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ADB:Albertus Magnus

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Artikel „Albert von Bollstädt (Albertus Magnus)“ von Georg von Hertling in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 186–196, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Albertus_Magnus&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 08:23 Uhr UTC)
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Albert von Bollstädt (Albertus Magnus), Bischof von Regensburg, geb. 1193 als der Sohn ritterlicher und begüterter Eltern zu Lauingen in Schwaben, † 15. Nov. 1280 zu Köln. Ueber seine Jugend wird nichts gemeldet, was uns nicht naheliegende Vermuthungen ohnehin müßten annehmen lassen. Nachdem er den ersten Unterricht in der Heimath erhalten hatte, finden wir ihn in Begleitung eines Oheims zur Fortsetzung seiner Studien in Padua. Wir wissen nicht, was ihn zur Wahl dieses Ortes bewog, noch wann er sich dahin begab, ebensowenig besitzen wir bestimmte Angaben über den Gang, die Mittel und den Umfang seiner damaligen wissenschaftlichen Beschäftigung, und dieser Mangel läßt sich auch nicht durch das ersetzen, was aus anderweitigen Nachrichten über den Zustand jener Universität im 13. Jahrhundert bekannt ist, da diese gerade in Betreff der Zeit, in welche Alberts Studienjahre fallen, gänzlich fehlen. Nur das wird anzunehmen sein, daß der Aufenthalt in Padua sich auf eine Reihe von Jahren erstreckte, und daß er ihm Gelegenheit bot, den Grund zu der umfassenden Gelehrsamkeit zu legen, in deren Besitz wir ihn später finden. Möglich, was die Biographen erzählen, daß ihn neben dem wissenschaftlichen Interesse von früh auf ein Hang zu frommen Uebungen beseelte, der ihn auch zum Verkehr mit Klosterleuten hinzog, sicher, daß er um das Jahr 1222 oder 1223 in den kürzlich gegründeten Dominicanerorden eintrat. Uebereinstimmend wird berichtet, daß bei diesem Schritte eine Predigt des Jordanus, des zweiten Generals der Predigermönche, den Ausschlag gegeben habe. Daß nun zu den bisherigen Studien das der Theologie hinzukommen mußte, ist einleuchtend, doch schweigen die alten Berichterstatter auch darüber; ihnen liegt überall nur an dem großen Meister, dem berühmten Ordensgenossen, für seine eigenen Lehrjahre und seine allmähliche Entwicklung haben sie kein Interesse. Auch über die nächsten Jahre erfahren wir nur im allgemeinen, daß er nicht allzulange nach seiner Aufnahme in den Orden nach Deutschland geschickt wurde, um in den Städten, in denen die Jünger des h. Dominicus Aufnahme gefunden hatten, an ihren Klosterschulen als Lehrer thätig zu sein, so zunächst in Köln, dann in Hildesheim, wo sie seit 1233 ein Haus besaßen, in Freiburg, Regensburg, Straßburg. Ein auch in Betreff der Zeit sicher zu stellendes Ereigniß ist erst wieder die Reise nach Paris, wohin er sich 1245 wahrscheinlich im Auftrage eines Generalcapitels begab. Daß er zuvor mindestens ein Jahr lang in Köln war, wissen wir aus dem Leben seines großen Schülers Thomas von Aquin, der ebendamals [187] dort zu seinen Füßen saß und ihn demnächst nach Paris begleitete. Es erhellt hieraus zugleich, welch weitreichender Ruhm bereits seinen Namen umgab. In Paris schwebte seit einer Reihe von Jahren der heftige Streit des Ordens mit der Universität um das Recht, öffentliche Lehrstühle zu errichten. Diese mit Männern wie A. zu besetzen, lag in des ersteren wohlverstandenem Interesse, und in der That feierte seine Lehrthätigkeit jetzt ihre größten Triumphe. Spätere Geschichtschreiber erzählen, kein Gebäude sei im Stande gewesen, Alberts Zuhörer zu fassen, sodaß er seine Vorträge auf offenem Platze hätte abhalten müssen, aber auch die älteren berichten von lernbegierigen Schülern, die von allen Seiten herbeiströmten, von Fürsten und Prälaten, Vornehmen und Geringen, Ordensleuten und Weltlichen, die sich zu seiner Erklärung der Sentenzen des Petrus Lombardus herandrängten. Daß er damals zugleich die Würde eines Magisters der Theologie erwarb, beweist seine Unterschrift unter einem Decrete vom 15. Mai 1248, welches