Stunden der Andacht/Am Abend

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Abendgebet.
I.

„Des Tages befiehlt der Herr seine Gnade über mich.
Und Nachts ist noch sein Lied bei mir. –
 Ein Gebet zu Gott ist – mein Leben.”
 (Ps. 42, 9.)

Allvater! Abermals ist ein Tag dahingegangen, und die Nacht hat ihren dunklen Mantel über die Erde ausgebreitet. Die Natur scheint zu ruhen, und der Menschensohn folgt ihrem Beispiel und überläßt sich dem wohlthätigen Schlafe. Aber bevor [6] ich mein Auge zum Schlummer schließe, will ich es zuerst noch dankend zu dir, mein Schöpfer, erheben, bevor ich mein Denken und Fühlen dem Schlafe gefangen gebe, soll der Gedanke an dich noch mein Herz beschäftigen.

Und wie wohl thut es meiner Seele, an dich zu denken, Allgütiger, der du so gnadenvoll, so mild, so väterlich uns hegst und trägst. „Wie süß ist es, dir zu danken und deinen Namen, der so groß ist und so herrlich, in Lob und Preis auszusprechen.” Wie mannigfache Wohlthaten habe ich schon heute von dir empfangen, mit wie vielen Gaben und Segnungen hast du mich erfreuet. Des Himmels Licht hast du mir leuchten, an der Erde Pracht mein Auge sich ergötzen lassen; deine Milde hat mich gesättigt, deine himmlische Huld mit den Fittigen der Liebe mich gedeckt, und deine Gnadenhand mich gehalten und emporgetragen über so mancherlei Uebel und Gefahren, die unsichtbar mich umschwebten. Aller Frohmuth, den ich empfunden, kam von dir, und in trüben Schmerzensstunden hast du mein müdes Haupt an dein treues Vaterherz gelegt, und mich mit deinem Himmelstrost gestärkt.

Drum danket meine Seele dir, mein Mund preiset dich, mein Herz hanget an dir in Liebe und Zuversicht, du Unerforschlicher in den Höhen, der du stets gibst, und nie empfängst, Segen spendest, und keines Segens bedarfst, der du selber bist der unversiegbare Quell und Born alles Guten und Segenreichen! Ja du, mein Gott, bist voll unbegrenzter Huld und Liebe, doch ich – mit Angst und Zagen frage ich mich: Habe ich auch durch mein Wirken und Schaffen am heutigen Tage deiner Liebe mich würdig gezeigt? habe ich diesen Tag auch so verlebt, wie ich ihn hätte verleben sollen? – Habe ich alle meine Gelübde und Pflichten gegen Gott und meinen Nächsten erfüllt? – Habe ich das Gute, das sich mir zu thun dargeboten, nicht verabsäumt, oder es nur halb getan, mit lauem Sinn, mit kaltem, unfreundlichem Herzen? – Habe ich Gott in allen seinen Wegen und Schickungen verehrt, auf ihn meine Hoffnung, in ihn meine Zuversicht gesetzt? – Habe ich allen Versuchungen zur Thorheit und Sünde widerstanden?

Mit Schmerz und Reue muß ich es bekennen, Gott, ich habe vor dir gesündiget! Nicht immer habe ich dich im Herzen getragen, nicht immer bin ich auf dem Wege geblieben, den du in Huld und Gnade uns vorgezeichnet, nicht immer hat der Gedanke an [7] dich meine Gefühle geheiligt, meine Leidenschaften gesänftigt! – Wie fühle ich mich nun niedergebeugt von den Vorwürfen meines Gewissens! Ach, wie hassenswerth ist doch die Sünde, wie entwürdigt und entadelt sie uns, und raubt uns des Lebens schönstes Gut: den Frieden und die Ruhe unsrer Seele.

O, erbarme dich meiner, du gütiger Vater in der Höhe, der du so unendlich reich bist an Liebe und Erbarmen. Vergib mir, wo ich in meiner Sündhaftigkeit mich vergangen, und entziehe mir nicht deine Vaterhuld und Liebe. Nimm von mir die Bangigkeit und Beklommenheit der Seele, und laß deinen Himmelsfrieden sich auf mein Gemüth senken, daß ich mit versöhntem Herzen, versöhnt mit dir, mein Gott, und mit meinem Gewissen, der Wohlthat des Schlafes mich erfreuen könne.

