Zum Inhalt springen

ADB:Agobard

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Agobardus, Erzbischof von Lyon“ von Theodor von Sickel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 140–142, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Agobard&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 02:02 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Agrell, Johann
Band 1 (1875), S. 140–142 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Agobard in der Wikipedia
Agobard in Wikidata
GND-Nummer 118647326
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|1|140|142|Agobardus, Erzbischof von Lyon|Theodor von Sickel|ADB:Agobard}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118647326}}    

Agobardus, Erzbischof von Lyon, † 6. Juni 840. Dem Namen nach fränkischer oder burgundischer Abkunft, wird uns A., wenn wir von unsichern Nachrichten absehn, zuerst 792 genannt; er kam damals nach Lyon, wo die Erzbischöfe Ado und (seit 797) Leidrad im Sinne Karls d. Gr. für Kirche und Schule wirkten und das wissenschaftliche Leben erneuerten. Unverkennbar ist der Einfluß Leidrads auf A., der jenem erst als Chorbischof zur Seite stand und 816 als Erzbischof folgte. Wird auch A. in den Quellenschriften jener Zeit häufig genannt, so sind es doch noch mehr seine eigenen Schriften, welche uns ein Bild von seinem Leben und Wirken geben. Wie A. sein erzbischöfliches Regiment mit der Veröffentlichung eines Hirtenbriefes De modo regiminis ecclesiastici begann, so hat er auch in der Folge seine lebhafte und durchaus auf das Leben gerichtete Theilnahme an allen Staat oder Kirche damals bewegenden Fragen durch eine Reihe von Gelegenheitsschriften des mannigfaltigsten Inhalts bekundet. Diese Schriften, am besten von Baluze herausgegeben, zeichnen sich zumeist aus durch übersichtliche Anordnung des Stoffes, durch Klarheit des Gedankens und des Ausdrucks, durch lebendigen, nöthigenfalls auch kräftigen und scharfen Ton, durch Correctheit des Lateins, wie es damals geschrieben wurde. Sie zeugen von Belesenheit in der Bibel, den Kirchenvätern (namentlich Augustin), den Concilacten und Canones, und erheben sich doch über die Compilation zu selbständiger Behandlung der Themen. Sie lassen uns endlich A. als einen vielseitig gebildeten, für seine Zeit recht aufgeklärten, von der Hoheit seines Berufs und seiner Stellung durchdrungenen, für seine Ueberzeugung und Sache mit Wärme, ja schließlich mit Leidenschaft eintretenden Mann erkennen. A. geißelt z. B. den Aberglauben, daß Menschen Unwetter heraufbeschwören können, verwirft die Ordalien als Trugwerk und Versuchung der Herrn, eifert, ohne dabei die Päpste zu schonen, gegen den Bildercultus. Als der nach Lyon verwiesene Felix von Urgel hier 818 starb, gab eine von ihm hinterlassene Schrift A. Anlaß, nochmals die sog. adoptianischen Lehren zu bekämpfen. Seine heftigen Angriffe gegen die Juden galten nicht allein der Ueberhebung, der sie sich, auf ihren Reichthum und auf ihre Verbindungen mit [141] dem Hofe gestützt, schuldig machten, eben so sehr ihrem Glauben, für den sie sogar Propaganda zu machen angeklagt wurden. Noch mehr ging A. auf dogmatische Fragen und gelegentlich auf philosophische Probleme ein in einer Discussion mit Fredegisus, dem gegenüber er den Versuch machte, in freierer Auffassung des Inspirationsbegriffes in der h. Schrift das Werk Gottes und die Zuthat der Menschen von einander zu scheiden. Noch weit schlagfertiger als bei derartigen Fragen, zugleich dann auch entschiedener und bis zum Fanatismus consequent, zeigte er sich, als es sich unter Ludwig dem Frommen um die Stellung des Clerus zur Laienwelt und um die Beziehungen zwischen Staat und Kirche handelte, und da griff er nicht allein mit Rede und Schrift, sondern auch mit Thaten in die Gestaltung der öffentlichen Verhältnisse ein. Als sich nämlich die Geistlichkeit schon mächtig genug fühlte, um eine allgemeine Restitution des säcularisirten Kirchenguts anzustreben, da war es A., der solchen Forderungen auf einer Synode zu Attigny 822 Ausdruck gab. Diese Sache und überhaupt alle Ansprüche seines Standes hat er auch ferner auf Reichstagen und Synoden, so wie in den Schriften „De dispensatione rerum ecclesiasticarum, de iure et privilegio sacerdotii“ u. a. verfochten, ohne der Verleumdungen und Anfeindungen zu achten, die er sich seitens der Laienwelt