die Verbrennung der talmudischen Bücher befiehlt. Bereits im Herbste desselben Jahres kehrte er indessen nach Köln zurück, um der hohen Schule vorzustehen, welche der Orden dort wie in Bologna, Oxford und Montpellier errichtet hatte, und welche der Anfang der nachmaligen Kölner Universität wurde. Hier besuchte ihn der zum deutschen Könige erwählte Wilhelm von Holland, als er 1249 den Dreikönigstag in Köln festlich beging. Bekannt ist die Erzählung von der wundersamen Bewirthung, welche A. dem hohen Gaste bereitete, als seine Kunst den winterlichen Klostergarten mit duftenden Blumen und blühenden Bäumen erfüllte, in deren Zweigen Singvögel sich wiegten. Sie erscheint zuerst bei einem wenig glaubwürdigen Chronisten des 14. Jahrhunderts. Lehrend und mit der Abfassung seiner Schriften beschäftigt, aber auch dem Volke predigend und durch Uebungen der Frömmigkeit seinen Mitbrüdern voranleuchtend, blieb er, wie es scheint, in Köln bis 1254. In diesem Jahre erwählte ihn ein zu Worms abgehaltenes Capitel zum Provincial für Deutschland. Mehr noch als bisher mußten ihm jetzt die Angelegenheiten des Ordens am Herzen liegen, Visitationen, Neugründungen und Verhandlungen auf den bald da, bald dort abzuhaltenden Capiteln seine Zeit in Anspruch nehmen. Wir hören von Decreten, die er erließ, um den Geist der Armuth mit aller Strenge unter den Brüdern aufrecht zu erhalten, wie er selbst stets zu Fuße die einzelnen Niederlassungen seiner Provinz besuchte, wie er unterwegs in den Klöstern, in denen er einkehrte, Abhandlungen schrieb und sie dann zum Entgelt für die gefundene Herberge zurückließ. Ungewiß ist, ob er damals auch nach Polen kam, wohin ihn der Papst zur Beseitigung heidnischer Gebräuche geschickt hätte. Die Nachricht stützt sich auf den Commentar zur aristotelischen Politik, der sich unter Alberts Werken findet, aber nicht mit völliger Sicherheit ihm zugeschrieben werden kann. Dagegen berief ihn Alexander IV. wahrscheinlich im Frühjahre 1256 an seinen Hof nach Anagni, um in dem Streite, der heftiger als je zwischen der Universität von Paris und den Bettelmönchen entbrannt war, die Sache der letzteren gegen die Angriffe Wilhelms von St. Amour zu führen. Der Papst entschied gegen die Universität, und die Berichterstatter schreiben den Sieg der Ordenspartei fast ausschließlich der Kraft und Gewandtheit zu, mit welcher A. ihre Vertheidigung wahrnahm. Noch andere Vorträge hielt er während seines Aufenthaltes an der Curie; er erklärte das Johannesevangelium und die canonischen Briefe und bekämpfte die pantheistische Doctrin des arabischen Philosophen Averroes, welche auch im christlichen Abendlande Anhänger gefunden hatte. Im Zusammenhange damit wird berichtet, er sei zum Magister palatii ernannt worden. Mag diese Nachricht nun in den Thatsachen begründet, mag sie eine bloße Vermuthung sein, zu welcher die erwähnten Lehrvorträge vor dem Papste die Veranlassung gaben, jedenfalls übernahm er [188] das Amt nicht, um es dauernd zu führen, war er doch auch noch Vorsteher der deutschen Ordensprovinz. Wenn es heißt, daß er die Weiterführung des Streites mit der Universität der jüngeren Kraft seines Schülers Thomas überließ, so wissen wir, daß dieser, nach Paris zurückgekehrt, bereits im October 1257 seine öffentlichen Vorlesungen unbehelligt von den Universitätslehrern beginnen konnte. Von Alberts eigener Rückkunft nach Köln erfahren wir zuerst aus einer Urkunde vom März 1258. Nachdem er sich noch 1259 zu Valenciennes an der Ausarbeitung eines Studienplanes für den Orden bei Gelegenheit des dort abgehaltenen Generalcapitels betheiligt hatte, wurde er von diesem seines Amtes als Provincial enthoben. Bereits im folgenden Jahre berief der ausdrückliche Befehl des Papstes den lange Widerstrebenden als Bischof nach Regensburg. Als es ihm aber nach zwei Jahren gelungen war, die Lage des gänzlich verwahrlosten Bisthums zu heben, eingerissene Mißstände zu beseitigen und Ordnung an Stelle der früheren Unordnung zu setzen, gab Urban IV. seinen drängenden Bitten nach und nahm ihm die Bürde wieder von den Schultern.

