C. A. Steinheil und der erste Schreibtelegraph

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Hugo Marggraff
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: C. A. Steinheil und der erste Schreibtelegraph
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 605–606
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[605]

C. A. Steinheil und der erste Schreibtelegraph.

(Dr. C. A. Steinheil)

Im Juli dieses Jahres feierten die Engländer ein Telegraphenjubiläum: die Erinnerung an den 25. Juli 1837, als auf einer kurzen Strecke der Birminghamer Eisenbahn der Nadeltelegraph von Cooke und Wheatstone zum ersten Male in Thätigkeit trat. Zu derselben Zeit wurde in Deutschland eine viel wichtigere Erfindung öffentlich bekannt gemacht. Dem Scharfsinne und der Geschicklichkeit des auf optischem wie physikalischem Gebiete gleich berühmten Gelehrten Professor Dr. Carl August Steinheil in München (geb. 1801, gest. 1870) gelang es vor fünfzig Jahren, den Telegraphen so umzugestalten, daß er die Drahtmeldungen in einer einfachen und sicheren Zeichensprache nicht nur dem Ohre vernehmbar machte, sondern auch bleibend niederzuschreiben vermochte.

Anfangs Juli 1837 stand der hier (Fig. 1 und 2) abgebildete, noch heute vorhandene Originalapparat vor dem Forum der Akademie der Wissenschaften zu München. Steinheil verwendete, wie Gauß und Weber vier Jahre früher bei dem Göttinger Nadeltelegraphen, ebenfalls sogenannte inducirte Ströme, die aber mittelst einer magnet-elektrischen Rotationsmaschine erzeugt wurden. Der 60 Pfund schwere Hufeisenmagnet A trägt oben die Anker a. Die beiden mit Eisenkernen versehenen Induktionsdrahtrollen B werden mittelst des Balanciers C um die Achse b schnell an den Magnetpolen vorbei bewegt. Alle hierdurch hervorgerufenen entgegengesetzt gerichteten Ströme erhalten in dem Stromwender D wieder gleiche Richtung und gelangen so in den Zeichengeber E, welcher nebenan (Fig. 3) etwas deutlicher in horizontalem Durchschnitte dargestellt ist; derselbe besteht aus einem Multiplikatorgewinde, in dessen Höhlung sich zwei drehbare Magnetstäbe c befinden, deren Ausschlag jedoch durch die Platten e ein begrenzter ist. Beide Magnete tragen an ihren Enden kleine Farbnäpfchen d mit kapillaren Spitzen. An den letzteren wird ein Papierstreifen G mittelst des Uhrwerkes H und der Rolle F (Fig. 1) langsam vorbeigezogen. Je nach der Drehrichtnug des Induktors wird im Zeichengeber bald der Pol des einen, bald der des anderen Magnets abgelenkt und dadurch in rascher Reihenfolge ein oberer bezw. unterer Punkt auf dem Papierstreifen gedruckt. Die seitwärts der Magnete aufgestellten kleinen Magnete m bringen die bei jedem Strome abgelenkten Magnete sofort wieder in die Ruhelage zurück.

Zur Bildung eines Buchstabens oder einer Ziffer wählte der Erfinder – wie die umstehende Probe (Fig. 4) zeigt – höchstens vier Punkte in zwei Zeilen, wodurch 30 Zeichen möglich waren.

Steinheil hatte von vornherein drei Stationen in gegenseitige Verbindung mittelst doppelter, über Gebäude und auf eigenen Masten geführter Drahtleitungen gesetzt: die Akademie, die fast 5 Kilometer von dort entfernte Sternwarte bei Bogenhausen und seine Wohnung in der Lerchenstraße. Alle Drahtenden liefen in der Drehscheibe K (Fig. 2) zusammen und konnten hier beliebig zu geschlossenen Linien verbunden werden.

Welchen unbeschreiblichen Eindruck das neue Wunder der Physik und Mechanik auf Alle, die es sahen, ausübte, kennzeichnet folgende verbürgte Anekdote aus der Zeit der ersten telegraphischen Versuche Steinheil’s.

