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geborgt. Ich habe es dort an der Chaussee im Gebüsch. – Ich muß Gewißheit haben, ob tatsächlich Blenkner und Bollschwing die Taucher sind. Sie dürften die Ausrüstung jetzt, wo sie doch so lange in Berlin waren, bei dem Schriftsteller verborgen haben. Und – die alte Wirtschafterin wird verraten müssen, was sie weiß? – Wie? – das wird sich finden, – trotz der Warnung, die Bollschwing ihr zukommen ließ.“ –

Gegen elf Uhr vormittags machte Amtsrichter Mörner dem „Gefangenen“ einen Morgenbesuch. Harst war gerade bei einem sehr reichhaltigen Frühstück, das ihm der Gefängnisaufseher besorgt hatte. Die beiden Herren schüttelten sich die Hände, und Mörner nahm dann auf dem Holzschemel Platz, während Harst sich auf den Bettrand setzte. Der Aufseher hatte hinter seinem Vorgesetzten die Zellentür wieder abgeschlossen und war davongegangen.

„Nun, haben Sie in der verflossenen Nacht etwas Besonderes erlebt?“ fragte der Amtsrichter gespannt. „Sie wissen ja, wie sehr mich dieser Fall interessiert, mehr noch Ihre Arbeitsmethode. Bisher glaubte ich stets, wirklich geistvolle Detektive wären nur in Büchern zu finden. Übrigens – auch ich bringe eine Neuigkeit. Der Graf war vor einer Stunde bei mir und fragte, ob wir bei dem Landstreicher – also bei Ihnen – auch eine genaue Leibesvisitation vorgenommen hätten. Dann meinte er etwas zögernd, ihm hätte es geschienen, als ob der Leierkastenmann eine fuchsige Perücke und falschen Bart trüge. Ohne Frage wollte er also auf den Strauch schlagen. Ich blieb ganz ruhig und erklärte, er täusche sich. Haar und Bart wären echt. – Da ließ er ein sehr überraschtes Gesicht sehen. Und nach einer Weile wieder sagte er, als ob er plötzlich milder gegen die Vagabunden gesinnt wäre: „Meinetwegen mag der Kerl auch billiger wegkommen. Drei Tage Loch tun’s schließlich auch!“ – Ich merkte auch, daß er stark beunruhigt war, weil Sie nun doch der erwartete Detektiv nicht zu sein schienen. Er sah überhaupt sehr bleich und geradezu verfallen aus. Was ist nur aus dem einst so blühenden Mann in so kurzer Zeit geworden!“

Harst füllte sich die Kaffeetasse. „Das böse Gewissen kann einem übel zusetzen, Herr Amtsrichter. Lippstedt war ein

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/75&oldid=- (Version vom 1.8.2018)