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Walther Kabel: Die Wahrheit über Freund Lampe. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 7, S. 222–225

Man mache sich einmal die geringe Mühe und untersuche einen geschossenen Hasen daraufhin. Dann sieht man sofort, daß sich die Lider ohne alle Mühe über die Augäpfel drücken lassen und diese vollkommen bedecken.

Wie ist nun dieses alte Märchen entstanden? Einfach dadurch, daß man höchst selten einen Hasen mit geschlossenen Augen in seinem Lager beobachten kann. Meister Lampe besitzt nämlich ein so ausgezeichnetes Gehör, daß man wirklich fast sagen kann, er hört das Gras wachsen. Außerdem ist die Erde ein vorzüglicher Schallleiter, und selbst auf dem weichsten Boden bemerkt deshalb der Hase, mag er auch noch so fest schlafen, jeden Näherkommenden und reißt erschreckt die Augen auf. Wenn er trotzdem noch regungslos sitzen bleibt, so darf daraus nicht gefolgert werden, daß er vielleicht doch nicht erwacht ist, und daß die Augen schon vorher offen gewesen sein können. Der schlaue Löffelträger hofft eben, daß ihn sein erdfarbener Pelz vor dem Erblicktwerden schützen wird – das ist die einzig richtige Lösung.

„Oft, besonders bei warmem Wetter,“ so erklärt ein Weidmann, „vertraut der Hase so sehr diesem Schutz, daß er buchstäblich getreten werden muß, ehe er aufsteht. Ich habe schon öfters auf der Hühnerjagd einen ausgewachsenen Hasen aus den Rüben hochgehoben, allerdings, um ihn baldigst wieder loszulassen, denn solch ein Bursche kratzt und schlägt ganz verteufelt um sich. Einem meiner Bekannten wurde bei einer solchen Gelegenheit eine Armwunde gerissen, an der er fast verblutete. Jüngst erblickte ich, über eine Furche wegschreitend, plötzlich vor mir einen Hasen, auf den ich unfehlbar beim Fortschreiten getreten wäre. Ich sah mir eine ganze Weile die mit festangelegten Löffeln zu meinen Füßen sitzende Hasenmama, denn eine solche war es, an und hob dann den Fuß, um über sie wegzuschreiten. Sowie ich den Fuß hob, zuckte Mama Lampe merklich zusammen, rührte sich sonst aber nicht. Ich stellte den Fuß wieder zurück und wiederholte die Sache wohl ein halbes Dutzendmal.“

Dem Hasen wird ferner nachgesagt, er sei außerordentlich wasserscheu, da er nicht schwimmen könne. Das ist ebenfalls unrichtig. Auch dieses Märchen wird aus dem Grunde entstanden

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Die Wahrheit über Freund Lampe. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 7, S. 222–225. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1912, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Wahrheit_%C3%BCber_Freund_Lampe.pdf/3&oldid=- (Version vom 31.7.2018)