„Verlorene Kinder des Nils.“

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Autor: Karl Conrad
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Titel: „Verlorene Kinder des Nils.“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 240–243
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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„Verlorene Kinder des Nils.“
Ein Besuch bei den Papyrusstauden Siciliens.

Der modernen Siracusa sieht man es nicht mehr an, daß sie einst die volkreichste und glänzendste Stadt der griechischen Welt war. Heutzutage hat sie sich ganz auf die Insel Ortygia zurückgezogen, die ehemals nur einen kleinen Stadtteil trug, allerdings einen hochwichtigen, indem sich hier die Akropolis und die vornehmsten Heiligthümer erhoben. Die Ufer des angrenzenden Festlandes, im Alterthum mit glanzvollen Bauten übersäet, liegen jetzt öde und verlassen, ein trostloses Trümmerchaos, aus dem nur noch wenige Säulenreste emporragen. Außer diesen grandiosen Steinmassen aber, die allmählich hier auf Siracusas Aeckern verwittern ist auch eine noch immer in frischer Blüthe stehende Merkwürdigkeit übrig, welche an die Ruhmeszeit der alten Griechenstadt erinnert: die Papyrusstaude, welche in ganz Europa nirgend außer hier, am Gestade der Kyane, wild wächst, nachdem sie seit dem Jahre 1591 aus der Umgebung Palermos verschwunden ist. Vielleicht blühte sie zur Saracenenzeit auch noch an anderen Stätten Siciliens, jedenfalls ist sie in der Folge überall den Gefahren der Zeit und des Klimas erlegen. Schon in der kleinen Inselstadt selbst kann man die merkwürdige Pflanze üppig wuchern sehen, vornehmlich am Quellbecken der einst so gefeierten Nymphe Arethusa, allein die Stauden, welche den genannten Quell umrahmen, sind hier zum Schmuck künstlich angepflanzt, und ähnlich findet man sie wohl auch in anderen Städten Italiens an geschützten Stellen, namentlich in den botanischen Gärten. Wer aber die Pflanze in ihrer Urwüchsigkeit sehen will, muß den südlichsten Winkel der wogenumgürteten Trinakria, die mythenumrauschten Ufer der Kyane aufsuchen.

Die Lust zu diesem als sehr lohnend geschilderten Ausfluge führte uns, eine kleine Gesellschaft von drei Personen, begleitet von dem allen Syrakus-Besuchern wohlbekannten Cicerone (und Custoden des Museums) Salvatore Politi, eines Morgens aus den dumpfen Straßen der Stadt nach der schönen baumbepflanzten Marina, wo das vorsichtigerweise unter vorherigem Accord gemiethete Boot mit vier Rudern unser harrte. Das Wetter war wunderbar: ein köstlicher, sonnenheller Morgen lachte, wie ihn der elfte Januar nur in diesen Breiten schenken konnte. Goldig blitzten die Kämme der Wogen im Sonnenschein, und ein günstiger Wind, der die Entfaltung der Segel gestattete und die Ruder vor der Hand überflüssig erscheinen ließ, brachte uns bald auf die Mitte des „Porto maggiore“, jenes prachtvollen Wasserbeckens, das einst, nächst dem alexandrinischen, den berühmtesten Hafen des Alterthums bildete und in welchem mehr als einmal das Schicksal von Völkern und Staaten entschieden ward. Bis in späte Zeiten erhielt sich sein Glanz; noch der römische Schriftsteller Florus im zweiten Jahrhundert n. Chr. nennt ihn den „Marmorhafen“, vermuthlich weil sein Rand mit Marmorquadern eingefaßt war. Die Königsburg des Dionys verriegelte seinen Ausgang, die Einfahrt aber zwischen der Insel Ortygia und dem Felsencap Plemmyrion ist nur tausend Meter breit, sodaß sie mit eisernen Ketten gesperrt werden konnte, und es ist bekannt, wie die Anwendung dieses Mittels einst jene furchtbare, Athens Flotte gänzlich vernichtende Seeschlacht provocirte, welcher Thukydides durch seine unvergleichliche Schilderung ein ewig dauerndes Denkmal errichtet hat.