Die Biographen lassen ihn nach Köln zurückkehren, doch geschah dies nicht zu bleibendem Aufenthalte, denn bis zum Jahre 1267 zeigen ihn zahlreiche Urkunden in verschiedenen bairischen und fränkischen Städten, so namentlich in Würzburg. Als er nach längerer Abwesenheit in Köln einzog, wurde er mit großen Ehren empfangen. Er bewohnte nun wieder seine alte Zelle und begann die frühere Lebensweise, zu lehren, zu predigen und seine Gelehrsamkeit in Schriften niederzulegen. Daneben berief ihn das Vertrauen der Bürgerschaft jetzt wie schon in früheren Fällen zum Schiedsrichter und Vermittler in den Zwistigkeiten mit dem Erzbischofe. Aehnlich war er zuvor in Würzburg mehrfach als Friedensstifter aufgetreten. Theologische Gegenstände, und namentlich solche, welche frommer Erhebung Gelegenheit boten, beschäftigten vorzüglich die schriftstellerische Thätigkeit des nun schon hochbetagten Mannes. Wiederholt aber wurde er davon durch den ehrenvollen Auftrag abberufen, Kirchen und Altäre festlich einzuweihen. Wanderungen, in solcher Absicht unternommen, führten ihn nach Konstanz und Basel, Straßburg und Kolmar, Antwerpen, Utrecht und Maestricht, namentlich aber war es die Kölner Diöcese, in der er förmlich das Amt eines Weihbischofs wahrnahm. Auch fällt in jene Zeit der Chorbau der Dominicanerkirche zu Köln, den A., welchen der Papst bei seiner Erhebung zum Bischof vom Gelübde der Armuth entbunden hatte, aus eigenen Mitteln aufführte. Spätere lassen ihn auch den Plan entwerfen und den Bau leiten, doch entbehrt diese Nachricht, wie verschiedene andere, welche dem vielseitigen Gelehrten zugleich den Ruhm eines großen Bauverständigen sichern möchten, der Begründung und der Wahrscheinlichkeit. Ob er der Kirchenversammlung von Lyon 1274 beigewohnt habe, wie die Biographen ohne genügendes Zeugniß und ohne Unterstützung durch die Geschichtschreiber des Concils wissen wollen, ist äußerst fraglich, dagegen scheint der ehrwürdige Greis einige Jahre später eine Reise nach Paris angetreten zu haben, um in rührendem Eifer und mit durchschlagendem Erfolg vor einer Versammlung von Universitätslehrern die angegriffene Rechtgläubigkeit seines verstorbenen Lieblingsschülers Thomas zu vertheidigen. Etwa zwei Jahre vor seinem Tode, die Angaben schwanken, nöthigte ihn der Verlust des Gedächtnisses seine Lehrthätigkeit einzustellen und sich ausschließlich frommen Uebungen hinzugeben. Aus dieser einfachen Thatsache entwickelte sich später das ganze Sagengewebe von dem ursprünglichen Stumpfsinne Alberts, seiner übernatürlichen Erleuchtung, den Erscheinungen der h. Maria und ihrem Versprechen, alle weltliche Wissenschaft solle kurz vor seinem Ende von ihm genommen werden, damit der Tod ihn wieder in kindlichem Glauben finde. Er starb 87 Jahre alt und wurde in dem Chor [189] seiner Klosterkirche begraben. Als diese zu Anfang des Jahrhunderts zerstört wurde, brachte man seine Gebeine in die benachbarte St. Andreaskirche, wo sie in einer Capelle des südlichen Seitenschiffs beigesetzt sind. Die kirchliche Verehrung begann sehr frühe, namentlich in Köln und Regensburg, der im 17. Jahrhundert aufgenommene Canonisationsproceß führte indessen nur zur Seligsprechung, welche 1622 durch Gregor XV. erfolgte. Seitdem wird der 15. Nov. im Dome zu Regensburg und in den Kirchen der Dominicaner festlich begangen.

Alberts Werke füllen in der Lyoner Gesammtausgabe (ed. Jammy, 1651) 21 Foliobände. Die sechs ersten enthalten die Commentare zum Aristoteles, die folgenden fünf solche zu verschiedenen Büchern des alten und neuen Testaments, der XIII. den zum angeblichen Dionysius vom Areopag, bis zum XVI. reicht sodann die Erklärung des Petrus Lombardus. Während der XII. und XXI. Band vermischte Abhandlungen, zum Theil erbaulicher oder auch mystischer Richtung füllen, darunter das schöne Büchlein „Wie man Gott anhangen soll“, enthalten XVII., XVIII. und XIX. die systematischen Hauptwerke, die leider unvollendete theologische Summe und die „Summa de creaturis“. Ueber Jammy’s Edition urtheilte indessen schon Natalis Alexander: Multo labore, nullo criterio. Sie hat weder die früheren zahlreichen Separatausgaben einzelner Schriften überflüssig gemacht, da vielmehr ihr Text durch willkürliche Verbesserungen des Herausgebers vielfach entstellt ist (vgl. Alberti Magni de vegetabilibus libri VII edd. E. Meyer et C. Jessen, Berol. 1867), noch läßt sie sich als ein abgeschlossener Canon der ächten Schriften Alberts betrachten. Die Untersuchung über das Verhältniß der in beträchtlicher Anzahl in den Bibliotheken zerstreuten, welche seinen Namen tragen und, wenigstens ihren Titeln nach, dort keine Aufnahme gefunden haben, zu den veröffentlichten Schriften ist erst noch anzustellen. Die Menge der Handschriften und der häufig wiederholte Druck einzelner Werke zeigen das rege Interesse, welches die folgenden Jahrhunderte an ihnen nahmen, bei weitem übertroffen aber wurden in dieser Beziehung die ächten Schriften durch die fälschlich ihm untergeschobenen: „Liber aggregationis s. liber secretorum Alberti M. de virtutibus herbarum lapidum et animalium quorundam“, „De mirabilibus mundi“, „De secretis muli rum“. So konnte es kommen, daß eine spätere Zeit diese ihrer Beurtheilung Alberts zu Grunde legte und Vorwürfe auf ihn häufte, welche durch die glaubhaften Documente sattsam widerlegt werden.

