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„Noch nicht. Morgen früh – oder besser – in der kommenden Nacht. – Jedenfalls kann ich Sie vorzüglich brauchen, Herr Schilling. – Weshalb – wozu? – Etwas will ich doch jetzt schon preisgeben. Ich habe in der verflossenen Nacht von elf Uhr ab hinter der Außentür meines Schlafzimmers an einem schräg nach rechts gebohrten Guckloch gestanden. Rechts gegenüber liegen nämlich 46 und 47. Gegen ein Uhr morgens versuchte jemand in 47 einzudringen. Es gelang ihm aber nicht. Die Dietriche, die er mit hatte, genügten nicht. Er verschwand wieder und gab die Sache auf – fürs erste. Aber er wird’s nochmals probieren. Und ich bin überzeugt – dann sind seine Werkzeuge besser, und dann werden wir drei den Herrn empfangen. Sie verstehen mich: wir werden in aller Heimlichkeit in 47 uns verbergen. Und dazu brauche ich Sie eben. Wenn Sie jetzt nicht hier erschienen wären, hätte ich mich Ihnen entdeckt.“

Der Kriminalbeamte dachte angestrengt nach. Dann erklärte er plötzlich: „Ich weiß, wer der Herr ist. Er hat mir gestern 100 Mark geboten, falls ich ihm für eine halbe Stunde Zutritt zu 47 verschaffen würde. Er wollte das Zimmer zeichnen – für ein Wiener Blatt. Er ist Ingenieur und nennt sich Bremer.“

Ich gestehe ohne weiteres ein: in diesem Moment schämte ich mich meiner geringen geistigen Regsamkeit wegen. Schilling hatte ja sehr bald gerade das herausgefunden, was mir nicht gelungen war, – daß Bremer, die Sensationslust und Nr. 47 mit Harsts Guckloch zusammenhingen!

Harst hatte zu Schillings Worten zustimmend genickt. Dann sagte er: „Übrigens stelle ich eine Bedingung, Herr Wachtmeister. Ich werde Ihnen den Mörder in die Hände spielen, aber dafür müssen Sie einen anderen Menschen unbehelligt lassen, einen, auf den sich dies hier bezieht –“ Er nahm eine Morgenzeitung vom Tisch und las aus dem Anzeigenteil vor:

„Fünf Preßburger. – Auf das jüngst hier erschienene Inserat zur Nachricht, daß wir vollen Glauben zu der Aufrichtigkeit d. V. haben. Trotzdem weiteres vorläufig nicht erwünscht.“

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/116&oldid=- (Version vom 1.8.2018)