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Der Hirscheber

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Textdaten
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Autor: Nicolas Funck
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Titel: Der Hirscheber
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 18-20
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[19] 

Hirscheber.
Originalzeichnung von F. Specht.

[18]
Der Hirscheber.

Unter dem üppigen Himmelsstriche des indischen Oceans, wo die äquatoriale Sonne ihre brennenden Strahlen senkrecht auf unsere Erde wirft, liegen, zu einem herrlichen Archipel vereinigt, zahlreiche fruchtbare Inseln, unter welchen Celebes im Westen und die Molukken im Osten die hervorragendsten sind. Auf diesen von der Natur so reich begabten Eilanden, wo unter einer überaus reichhaltigen und üppigen Vegetation die besten Gewürzpflanzen gedeihen, lebt ein sonderbares Thier, dessen Kopf mit seinem merkwürdigen Hörnerschmucke die Aufmerksamkeit der Naturforscher lange in Zweifel und Spannung hielt.

Dieses Thier ist der Hirscheber oder Babirusa (Porcus Babirusa), einer der eigenthümlichsten Repräsentanten des Schweinegeschlechtes, dessen getreue Abbildung wir heute unseren Lesern vorzuführen vermögen, obgleich er zur Zeit noch zu denjenigen Vierfüßlern gehört, welche nur selten aus ferneren Zonen zu uns gelangen. In früheren Zeiten wußte man in Europa über seinen Bau, den Schädel ausgenommen, den man seit mehreren Jahrhunderten kennt, nichts Genaues.

Besonders merkwürdig bei dem Hirscheber ist die eigenthümliche Zahnbildung des Oberkiefers, dessen Hauer, statt ihre Richtung nach außen seitwärts zu nehmen, die Rüsseldecke nach obenhin förmlich durchbohren und, nach einer sechs bis acht Zoll langen, bogenartigen Krümmung über die Augen hin, mit ihren scharfen Spitzen zuweilen bis in die Stirn hinein dringen. Ihrer auffallenden Länge und ihrer sonderbaren Richtung wegen haben diese Hauer mehr Aehnlichkeit mit Hörnern als mit Zähnen. Dagegen sind die untern Hauer kürzer, dicker und gerader nach oben gerichtet.

Diese mächtige Zahnbildung giebt dem Hirscheber das Aussehen einer viel größeren Gefährlichkeit, als man ihm in Wirklichkeit beimessen darf; denn die Hauer unserer Eber sind viel gefährlicher, als die der Babirusa.

Brehm berichtet, daß einige Jäger, welche das Thier in der Wildniß gesehen, behaupteten, es hätte die Größe eines mittelgroßen Esels. Diese Behauptung entspricht jedoch keineswegs der Wirklichkeit; denn die Exemplare, die wir gesehen, und darunter die des zoologischen Gartens in Köln, erreichen noch lange nicht [20] die Größe unserer völlig entwickelten Wildschweine. Die Beine sind verhältnißmäßig dünner und höher; der Körper ist gleichmäßig bogenartig abgerundet, sodaß die größte Höhe sich in der Mitte des Rückens befindet; er hat eine schmutzig aschgraue Färbung, ist mit zahlreichen Querfalten versehen und mit kurzen, dünnstehenden, kaum sichtbaren Borsten besetzt. Dieselben stehen längs des Rückens und zwischen den Falten dichter und bilden am Ende des ziemlich langen, dünnen, geringelten, gerade herunterhängenden Schwanzes eine förmliche Quaste, welche jedoch mit der Zeit gänzlich oder theilweise verschwindet.

Die Innenseite der Beine sowie die Bauchseiten sind rostroth. Bei dem Weibchen, welches stets etwas kleiner ist als das Männchen, sind die oberen Hauer bedeutend kürzer als bei dem Eber, ja zuweilen kaum sichtbar, oder sie fehlen auch gänzlich.

In ihrer tropischen Heimath wandern die Babirusa in steter Unruhe durch die feuchten, sumpfigen Waldungen, fressen gerne Laub, Gras und zarte Wasserpflanzen und schwimmen sehr geschickt, wie sie denn nach Brehm im Stande sein sollen, große Strecken über die See von einer Insel zur anderen zurückzulegen. Ihr Fleisch wird als geschmackvoll bezeichnet, obgleich sie einen starken, widrigen Geruch von sich geben. Berichte von solchen Beobachtern, welche den Hirscheber in seiner Heimath zu studiren Gelegenheit hatten, sind äußerst selten; um so weniger darf ich mir versagen, die Mittheilungen eines Augenzeugen über die Babirusa hier wiederzugeben.

