Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Johann Joachim Winckelmann

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Ludwig Bechstein
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Johann Joachim Winckelmann
Untertitel:
aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 393–394
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[Ξ]


Johann Joachim Winckelmann.
Geb. d. 9. Dec. 1717, gest. d. 8. Juni 1768.


Winckelmann war ein Archäolog und Kunstforscher von der größten Bedeutsamkeit, der, aus niederem Stande hervorgegangen, die Welt mit seinem Ruhme erfüllte, tausende zu edler Bestrebung anregte, und sich durch seine eigenen Werke ein unvergängliches Denkmal setzte.

Stendal in der Altmark war Winckelmann’s Geburtsort, der Vater dort Schuhmacher und arm; der Rektor der Ortsschule aber unterstützte den fähigen Knaben und brachte ihn soweit, daß derselbe in seinem 16. Jahre das Gymnasium zu Köln an der Spree besuchen konnte, wo er ein Jahr blieb und sich spärlich genug behalf, bis es ihm gelang, 1738 als angehender Theolog die Hochschule Halle zu beziehen, die im jugendlichen Glanze strahlte, wo nun Winckelmann zwei Jahre lang eifrig in verschiedenen Gebieten des Wissens sich Kenntnisse aneignete, mit Vorliebe alte Geschichte und Bücherkunde studirte und die Hoffnung hegte, entweder eine seinem Wissen entsprechende Stellung in Deutschland zu finden, oder die Welt zu sehen und zu durchwandern. Schon von Berlin aus hatte er eine Fußreise nach Hamburg gemacht, blos in der Absicht, Bücher kennen zu lernen und zu kaufen. Von Halle aus wollte er nach Paris, gelangte aber nur bis Gelnhausen und bekleidete dann zwei Hauslehrerstellen nach einander von 1741 bis 1742, deren keine ihm zusagte; auch ein zwischen beide fallender kurzer Aufenthalt in Jena konnte ihn nicht fördern. Endlich erlangte er ein kärgliches Conrektorat zu Seehausen in der Altmark, und so schien das Leben eines Mannes, dem eine große Zukunft blühte, in der Enge einer dumpfen Schulstube sich, unbekannt der Welt, verlieren zu sollen. Aber der Winckelmann innewohnende Geist drängte ihn nach außen, während er sich auf das eifrigste durch lesen und studiren klassischer Werke des Auslandes in alten und neuen Sprachen fortbildete.

Winckelmann wandte sich vertrauungsvoll an den kursächsischen Minister Grafen von Bünau in Dresden, der ihm 1748 eine Stelle an seiner bedeutenden Bibliothek auf dem Gute Nöthenitz verlieh, wodurch Winckelmann nicht nur volle Befriedigung seiner literarischen Neigungen fand, sondern auch Gelegenheit, in den Kunstschätzen der nahen Residenz Genuß und Studium [Ξ] zu vereinigen. Bald auch gewann der strebsame junge Mann sich Freunde, v. Hagedorn, des Dichters Bruder, Generaldirektor der Kunstacademie und selbst ausübender Meister in der Aetzkunst, Lippert, der durch seine Dactyliothek berühmte Professor der Antiken, und Oeser, der liebenswürdige und weit genannte Maler; der letzte namentlich übte auf Winckelmann bedeutend bildenden Einfluß, indem er ihn in das Heiligthum der Kunsterkenntniß führte, und ihn lehrte, sichern Blick und richtiges Urtheil zu gewinnen, die aus Büchern nicht gewonnen werden, sondern durch Anschauungen. Dresdens reiche und herrliche Kunstschätze weckten Sehnsucht und Verlangen nach jenem klassischen Boden, dem ein großer Theil derselben entstammte. Rom winkte verführerisch, wie es immer winkt; Winckelmann stand allein, 35 Jahre alt, immer noch gräflicher Bibliothekschreiber mit 80 Thaler Gehalt; der am Dresdner Hofe weilende päpstliche Nuntius Archinto lernte den thätigen und wissenschaftlichen Mann kennen, und eröffnete Winckelmann die Aussicht auf eine Bibliothekarstelle in der weltberühmten Vaticana; welche Aussicht konnte lockender und reizender sein für einen Geist, der nur für Kunst und Alterthum glühte und der zugleich für den durch erschöpfende Arbeit geschwächten Körper heilende Belebung unter Italiens mildem Himmel hoffte? Dadurch geschah es, daß Winckelmann zu dem einzigen ihm dargebotenen Mittel griff, jenes verheißungsreiche Ziel zu gewinnen, er wechselte den Glauben, oder eigentlich nur das Bekenntniß; seine Seele hing nicht am Lutherthum, nicht am Papstthum, ihm winkte die Kunst, das Götterweib, mit ihrem tausendfachen Zauber.