Und dieser berühmte Hafen, noch jetzt der größte und sicherste Italiens (fast zehn Kilometer im Umfang), liegt heute todt und still vor uns ausgebreitet. Melancholisch schaut die kleine Inselstadt, vor deren Mauern nur noch wenige Fahrzeuge ankern, über die weite Wasserfläche nach den einsamen, sonnenverbrannten Höhenzügen, die den Horizont in ernsten, großartigen Linien begrenzen.

Nach einer Fahrt von etwa fünfzehn Minuten sahen wir uns schon am jenseitigen Ufer angelangt und bogen, unter der Wölbung des Ponte grande durch, jener Brücke, über die einst die Helorische Straße führte, in die Mündung des Anapos ein. Die Ufer des mäßig breiten Flusses, aus dem noch das heutige Syrakus, wie einst das alte, seinen Wasserbedarf deckt, sind ziemlich monoton, aber immerhin malerisch; sie zeigen stellenweise einen ganz orientalischen Charakter. Weißgetünchte Steinhäuschen, von maurischen Kuppeldächern überwölbt, ihnen zur Seite vereinzelt schlanke Dattelpalmen, rings umher dichte Hecken von Opuntien, Agaven und andern Stachelgewächsen, im Vordergrunde das hohe Schilf des Flußufers – das sind die bescheidenen [241] Elemente, aus welchen sich eine Reihe anmuthiger Bildchen zusammensetzen. Zur Linken ragen auf sanfter Anhöhe zwei verstümmelte Säulen empor, die einzigen Reste des alten Olympieions; rechts reckt über die hügelige Steinwüste von Neapolis und Achradina hinweg der gigantische, gegen zehn deutsche Meilen entfernte Aetna sein leuchtendes Schneehaupt, heute ausnahmsweise unverschleiert, in den klaren, tiefblauen Winterhimmel. Geradeaus schweift der Blick über einförmige, braunrothe Höhenzüge allmählich bis zum antiken Fort Euryelos hinan, das einst den höchsten Punkt der alten Stadt beherrschte, dahinter aber glänzt die Kette der Crimiti, ernste, tiefdunkle Berge, welche die Gedanken in das rauhe Innere der Insel ziehen.


Papyrusstauden im Kyaneflusse bei Syracus.
Nach der Natur aufgenommen von Professor C. Werner.


Nach kurzem Rudern auf dem träge dahingleitenden, schilfumbordeten Anapos verließen wir denselben wieder, um in die ihm zuströmende Kyane einzulenken. Das ist ein stilles, heimliches Flüßchen, dessen Bett aber bald so eng wird, daß es dem Boote kaum noch Raum gewährt. An das Handhaben der Ruder war daher nicht mehr zu denken; zwei unserer Leute sprangen an's Ufer und zogen im Schweiße ihres Angesichts das Boot an dicken Stricken weiter, während die Zurückgebliebenen mit langen Rohrstangen schiebend nachhalfen. Im Hochsommer, wenn der Scirocco Afrikas heiße Dünste ungemildert herüberbringt und das Wasser der Flüsse versiechen läßt, stellen sich dieser Fahrt unbezwingliche Hindernisse entgegen. Man muß dann versuchen, den Papyruswald zu Fuß zu erreichen – ein so schwieriges, wie unrathsames Beginnen bei dem Mangel an Fußpfaden durch das versumpfte, von giftigem Gewürm wimmelnde Flachland, dessen Ausdünstungen zudem dann sehr zu fürchten sind. Vormals lagerten sich hier wiederholt die Heere der Karthager und Athener, und stets hielt der Tod reichliche Ernte in ihren Reihen.

