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Verschiedene: Die Gartenlaube (1874)

Interessant war mir zu erfahren, daß das Gestell mit Quersprossen und flachem Korbgeflechte am obersten Ende eine Vorrichtung für den Vogelfang ist, welcher in folgender Weise ausgeführt wird. Die nahe Quelle bei der Hütte wird mit leichtem dichtem Laub und Reisig zugedeckt. In das Korbgeflecht werden glänzende Metallstücke, Spiegelglas und Topfscherben gelegt; das Ganze wird mit Leimspindeln umgeben und mittelst einer langen Stange von der Hütte aus gedreht. Im grellen Sonnenlichte glitzert und glänzt nun die Scherbenmasse, und die von der Meeresseite daherfliegenden todtmüden und durstigen Zugvögel wähnen Süßwasser zu erblicken und stürzen darauf, um diese Täuschung mit ihrem Leben zu bezahlen. Die Hirten versicherten mir, am häufigsten Wachteln etc. oft massenhaft gefangen zu haben. Indem kleinere Vögel im Korbe gelassen werden, lockt man sehr leicht auch Raubvögel, namentlich Falken, heran, welche dann herabgeschossen werden.

An den inneren Wänden der Hütte sah ich ungemein viele kleine aus Getreidehalmen und Aehren zierlich geflochtene Kränzchen, welche dem Sanct Ivan als besonderem Schutzpatron gegen Gewitterfeuer geweiht werden. Schon nach der großen Anzahl dieser Kränzchen kann man das Alter der Hütten als sehr hoch schätzen, zumal angenommen werden kann, daß naschhafte Ziegen diese Weihkränze nicht immer sonderlich respectiren dürften. Daß die Hütten mehrere Jahrhunderte alt sein müssen, bezeugt auch der ein bis zwei Klafter hohe Mist, welcher um sie in förmlichen Hügeln angehäuft ist. Ganz originell sind ferner die Borstenstricke, welche fast verwundend anzufühlen, aber ungemein fest und dauerhaft sind. Mittelst dieser Stricke sind einzelne Thiere, um die sich die Herde sammelt, an Pflöcken angebunden. Auf hohen gerüstähnlichen, besser gesagt galgenähnlichen Balken werden abgezogene Thierhäute getrocknet und dann verarbeitet; denn die meisten Hirten verstehen es, mitunter sehr zierliche Bund- oder Sandalenschuhe für Männer und Mädchen, wie auch anderes Riemenzeug zu arbeiten. Vorzüglich schön fand ich hölzerne Butter- und Schmalzbütten von Hirten geschnitzt, ja einer derselben zeigte mir einen höchst musterhaft stilisirten, dabei mit Zink ausgelegten Peitschenstiel, welcher vom kunstgewerblichen Standpunkte aus auch den strengsten Anforderungen entsprechen würde. Ich gab mir alle Mühe, denselben zu gewinnen, was mir aber nicht gelang. Häufig wird hier auch die Panpfeife von Schilfrohr äußerst zierlich verfertigt; ihre Töne sind in Terzen und Quarten angelegt.

Die Leute bezeichnen die Zeit nach den Heiligen, die der Gregorianische Kalender für die Tage bestimmt, und wer die Heiligen-Feste und Namen nicht gut memorirt hat, wird ihre Zeitrechnung nicht verstehen. Als ich fragte, wann sie die Hütte bezogen und wann sie dieselbe zu verlassen gedenken, erhielt ich die Antwort: „Am Tag des heiligen Ivo kamen wir; am Tag des heiligen Lavro gehen wir,“ und da ich vom heiligen Ivo und heiligen Lavro keine eminenten Kenntnisse habe, wußte ich soviel wie zuvor. Ferner sind auch ihre hölzernen Schlösser ganz besonders originell, welche so vorzüglich und dabei so einfach construirt sind, daß sie gewiß in Culturstaaten eines Privilegiums sicher wären.

Ich muß noch hervorheben, daß beim Bau einer Hütte, ja einer ganzen Gruppe solcher Sennhütten nicht ein einziger eiserner Nagel in Bauanwendung kommt; sie sind ganz von Holz; zum Binden dienen Bast, Weidenruthen und vor Allem Borstenstricke. Ueber den Schmutz, welcher die Hütten innen und außen umkleidet, ließe sich ein eigenes Capitel schreiben. Aber hier sei „Schweigen der Rest“.

Der Sennerdienst wird des gefahrvollen Lebens wegen ausschließlich von den Männern versehen, und nur die Liebessehnsucht bewegt zuweilen auch Mädchen, ihre Geliebten oben heimzusuchen oder, was noch öfter der Fall ist, diesen ein Stelldichein in halber Entfernung zur Hütte zuzusagen. Einer meiner braunen Genossen, welcher wahrscheinlich einen Liebesbesuch bei seiner Holden unten beabsichtigte, gab mir bis in’s Dorf Mali-Dernjac das Geleite, wo ich beim Popen (griechischen Pfarrer) eine leidliche Aufnahme fand, und zwar deshalb, weil ich mich auch den Umständen gemäß auf Meßnerdienste d. h, auf’s Ministriren verstand; nicht viel später wurde ich in anderen größeren Orten für einen wandernden Rasirer und Parapluie-Reparateur gehalten.

Sollten die Herrn Leser, im Falle sie meine Schilderung gelangweilt hat, gütigst Nachsicht üben wollen, so würde ich mich dieser möglicherweise am ehesten erfreuen können, wenn sie mich auch mehr als schweren Sünder, Musikant, Ministrant, Rasirer oder Parapluiemacher, denn als Maler oder gar als Literat beurtheilen wollten.




Blätter und Blüthen.