Vergleicht man diesen Umfang schriftstellerischer Leistung mit der gegebenen Lebensskizze, so wird man die gewaltige Energie des Mannes bewundern müssen, der trotz nie endender Unterbrechung aus den mannigfachsten, zum Theil völlig disparaten Geschäften stets den Rückweg zu ernster Geistessammlung finden konnte und über die Sorge um weitzielende Angelegenheiten der Christenheit oder seines aufblühenden Ordens nicht das Auge für die tausend Einzelheiten der Wissenschaft verlor. Nächstdem aber lassen ihn Leben und Werke als ächten Sohn seiner Zeit erkennen. So wenig wir zu dem historischen A. gelangen würden, wollten wir uns an die spätere Volkssage halten, die ihn zu einem Meister der schwarzen Kunst gemacht hat, ebensowenig, wenn wir in ihm einen aufgeklärten, nur äußerlich mit den Anschauungen seiner Zeit verflochtenen Denker erblicken wollten. Daß er ein frommer Ordensmann, ein eifriger Bischof, ein begeisterter Verkündiger des Gotteswortes war, gehört ihm ganz so wesentlich an, wie seine wissenschaftlichen Forschungen, auf denen sein Ruhm bei der Nachwelt und der Ehrenname des Doctor universalis beruhen. Es wäre ein thörichtes Beginnen, die Größe seiner Gestalt dadurch erhöhen zu wollen, daß man ihr den Unterbau der ganzen Zeit entzöge.

[190] Eine gerechte Würdigung der wissenschaftlichen Verdienste Alberts ist daher auch nur möglich auf dem Hintergrunde der wissenschaftlichen Bethätigung, wie sie überhaupt das Mittelalter übte. Durch zwei Momente wird dieselbe hauptsächlich charakterisirt: die vorwiegend theologische Richtung und die Abhängigkeit von dem aus dem Alterthum überlieferten Stoffe. Beide stehen mit einander im Zusammenhange. Denn die Aufgabe, welche die Väter der Kirche der christlichen Wissenschaft zugewiesen hatten, war die Lehre der Offenbarung in den vorhandenen Gedankenkreis der gebildeten Welt einzuführen und nach Maßgabe der umlaufenden Begriffe wissenschaftlich zu entwickeln. Die Aufgabe blieb die gleiche, als nach den Stürmen der Völkerwanderung von der antiken Cultur nur noch wenige Trümmer übrig waren. An diese kümmerlichen Reste knüpfte der Schulbetrieb des eigentlichen Mittelalters an, ihre Beschaffenheit brachte es mit sich, daß die ganze weltliche Wissenschaft ihrem philosophischen Theile nach in der Logik aufging. Der Werth, den man ihr bewußt und ausdrücklich beilegte, beruhte auf dem Dienstverhältniß gegenüber der Theologie, gesteigert aber wurde er im Stillen durch die unbegrenzte Verehrung, mit der man zu den Erzeugnissen des Alterthums hinaufsah. Die Boten des Christenthums waren auch Träger der Cultur, die Verkünder des Glaubens zugleich die Lehrer der Wissenschaft gewesen. Ihre römische Bildung schien kaum minder zu Ehrfurcht und wetteifernder Nachahmung aufzufordern, als das Ideal heiligen Lebens, das ihre Predigt vorzeichnete. Eine begreifliche Ideenverbindung verschmolz beides miteinander, die gleiche Autorität, wie sie die Worte der Schrift und der Väter erheischten, wurde bereitwilligst in ihrer Sphäre den Aussprüchen der heidnischen Weisen zugestanden. Es kam hinzu, daß jene Werke selbst, an die man sich anlehnte, zum großen Theil commentirender oder paraphrasirender Art, nicht selbständig Erforschtes boten, sondern sich damit begnügten, den Gedanken der classischen Meister erläuternd nachzugehen. Nicht auf dem Grunde einer aus den ersten Keimen allmählich herangereiften Cultur, nicht an der Lösung selbstgefundener Probleme wachsend, entwickelte sich also die Wissenschaft, sondern indem man das Erbe einer früheren Epoche immer und immer wieder zu bestimmten Zwecken durchzuarbeiten sich mühte. Eine ausgedehnte Controversenlitteratur entstand, man stritt über die Bedeutung von Stellen, deren völlig dogmatische Geltung allgemein vorausgesetzt wurde, und indem man es nicht genügend verstand, das Wichtige von dem Unwichtigen, die zufällige Andeutung von der principiellen Bestimmung zu trennen, suchte man beiden ohne Unterschied den widerstrebenden Stoff zu unterwerfen. Auch eine fruchtbare Weiterbildung der theoretischen Untersuchungen, zu