Jetzt, im Winter, ist es hier gefahrlos, und gerade die Fahrt zu Wasser, so mühsam sie für die Bootsknechte auch sein mag, gehört zu dem Anmuthigsten, was die Umgegend von Syrakus bietet. Kaum läßt sich etwas Romantischeres denken, als dieses mühsame Bahnbrechen durch Schilf und Röhricht, welches den Fußpfad verengt, ja ihn oft förmlich überwölbt. Dann rauscht das Rohr über unseren Häuptern zusammen und bespritzt uns mit glitzernden Tropfen, während die Welle unter uns leise dahinrinnt. An den Ufern blüht die zarte Iris und manche fremdartige Sumpfpflanze, daneben schaukeln Wasserlilien, losgelöst und von summenden Insecten umschwärmt, auf der bläulichen Fluth. Da tauchen auch schon die ersten Papyrusstauden auf, die sich zu immer dichter und dichter werdenden Gruppen reihen, bis uns ein förmlicher Wald umfängt. Die Stämme dieses Waldes sind schlanke, glatte, dreikantige Halme von zwölf bis fünfzehn, ja achtzehn Fuß Höhe, seine Wipfel graziöse langfaserige Wedel, die der Volksmund bezeichnend Perrücken nennt. Gleich kleinen Palmenkronen schweben sie auf der Spitze der Halme, leise vom Winde bewegt und träumerisch zu der vorbeifluthenden Welle hinabwinkend – ein wunderbarer fremdartiger Anblick, der uns mit dem Zauber der Tropenwelt umspinnt. Denn fremde Gäste nur sind diese Pflanzen unserem Welttheil. „Verlorene Kinder des Nils“ nennt sie Gregorovius, und wirklich setzt die Sage ihre Urheimath an diesen geheimnißvollen Wunderfluß Afrikas. Gegen Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. soll Hieron der Zweite von Syrakus die Pflanze von dem damaligen Herrscher Aegyptens, Ptolemaeos dem Zweiten Philadelphos, erhalten haben und zwar, von noch anderen Geschenken begleitet, als Gegengabe für das riesige Prachtschiff, das König Hieron dem Ptolemäer als Zeichen seiner Freundschaft gesandt hatte. Neuere Forschungen, vornehmlich die des italienischen Botanikers Parlatore, haben wohl nachzuweisen versucht, daß der syracusanische Papyrus aus Syrien stamme und erst im neunten Jahrhundert n. Chr. durch die Araber an diese Küste gekommen sei. Diese Annahme stützt sich hauptsächlich auf den Umstand, daß keiner der alten Schriftsteller, selbst der über Alles berichtende Plinius nicht, das Vorhandensein der Papyrusstaude auf Sicilien erwähnt. Und doch scheint die schöne alte Sage auf uralter Tradition zu beruhen, und sie klingt durchaus nicht unwahrscheinlich, wenn man sich die Beziehungen zwischen Aegypten und Sicilien zur Zeit des ersten punischen Krieges vergegenwärtigt.

Unsere Fahrt fortsetzend, gelangten wir nach mühsamem Durchbrechen einer engen, durch Schilf und Papyrus gesperrten Wasserpforte zum Quellbecken der Kyane, einem anmuthigen, sich fast kreisrund ausbreitenden Teich, la Pisma genannt. So fern [242] auch die eben betrachteten Zeiten, so sind sie doch historisch erhellt, hier aber umfängt uns die Dämmerung der alten griechischen Götterlehre. Wir befinden uns an classischer Stätte, die einst Persephone-Proserpina's Verzweiflung sah. Nachdem die göttliche Jungfrau beim Blumenpflücken auf Ennas Wiese (60 bis 70 Miglien nordwestlich von Syrakus) durch Pluton geraubt worden, gelangt der Räuber mit seiner schönen Beute bis in die Gegend des Quells Kyane, die Nymphe desselben will dem Frevel wehren und wirft sich mit ausgebreiteten Armen dem finsteren Todesfürsten in den Weg. Umsonst; ihrer Ohnmacht spottend öffnet der Gott mit seinem Scepter die Erde und taucht zum Hades hinab. Kyane aber, so berichten Ovid's „Metamorphosen“:

 ... „trauernd zugleich um Proserpina und die Verachtung
Ihres geheiligten Quells, nährt nun unheilbare Wunde
Tief in der schweigenden Brust, und ganz in Thränen zerrinnt sie,
Und, wo als Göttin sie jüngst obwaltete, in die Gewässer
Löst sie jetzt völlig sich auf.“

Später gelangte Demeter, die verlorene Tochter suchend, zum Quell, allein die verwandelte und der Sprache beraubte Nymphe vermochte ihr nichts zu künden. Nur den Gürtel, welchen einst die widerstrebende Persephone hatte in den Strom fallen lassen, schickte sie an die Oberfläche des Wassers. Da verzweifelte die Mutter in wildem Schmerz und strafte die trinakrischen Fluren mit Mißwachs, bis ihr die benachbarte Nymphe Arethusa den Aufenthaltsort des gesuchten Lieblings verrieth. In der Folge wurden hier Feste zu Ehren beider Göttinnen, Mutter und Tochter, gefeiert und dabei geweihte Thiere als Opfer in den klaren Teich versenkt; noch sollen die Unterbauten eines alten Kyanetempels irgendwo in der Nähe sichtbar sein.

