hatte, daß derselbe ja erst später und hauptsächlich durch seine Erzählungen aus Norwegen berühmt geworden sei – „Mügge verlangte nichts desto weniger schon damals große Aufmerksamkeit, wiewohl seine Arbeiten noch gar nicht in’s Schwedische übersetzt waren, und da er gerade in jene Zeit kam, wo der Skandinavismus hier hohe Wellen schlug und die Deutschen nicht besonders beliebt waren, fühlte er sich zurückgesetzt, zu wenig beachtet, während er erwartet haben mochte gefeiert zu werden, und so ging er denn voll Groll und wußte über Schweden kein gutes Wort zu sagen, indeß er Norwegen hoch in den Himmel erhob. Dort war alles gut und schön, Natur und Menschen, Anlagen und Einrichtungen. Ich hoffe,“ schloß Herr B. halb ernstlich, halb scherzhaft mißtrauisch, „Sie werden mich nicht ebenfalls in eine derartige Verlegenheit bringen. Man darf auch Frau Carlén dafür nicht zur Verantwortung ziehen, daß sie nicht deutsch spricht; sie kennt blos ihre Muttersprache.“
„Dann wird das eine eigenthümliche Conversation zwischen uns geben,“ mußte ich unwillkürlich ausrufen; doch die Bereitwilligkeit, mit der Herr B. sich zu unserm Dolmetscher erbot, flößte mir wieder Zuversicht ein, und so betraten wir denn, da wir mittlerweile an Ort und Stelle gelangt waren, das Haus, welches in Ladugardslandet (ein Stadttheil von Stockholm), wenn ich nicht irre, in der Kaptensgata liegt.
Auch die schwedischen theilen das Loos der deutschen Schriftsteller und wohnen drei Treppen hoch, um dem Himmel näher zu sein, der ihnen ja, so oft sie kommen, offen ist, indeß sie ihren glücklicher situirten Collegen in Frankreich und England das schöne Vorrecht überlassen müssen, in der eigenen Villa oder Cottage fürstliche Gastfreundschaft zu üben.
Die Wohnung, in welche wir geführt wurden, war mit einer gewissen alterthümlichen Pracht ausgestattet. Beide Salons enthielten Möbeln, wie man sie in der Regel nur in Fürstenschlössern findet, von vergoldetem Holzwerk mit reichen Seidendamastüberzügen. Es blieb uns nicht lange Zeit, die ungewöhnliche Einrichtung zu mustern, denn die Dame des Hauses war uns alsbald nach unserm Eintritt auf das Freundlichste entgegengekommen und hatte uns mit einem etwas ceremoniösen Knix empfangen, der aber von einem so liebenswürdigen Lächeln begleitet war, daß er durchaus nicht den Eindruck gezwungener Steifheit machte. Im Gegentheil man fühlte sich der zierlichen alten Frau gegenüber sogleich behaglich, um so mehr, als unser Besuch früher angemeldet und daher die Vorstellung rasch vorüber war.
