Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Paul Gerhard

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Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Paul Gerhard
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aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 135–136
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Paul Gerhard.
Geb. 1606, gest. d. 27. Mai 1676.


Paul Gerhard war einer der gemüthvollsten und seelinnigsten geistlichen Liederdichter, die je gelebt, und obschon seit seinem Tode fast zwei Jahrhunderte verrannen, so lebt sein Andenken, leben seine Lieder in deutschen, christlichsfrommen Gemüthern dennoch noch immer fort, weil sie von einem poetischen Zauber verklärt sind, und die ächte Frömmigkeit athmen, die für so manche Herzen ein Bedürfniß ist.

Gerhard wurde zu Gräfenhainichen in Sachsen geboren. Sein Jugendleben liegt ganz im Dunkel; man weiß nicht, wer seine Aeltern waren, weiß nicht, wo er seine akademischen Studien begann und endete, und wie seine poetische Begabung zuerst ihre jugendlichen Schwingen entfaltete, und dieß kommt daher, daß im dreißigjährigen Kriege auch Gräfenhainichen das Loos traf, völlig verheert und eingeäschert zu werden, so daß weder aus Kirchenbüchern noch aus Archiven betreffende Nachrichten von der früheren Vergangenheit des Dichters auf die Nachwelt gelangten. Im Jahre 1651 begegnet uns Paul Gerhard fertig und vollendet als Theolog und als Dichter; er war Propst zu Mittenwalde in der Mark Brandenburg, gelangte zu Ruf und Ansehen auch außerhalb seines Kirchsprengels, und empfing sogar im Jahre 1657 eine Berufung nach Berlin, um an der Nicolaikirche als Diakonus zu wirken. Dieß that Gerhard mit Freudigkeit und Treue, bis eine Zeit kam, die ihn in seinem Wirken störte und betrübte. Es war die Zeit der unseligen kirchlichen Streitereien der Lutheraner und Reformirten über Glaubenslehren, und auch Paul Gerhard gesellte sich zu den strengen lutherischen Theologen, die unermüdlich und unablässig die Reformirten bekämpften, während der Landesherr, Markgraf Friedrich Wilhelm, der große Kurfürst, letztere schützte und sie geschont wissen wollte. Da geschahe denn das unvermeidliche und unausbleibliche, Paul Gerhard empfing unterm 16. Febr. 1666 die durch seine theologische Hartnäckigkeit erwirkte Entlassung. Dieses Umstandes hat sich die Sage bemächtigt, und eine rührende Erzählung aus demselben geschöpft, deren Inhalt in Kürze dieser ist: Paul Gerhard sei aus Berlin verwiesen worden, und habe zum Wanderstabe in das Exil greifen müssen. [Ξ] Auf dem Wege sei Paul Gerhard’s Frau von der größten Niedergeschlagenheit und Trostlosigkeit über ihr Schicksal ergriffen worden, da sei der Dichter in den Garten des Gasthauses, darin beide übernachteten, gegangen, und habe das unvergleichlich schöne Trostlied: Befiehl du deine Wege, gedichtet. Da seien noch denselben Abend Boten des Herzogs Christian zu Sachsen-Merseburg gekommen, und haben ihm die Nachricht überbracht, daß ihr Herr ihm ein Jahrgehalt ausgesetzt habe, und sobald als möglich ihn durch eine Predigerstelle versorgen wolle. – Paul Gerhard wurde aber, obschon seines Dienstes entlassen, keineswegs aus Berlin vertrieben; seine ihm liebevoll anhängende Gemeinde erhielt ihn, die Stadt und die Stände der Mark kamen fürbittend bei dem großen Kurfürsten ein, ihn wieder zu Gnaden anzunehmen, was auch durch eine Verfügung vom 19. Jan. 1667 erfolgte. Die rücksichtvolle Gnade des Regenten ging so weit, daß Paul Gerhard sogar von der Verpflichtung entbunden wurde, das Gelöbniß, die Reformirten ferner nicht durch Wort und Schrift zu bekämpfen, zu unterschreiben, da er sich weigerte dieses zu thun, und es erging an ihn blos die mahnende Aufforderung, sich in den kirchlichen Streithändeln geziemender Mäßigung zu befleißigen. Da jedoch zu solcher Mäßigung Paul Gerhard der Wille und der Gehorsam mangelte, so verließ er nun Berlin freiwillig und zog in das Sachsenland. Ob er, wie hier und da angegeben ist, in dieser Zeit seines freiwilligen Exils die meisten seiner Lieder gedichtet, oder nicht viel mehr in befriedigender Wirksamkeit und in beschaulicher Stille, ist eine Frage, die sich leicht von selbst beantwortet, um so mehr, als der Aufenthalt in Sachsen ein Exil um so weniger genannt werden kann, da es niemand einfiel, den Dichter zu verfolgen, und schon 1669 der Herzog zu Sachsen-Merseburg ihm das Archidiakonat zu Lübben in der Niederlausitz verlieh. Dort starb Gerhard als Oberpfarrer, nachdem er ein ziemlich hohes Alter erreicht. Er hatte nur einen einzigen Sohn, der sich auch zum Prediger heranbildete.

Paul Gerhard hinterließ an Geisteswerken nur seine religiösen Lieder, aber in ihnen einen reichen, viele Bände anderer theologischen Schriften aufwiegenden Schatz. Manche in seiner Zeit liegende Rauhigkeit – selten Anstößigkeit – im Ausdruck, und hier und da eine prosaische Wendung abgerechnet, sind diese Lieder formgerecht, gedankenvoll, poetisch schön und innig fromm. Nächstdem spricht aus vielen der Lieder eine große Kenntniß der Natur, wie Vorliebe und Beobachtungsgabe für dieselbe. Davon zeugt am meisten das reizende Sommerlied: »Geh aus mein Herz und suche Freud«. Viele andere, wie z. B. das angeführte: »Befiehl du deine Wege;« »Ich weiß daß mein Erlöser lebt;« »Nun danket all und bringet Ehr;« »Nun ruhen alle Wälder;« »O Haupt voll Blut und Wunden;« »Sollt ich meinem Gott nicht singen?« »Wach auf mein Herz und singe;« »Warum sollt ich mich denn grämen?« »Wie soll ich dich empfangen?« »Zweierlei bitt ich von dir« – wurden Lieblingslieder der deutschen Nation, und eine noch ungleich größere Anzahl ging in alle lutherischen Gesangbücher über, und die selbstständige Ausgabe derselben erlebte viele Auflagen, erschien auch öfter in verbesserter Gestalt. Von neueren Dichtern kam Gellert Paul Gerhard am meisten nahe.