Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen/Philipp Jacob Spener

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Textdaten
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Autor: Ludwig Bechstein
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Titel: Philipp Jacob Spener
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aus: Zweihundert deutsche Männer in Bildnissen und Lebensbeschreibungen, S. 355–356
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Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Georg Wigand's Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Philipp Jacob Spener.
Geb. d. 13. Jan. 1635, gest. d. 5. Febr. 1705.


Einer der begabten Geister, welche, von ihrer Zeit bewegt, diese Zeit selbst bewegen, sie bahnbrechend umzuformen streben, und häufig Liebe und Bewunderung, noch mehr aber Haß, Miskennung und Verfolgung ernten.

Spener wurde zu Rappoltsweiler im Ober-Elsaß geboren, wo sein aus Straßburg stammender Vater gräflich Rappoltstein’scher Beamter war. Die Aeltern waren beide christlich und fromm gesinnt und suchten des Knaben Herz zu gleicher Gesinnung hinzulenken, was auch in erfreulichster Weise gelang. Späteren Unterricht erhielt der junge Spener auf dem Gymnasium zu Colmar und vollendete dann von 1651 an auf der Hochschule zu Straßburg seine theologischen und philosophischen Studien. Dort wurde er 1653 Magister und zugleich Erzieher der Prinzen von der Pfalz, als welcher er sich neben den erlernten Wissenschaften noch in mancher andern Doctrin umthun mußte, und zunächst als Geneologist und Heraldiker auftrat, indem er einen Europäischen Adelsschauplatz verfaßte und eine Wappentheorie in lateinischer Sprache schrieb, mit welcher er der schlummernden Heroldskunst eine neue Bahn brach und sie als Wissenschaft feststellte. Nach Vollendung seiner Erzieheraufgabe wandte sich aber Spener dem mit Liebe begonnenen Studium der Theologie wieder zu und widmete sich demselben noch auf den Hochschulen zu Basel, Tübingen, Freiburg, Lyon und Genf, bis er wieder nach Straßburg zurückkehrte und daselbst 1663 Freiprediger, 1664 Doctor der Theologie wurde.

Als Geistlicher durchschaute Spener mit klarem Blick, wie sehr die protestantische Kirche Deutschlands im Argen lag. Erst war diese in sich zerfallen durch endlose und zwecklose Meinungskämpfe theologischer Eiferer, die mit sich selbst mitten im Schoose ihrer Kirche nicht einig zu werden vermochten, geschweige mit Reformirten und Katholiken – dann war sie heftig, wüthend und dreißig Jahre lang bekämpft worden, ohne besiegt werden zu können; da war kein Bild protestantisch kirchlichen Lebens, wie es Luther und seine Mitarbeiter geschaffen hatten, mehr zu erblicken; das starre Dogma waltete, und der zelotische Eifer der Geistlichen stellte [Ξ] den todten Buchstaben höher, als den lebendigen Glauben und den christlichen Wandel, die werkthätige Liebe. Gegen alle diese Uebel, welche eine trübe Zeit in ihrem Schoose geboren, kämpfte Spener mit männlichem Bewußtsein dessen, was zunächst noth that, in seinem Kreise auf praktisch reformatorische Weise an, während er unter dem Titel »Pia desideria« – (fromme Wünsche) der gelehrten Außenwelt seine geläuterten Ansichten von einer nothwendigen abermaligen kirchlichen Läuterung an das Herz legte. Christlich apostolisch sollte die Kirche wieder werden, das war Spener’s Hauptgrundsatz und seine Hauptforderung, und wie er selbst in seiner eigenen Gemeinde und wo er später wirksam wurde – durch einfache, erbauliche, verständliche und zu Herzen dringende Predigten seinen Zuhörern den Christussinn in die Herzen strömte, auf Verbesserung des Schulunterrichts drang, die Katechisationen durch den Prediger, nicht nur der Kinder, sondern auch der Erwachsenen einführte, so suchte auch die erwähnte Schrift anzuregen und aufzumahnen, auf das dogmatische Gezänk zu verzichten, das ohne alle Frucht und ohne allen Segen ist, zu religiöser Bildung durch alle Lebenskreise aufzufordern, namentlich auf Schulen und Hochschulen – wie sie auch in unsern Zeiten wieder gar sehr zu wünschen ist, und überhaupt zur Erweckung wahrhaft christlich frommen Sinnes überall und überall hinzuwirken. Der Erfolg war jener des Säemannes im Evangelium.

Im Jahre 1666 nahm Spener von seiner ihn liebenden Gemeinde zu Straßburg Abschied und die Stelle des ersten Geistlichen zu Frankfurt a. M. an, zugleich wurde er Senior des geistlichen Ministeriums der freien Reichsstadt und wirkte in dieser Stelle 20 Jahre mit edlem Eifer. Da ihm von vielen Seiten her der Vorwurf gemacht wurde, zu Absonderung und Sektirerei sich hinzuneigen und zu dieser anzuleiten, so verlegte er selbst die außerkirchlichen erbaulichen Zusammenkünfte, die sogenannten Collegis pietatis, die sich seit 1670 in seiner Gemeinde ausgebildet hatten, in die Kirche – ohne verhindern zu können, daß durch dieselben späterhin doch das Pietistische Conventikelwesen sich begründete.

Spener’s weitverbreiteter Ruhm als des erleuchtetsten deutschen Theologen seiner Zeit verschaffte ihm im Jahre 1686 die dringende Berufung zum Oberhofprediger, Consistorialassessor und Beichtvater des Kurfürsten Johann Georg’s zu Sachsen nach Dresden, in welchem Amte er jedoch nur 5 Jahre blieb, weil der Kurfürst mindere Neigung zeigte, wie seine großen Ahnherren, der Mahnung eines strengen Bußpredigers Folge zu geben. Spener sah sich veranlaßt, um seine Entlassung einzukommen, und erhielt alsbald eine Berufung nach Berlin als Inspektor, Propst und Consistorialrath an der Nicolaikirche, an welcher er noch 14 Jahre treueifrig wirkte.

Spener ließ eine große Anzahl Schriften erscheinen; viele nöthigten ihm feindliche Angriffe ab, denn er verstand nicht die Kunst, durch unbedingtes Schweigen zu siegen und die zum Theil lieblosen, zum Theil lächerlichen Beschuldigungen des Socianism, des Arianism und sonstiger Ismen ganz an ihren Ort gestellt sein zu lassen, doch widerlegte er, wenn er sich zur Abwehr herausgefordert sah, mit Ruhe, Würde und Mäßigung alle die heftigen Anschuldigungen seiner Gegner.

Spener war es, der den in der heutigen protestantischen Kirche eingeführten Confirmandenunterricht, die in vielen Ländern sogenannte »Frage« begründete, Spener war es, dessen Anregung bei Friedrich I., König in Preußen, die Universität Halle ihre Begründung verdankte, und es war nur naturgemäß, daß sein Vorbild dort im lebendigen Andenken, wie auch seine Lehre, fortwirkend blieb; auf ihn gründete und auf seinen Geist stützte August Hermann Francke den religiösen Aufbau ihrer beiderseitigen Ueberzeugung weiter, zur Ehre Gottes und der Menschheit zum Segen.