zuzog. Und ohne Zweifel hat er auf der Lyoner Reformsynode von 829 dasselbe Progamm aufstellen lassen, wie das uns von der gleichzeitigen Pariser Synode bekannte, welches für die geistliche Gewalt den Vorrang vor der weltlichen beansprucht. Von dem Grundsatz ausgehend, daß, wer wider die Kirche handle, sich gegen Gott versündige, wobei ihm jedoch der Papst nur insoweit als Autorität in der Kirche gilt, als er sich in Einklang mit dem fränkischen Episcopat findet und diesem gleichsam als Organ dient, hat A. wesentlich dem gewaltigen Umschwung in dem Verhältniß der beiden Gewalten zu einander vorgearbeitet[WS 1], der sich im Laufe des 9. Jahrhunderts vollzieht. Und in diesem Sinne hat er auch in die großen politischen Fragen seiner Zeit eingegriffen. In der Vorstellung aufgewachsen, daß es wie eine einheitliche Kirche, so auch einen einheitlichen Staat geben müsse, nahm er lebhaften Antheil an der die Reichseinheit bezweckenden Aachener Acte von 817. Er ging in dem „Liber adversus legem Gundobadi“ noch einen Schritt weiter und verlangte die Aufhebung des burgundischen Volksrechts, auf daß in dem Kaiserreiche fortan nur Ein Recht bestehe, wie ja auch nur das Eine Sittengesetz Christi Geltung habe. Folgerechter Weise widersetzte er sich dann den Plänen der K. Judith, die Acte von 817 zu Gunsten des nachgebornen Karls umzustoßen. Zwar erfahren wir nicht, daß A. schon 830 an der ersten Erhebung der älteren Söhne gegen den Vater persönlichen Antheil genommen habe; aber als in den nächsten Jahren das Treiben der Kaiserin das Reich immer mehr mit Verwirrung und Auflösung bedrohte, ergriff A. ebenso entschieden als offen Partei für den seit 817 zum Mitkaiser erhobenen Lothar. Noch einmal beschwor er 833 Ludwig in der „Epistola flebilis“, die ihm einst von Gott eingegebene und von allen beschworene Ordnung nicht über den Haufen werfen zu lassen. Es war um die Zeit, da Gregor IV. von der Partei Lothars nach Gallien geführt worden war, um für die von seinen Vorgängern gutgeheißene Acte von 817 einzutreten. Daß der Papst eben nur dazu berechtigt und in diesem Falle noch vielmehr dazu verpflichtet sei, daß ihm also auch Gehorsam geschuldet werde, das suchte A. in einem weitern Schreiben „De comparatione utriusque regiminis“ dem Kaiser darzulegen. All sein Trachten ging dabei auf Beilegung des Zwistes ohne Blutvergießen; aber ebenso von der Nothwendigkeit der Reichseinheit überzeugt, wie davon, daß die geistliche Autorität in Stellvertretung Christi auch über die höchste weltliche Gewalt zu richten berufen sei, schreckte er nun auch vor den äußersten Folgerungen nicht mehr zurück. Nachdem auf dem Lügenfelde die Würfel gefallen, [142] trachtete er, uneingedenk aller ihm von Ludwig erwiesenen Gnaden und ohne Begeisterung für Lothar, dahin, die Erhebung des Sohnes durch die Erniedrigung des Vaters zu sichern. A. hat neben Ebbo von Rheims vorzüglich Antheil an der Ludwig, damit ihm die Rückkehr auf den Thron verschlossen bleibe, zu Soissons auferlegten Buße. Darob angegriffen, wollte er sich in dem „Liber apologeticus“ rechtfertigen. Noch einmal sucht er in diesem Pamphlet das Recht der Söhne, sich gegen den Vater zu empören, darzuthun und möchte zugleich die eigene Schuld beschönigen durch die heftigste Anschuldigung der K. Judith, gegen die er in blindem Eifer noch immer den Vorwurf des Ehebruchs und andrer Schandthaten erhebt, von dem sie sich längst gereinigt hatte. Diese letzte politische Flugschrift des A. läßt ihn nicht mehr als redlichen und ruhigen Vertreter seiner Ueberzeugung, sondern als Fanatiker einer Parteisache erscheinen. Als schon nach kurzem Ludwig wieder an das Regiment kam, mußte A. sich mit Lothar nach Italien flüchten. Wiederholt von dem alten Kaiser vorgeladen, stellte er sich nicht, scheint aber doch nicht förmlich abgesetzt worden zu sein. Nach zwei Jahren finden wir ihn schon wieder unangefochten in der Umgebung Ludwigs. Er begleitete denselben wahrscheinlich 839 auf dem Zuge nach Aquitanien und blieb dann nach des Kaisers Aufbruch im Gefolge Karls: so starb er in Saintonge am 6. Juni 840. Von seinem Wirken in dem eigenen Sprengel hören wir nichts mehr, seitdem er in das Treiben der politischen Parteien hineingerissen ward, das letzte Mal 830. Aber die Lyoner Kirche hat ihn doch als Heiligen verehrt.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: vorgearbeiett