welchen recht eigentlich das Christenthum anregte, war nicht möglich, solange der Kreis von Begriffen, in denen man sich bewegte, in solch engen Grenzen eingeschlossen blieb. Einzelne glänzende Ausnahmen abgerechnet begnügte man sich auch hier, das von den Vätern Ueberlieferte lebendig zu erhalten. Aus diesem Zustande der Wissenschaft hätte ein Fortschritt auf zweierlei Weisen geschehen können, entweder so, daß man mit voller Energie selbständige Bahnen in der Erforschung der empirisch gegebenen Wirklichkeit eingeschlagen hätte, um hierauf die auf diesem Wege gewonnenen Anschauungen für eine speculative Durchdringung der Glaubenslehre zu verwerthen, oder aber auf dem Grunde einer weit allseitigeren und vollständigeren Aneignung der Resultate früherer Denkthätigkeit. Das letztere trat ein und zwar bezeichnet der Anfang des 13. Jahrhunderts den entscheidenden Wendepunkt. Mit dem Ende des 12. Jahrhunderts war die gesammte Logik des Aristoteles dem christlichen Abendlande bekannt geworden, ungleich wichtiger aber war es, daß jetzt durch Vermittlung der Araber seine naturwissenschaftlichen, psychologischen, metaphysischen und ethischen Schriften hinzukamen. Eine Fülle von Problemen zugleich mit ihren [191] Lösungen wurde hier geboten, ein durchgeführtes System bedeutungsvoller Begriffe nebst ihren Bezeichnungen ließ die erfolgreichste Verwendung auf theologischem Gebiete hoffen. Zu der einen Kirche, dem einen Kaiserthume war nun auch die eine Philosophie, das umfassende aristotelische Lehrgebäude, hinzugetreten, es galt sie dem Ganzen mittelalterlicher Welt- und Lebensanschauung einzuarbeiten. An Arbeitern fehlte es nicht; soeben hatten die beiden Orden der Franciscaner und Dominicaner in jugendlicher Kraft und fruchtbarem Wetteifer begonnen, sich der verschiedenen Gebiete des geistigen Lebens zu bemächtigen; der Engländer Alexander von Hales und der nachmalige Bischof von Paris, Wilhelm von Auvergne, hatten bereits durch Benützung der neuentdeckten Schätze großen Ruhm erworben, als die eingeleitete Bewegung in A. ihren vollkommensten Vertreter und fruchtbarsten Förderer fand, und die Leistungen der Früheren durch ihn in Schatten gestellt wurden.

Die Gesammtheit der aristotelischen Schriften hatte nun aber bei den Arabern das gleiche Schicksal erlitten, wie die einzelnen bekannten Stücke im lateinischen Abendlande. Weitschichtige Commentare zu allen Theilen waren entstanden, die jetzt mit dem Texte in Uebersetzungen verbreitet wurden. Nestorianische Syrer, welche ihrerseits die Kenntniß des Aristoteles griechischen Erklärern von neuplatonischer Richtung verdankten, hatten dieselbe zuerst zu den Muhamedanern gebracht. Ihre Anschauungen blieben auch für die Folgezeit maßgebend. Phantastische Ausgestaltungen, seltsame Deutungen und spitzfindige Distinctionen verhüllten mehr und mehr den ursprünglichen Sinn und hätten zur Vorsicht in der Benützung jener Commentare mahnen müssen. Aber erst allmählich drang die richtige Einsicht durch. Alberts staunenswürdige Belesenheit würdigt die Meinungen des Alkendi, Alfarabi, Algazel und Abubacer, namentlich aber der bedeutendsten unter den erklärenden Arabern, des Avicenna und Averroes der eingehendsten Berücksichtigung, nicht minder die des jüdischen Philosophen Moses Maimonides. Auch pseudoaristotelischen Schriften, wie besonders dem ganz aus neuplatonischer Quelle geflossenen Buche „Von den Ursachen“ gestattet er den weitgehendsten Einfluß. Daneben bestehen die alten Autoritäten weiter, so vorzüglich Boethius, der unter allen mit am meisten citirt wird, von den Kirchenvätern neben Augustinus besonders Gregor von Nyssa, von den scholastischen Vorgängern Anselmus, Gilbertus Porretanus, die Victoriner und mit ihnen viele andere. Aus zweiter und dritter Hand weiß er dann auch von manchen griechischen Weisen der älteren Zeit, neben Aristoteles und Plato von Heraklit, Pythagoras, Sokrates und den Eleaten. Hier aber treffen wir ihn bei seiner schwächsten Seite, grobe Verstöße gegen Chronologie und Litteraturgeschichte sind nicht selten.

