Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Johann Heinrich Jung, Stilling

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Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Johann Heinrich Jung, Stilling
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aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 207–208
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Johann Heinrich Jung, Stilling.
Geb. d. 12. Sept. 1740, gest. d. 2. April. 1817.


Ein Mann voll tiefen innerlichen Charakters, großer Vielseitigkeit des Wissens, und eigenthümlicher Geistesrichtung, welcher lange Zeit das denkende und fühlende lesende Publikum durch seine Schriften anregend und erbaulich beschäftigte.

Johann Heinrich Jung wurde zu Grund im Herzogthum Nassau geboren, und zwar von armen Aeltern, so daß ihm in den ersten Jugendjahren kaum eine andere Berufswahl nahe lag, als die, Köhler zu werden, Meiler zu bauen und zu schüren; indeß ward er auf andere Bahn gelenkt; er wurde ein Schneider. Wohl hätte das friedliche Stillleben dieses Handwerks seiner Neigung zu beschaulichem denken entsprechen können, aber der Geist in ihm arbeitete denn doch zu mächtig, und es drängte ihn zu dem Berufe eines Lehrers hin, und durch Selbststudium einestheils, anderntheils durch sein sittsames und freundliches Wesen, erlangte er so viele Kenntniß und so viele Gunst bemittelter, daß ihm einige Hauslehrerstellen anvertraut wurden. Von dem Erwerb für den Unterricht, den Jung ertheilte, und den er sorgsam sparte, hoffte er studiren zu können und bezog die Universität Straßburg, wo er sich schon Stilling nannte, und der Arzneiwissenschaft sich widmete. Dort lernte er Herder und Goethe kennen, welcher letztere in der Schilderung des eigenen anziehenden und bewegten Lebens mit Vorliebe einen Augenblick bei Stilling verweilt, und auf das gegenseitige Verhältniß einen Strahl seiner klaren Anschauung fallen läßt, indem er sagt: „Daß übrigens Herder’s Anziehungskraft sich so gut auf andere als auf mich wirksam erwies, würde ich kaum erwähnen, hätte ich nicht zu bemerken, daß sie sich besonders auf Jung, genannt Stilling, erstreckt habe. Das treue redliche Streben dieses Mannes mußte jeden, der nur irgend Gemüth hatte, höchlich interessiren, und seine Empfänglichkeit jeden, der etwas mitzutheilen im Stande war, zur Offenheit reizen. Auch betrug sich Herder nachsichtiger gegen ihn, als gegen uns andere, denn seine Gegenwirkung schien jederzeit mit der Wirkung, die auf ihn geschah, im Verhältniß zu stehen. Jung’s Umschränktheit war von so viel gutem Willen, sein Vordringen von so viel Sanftheit und Ernst begleitet, daß ein Verständiger [Ξ] gewiß nicht hart gegen ihn sein und ein Wohlwollender ihn nicht verhöhnen, noch zum Besten haben konnte. Auch war Jung durch Herder dergestalt exaltirt, daß er sich in allem seinen Thun gestärkt und gefördert fühlte, ja seine Neigung gegen mich schien in eben diesem Maaße abzunehmen; doch blieben wir immer gute Gesellen, wir trugen einander vor wie nach und erzeigten uns wechselseitig die freundlichsten Dienste.»

Dieß Urtheil reinen Wohlwollens verdiente und bewährte Jung Stilling durch sein ganzes Leben, als praktischer Arzt, wie als belehrender philosophischer und schöngeistiger Schriftsteller. Die Richtung von Jung Stilling’s Geist war jene sanfte, milde Religiosität, die sich innig in die Heilslehren des Christenthums versenkt, aus ihnen Trost des Gemüthes, Frieden der Seele und gläubige Hoffnung schöpft, und förmlich im schroffen Gegensatz steht zu der modernen Philosophie, die nur das werthe Ich in selbstvergötterndem Dünkel an die Stelle Gottes setzt und setzen lehrt. Daher freilich auch bei Jung die Hinneigung zu etwas allzusehr pietistisch-frömmelnder Schreibweise in mehreren seiner Schriften.

Jung Stilling ließ sich in Elberfeld nieder, praktizirte dort als Arzt, besonders als Augenarzt, mit großem Glück und Ruhm, und soll über 2000 Blinden das Gesicht wieder gegeben haben. In diese Zeit fällt sein beliebtes Buch »Theobald oder der Schwärmer«, auch schilderte er bereits 1777 seine »Jugend, Jünglingsjahre und Wanderschaft«, in drei Theilen. Eigenthümlich abirrend von dem zuerst erwählten Berufskreis und jener Richtung reinen ästhetischen Schaffens, lenkte Jung seine Thätigkeit auch andern Lehrgebieten zu. Er wurde Cameralist, lehrte als solcher zu Lautern, wurde 1787 Professor der Cameralwissenschaft zu Marburg, und siedelte von dort in gleicher Eigenschaft 1803 nach Heidelberg über. Nun schrieb er Lehrbücher über Forstwissenschaft, Fabrikwesen, Handlungskunde, Finanzwissenschaft und selbst eine kleine Naturgeschichte für Frauenzimmer. Dennoch ärntete er auch auf dem philosophisch-ästhetischen Gebiete noch manche Lorbeeren; unter mehreren romantischen Schriften mit pietistischem Anhauch seien nur genannt: Geschichte Florentin’s von Fahlendorn, 3 Bde., 1779; Leben der Theodore von Linden, 2 Bde., 1783; Das Heimweh, 1794, 5 Bde.; außer diesem gab er noch mehrere christlich asketische Schriften heraus und wagte sich endlich auch in das übersinnliche und dem Menschenblicke tief und ewig verhüllte Gebiet der Geisterkunde, und zwar gab er gleich eine förmliche »Theorie« derselben und behandelte dieselbe noch in mehreren Einzelschriften, nicht ohne Theilnahme in gewissen Kreisen der Lesewelt, weil Hang und Zug zum geheimen und übersinnlichen mehr oder minder stark in jedes einzelnen Neigung liegen. Doch bebaute Jung dieses Feld mit nicht mehr und nicht minderem Glück, als alle die Geistergläubigen nach Jung Stilling bis auf die allerneuesten Klopfgeisterlehrer, welche allen Ernstes uns ansinnen, zu glauben, daß die Geister von vor Jahrhunderten Verstorbenen sich in hölzernes Gerümpel, alte Tische und dergleichen gebannt fänden, um neugierdevoller Spielerei der Jetztzeit zu läppischen Orakeln zu dienen. Das wäre eine Unsterblichkeit! –

Endlich war Jung Stilling auch gemüthvoller lyrischer Dichter, und sein Freund E. W. Schwarz, welcher als Nachtrag zu des ersteren Leben auch dessen Alter schildert, gab 1821 Jung’s Gedichte nach dessen Tode heraus.

Jung Stilling beschloß sein ziemlich bewegtes und fleißiges Leben als Geheimer Hofrath und Professor der Staatswirthschaft zu Karlsruhe, wohin er sich von Heidelberg aus gewendet hatte, in jener Friedensstille, die er liebte und die seinem Wesen und Charakter eigen war.