Die berühmte Schriftstellerin gemahnt in ihrem Aeußern durch nichts an ihren Beruf, aber auch das Hausmütterliche, das man, in Erinnerung an ihre Schriften, zu finden erwartet, tritt in ihrer Erscheinung nirgends hervor. Sie ist eine nette kleine Dame von matronenhafter Fülle, aber zarten Gliedern, besonders die Fingerchen an den kleinen weißen Händen sind winzig fein. Das freundliche runde Gesicht mit den klugblickenden schönen dunkeln Augen trägt noch einen stattlichen dunkeln Scheitel, der, nur von wenigen Silberfäden durchzogen, des darüber fallenden Spitzenschleiers eigentlich nicht bedarf. Sie trug ein glattes schwarzes Seidenkleid, und zu der einfachen Nettigkeit ihrer Erscheinung stimmte die ruhige Vortragsweise und ihre wohllautende Stimme. Sie sprach so langsam, mit genauer deutlicher Betonung einer jeden Silbe, daß ich ganz gut ihren Worten zu folgen vermochte. In keiner Weise machte sie den Eindruck einer schon zweiundsechszigjährigen Frau, und doch ist sie im August 1807 geboren. Ihr Vater, Roger Smith, war Kaufmann in Strömstad, und die eigenthümliche Lage dieses kleinen Badeorts in den Scheeren der Westküste Schwedens blieb nicht ohne Einfluß auf die Phantasie des kleinen lernscheuen Mädchens, das sich – zu jung, um mit den erwachsenen Geschwistern Arbeit und Erholung zu theilen – träumerisch an dem kleinen Hafen und zwischen den kahlen Felsen, an denen sich die brandende Woge bricht, wie eine verscheuchte Möve herumtrieb. Das Leben der Fischer, Schiffsleute und das kleine trauliche Familienleben im warmen engen Holzhause prägte sich dem jungen empfänglichen Gedächtniß ein und dieses brachte all’ die treu beobachteten, lebenswahren Bilder hinterher wieder und stattete damit so manche von den später erschienenen Geschichten reich und glücklich aus. Bevor es aber dazu kam, hatte die kleine Möve einen eigenthümlichen Lebens- und Bildungsweg zurückzulegen, der ihr den Mangel der Schule ersetzen mußte. Mit zwanzig Jahren wurde sie die Gattin des Doctor Axel Flygare und zog mit ihm nach Smaland, wo er die Stelle eines Bezirksarztes bekleidete. Ein Sohn und eine Tochter waren die Frucht dieser glücklichen Ehe, die aber schon nach sechs Jahren durch des Gatten Tod ihr Ende fand.
Das Schicksal schien die junge Wittwe zu verfolgen, denn eine zweite Verbindung wurde kurz vor deren Abschluß durch den plötzlichen Tod des Bräutigams – des Rechtsanwalts Reinhold Dalin – unmöglich gemacht. Der Umgang mit diesem ausgezeichneten Mann, den Frau Carlén selbst „überaus geistreich, wenn auch excentrisch“ nennt, war, wie sie selbst zugiebt, ungemein fördernd für ihr geistiges Leben und ihre literarische Entwickelung. Bald nach diesem Unglücksfall traf sie noch ein neuer Verlust, der ihrer geliebten Tochter.
Nun suchte sie Trost und Milderung ihres Leides in der Arbeit. Ihr Roman „Waldemar Klein“ erschien und wurde vom Publicum wie von der Kritik begeistert aufgenommen. Dieser leichte und rasche Erfolg bewog sie zur Uebersiedelung nach Stockholm, und hier schloß sie endlich die Ehe mit ihrem zweiten Manne, dem jetzt noch lebenden Schriftsteller Johann Gabriel Carlén. Ihr Autorname vereinigt die Namen beider Gatten.
Eine lange Reihe von Büchern ist das Ergebniß ihrer Thätigkeit. Jedes Jahr beinahe erschienen zwei ihrer mehrbändigen Romane, und trotzdem könnte ihnen auch der strengste Kritiker gerade Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit nicht zum Vorwurfe machen. [586] Composition, Anlage wie Ausführung zeigen im Gegentheil, daß sich der emsig schaffende Geist mit ganzer Hingebung in die Arbeit versenkte. Das Jahr 1853 erst steckte ihrer Thätigkeit ein Ziel. Damals starb ihr der Sohn – Edvard Flygare – und mit ihm all’ die reiche Hoffnung, welche das zärtliche Mutterherz in dies aufkeimende Talent gesetzt, und alle Freude am eigenen Erfolg, an der eigenen Arbeit. Es war ein Act der Pietät, daß sie des Hingeschiedenen zurückgelassene Versuche in der Literatur ergänzte und unter dem Titel „Aus der Fremde und Daheim“ herausgab. Das Buch ist ein Grabstein, auf dem eine Thräne aus dem Mutterauge glänzt.