Was nun den Plan betrifft, welchen A. seiner schriftstellerischen Thätigkeit zu Grunde legte, und die Weise, in der er ihn zur Ausführung brachte, so entspricht es völlig den gegebenen Andeutungen, wenn er zunächst die Philosophie oder vielmehr die weltliche Wissenschaft überhaupt zu einem vollständigen Ganzen zu entwickeln sucht, damit sodann das auf diesem Wege Gewonnene dem Gebäude der christlichen Theologie als Grundlage diene, und wenn er, um jenes erste Ziel zu erreichen, die aristotelische Lehre sammt den erklärenden oder ergänzenden Zuthaten ihrer späteren Bearbeiter zur Kenntnißnahme des Abendlandes bringt. Er übersetzt nicht selbst, denn er versteht weder griechisch noch arabisch, aber er verschafft sich Uebersetzungen, theils solche, die aus arabischen Uebertragungen, theils solche, die direct aus dem griechischen Originale gefertigt sind, er weiß sich in den Gedankenkreis, den er in ihnen vorfindet, so innig hineinzuleben, daß ihm dadurch ihre großen sprachlichen Mängel weniger fühlbar werden, und dann geht er daran, die aristotelischen Werke so zu sagen aufs [192] neue zu schreiben. Was er liefert sind darum keine eigentlichen Commentare, die dem Texte in durchgeführter Sonderung selbständig gegenübergestellt wären, sondern Paraphrasen in der Weise seiner arabischen Vorgänger, erweiternde Berichte, in welche die aristotelischen oder pseudoaristotelischen Worte aufgenommen und bald durch einzelne Zusätze deutlich gemacht, bald durch längere Excurse unterbrochen sind, in denen er den einen oder andern Punkt auf seine Weise, wenn auch stets im Anschlusse an aristotelische Grundsätze behandelt. Er beginnt mit den logischen Schriften, die er sämmtlich in der angegebenen Weise erläutert, ganz besonders wichtig aber ist die Wiedergabe der naturphilosophischen und naturwissenschaftlichen Lehren. Auch hier schließt er sich enge an die Schriften an, die er von Aristoteles in Besitz hat, zugleich bemüht überall Dunkelheiten aufzuklären, Zweifel zu lösen und Fehlendes zu ergänzen. Der Zusammenhang zwischen den einzelnen Theilen ist wo möglich noch enger geknüpft, jedenfalls noch ausdrücklicher betont, als bei seinem Gewährsmanne, um so weniger konnte er irgendwo eine Lücke dulden. Wo es ihm daher nicht gelang, eines aristotelischen Werkes habhaft zu werden, schrieb er es selbst so, wie er sich dachte, daß es von jenem geschrieben worden wäre, oder nach Maßgabe der Berichte, die er darüber bei Anderen fand; kam das Vermißte nachträglich in seinen Besitz, so schrieb er wol im Anschlusse daran zum zweiten Male über den gleichen Gegenstand. Aehnlich schaltete er ein, was von Aristoteles gar nicht behandelt worden war, wie die Bücher „Von den Mineralien“. Den Schluß des „Opus naturarum“ bildet die große Thiergeschichte, bei welcher er den 10 aristotelischen Büchern 6 weitere hinzufügt. In ähnlicher Weise wird dann auch Metaphysik und Ethik behandelt. An verschiedenen Stellen gibt er dabei die Versicherung, daß er in allen diesen Schriften nur die Ansichten der Peripatetiker, nicht seine eigenen habe darstellen wollen.

Allein auch da, wo wir nun diese selbst suchen möchten, hört die Anlehnung an den überkommenen Stoff nicht auf. In der „Summa theologica“ ist der eingehaltene Gang und die Auswahl der zu behandelnden Fragen den Sentenzen des Lombarden abgeborgt, das Neue und Unterscheidende stammt aus der Benützung des aristotelischen Materials. Darunter auch die Weise des Vortrags, welche von nun an die herrschende blieb, und zu deren Haupteigenthümlichkeiten es gehört, daß der positiven Erörterung jeder Frage die Aufzählung von Gründen und Gegengründen einer supponirten Entscheidung vorangeschickt wird. Es ergibt sich hieraus, daß von einem philosophischen Systeme Alberts im modernen Sinne gar nicht, und von ihm angehörigen Lehrmeinungen nur unter bestimmten Einschränkungen die Rede sein kann. Nicht eine unterschiedslose Wiedergabe der von ihm im Einzelnen vertretenen Ansichten führt daher zum Verständnisse seiner wissenschaftlichen Bedeutung, sondern die Würdigung seiner Stellung zu den ausgebildeten Gedankenkreisen, an die er anknüpft, der Art, in der er sie zu verwerthen oder auch zu ergänzen wußte, endlich der allgemeinen Richtung des theoretischen Denkens, welche als Resultat der verschiedenartigen, auf ihn einwirkenden Factoren in ihm sich mächtig erweist.