„Als ich einst die niedrigen, feuchten Waldungen einer der Molukkeninseln — Buru — durchwanderte,“ erzählte mir derselbe, „wurde meine Aufmerksamkeit durch ein sonderbares Geräusch, dem Grunzen der Schweine nicht unähnlich, welches aus geringer Entfernung ertönte, in hohem Grade gespannt. Dazwischen ließen sich eigenthümlich pfeifende Töne vernehmen, die dem Angstgeschrei unserer Hausschweine fast gleichkamen. Nachdem ich ungefähr eine halbe Stunde durch das Dickicht des Waldes diesen Lauten gefolgt war, stob eine Heerde mir unbekannter Wesen mit auffallend gehörnten Köpfen pfeilschnell an mir vorbei, einem nahe gelegenen Gewässer zu, in welches sie sich in wilder Hast, Kopf über, hineinstürzte, um bald nachher auf der andern Seite wieder zum Vorschein zu kommen. Ich benutzte diese Zwischenzeit, um meiner Flinte, die nur mit Schrot geladen war, eine Kugel beizufügen, und feuerte los, als die Heerde eben an der entgegengesetzten Seite wieder auftauchte. Der Zufall wollte, daß gerade eines der größten Thiere der Heerde getroffen wurde und niederfiel. Das geschossene Wild ward sofort von seinen Kameraden umringt. Sie berochen es und machten Anstalten, es zu vertheidigen, als ich an das Ufer gelangte, allein ein zweiter Schuß veranlaßte sie, die Flucht zu ergreifen. Ich hatte ein völlig ausgewachsenes Männchen, das nicht weniger als 150 Pfund Gewicht zählte, erlegt. Sein dicker, runder walzenförmiger Körper maß drei Fuß in der Länge und über zwei Fuß in der Höhe.“

Zur Zeit Buffon’s, der dem Hirscheber einen äußerst feinen Geruch beimißt, hatte man noch kein lebendes Exemplar dieser Thiere in Europa gesehen; denn die ersten lebenden Babirusa, welche nach Europa kamen, verdankte man den französischen Naturforschern Ouoy und Gaimard, die während ihrer Weltumsegelung mit der Dumont d’Urville’schen Expedition ein Hirscheber-Pärchen von einem holländischen Gouverneur der Molukken-Inseln als Geschenk erhielten. Dieselben wurden sehr zahm und lebten mehrere Jahre im Pariser „Jardin des Plantes“. Besonders merkwürdig ist es, daß sie sich dort fortpflanzten, leider aber starb die junge Brut sehr bald.

Das erste Exemplar des Hirschebers, welches ich sah, traf ich im Jahre 1860 im zoologischen Garten zu Rotterdam, an dessen Spitze damals der berühmte alte Menageriebesitzer Martin stand. Ich gestehe, daß außer dem Nilpferd nie irgend ein Thier einen ähnlich überraschenden Eindruck auf mich gemacht hat, wie jener Hirscheber zu Rotterdam. Es war mir daher höchst erfreulich, als vor etwa vier Jahren ein Paar dieser Thiere von Amsterdam aus angeboten wurde. Ich reiste sofort dorthin, um die Eber in Augenschein zu nehmen, und erwarb das Pärchen für den Kölner zoologischen Garten. Leider gingen die beiden Thiere schon nach zwei Jahren zu Grunde.

Die oben erwähnten Beschreibungen stimmen vollständig mit unseren Exemplaren überein. Vom Capitain des Schiffes, der uns die Thiere verkaufte und der sie auch in ihrem Vaterlande beobachtet hatte, erfuhr ich manches über ihre Lebensweise, was im Allgemeinen das bereits Erwähnte bestätigt. Unter Anderem theilte er mir mit, daß die Hirscheber auf gewissen Inseln etwas größer werden, als auf anderen, und daß sie nur in Trupps von sechs bis acht Stück, worunter außer den jungen gewöhnlich nur ein völlig entwickelter alter Eber sich befindet, zusammen leben. Das Weibchen wirft ein bis zwei Junge, die von der ganzen Schaar liebevoll und zärtlich behandelt werden.

Meines Wissens sind unsere Hirscheber bis jetzt die letzten lebenden in Europa gewesen.

Köln, im December 1881.
N. Funck[WS 1].



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: B. Funck