König Ludwig I. von Bayern, für alles Neue und Nützliche so empfänglich, besuchte einst bei starkem Nebelwetter den Erfinder in der physikalischen Werkstätte der Akademie und fragte denselben: „Ich habe gehört, Sie haben einen Telegraphen erfunden, kann man heute auch telegraphiren?“

Steinheil bejahte dies, führte den König zum Apparat und bemerkte, daß die Leitung mit seiner Privatwohnung, wo seine Frau und deren Schwester telegraphiren könnten, sowie mit der Sternwarte zu sprechen gestatte. Nun ließ König Ludwig, Steinheil’s Alphabet in der Hand haltend, in die Station Lerchenstraße durch den Apparat fragen: „Was reimt sich auf Nebel?“ und alsbald ward die Antwort „Hebel“ buchstabenweise auf dem Papierstreifen sichtbar. Der Monarch verlangte hierauf: „Fragen Sie den Lamont (Professor Lamont war damals Observator der königl. Sternwarte), wie die letzten Worte lauteten, welche ich gestern zu ihm sprach.“ Als auch die Antwort hierauf von der Sternwarte her deutlich auf dem Papierstreifen erschienen war, ging König Ludwig mehrmals erregt im Saale auf und ab, klopfte dann Steinheil auf die Schulter und sagte: „Seien Sie froh, daß Sie nicht vor 200 Jahren gelebt haben; da hätte man Sie als Hexenmeister verbrannt!“

Steinheil suchte im Jahre 1838, in welchem er auch die galvanische Uhr und damit die Zeittelegraphie erfand, seinen Telegraphen weiter zu verbessern. Schon Gauß hatte auf die mögliche Verwendbarkeit der Eisenbahnschienen zur Stromleitung hingewiesen. Um hierüber Gewißheit zu erlangen, nahm Steinheil mit Genehmigung der Regierung im Juni 1838 eingehende Versuche vor auf der Nürnberg-Fürther Eisenbahn. Längs der Versuchsstrecke war eine Drahtleitung auf Stangen gezogen, die Rückleitung des elektrischen Stromes sollten die Schienen besorgen. Doch merkwürdig! Steinheil fand, daß der Strom von einem Schienenstrang zu dem andern durch den Erdboden hindurch drang, daß das feuchte Erdreich gleichsam als Leitungsdraht aus schlecht leitendem Materiale, aber von unbegrenzter Dicke, die Stromrückleitung übernahm; er hatte eine überaus wichtige Entdeckung gemacht, die dadurch, daß nun die Zahl der Leitungsdrähte bis auf einen einzigen vermindert war, am meisten zur Anlegung langer Telegraphenlinien beitrug. Steinheil wandte diese glänzende Entdeckung erfolgreich bei seiner Münchener Leitung an, indem er an beide Drahtenden Metallplatten löthete und diese in das feuchte Erdreich eingrub, wie es ja noch heute geschieht.

Fig. 3. Zeichengeber. 
Fig. 1. Durchschnitt. Fig. 2. Obere Ansicht.
Steinheil’s Schreibtelegraph aus dem Jahre 1837.

Niemand spricht mehr vom Steinheil-Telegraphen, aber alle Welt kennt den auf jedem Staatstelegraphenamte und fast auf jeder Eisenbahnstation arbeitenden Fernschreiber unter dem Namen „Morse-Schreiber“. Wir wollen die hervorragenden Leistungen des Amerikaners auf telegraphischem Gebiete durchaus nicht schmälern; allein ein vergleichendes Studium der bezüglichen Quellenlitteratur zwingt, die Priorität der Erfindung des Schreibtelegraphen Steinheil zuzuerkennen.