Friedliche Stille waltet heute am Quelle der „blaulockigen“ Nymphe. Leise rauscht der Wind in den Papyrushalmen und kräuselt die Fluth, die eine bläuliche Farbe zeigt, wenn auch nicht jenes tiefe glänzende Blau, auf welches der Name Kyane, der ja auch der Demeterblume, der Kornblume, eigen war, schließen ließe. Aber rein und durchsichtig ist das Wasser; fast jeden Stein kann man auf dem Grunde des acht bis zehn Meter tiefen Beckens erkennen. Ringsum herrscht das Schweigen der Wüste; denn stundenweit breitet sich hier der Palude Pantano aus, in dem man den Sumpf Syraka wiedererkannt hat, der einst dem großen Syrakus seinen Namen gab. Nur das Quaken der Frösche unterbricht momentan die fast beängstigende Stille; hin und wieder entfaltet auch ein bunter Wasservogel, deren hier eine große Anzahl nistet, kreischend seine Schwingen. Später erst trafen wir die ersten Menschen in dieser Einöde, zwei Jäger, die, das Gewehr auf der Schulter und von ihrem Hunde begleitet, in hohen Wasserstiefeln die öden Sümpfe durchstreiften.

Aber die Zeit drängte zur Umkehr. Bald hatten wir die dichte Schilfhecke, die das lauschige Plätzchen von der Außenwelt abschließt, wieder hinter uns, und in rascherem Tempo ging es flußabwärts. Allein nicht lange, so rasteten wir abermals an einer besonders malerischen Stelle, wo sich der plötzlich teichartig breitwerdende Fluß in zwei Arme theilt, die verschiedene, mit Papyrus dicht bewachsene Inselchen umschließen, während den Hintergrund dieses reizenden Landschaftsbildes die stolze Schneepyramide des Aetna wirksam abschließt. (Vergl. die Illustration.) Die Ruderknechte entzündeten ein Feuer, an welchem sie, im Verein mit unserem Führer, aus mitgenommenen Vorräthen unser Mittagsmahl bereiteten, bald stand dasselbe auf den Bänken vor uns: einige gebratene Triglien (im Ionischen Meere häufig vorkommende Fische), Oliven, mit gehacktem Eiweiß und Zwiebeln gefüllt, sowie Ricotta, ein mit Zucker und Zimmt angemachter Quark von zweifelhaftem Wohlgeschmack; dazu saftige Orangen und eine Flasche des feurig süßen Moscato, den die heißen Trümmerfelder Siracusas zeitigen. So volksthümlich frugal dieses Mahl auch war – die Poesie der Situation, mitten auf der blauen Kyane und umrauscht von den mythischen Papyrusbinsen, machte es zu einem der genußreichsten, das wir je abgehalten, und mit halbem Mitleid dachten wir der Freunde daheim, die jetzt wahrscheinlich hinter dem warmen Ofen saßen. Später stellten wir mit Hülfe der Bootsknechte Versuche an, einige der Stauden in halber Höhe der Stengel abzuschneiden, was aber bei deren Zähigkeit und Dicke nur mit Mühe gelang, und wir tauschten dabei unsere Kenntnisse über die botanischen Eigenschaften und die culturgeschichtliche Vergangenheit der so hoch interessanten Pflanze aus.

Die Papyrusstaude gehört bekanntlich zur Familie der Cypergräser. Man unterscheidet von ihr verschiedene Arten, deren wichtigste von jeher die ägyptische war, die früher an den Ufern des Nilstromes in großen Mengen wuchs. Heutzutage wird sie dort nur selten gefunden, und zwar nur noch in Nubien. Ihre eigentliche Heimath sind jetzt die großen Sümpfe Nordafrikas; auch in den kleinasiatischen Küstenländern und an den Brüderströmen Euphrat und Tigris soll sie vorkommen. Man weiß, welchen hohen Werth das Alterthum dieser Pflanze beimaß und welch umfassenden Gebrauch es von ihr machte. Aus ihrem Baste wurden Kleider und Schuhwerk gefertigt, Körbe, Stricke, Dochte und Matten geflochten; aus den dicksten Halmen verfertigte man leichte Flußkähne und Geräthschaften zum mannigfachsten Gebrauche; die holzige Wurzel diente als Brennmittel, ja sogar zur Nahrung.