Als entschiedenes Verdienst Alberts ist nun sogleich seine scharfe Scheidung des philosophischen von dem theologischen Erkenntnißgebiete zu bezeichnen, und dies um so mehr, da hier die Grenze vielfach, nicht nur von Seite seiner arabischen und jüdischen Gewährsmänner, sondern auch von dem einen und andern seiner scholastischen Vorgänger verwirrt worden war. Die Offenbarung macht die Philosophie nicht unnütz, aber diese reicht allein nicht aus; für gewisse Glaubenslehren, wie das Mysterium der Trinität, fehlen der Vernunft die Ausgangspunkte, von denen her sie aus eigener Kraft zu ihrer Erkenntniß gelangen könnte. Im Zusammenhange hiermit ist sodann festzustellen, daß der Vorwurf, [193] welchen schon Zeitgenossen gegen ihn erhoben, wenn sie ihn den Affen des Aristoteles nannten, ihn nicht trifft. Ein sklavischer Nachahmer des großen Meisters ist er schon darum nicht, weil sein Ansehen, das er ihm in menschlichen Dingen bereitwilligst einräumt, sofort hinter dem der Kirche zurücktreten muß. Aber man thäte ihm Unrecht, wollte man annehmen, daß er, um dies zu erreichen, nur einfach die eine Autorität durch die andere zum Schweigen brächte. Daß eine Ansicht katholische Wahrheit sei, ist ihm freilich jederzeit der entscheidende Grund, ihr zu folgen, aber schon „um der Ungläubigen willen“ versäumt er nicht Vernunftgründe beizufügen und die Argumente der Gegner aus eben solchen zu bestreiten. Denn daß Vernunft und Offenbarung, Philosophie und Theologie, richtig entwickelt, sich in voller Harmonie zeigen müssen, ist die Grundvoraussetzung der patristischen, wie der scholastischen Speculation. Das Bild ist nicht neu, durch welches A. ihr gegenseitiges Verhältniß zu verdeutlichen sucht, wenn er sie verschiedenen Ausstrahlungen der nämlichen Lichtquelle vergleicht. Indem dabei von jenem Correctiv der kirchlichen Lehre ganz besonders die phantastischen Auswüchse der arabischen Speculation betroffen werden mußten, geschieht es, daß er selbst dem reinen Verständniß des Aristoteles ungleich näher kommt, so beispielsweise durch Beseitigung der Emanationslehre und das strenge Festhalten an der Einheit der menschlichen Persönlichkeit. Bei alledem accommodirt er sich gerne an die Ausdrucksweise seiner Vorgänger, besonders liebt er das Bild, wonach die Gottheit als das Licht und die einzelnen erkennbaren Dinge als ihre Strahlen erscheinen; aber weit entfernt, daß er sich hierdurch irgendwo zur Ueberschreitung der Grenzen verleiten ließe, welche sein kirchlicher Standpunkt ihm zieht, weiß er viel eher durch seine Andeutungen den Schein zu erwecken, als ob auch jene außerkirchlichen Philosophen im Grunde gar nichts Anderes behauptet hätten. Aber nicht nur an wichtigen Stellen bestimmt ihn sein christlicher Glaube, die philosophischen Führer zu verlassen, auch wo Motive dieser Art fehlen, macht er sich nicht selten von ihrer Leitung frei, um eine eigene Meinung, wenn auch dann gerne „sine praeiudicio“ einzuführen. Ungleich am häufigsten und mit größter Sicherheit stellt er in den naturwissenschaftlichen Schriften der Autorität des Aristoteles das Gewicht besserer Beobachtungen, eigener wie fremder, gegenüber; sie sind es, die ihm auch noch bei den Naturforschern unserer Tage ein ehrendes Andenken verschafft haben, und unter ihnen hat Humboldt wiederholt auf die Bemerkungen hingewiesen, welche das Buch „De natura locorum“ über die Bedingungen der klimatischen Unterschiede enthält. Soll nun freilich durch dies und Aehnliches die Meinung begründet werden, A. habe durch eigene tiefere Einsicht in die Gesetze der Natur seine ganze Zeit, ja noch die nächstfolgenden Jahrhunderte weit überragt, so müßte zuerst eine vollständigere Kenntniß der arabischen Litteratur die Vorfrage entscheiden, was von wichtigen Bemerkungen solcher Art auf Alberts Entdeckung zurückzuführen, und was gleich vielem minder Bedeutendem, das durch arabische Namen seinen Ursprung verräth, aus der Naturforschung der Araber geflossen sei. Gewicht wird man