„Bei meiner Kindheit Bäumen“

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Textdaten
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Autor: R. Schm.
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Titel: „Bei meiner Kindheit Bäumen“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 157
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Zur Abbildung des Geburtshauses siehe Berichtigung im Artikel Vom Menschen Freiligrath, Jahrgang 1876, Heft 16, S. 269–272
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[157]

„Bei meiner Kindheit Bäumen.“

„Die Deutschen gehen überall von Grundsätzen aus, und ist ein Fettflecken vom Rockärmel wegzubringen, so studiren sie die Chemie vorher und studiren so lange und so gründlich, bis der Rock darüber in Lumpen zerfällt.“ Dieser bekannt sarkastische Ausruf Börne’s über das Unpraktische im deutschen Nationalcharakter mochte wohl zu seiner Zeit recht passen, in unseren Tagen findet er jedoch glücklicher Weise nicht ganz mehr seine Bestätigung; vielmehr streift Deutschland von Jahr zu Jahr alles Unpraktische von sich und wirft allen unnützen Gefühlstaumel, alle überschwenglichen Träumereien als unnützen Ballast über Bord. Es ist praktischer geworden, das zeigt uns auch die Thatsache, daß es seine Dichter nicht mehr wie vordem vor lauter Sentimentalität verhungern läßt, sondern rüstig zugreift, wo es zu helfen gilt, den sterblichen Leib seiner unsterblichen Poeten zu erquicken.

Ein frischerer lebendiger Hauch zieht durch unser ganzes Vaterland; wer mag das leugnen? Ja,

Der Knospe Deutschland auch,
Gott sei gepriesen!
Regt sich’s im Schooß!

Dies Wort, in unserem Sinne betrachtet, hat sich eben jetzt in seiner schönsten Bedeutung bei dem Dichter dieser Zeilen, Ferdinand Freiligrath, selbst erfüllt. Kaum wurde Kunde von der Bedrängniß desselben, kaum brachte die „Gartenlaube“ das zündende Wort, eine Volksdotation für den alternden Dichter vorzubereiten, als sich’s an allen Orten und Enden regte, beizusteuern auf den Altar des Vaterlandes. Mit freudiger Genugthuung kann Deutschland auf dies in kurzer Frist erreichte Resultat hinblicken, wodurch es möglich werden wird, einem seiner besten Söhne und seinem Lieblinge den Lebensabend heiter und golden auszuschmücken.

Ferdinand Freiligrath’s Geburtshaus in Detmold.

Und weil nun die „Gartenlaube“, getreu ihrer nationalen Tendenz, stets einen so innigen Antheil an den Schicksalen dieses unseres Dichters genommen und manches Lebenszeichen von demselben dem deutschen Volke mitgetheilt hat, glauben wir uns auch der Hoffnung hingeben zu dürfen, daß es für den Leserkreis derselben gewiß von Interesse sein würde, das Geburtshaus Ferdinand Freiligrath’s (jetzt als Kaufmannshaus dienend) im Bilde zu schauen, welches nach einer im Laufe dieses Sommers aufgenommenen Photographie getreu copirt ist.

Freiligrath wurde bekanntlich am 10. Juni 1810 zu Detmold (am Fuße des Teutoburger Waldes) geboren, nahe der classischen Stätte, wo Hermann die übermüthigen römischen Legionen vernichtete. Unter dem Lindenbaume vor dem Hause erblickt man südwärts die Kuppel des Hermann-Denkmals; in der nächsten Nachbarschaft, einige Häuser weiter links, ist des Dichters Grabbe Wohn- und Sterbehaus.

Vielleicht aber auch, und wir wollen es hoffen, gewährt es dem alternden, an Englands nebelige Küste gebannten Dichter eine Herzensfreude, die Stätte einmal wieder zu erblicken, wo seine Wiege stand, wo der Mund des Kindes den ersten süßen Vater- und Mutternamen lallte und der heranwachsende Knabe unter dem grünen Lindenbaume sich tummelte, jenes Asyl der Heimath, von der er selbst in seinem „Ausgewanderten Dichter“ singt:

Ich lag heut’ Nacht in süßen stillen Träumen
Von meiner Heimath und von meinen Lieben,
Ich wandelte bei meiner Kindheit Bäumen,
Wo ich wohl wünschte, daß sie mich begrüben.

R. Schm.