Von culturhistorischer Bedeutung aber ward die Pflanze vornehmlich durch ihre Bearbeitung zu jenem Schreibmaterial, dem sie ihren Namen in fast allen Sprachen aufgedrückt hat. Das Bereitungsverfahren des alten „Papiers“ war nach auf uns gekommenen Nachrichten (vornehmlich bei Plinius) folgendes: das Zellengewebe des Schaftes – daß derselbe aus verschiedenen Bastlagen bestehe, ist ein durch eine mißverstandene Stelle bei Plinius allgemein gewordener Irrthum – ward mit einem scharfen, spitzen Instrumente in Lamellen zerlegt, welche man auf einer angefeuchteten Tafel ausbreitete und, nachdem man sie mit einem in Wasser löslichen Bindemittel, wahrscheinlich Gummi arabicum oder Eiweiß, überstrichen hatte, mit einer zweiten Schicht derart bedeckte, daß deren Fasern sich mit den Fasern der ersten Lage kreuzten; nur bei gröberen Sorten kam noch eine dritte Lamellenschicht hinzu; dann wurde das Ganze gepreßt, an der Sonne getrocknet und schließlich mit Hämmern geklopft. Mittelst eines glatten Instrumentes, eines Zahnes oder einer Muschel verlieh man den Blättern Politur, um das Auslaufen des Schreibstoffes zu verhindern.

Die Erfindung dieses ganzen Verfahrens ist höchst wahrscheinlich in Aegypten selbst gemacht worden. Daß man es dort schon frühzeitig kannte, dafür sprechen die ältesten Wandgemälde und das Zeugniß Herodot's. Freilich hat man aus einigen Stellen bei Varro und Plinius auf ein weit geringeres Alter dieser Industrie schließen wollen, und der Archäologe Böttiger hat darauf hin den Ruhm ihrer Erfindung der griechischen Colonie Naukratis in Unter-Aegypten zugesprochen, doch ist diese Ansicht unhaltbar. Nachdem Aegypten römische Provinz geworden, ward die Papierfabrikation besonders in der neuen Welthauptstadt Rom eifrig cultivirt und verfeinert; die am meisten geschätzte der hier bereiteten Sorten war die aus dem innersten Mark der Staude verfertigte charta Augusta, deren sich die Kaiser bedienten.

In der Folge begann das Material wegen des gesteigerten Consums sehr kostspielig zu werden; das Pergament war dem Papyrus schon längst ein gefährlicher Feind gewesen; noch größere Gegner erwuchsen ihm jetzt in Baumwolle und Leinen, aus welchen Stoffen man einfacher und billiger Papier herstellen lernte. Indeß erhielt sich der Papyrus noch bis gegen das zwölfte Jahrhundert in Benutzung, vornehmlich bei den orientalischen Völkern. Ibn Haukul, der reiselustige Kaufmann aus Bagdad, sagt in seiner interessanten Beschreibung der Stadt Palermo vom Jahre 972, daß aus dem dort wachsenden Papyrus Schiffsseile verfertigt würden, sowie das wenige Papier, welches dem Emir gehöre. Die neuere Zeit hat, sowohl aus wissenschaftlichem wie aus kaufmännischem Interesse, an dem syracusanischen Papyrus wiederholt Versuche mit der alten überlieferten Verfahrensweise angestellt. So schon zu Anfang unseres Jahrhunderts der Cavaliere Landolina, Platen's bekannter Freund. Neuerdings ist die Bereitung von Papyrus zu einem Erwerbszweige der Ciceroni von Syrakus geworden – der ehrwürdige Stoff, einst der Wissenschaft dienend, durfte zum Befriedigungsmittel reisender Neugier herabsinken. Die Analyse, welche Hofrath Schenk, Professor der Botanik in Leipzig, mit solchem neusyracusanischen Papyrus im Vergleich mit altägyptischem (Papyrus Ebers, Papyrus Harris, Leipziger Todtenbuchfragment) anstellte, ergab, daß zu sämmtlichen dieselbe, Cyperus Papyrus genannte Pflanze das Material geliefert hat (obgleich Parlatore, die syrische Herkunft des sicilianischen Papyrus verfechtend, ihn dem ägyptischen als Cyperus Syriacus gegenüberstellt), und daß die Herstellungsweise überall die gleiche gewesen ist.