Ein Welt-Dichterfest. Daß nicht nur Welt-Industrie-Ausstellungen, sondern auch Welt-Dichterfeste möglich sind, haben wir Deutsche zuerst erfahren an unserer großen Schillerfeier. Dank dem Wandertriebe, welcher den germanischen Stamm über die ganze Erde verbreitet hat! Er trug auch die Festfahnen jenes Dichtertages um die ganze Erde, und wo andere Völker den Tag nicht selbst mitfeierten, waren sie doch Zeugen der öffentlichen Verehrung, zu welcher jene Fahnen auf jedem Boden, den Deutsche bewohnen, aufgepflanzt wurden. Auch Petrarca’s Name ist keinem Gebildeten irgend einer Culturnation unbekannt, und wenn auch die Italiener nicht so massenhaft in der Ferne sich neue Heimathen gegründet haben, wie die Deutschen, so wird doch der achtzehnte Juli überall, wo man Dichter ehrt, wenigstens zu einer stillen Feier des Andenkens an den größten Lyriker seiner Nation einladen. Es ist eine seltsame Erscheinung, daß Petrarca’s Ruhm nicht auf dem Grunde fest steht, den er selbst für den festesten der Anerkennung seines Wirkens hielt, sondern einzig auf dem seiner hoffnungslosen Liebe und ihrer Verherrlichung. So eng ist der Name Laura mit seinem Namen verbunden, daß sie immer vereint vor unserem Geiste stehen. Und doch war Petrarca’s Wirken und Schaffen als Mann und Patriot, als Gelehrter und Diplomat von höchster Bedeutung, und selbst als politischer Dichter steht er in seiner Zeit unvergleichlich da. Glaubt man nicht eines von Rückert’s „Geharnischten Sonetten“ zu hören wenn der italienische Dichter seinen Zorn über „Avignon“ ausspricht, das damals die Päpste in ihrem sogenannten „Exil“ in einen Pfuhl aller Laster und Verbrechen verwandelt hatten?

„Des Himmels Blitz fall’ auf dein Haupt voll Trug!
Du, sonst vom Quell genährt und Eichelfrucht,
Die jetzt von Andrer Armuth Reichthum sucht,
Durch so viel Missethaten reich genug;

Verräthernest, zu brüten jeden Fluch,
Mit dessen Gift die Welt von heut’ verflucht,
Voll Saufen, Fressen, voll von schnöder Zucht
Und jeder Wollust höchstem Schandversuch.

Durch deine Hallen rast der Hexenreigen.
Von Alt und Jung; Beelzebub tanzt vornen
Mit Blasebalg, mit Spiegeln und mit Flammen.

Jetzt willst du nur in üpp’ger Pracht dich zeigen,
Sonst nackt und barfuß gingst du unter Dornen;
Zum Himmel stinkst du – mag dich Gott verdammen!“

Trotz des Verfalls der Kirche und ihres Regiments war das vierzehnte Jahrhundert eines der glorreichsten Italiens. Wir können es, freilich mit der Gefahr des Hinkens aller Vergleiche, wenigstens in Vielem mit dem Ende des achtzehnten und Anfang des neunzehnten Jahrhunderts Deutschlands zusammenstellen, und zwar im Guten wie im Schlimmen. In letzterem ist so überhaupt die Aehnlichkeit des Schicksals beider Nationen wahrhaft großartig gewesen bis in unsere Tage, die beiden erst das Jahrhunderte vergeblich ersehnte Heil politischer Einheit brachten. Die Italiener von damals besaßen ebenfalls ihr Preußen und Oesterreich in ihren beiden wichtigsten Republiken Venedig und Genua, die im gegenseitigen Kampfe zur Freude ihrer gemeinsamen Feinde sich verbluteten; der Spalt zwischen Guelfen und Ghibellinen glich ganz dem, welcher die deutschen Völker durch den Glaubenskrieg trennte, und die Eifersucht kleinstaatlicher Selbstherrlichkeit hat bei ihnen nicht andere Früchte getragen, als bei uns. Aber in all ihrer politischen Zerfahrenheit und Ohnmacht bewahrten sie sich die Würde einer Nation im Geiste durch ihre großen Dichter, Gelehrten und Künstler – ganz wie die Deutschen zur Zeit der tiefsten politischen Erniedrigung ihres Vaterlandes. Und wie bei uns Lessing, Goethe, Schiller die Ehre Deutschlands waren, so reichten dort Dante, Petrarca, Boccaccio sich die Hand und glänzten als drei unvergängliche Sterne italienischer Nationalehre.

Freuen wir uns, daß wir in Petrarca nicht blos den Laura-Sänger, sondern auch den größten Gelehrten und Humanisten seiner Zeit und einen der vorurtheilsfreiesten Männer, der edelsten Menschen zu feiern haben, denn auch auf ihn ist der sinnige Ausspruch anwendbar, mit welchem Ernst Trompheller den Horaz ehrt: „Auch als Mensch steht er auf einer achtunggebietenden Höhe. Dichter und Mensch sind ja überhaupt nicht voneinander zu trennen. Es hat wohl keinen großen Dichter gegeben, der nicht auch ein großer und edler Mensch gewesen wäre, wenn ihm auch manche Schwächen, Leidenschaften und selbst Verirrungen nachgewiesen sein mögen, und manchem reichen Talent fehlt eben nur so viel an wahrer Dichtergröße, als es ihm an sittlicher Würde und Adel der Seele gebricht.

Da Petrarca, den ein viel bewegtes Leben aus seiner kleinen Geburtsstadt


Hierzu die „Allgemeinen Anzeigen zur Gartenlaube“, Verlag von G. L. Daube & Comp.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1874). Leipzig: Ernst Keil, 1874, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1874)_473.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)