Emilie Flygare-Carlén selbst hat nur ein Buch nach jahrelangem Schweigen noch geschrieben: „Das Handelshaus in den Scheeren“ und seitdem blieb sie stumm. „Es wird auch mein letztes bleiben,“ sagte sie mir, „es ist damit vorbei.“ Ihr freundliches Auge blickte dabei heiter, und durchaus nichts von schwerer Resignation klang in ihren Worten nach. Der Entschluß war offenbar das Ergebniß einer Stimmung, nicht eines Kampfes. Ebenso ungezwungen und frei von aller Autoreneitelkeit fragte sie, ob wir den Schreibtisch nicht sehen wollten, an welchem sie alle ihre Werke geschrieben. Mit gütigem Lächeln schritt sie uns voran in ihr unmittelbar anstoßendes Arbeitscabinet. Es ist dies ein kleines Zimmer mit nur einem einzigen Fenster, durch das man aber eine freie Aussicht auf grüne Bäume genießt; an demselben steht der einfache Schreibtisch, auf welchem gewissenhafte Ordnung herrscht, so daß es aussieht, als wäre er wirklich Jahre lang nicht benutzt worden. Blos einige aufgeschlagene Bücher zeugen vom Gegentheil, sonst liegt keine begonnene Arbeit, kein halbbeschriebenes Blatt, kein Papier mit Notizen oder dergleichen umher. Und so ordentlich und freundlich ist das ganze Zimmerchen, das deshalb aber doch nicht den Eindruck einer strengen Arbeitsstube macht. Es ist ebenso weit davon entfernt, wie von der Frivolität eines Boudoirs, in welchem eine Modedame träumerisch und zerstreut mit Migräne und Langeweile ihre Morgenbesuche zu empfangen pflegt. Im Hintergrunde ein Sopha mit einigen Stühlen, unweit des Schreibtisches eine Chaiselongue mit derselben blaugrauen geblümten Seide überzogen, von welcher die Vorhänge am Fenster sind, ein Glasschrank für Bücher und an den Wänden Muscheln, große Palmfächer und andere chinesische und indische Spielereien, wie sie die Schifffahrer von ihren weiten Reisen mitzubringen pflegen, offenbar Geschenke, an die sich liebe Erinnerungen knüpfen.
Die Frau vom Hause erschloß uns den Bücherschrank, er enthielt blos eine Sammlung der verschiedenen Ausgaben und Uebersetzungen ihrer Werke; nichts weiter. Ich zweifle, daß der Kasten alle enthielt, denn in den fünfzehn Jahren unausgesetzter Thätigkeit hat die Schriftstellerin nahezu dreißig mehrbändige Werke vollendet. Sie hat es dabei verstanden, sich niemals zu wiederholen und sowohl in der Schilderung großer Erregungen und Erlebnisse, wie in der sorgfältigsten Detailmalerei stets neu, interessant und spannend zu bleiben, ohne daß sie deshalb zu so scharfschmeckenden Hülfsmitteln wie der moderne englische Sensations-Roman gegriffen hätte. Die innere Wahrheit und die tief auf das Gemüth wirkende Einfachheit ihrer Schreibweise hat ihr die Herzen all’ ihrer Leser gewonnen, und deren sind Legion.
Gutmüthig lächelnd nahm sie mein Bedauern hin, das ich über ihr vorzeitiges Zurückziehen von dem Felde aussprach, auf welchem sie sich vom ersten glücklichen Versuch an siegreich behauptet hatte.
„Ich werde vielleicht noch die in Zeitschriften verstreuten kleineren Arbeiten sammeln, sie mögen immerhin einige Bände geben,“ sagte sie nickend. „Uebrigens,“ fuhr sie mit einem leisen spöttischen Zug um den Mund fort, „hat man mir jetzt andere Aufgaben aufgebürdet, ich muß jetzt lesen – lesen.“
Sie war nämlich einer der Preisrichter bei einer Concurrenz, welche ein namhaftes Journal für die beste Novelle ausgeschrieben hatte. Ueber ein halbes Hundert Bewerber hatten sich, wie sie uns mittheilte, gemeldet, und durch alle die Arbeiten hatte sie sich hindurchlesen müssen. Sie waren so mittelmäßig, daß die übrigen Richter gar keiner den Preis zugestehen wollten. Flygare-Carlén war die einzige, die dennoch darauf drang.