Nach einem Aufenthalt in Dresden bei Oeser ging Winckelmann, mit einem Jahrgehalt des Königs von Sachsen unterstützt, nach Rom, fand dort seinen indeß zurückgekehrten Freund und Gönner Archinto als Kardinal und Staatssecretair wieder, fand unter der höheren Geistlichkeit zahlreiche Gönner, befreundete sich mit Rafael Mengs und lebte sich in ein durch reiche Kunstschau und stetes Kunststudium beglücktes Kunstleben hinein, welchem die Wissenschaft seine vortrefflichen Werke verdankt. Diese Werke bestanden zunächst aus höchst anziehenden und belehrenden Briefsammlungen an Freunde, aus mehreren kleinen kunstgeschichtlichen und archäologischen Abhandlungen, dann folgten die Monumenti antichi inediti, und das Hauptwerk: Geschichte der Kunst des Alterthums, darin er seinem Namen ein dauerndes Denkmal setzte. Winckelmann säuberte die Kunstgeschichte und klassische Alterthumskunde von eingewurzelten Vorurtheilen, stellte die oft vage bisherige Beurtheilung antiker Kunstwerke auf die Basis des geläuterten Geschmacks und des höheren ästhetischen Gefühls, und fand die allgemeinste Anerkennung.

Die äußere Lebensstellung Winckelmann’s in Italien war eine ganz erwünschte; er wurde zwar nicht gleich in der Bibliothek des Vaticans angestellt, aber doch an den Bibliotheken einiger ihm äußerst wohlwollender Cardinäle und konnte die vaticanische benutzen. Viermal reiste er von Rom nach Neapel und kehrte stets mit neuen Bereicherungen für die Wissenschaft zurück. Im Jahre 1763 wurde er zum Oberaufseher der apostolischen Kammer über alle Alterthümer in und um Rom ernannt, ein Amt, welches so ganz nach seinem Wunsche war und seinem ganzen Wirken so zusagte, daß er gern an ihn aus der deutschen Heimath ergehende ehrenvolle Anträge ablehnte. Der kaiserliche, der sächsische, der hannoversche wie der preußische Hof wollten ihn an stellen, in Berlin sollte er 1765 mit 1000 Thaler Gehalt Inspektor der Bibliothek, des Münz- und Antikenkabinets werden, eine Summe, die ihm allerdings in Betracht der Arbeit und Verantwortlichkeit zu gering erscheinen mußte. Seine Dienstgeschäfte in Rom gewährten ihm die schönste Muße zu eigenem wirken, zum entfalten seiner schöpferischen Thätigkeit, in der ihn nur der häufige Besuch reisender Landsleute nicht stets erfreulich störte. Er blieb unvermählt, war sich selbst Herr und Diener, hatte niemand zu seiner Bedienung nöthig, und zeigte sich stets freundlich, voll Herzensgüte und Lauterkeit des Charakters. Wenn ihn nicht amtliche oder sonstige Verrichtungen zum ausgehen nöthigten, trug er daheim im Winter stets einen Pelz, eine Reliquie der deutschen Heimath. Nach dieser Heimath entstand endlich in ihm doch ein nicht zu bewältigendes sehnen, er beschloß eine große Reise, kündigte diese seinen Freunden in Deutschland öfter vorher schon an und begann dieselbe am 10. April 1768 in Begleitung des Bildhauers Cavacezzi, wurde aber auf derselben in den Alpen von der trübsten Gemüthsstimmung und Reue über den Reiseantritt befallen, so daß er einige male umkehren wollte; indeß gelangte er nach Augsburg und von da über München und Regensburg nach Wien, wo die Kaiserin Maria Theresia ihn auszeichnete und reich beschenkte. Von hier aus beschloß Winckelmann unabänderlich die Rückkehr, und erreichte Triest. Dort machte er die Bekanntschaft eines Italieners, Arcangeli, dem er arglos seine Münzen und Schätze zeigte, und dieser Teufel mit dem Namen eines Erzengels brachte dem arglosen in raubmörderischer Absicht einige so tödliche Wunden bei, daß Winckelmann noch desselben Tages verschied. Der Mörder entfloh, ward aber später eingeholt und lebendig mit dem Rade gerichtet. Winckelmann, der in Triest völlig unbekannt war, wurde still beerdigt, niemand kennt sein Grab. So endete ein hochbegabter, der Wissenschaft zum Heile wirkender Mann von dauerndem Ruhm auf eine schändliche Weise sein thätiges Leben.