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Harst fand keine Tränen. Jetzt nicht mehr, denn erst allmählich war er sich über die ganze Größe seines Verlustes klar geworden. Marga war die restlose Ergänzung seines eigenen Ichs gewesen. Mit ihr war jedes Interesse am Leben, an der Zukunft in ihm gestorben. –

Die Tage gingen hin. Marga Milden war längst beerdigt; der Mörder aber noch immer unentdeckt. So ungeheures Aufsehen dieses Verbrechen auch zunächst in der Reichshauptstadt erregt hatte, – nur zu bald drängte es der stetig neue Sensationen erzeugende Pulsschlag der Millionenstadt immer mehr in den Hintergrund. Trotzdem blieb der Eifer der Polizei und verschiedener Privatdetektive, die freiwillig der hohen Belohnung wegen sich der Sache angenommen hatten, noch eine Weile der gleiche. Doch: jedes Streben muß früher oder später erlahmen, wenn es auch nicht von dem geringsten Erfolg gekrönt wird. Und so war es hier. Nirgends der kleinste Hinweis auf den Täter, nirgends die Möglichkeit, ein Motiv für diese Ermordung eines jungen, harmlosen Weibes zu finden!

Harald Harsts Gemütszustand änderte sich nicht. Er hatte sich sofort auf längere Zeit von seiner Behörde beurlauben lassen, wollte später seinen Abschied einreichen und auf Reisen gehen. Die abwechselnden Eindrücke fremder Länder und Völker sollten ihm helfen, sein seelisches Gleichgewicht wiederherzustellen. Frau Auguste hatte ihm dies geraten. Sie verzehrte sich in Sorge um den Sohn, der in stumpfem Brüten die Tage verbrachte und sich ganz von der Außenwelt abschloß. Sie hatte mit Kommissar Stolten hierüber gesprochen. Und dieser hatte ihr erklärt, er hätte gehofft, daß bei dem Herrn Assessor die Anregung, die er ihm gleich am Tage des Mordes durch den Hinweis auf die Vergeltung gegeben, etwas länger wirken und ihn veranlassen würde, selbst sich mit Ermittlungen zur Aufklärung des Verbrechens zu beschäftigen und auf diese Weise wohltuend seine schmerzlichen Gedanken abzulenken. „Freilich,“ hatte er hinzugefügt, „wo soll man in diesem Falle mit Ermittlungen beginnen?! Man muß doch wenigstens einen Ausgangspunkt dafür haben. Hier gibt es keinen.“ – Frau Harst nickte traurig. „Das hat mir mein Sohn

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)