„Man würde glauben,“ erklärte sie, „ich hätte aus Neid behauptet, es fände sich keine preiswürdige darunter, weil ich selbst Schriftstellerin bin, und doch würde ich mich selbst am meisten freuen, ein junges Talent fördern zu können. Heute Abends ist der Termin zur Preisertheilung, und ich werde darauf bestehen, daß sie erfolge.“
Ich begriff ihr feines Zartgefühl, konnte mich aber doch der Aeußerung nicht enthalten, daß Preisausschreibungen noch selten die Production gehoben hätten, und daß sie ja gerade durch ihr selbstauferlegtes Schweigen über allen Verdacht des Neides erhaben sei, den Preis an einen Unwürdigen geben aber das Publicum irre führen und die Talentlosigkeit ermuthigen heiße.
Wir schieden trotz dieses Einwurfs ganz in Frieden, und die liebe alte Frau wünschte uns in der herzlichsten Weise schönes Wetter für die Fortsetzung unserer Reise nach Norwegen. Sie entließ uns abermals mit einem Knix, nachdem sie uns – wahrscheinlich all’ ihre französischen Sprachkenntnisse aus Gefälligkeit aufbietend – in Bezug auf unsern Besuch versicherte: en grand plaisir.“
Ihr Gatte war zur Zeit nicht zu Hause und ich habe daher seine Bekanntschaft nicht gemacht, so interessant es mir gewesen wäre, den Mann zu sehen, der dies edle, geistreiche und vielbegehrte Weib in einer langen glücklichen Ehe alle schweren Prüfungen und Erlebnisse vergessen lehrte, oder ihr doch so muthig und kräftig ertragen half, daß sie keinen trübenden Schatten in diesem schönen Gemüthe, auf dieser freien Stirn zurückließen.
Während wir noch über den empfangenen Eindruck sprachen, hatten wir auch schon das in demselben Stadttheil gelegene Haus erreicht, dem unser zweiter Besuch an diesem Tage zugedacht war. Wir waren aber unvermerkt in eine so lebhafte Erörterung gerathen, daß wir auf der Straße stehen blieben, um unser Hin- und Widerreden nicht zu unterbrechen, ehe wir damit zum Abschluß gelangt. Unser Eifer erregte ziemliches Aufsehen und zog die Neugierigen an’s Fenster, wir aber ließen uns nicht stören. Es galt einem kritischen Meinungsaustausch über den literarischen Werth dreier Schriftstellerinnen. Die eine hatten wir soeben gesehen, die beiden anderen waren Fräulein Marlitt und Frau Marie Sophie Schwarz; die letztere sollten wir nun kennen lernen. In wie fern die drei Autoren zusammengestellt werden konnten, wird jeder Leser, der sie kennt, sich selbst erklären. Kein anderer steht dem deutschen Romane durch Stimmung und Redewendung, durch Nationalsitte und Anschauung so nahe wie der schwedische, und eben deshalb spricht er auch das deutsche Publicum so sehr an. Ich erfuhr da nun zu meinem Erstaunen, daß die letztgenannte der drei Schriftstellerinnen in ihrem Vaterlande bei weitem nicht den großen Anhang wie in Deutschland zähle, und daß über ihre Leistungen mitunter sehr strenge Urtheile laut würden. Sie theilt gewissermaßen das Loos Sir Lytton Bulwer’s, über dessen Werke man in England auch lächelnd die Achseln zuckt.