Historienmaler Samuel Morse (geb. 1791, gest. 1872), seit 1835 Professor für Litteratur der zeichnenden Künste, hatte auf seiner Rückreise aus Europa im Jahre 1832 gelegentlich müßiger Experimente eines Schiffspassagiers mit einem Elektromagneten den Grundgedanken zu seinem späteren Telegraphen gefaßt. Thatsache ist, daß Morse allerdings seit 1835, so gut es eben bei seinen mangelhaften Kenntnissen in der Physik und Mechanik ging, an der Verwirklichung seiner Idee arbeitete, am eifrigsten, als ihm Kunde davon wurde, was in Europa auf dem betreffenden Gebiete geschah, und nachdem er höchst nützliche Anweisungen von seinem Freunde, dem Chemiker Gale, erhalten hatte; allein vor dem Herbste 1837 kam weder durch die amerikanische Presse, noch von Morse selbst nur eine Silbe über des Letzteren Arbeiten in die Oeffentlichkeit. Erst zu Anfang des September machte Morse in seinem Zimmer des New-Yorker Universitätsgebäudes im Kreise einiger Freunde und Gönner Versuche mit seinem Stiftapparate, dessen Haupttheil ein 185 Pfund (!) schwerer Elektromagnet bildete.

Vom 4. September 1837 datirt die erste, einigermaßen gelungene Depesche Morse’s in Zickzackschrift, welche wir auf S. 606 (Fig. 5) wiedergeben. Zur Telegraphirung der Zahlen benöthigte Morse eigens gegossener Typen für die Stromschlüsse, und zur Entzifferung derselben eines telegraphischen Wörterbuches. So lautete die erste Depesche: (214) Gelungener (36) Versuch (2) mit (58) Telegraph (112) September (04) vier (01837) 1837.

Wie vorhandene Abbildungen zeigen, besaß Morse’s Erstlingsapparat nicht die geringste Aehnlichkeit mit den nachmals so verbreiteten und durch die fortschreitende Kunst der Feinmechanik so vollendeten Morse-Schreibern. Der „Recording electric Telegraph“ von 1837 erscheint – im grellen Gegensatze zu Steinheil’s Werk – als eine plumpe, sehr langsam arbeitende, unbequeme und keineswegs betriebsfähige Maschine, wenngleich Morse unverweilt ein Patent darauf nahm. Der Erfinder muß dies gefühlt haben; denn er warf sich alsbald mit aller Kraft auf die Vervollkommnung seines Apparates, [606] nachdem er in Gale, in dem Fabrikbesitzer Vail und in dem Handelsvorsteher Smith fördersame technische und finanzielle Unterstützung gefunden hatte. – Zunächst veränderte Morse den Telegraphen (Reliefschreiber) für ein aus Punkten und Strichen gebildetes Alphabet; er erfand den als „Taster“ bekannten Zeichengeber und verbesserte das Wheatstone’sche Relais. Wir fügen eine Probe aus dem heute international gewordenen Morse-Alphabet (Fig. 6) bei. Der Schreibapparat, welcher im Jahre 1844 auf der von Morse auf Staatskosten erbauten Versuchslinie Baltimore-Washington, dann im Jahre 1848 zwischen Hamburg und Cuxhaven in Thätigkeit trat und hier zugleich dem seit vielen Jahren bestehenden optischen Telegraphen ein jähes Ende bereitete, kann als der Stammvater des fast den gesammten Depeschenverkehr beherrschenden Morse-Schreibers gelten.

Fig. 4. Steinheil’s Alphabet vom Juli 1837.
Fig. 5. Erste Morse-Depesche vom 4. September 1837.
Fig. 6. Jetziges Morse-Alphabet.

Merkwürdig! Morse benutzte die Erde zur Rückleitung des elektrischen Stromes erst, als seine vorerwähnte Versuchslinie bereits ein halbes Jahr in Betrieb stand. Gleichwohl haben Einige die Entdeckung der Erdrückleitung Morse zugesprochen. – Ziehen wir in Betracht, daß Steinheil seinen Münchener Telegraphen bereits im Juli 1837, ohne fremde Beihilfe, sofort in völlig durchgebildetem, betriebsfähigem Zustande und in großem Maßstabe erprobte, und würdigen wir die volkswirthschaftlich hohe Bedeutung der Entdeckung des Stromleitungsvermögens der Erde richtig, so müssen wir Steinheil unbedingt als den Erfinder des Schreibtelegraphen, ja als den eigentlichen Begründer der elektromagnetischen Fernschreibekunst überhaupt, verehren und an der Thatsache festhalten, daß der erste Schreibtelegraph auf deutschem Boden entstand.
Hugo Marggraff.