Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Johann August Unzer
Als Arzt gelehrt und geschätzt, als Physiolog Bahn
brechend, erwarb sich Unzer dauernden Nachruhm und
seine Schriften sicherten ihm bei der Nachwelt den Ruf
eines tief in die Geheimnisse der Natur eingedrungenen
Forscher-, Er wurde zu Halle geboren, besuchte die
dortige Hochschule, widmete sich der Arzneikunst, und
trat schon in seinem achtzehnten Jahre anonym als
Schriftsteller auf. Im 21. Jahre erwarb er die medicinische
Doctorwürde, nachdem er bereits 1747 als
Substitut seines Lehrers, des Professor Junker, der
zugleich die Stelle des Waisenhaus-Arztes bekleidete,
in die medicinische Praxis eingeführt worden war.
Nach seiner Promotion begann er als philosophischer
und medicinischer Docent, wie als praktischer Arzt sein
nützliches und mit den günstigsten Erfolgen gesegnete
Wirken, ausgerüstet mit gediegenen Kenntnissen, großer
Gelehrsamkeit, und mit der Gabe, Erfahrungen an
Krankenbetten wohl zu nützen und zu verwerthen.
Neben den allgemeinen Krankheitserscheinungen waren
es hauptsächlich Physiologie und Psychologie, auf welche
Unzer sein Augenmerk richtete, und er veröffentlichte
zahlreiche Wahrnehmungen und Früchte seiner ernsten
Beobachtungen und Studien, welche im ärztlichen
Publikum nicht nur, sondern auch bei dem der Laien
in den medicinischen Wissenschaften großen Beifall fanden.
Seine Schreibart war gefällig, und auch den Laien
verständlich, und der Zweck, weshalb er sogar für diese
schrieb, war Gemeinnützlichkeit, Beseitigung des Aberglaubens
und der Quacksalberei, und auf Vernunft
begründete Gesundheits- und Lebensverlängerungskunst.
Zu Ende des Jahres 1750 wandte sich Unzer von
Halle nach Hamburg, und von da bald nach Altona,
wo er sich verheirathete und in Ausübung goldener
Praxis glücklich lebte. Seine Frau war Johanne Charlotte,
eine geborene Ziegler, seine Landsmännin, im
Jahre 1724 auch in Halle geboren, und – eine Dichterin,
der es gelang, Ruf zu erstreben und Anerkennung
in weiteren Kreisen zu finden. Man schmückte sie zu
Helmstädt 1755 mit dem poetischen Lorbeerkranze, und
ertheilte ihr die Mitgliedschaft gelehrter Societäten.
Sie war, wie alle dichtenden Frauen, zunächst Lyrikerin,
besang Gott, Religion, Freundschaft und Tugend, und
[Ξ] wandte sich mit Vorliebe zur didaktischen Poesie,
gab scherzhafte, sittliche und zärtliche Gedichte heraus,
von 1751 bis 1766, schrieb eine »Weltweisheit für
Frauenzimmer«, die in erster Auflage 1754 erschien,
und erhob sich nicht besonders über ihre Zeit und ihre
Sphäre, obschon ihr poetisches Streben nicht ohne
Beifall der Zeitgenossen blieb. Sie erreichte ein Alter
von 58 Jahren und starb 1782, also 17 Jahre vor
ihrem Manne. Wie weit sie diesen mit ihrer Poesie
beglückte, ist nicht in weiten Kreisen bekannt geworden;
es scheint, daß jedes von beiden Gatten seinen eigenen
Schriftstellerweg ging. Unzer schrieb über Gemüthsbewegungen,
über Schlaf und Träume, über den Einfluß
der Seele auf den Körper, wie über die Wechselwirkungen,
welche die Seelenkräfte oder die psychischen
Vermögen auf den Körper ausüben oder mit dessen
Bewegungen harmoniren. Auch eine Abhandlung vom
seufzen ließ er erscheinen, gab eine Sammlung kleiner
physikalischer Schriften heraus, stellte ein Lehrgebäude
von der Sinnlichkeit der thierischen Körper auf, veröffentlichte
physiologische Untersuchungen, schrieb über
ansteckende Krankheiten, auch mehreres über die Pocken,
und arbeitete mit an wissenschaftlich gehaltenen Zeitschriften.
Den meisten Ruf und die meiste Volkstümlichkeit
erlangte Unzer aber durch die von ihm 1759
begründete medicinische Wochenschrift: »Der Arzt«,
welche in Hamburg erschien, in mehrere Sprachen übersetzt
wurde, und den größten Beifall fand. In einem
meist witzig und humoristisch gehaltenen Tone wurde
das Publikum über medicinische Wahrnehmungen und
Wahrheiten aufgeklärt, und es sank von manchem Geheimniß
der umhüllende Schleier, nur nicht von Unzer’s
selbsterfundenem »Digestivpulver«, das als Säure tilgend,
Galle dämpfend, den Magen reinigend, die Verdauung
hebend, gepriesen und als Geheimmittel verkauft
wurde. Man hat dieß Unzer sehr zur Last gelegt,
allein es lag nicht nur in der damaligen Zeitsitte,
es blüht heute noch, der von einem Jahrhundert ins andere
sprossend aus sich selbst fortzeugende Polyp,
der medicinische Humbug. Jeder bedeutende Arzt
mußte etwas bedeutend heilsames erfinden. Unzer’s
Zeitgenossen waren darin so wenig müssig, wie die
Nachfolger, und so lange sich’s thun ließ, hütete jeder
sein Arcanum sorglich vor der Veröffentlichung. Stahl,
der alte psychologische Arzt, auch aus Halle, der 1734
starb, hatte seine balsamischen Pillen erfunden, Whyt
sein stärkendes Chinaelixir, Kämpf erfand seine Visceralpillen,
Teichmeier und Hofmann erfanden jeder
einen Lebensbalsam, Sydenham erfand sein Laudanum
liquidum, später Himly seinen Augenbalsam, Ortlepp
sein Augenwasser und seine Augensalbe, und jeder Blick
in eine alte Pharmacopöe lehrt fort und fort das paracelsische
Geheimniß, wie Galenus opes giebt. Warum
hätte Unzer kein Digestivpulver erfinden, und es denen
verkaufen sollen, die sich dessen bedienen wollten? Er
blieb darum nicht minder der Mann von philosophischem
Geist, physiologischem Scharfsinn und populärer Diätetiken.
Eigenthümlich war, daß neben ihm noch ein
Unzer, Ludwig August, aus Wernigerode gebürtig,
als Arzt und Professor der Physik und Naturgeschichte
am Gymnasium zu Altona thätig war, auch im diätetischen
Fach namentlich sich auszeichnete, und nebenbei
als beliebter Dichter und Dramatiker glänzte, auch von
1772 bis 1780 den »Altonaer Merkur« herausgab.
Da mag wohl manche ernste und komische Verwechselung
mit dem Doppelgänger und Doppelnamensvetter vorgekommen
sein. Johann August Unzer endete ziemlich
hochbetagt im 72 Lebensjahre.