Allerdings war Frau Schwarz seit dem Erscheinen ihres ersten Buches ungemein fleißig und zahlreiche Bände flossen seitdem alljährlich aus ihrer Feder, aber die Berechtigung dazu liegt in dem nicht abnehmenden Beifalle des Publicums und vielleicht auch in ihren pecuniären Verhältnissen; keineswegs aber darf behauptet werden, daß sie ihre Leser langweile, wie man ihr dies zum Vorwurfe macht. Mit einem gewissen Behagen wird eine Anekdote erzählt, die als Beweis des allgemeinen Urtheils gelten soll.
In einem deutschen Badeorte, wo sich Frau Schwarz vor einiger Zeit aufhielt, saßen unweit von ihr und ihrer Begleiterin zwei Schweden, die sich in ihrer Muttersprache unterhielten und hier ganz unbelauscht glaubten. Da geschah es denn nun, daß der Eine, unangenehm durch einen Vorschlag berührt, ausrief:
„Warum nicht gar! Das ist ja so langweilig wie ein Roman der Marie Sophie Schwarz.“
Es mag nicht angenehm sein, sich so das Urtheil sprechen zu hören, die Scene wurde aber dadurch noch peinlicher, daß die Begleiterin, in einer Anwandlung von Unmuth und unzeitiger Ritterlichkeit, aufsprang und den Herrn ob seiner Aeußerung zur Rede stellte, indem sie das Incognito der Schriftstellerin verrieth.
Ich weiß nicht, ob dieselbe Ursache hat, sich das auf diese Art laut gewordene Urtheil eines Einzelnen so zu Herzen zu nehmen, um darnach – sei es in scheuer Befangenheit, oder in verletztem Stolze – ihren Landsleuten die neuen Producte ihrer fruchtbaren Phantasie vorzuenthalten. Jedenfalls aber darf sie Anspruch auf Beachtung ihrer Werke machen und derselben wohl [587] auch von einem großen Theile ihrer eigenen Nation versichert sein. Sie ist die einzige noch arbeitende Schriftstellerin Schwedens, und was man auch gegen weibliche Autoren vorbringen mag, das Eine wird ihnen selbst der schärfste Gegner lassen müssen, daß sie das Anknüpfen und Weiterspinnen der Herzensangelegenheiten so feinfühlend und scharfbeobachtend auszumalen verstehen, wie dieses einem Manne niemals gelingen wird. Das Gefühlsleben ist das Terrain, auf dem sie vorzügliche Führerinnen sind, und selten dürfte ein Autor mit so geringen Mitteln, in so engen Grenzen, eine so wohlthuende Spannung hervorrufen, wie dies in der schönen Eigenthümlichkeit einer Schriftstellerin liegt, die nicht mit verletzender Emancipationssucht über diese streng gezogenen Grenzen hinaus will. Große Schritte und heftige Geberden lassen den Damen einmal nicht gut. Und gerade die schwedischen Schriftstellerinnen zeigen ganz besonders diesen natürlichen Tact, diese unbestreitbare weibliche Anlage auf’s Ansprechendste entwickelt. Was aber Marie Sophie Schwarz noch überdies auszeichnet, das ist die lobenswerthe klare sittliche Tendenz, die all’ ihren Arbeiten zu Grunde liegt. Sie sucht in jedem Werke mit redlichem Willen und klarem Geist eine sociale oder ethische Frage zu lösen, und das Ergebniß ist ein gesundes tüchtiges, während man den Versuchen der verstorbenen Friederike Bremer nicht dasselbe nachsagen kann. Diese, wie so manche andere, in ihren spätern Jahren bigott gewordene Dame hat als schönste Blüthe am Baume des Glaubens und des sittlichen Lebens die Entsagung gepriesen. Das Aufopfern der irdischen Liebe für ein Hingeben an die Menschheit und eine himmlische Mission war der Text ihrer Predigten in Romanform. Als Ideal eines Mädchens galt ihr dasjenige, welches die Vereinigung mit dem Geliebten aufgiebt, um als Lehrerin in einer Schule zu wirken, und dieses krankhafte Ideal übertrug sie an einen weiten Kranz theils schon für die Freuden der Welt und für thatkräftiges Eingreifen abgestorbener, theils noch sentimental in den Kinderschuhen einherwandelnder Leserinnen. Bei letzteren vornehmlich bewirkte sie viel Unheil, sie leitete die empfänglichsten Gemüther in schiefer Richtung und trug die Schuld an viel Ueberspanntheit und falscher Schwärmerei. Ich zähle solche Bücher, die sich im Gewande der Moral und eines bestechenden Styls in die Familien schleichen und als patentirte Mädchenlecture betrachtet werden, zu den allergefährlichsten.