[243] Dennoch unterscheidet sich dieser Papyrus der Ciceroni in seiner Beschaffenheit ungünstig vom alten. In seinen Zellen findet sich nämlich Stärke in Körnern, die jedenfalls aus der Pflanze selbst stammt. Wahrscheinlich ward letztere ehemals für ihre Bestimmung zu einer Zeit abgeschnitten, da sich der genannte Stoff noch nicht in ihr gebildet hatte, oder man kannte ein besonderes Verfahren zu dessen Vernichtung. Natürlich beeinträchtigen die Stärkekörner die Glätte des Papieres, und da auch sonst schwierig darauf zu schreiben ist, indem unsere Tinte schlecht haftet und leicht ausläuft, so hat es, angesichts unserer vervollkommneten Papiere, keinen praktischen Nutzen mehr. Auch alles Uebrige, wozu früher die Papyrusstaude diente, erhält man jetzt auf anderem Wege; die einst so unentbehrliche Pflanze ist daher für uns nur noch eine ehrwürdige Reliquie aus ferner classischer Zeit.

Nachdem wir unsere Ernte, deren Resultate später zum Theil mit nach Deutschland übersiedelten, beendet hatten, mußte dem Papyrushain Lebewohl gesagt werden; denn der kurze Wintertag neigte sich seinem Ende zu, und wir hatten gute anderthalb Stunden bis zur Stadt zurückzurudern, wollten auch dem nahen Olympieion noch einen kurzen Besuch abstatten. Zu diesem Zwecke verließen wir, noch ehe wir wieder in den Anapos gelangt waren, das Boot, das wir voraussandten, um unter der Helorischen Brücke auf uns zu warten.

Als wir eine Weile später wieder auf den blauen Wellen des Ionischen Meeres schaukelten, war bereits das Tagesgestirn hinter den Bergen von Pallapolo versunken; graue Dämmerung breitete sich über Felsenwüste und Sumpf, das Grab der alten Marmorstadt; nur dort, wo einst die Akropolis schimmerte, ragte ein Häuflein armseliger Häuser in den schweigenden Abendhimmel, und im Uferschilfe flüstert der Nachtwind ein Lied von der Vergänglichkeit.

Mir aber wollte die eigenthümliche Stimmung, welche mich im Schatten der merkwürdigen, so fremdartig und vertraut zugleich anmuthenden Pflanzenansiedelung an der Kyane ergriffen, lange nicht in der Seele verblassen. Eines Tages wagte ich, ihr in Versen Ausdruck zu verleihen, welchen ich die Ueberschrift „Gesang des Papyrus von Syrakus“ gab. Hier sind sie:

O Wandrer im Kahne, vernimm meinen Sang,
Wenn sanft die Kyane du gleitest entlang!
Aus bläulichen Fluthen blüh' dort ich empor:
Gefiederte Ruthen auf schwankendem Rohr.

Zum Strome mich neigend, bei Farren und Moos,
Betrachte ich schweigend mein wechselndes Loos:
Sonst ward mir die Pflege des Wissens vertraut;
Jetzt wachs' ich am Wege, ein nutzloses Kraut.

Jahrhunderte kommen, Jahrhunderte gehen,
Hab' selten vernommen, was draußen geschehn,
Aus uralten Tagen, die spärlich erhellt
Von dämmernden Sagen, nur kennt mich die Welt.

O sonniger Frieden, von Träumen umwallt,
Vom Leben gemieden, das ferne verhallt!
Stumm kreist die Libelle im zitternden Licht,
Die silberne Welle im Schilfe sich bricht.

Da rauscht's in den Halmen mit schläfriger Ruh,
Am Ufer die Palmen, sie flüstern dazu.
Gern lausch' ich dem Klange in träumendem Bann . . .
Ich lausche schon lange, weiß selbst nicht seit wann.

Und sank dann hernieder die thauige Nacht,
So sind mir die Lieder der Lüfte erwacht.
Sie rauschen und flüstern und künden mir viel
Von fernen Geschwistern am heiligen Nil.

Karl Conrad.