Mögest du, Gnadenvoller, deine Liebe über mich wachen lassen, mich bewahren und behüten vor den Schrecknissen und Gefahren, die im Finstern schleichen. Laß den Schlaf, den du auf Erden gesandt, zum Trost aller Bedrängten, zur Linderung aller Schmerzen und Sorgen, auch auf mich und meine Angehörigen seinen wunderthätigen Balsam ausgießen. Birg uns im Schatten deiner Flügel, so sind wir geborgen immerdar, denn du, Gott, bist mein Banner, und eine sichere Zuflucht mir, mein Schutz, mein Fels, mein Hort. In deine Hand befehle ich meinen Geist und meinen Leib, meinen Frieden und mein Glück, befehle ich Alles, was mir lieb und theuer ist im Leben. Ob ich schlafe, ob ich wache, Gott mit mir, ich fürchte Nichts. Amen.


Abendgebet.
II.

„Ruhig lege ich mich nieder,
Schlafe und erwache wieder,
Denn mich hält der Herr.”
 (Ps. 3, 6.)

Es lagern sich die Abendschatten über die Erde. Und wie erquickend ist ihre Frische und Kühle nach einer heiteren Tagesgluth; wie wohl thut die Abend-Ruhe und Stille nach der Werkthätigkeit und dem Geräusche des Tages, die friedvolle Dämmerung nach des Tages blendendem Glanze! Der nächtliche Himmel [8] bevölkert sich mit Sternen, jenen leuchtenden, strahlenden Wesen, die so mild und beschwichtigend, als wären sie Gottes vermittelnde, friedenbringende Boten, auf uns niederschauen, und unsere Blicke von dem Irdischen ab- und zu dem Himmlischen hinauflenken. Feierlicher Ernst erfüllet unsere Seele, und von tieferen heiligen Empfindungen durchströmt, erhebt sich unser Herz zu dir, Unsichtbarer, Unbegreiflicher, der du überall uns umgibst und gegenwärtig bist, im tiefsten Dunkel der Nächte, wie inmitten des Tages Licht und Helle.

Ich hebe meine Hände zu dir empor, mein Gott, und danke dir aus tiefer Seele für Alles, womit deine Vaterhuld mich heute hat bedacht, für jede Segnung, mit der du mich begnadigt, für jede Freude, mit der du mein Leben geschmückt. Und auch für das Traurige und Betrübende, das du aus meinen Weg gelegt, will ich dich preisen; denn Alles, was du thust, ist wohlgethan!

Du hast diesen Tag geschaffen, mit Allem, was er enthalten, du führst nun auch die Nacht herauf mit ihrer stärkenden Ruhe, mit ihrem erquickenden Schlafe, und über dem Schlafe wachest du, der du nimmer schläfst und schlummerst. Dein allsehendes Auge ruht auf den in Ohnmacht und Bewußtlosigkeit geschlossenen Lidern; deine schirmende Hand streckest du aus über das Lager des Schlummernden zum Schutze gegen die Gefahren, die im Dunkeln lauern! – Wie wohl thut mir der Gedanke: Du Gott bist mir nahe, du schirmest, du wahrest und hütest mich! Ohne Zittern und Zagen gehe meine Seele zur Ruhe, der Herr ist bei dir, was könntest du fürchten! Stärket euch, ihr ermatteten Glieder, erhebe dich, mein erschöpfter Geist, wirf von dir, mein Herz, deine Kümmernisse und Sorgen, deine Lasten und Beschwernisse, und gib dich ganz und ungetheilt hin den Süßigkeiten der Ruhe.

Doch nur einem reinen Gewissen ist der Schlaf sanft und erquickend; drum, Vater, bevor ich mein Lager suche, flehe ich voll Demuth und Inbrunst dich an. Vergib und verzeihe mir, wenn ich heute vor dir gefehlt, und mein Thun und Lassen dir mißfällig war. Blicke versöhnt auf meine Reue nieder, entziehe mir nicht deinen Schutz, und laß mich einer ungestörten, ungetrübten Ruhe genießen, und des Morgens wieder neu belebt und gekräftigt erwachen, zu nützlicher Thätigkeit, und zu frommem Wirken und Schaffen, nach deinem Wohlgefallen. Amen.