Die Romane von Marie Sophie Schwarz darf aber so wie die der Flygare-Carlén jede Mutter ungescheut ihrem Kinde in die Hand geben. Das Leben wird hier nicht unter einem die Strahlen der Wahrheit beugenden Prisma gezeigt, und Geist und Charakter bildet sich daran nicht für eine verschrobene ideale, sondern für die Welt, wie sie ist.
Und nun ziehen wir die Glocke, um die Frau, von der wir so viel sprachen, auch von Angesicht zu Angcsicht kennen zu lernen.
Ein hübscher, eleganter junger Mann öffnete uns die Thür der Wohnung und wies uns in das Besuchzimmer, wo er uns allein ließ, um seiner Mutter – wie ich vermuthe – unsere Ankunft mitzutheilen. Ich erschrak fast, als Frau Schwarz nun eintrat, daß ich ihr einen so erwachsenen Sohn zugeschrieben hatte, so wenig machte sie mir den Eindruck einer ältern Frau. In ihrem einfachen Hauskleide, mit ihren schlicht geordneten Haaren und den wohl nicht schönen, aber ansprechenden Zügen, erschien sie mir kaum vierzigjährig.
Doch ist sie schon über dies Alter hinaus. Marie Sophie Birath wurde 1819 zu Bovas in Westgothland geboren und schon in früher Jugend Waise. Bald darauf starb auch ihr Oheim, der für ihre Erziehung gesorgt hatte, und ließ seine Wittwe mit dem zehnjährigen Pflegekind in großer Dürftigkeit zurück. Da es sich für die Kleine darum handelte, einen Beruf zu wählen, der ihre Existenz sicher stellte, entschied sie sich für die Malerkunst, und die Aufmunterung und Hülfe einiger Freunde der Familie machten ihr es möglich, ihrem Wunsche zu folgen, zu welchem sie ein ausgesprochenes Talent berechtigte. Sie malte Landschaften, und Schwedens kunstsinniger König selbst hat einige aus späterer Periode stammende Bilder von ihr angekauft, die in der kleinen Galerie nordischer Maler im Schlosse ihren Platz fanden. Doch schon früher, als die junge Künstlerin erst siebenzehn Jahre zählte, ging in Folge einer schweren Krankheit mit ihrem Gemüthe eine merkwürdige Wandlung vor sich. Das früher heitere Mädchen wurde schwermüthig und träumerisch, und um die bedrückte Seele zu erleichtern, gewissermaßen um sich von den unaufhörlich auftauchenden, durch die Farbe nicht wiederzugebenden Bildern zu befreien, griff das kaum zur Jungfrau gereifte Kind zur Feder und schrieb – aber ganz für sich allein im Stillen und Verborgenen.
Im Jahre 1840 verheirathet, mußte die junge Frau für einige Zeit all’ ihren gewohnten Beschäftigungen entsagen, denn ihr Mann, der in Stockholm lebende Professor G. Schwarz, hegte trotz seiner großen Gelehrtheit und geistigen Bildung einen eigenthümlichen Widerwillen gegen die schönen Künste, vor Allem aber gegen die öffentliche Bethätigung derselben von Seiten der Frauen. Es kostete dem schaffensfreudigen Geist einen schweren Kampf, bis dies Vorurtheil soweit beseitigt war, daß nach elf Jahren die erste Novelle von Marie Sophie Schwarz gedruckt erscheinen durfte, und da diese allgemeine Anerkennung fand, legte ihr der Gatte keine Hindernisse mehr in den Weg, jedoch waren diese Werke blos mit den Anfangsbuchstaben ihres Namens oder mit einem Pseudonym gezeichnet; erst nach dem im Jahre 1858 erfolgten Tode des Professors, als auch die Beschränktheit ihrer Lage eine erhöhte schriftstellerische Thätigkeit nöthig machte, trat sie mit ihrem vollen Namen in die Oeffentlichkeit.
Seither erschienen in rascher Folge ihre Arbeiten, deren Zahl nicht mehr weit hinter den gesammten Werken ihrer Vorgängerin Emilie Flygare-Carlén zurückbleiben dürfte, und es macht sich noch kein Nachlaß ihrer erstaunlichen Productivität fühlbar. Dank derselben genießt die fleißige Schriftstellerin jetzt einer gewissen Wohlhabenheit, die sich auch in der hübschen Wohnung, in der einfachen, aber netten Ausstattung widerspiegelt. Wir fanden die Frau vom Hause halb und halb zum Aufbruch gerüstet, sie theilte uns mit, daß sie einen Ausflug nach Norwegen beabsichtige, wo sie einen reichen Genuß für ihr künstlerisches Auge zu finden hoffte. Dies Auge, tief und sinnig, verräth aber auch die ungewöhnliche Begabung. Sein weicher Blick mildert den sonst fast zu herben Ernst der etwas männlichen Züge und giebt ein schönes Zeugniß für ein reichbegabtes Gemüth, wie das kräftig vorgeschobene harte Kinn auf Festigkeit des Willens und charaktervolle Ausdauer schließen läßt.
Nach den gewöhnlichen Fragen, welche der ersten Begrüßung folgten, führte unser freundlicher Begleiter die Unterhaltung, die hier ebenfalls schwedisch geführt werden mußte, obwohl Frau Schwarz deutsch wenigstens versteht, wieder auf das Thema zurück, welches uns auf der Straße so sehr beschäftigt hatte. Er nannte Fräulein Marlitt, deren „Goldelse“ kurz nach dem Erscheinen in der „Gartenlaube“ bei ihm selbst in schwedischer Uebersetzung aufgelegt wurde und auch jenseits der Ostsee viele Leser fand. Ich sah da ein merkwürdiges Phänomen, und hätte ich es nicht schon aus ihren eigenen Büchern herausgelesen, dies Phänomen hätte mich von dem guten neidlosen Herzen der schwedischen Autorin überzeugt.
Ehrlich und rückhaltslos lobte da eine Schriftstellerin die andere, ja sprach mit Begeisterung von ihren literarischen Erzeugnissen, an denen sie alle Vorzüge in ein helles Licht zu setzen bemüht war. Ein freundliches Lächeln verschönte dabei ihre Züge und ein Blick der lebhaftesten, aufrichtigsten Freude und Anerkennung leuchtete aus den früher gewiß scheuen Augen. Das war kein erkünsteltes Lob, mit dem man sich selbst das größere zu ertheilen gedenkt, das war das glückliche Aufjauchzen einer edlen Seele, die eine Schwester gefunden zu haben glaubt, mit der sich zu verständigen ihr vielleicht nur das Mittel einer gemeinsamen Sprache fehlt.
Ich ging mit der Empfindung, an einem Tage zwei Schriftstellerinnen kennen gelernt zu haben, die – was auch das Urtheil über ihre Wirksamkeit sein mag – nicht aus Eitelkeit, sondern mit warmem, redlichem Willen schufen und dabei das Wichtigste nicht vergessen haben, daß sie Frauen sind. Sie haben sich das Schönste gewahrt: die echte Weiblichkeit.