dagegen ein- für allemal darauf legen dürfen, wenn Fachgelehrte in seinen Beschreibungen von Pflanzen und Thieren, die er weder Andern zu entlehnen brauchte, noch bei der Beschaffenheit seiner Quellen in solcher Anschaulichkeit aus ihnen hätte herübernehmen können, ein entschiedenes Talent der Naturforschung, offenen Sinn, liebevolle Hinneigung an die Natur und den unermüdlichen Drang erkannt haben, das zerstreut Wahrgenommene in seinem Zusammenhange zu erfassen. Wenn er selbst es aber als die eigentliche Aufgabe der Naturwissenschaft bezeichnet, den Gründen der Begebenheiten nachzuspüren, so ist doch, was er hier bietet, ungleich weniger befriedigend. Zwar die nothwendige Voraussetzung aller Naturerklärung spricht er mit deutlichen [194] Worten aus: die Annahme einer gesetzlichen Verknüpfung der Ereignisse. Nicht was Gott wunderbarer Weise in den Dingen wirken könne, sondern was aus dem von Gott eingerichteten Weltzusammenhange naturgemäß hervorgehe, soll ihm Gegenstand der Untersuchung sein, und in Uebereinstimmung damit erklärt er sich nachdrücklich gegen Magie und Astrologie, die nur da ihr Wesen treiben können, wo der Gedanke eines gesetzmäßigen Naturlaufes nicht aufgegangen ist oder nicht festgehalten wird. Aber auf der andern Seite fehlt doch viel, daß es ihm in seinen Naturerklärungen gelänge, irgendwo auch nur einen festen Punkt zu erreichen. Wol haben wir mehr oder minder glaubwürdige Nachrichten von Versuchen, die er angestellt hätte, aber nirgends zeigt sich die Spur eines methodisch angelegten und mit vollem Bewußtsein über Ziel und Tragweite durchgeführten Experiments. Es ist dies kein Zufall: noch fehlt durchaus das klare Bewußtsein, daß nur da eine wirkliche Einsicht in die Gesetze des Naturlaufs möglich ist, wo man nicht bei der allgemeinen Vorstellung der möglichen Ursache eines Ereignisses stehen bleibt, sondern ganz genau die einzelnen Factoren aufsucht, von denen sein Eintreten abhängt, und wiederum für jeden dieser einzelnen ganz genau seinen Antheil an dem Zustandekommen nach Maß und Rechnung festsetzt. In den unbestimmten Benennungen des Kalten und Warmen, Trocknen und Feuchten, Dunstigen, Schleimigen, Erdigen glaubt dagegen A. ebenso wie einst im Alterthume Aristoteles, dem er sie entlehnt, ausreichende Erklärungsgründe zu besitzen, und zu ihnen, als den allgemeinen Principien, fügt er zahlreiche besondere Kräfte von Pflanzen, Thieren und Mineralien hinzu, ohne sich die Frage nach den Mitteln und den Gesetzen ihrer Wirksamkeit aufzuwerfen, oder den scheinbar einheitlichen Vorgang in die Vielheit der ihn bedingenden Elemente zu zerlegen.

Anderes steht damit im Zusammenhange. Jene theologische Richtung brachte es mit sich, daß man jedes Ding und jeden Vorgang unmittelbar mit den höchsten Beziehungen zu verknüpfen suchte. Den Weltplan im Ganzen glaubte man begriffen zu haben, und nur darauf kam es an, jedem Einzelnen innerhalb desselben seine gebührende Stelle anzuweisen. Daher das Ueberwiegen teleologisch-deductiver Erklärung, welche überall die Belege vorausgesetzter Zwecke auffindet, vor der mechanisch-analytischen, der vor Allem an den Mitteln ihrer Verwirklichung liegt, daher die naheliegende Verwechselung dessen, was die Dinge bedeuten, oder gewissen Voraussetzungen zufolge bedeuten können, mit dem, was sie ihrer besondern Natur und Wirkungsweise nach sind. Ein Beispiel diene zur Erläuterung. Aus der christlichen Schöpfungslehre auf der einen und platonisch-aristotelischen Gedanken über die Thätigkeit einer intelligenten Ursache auf der andern Seite war die geläufige Vorstellung entstanden, daß die empirische Wirklichkeit das Abbild göttlicher Ideen, ja gewissermaßen das geschöpfliche Nachbild Gottes selbst sei. Von den Kirchenvätern her behandelte man demgemäß in der Theologie die Frage nach dem vestigium oder dem Abglanze des dreipersönlichen Gottes in der Creatur, und wenn das Buch der Weisheit alle Dinge nach Zahl, Gewicht und Maß von Gott geordnet sein läßt, glaubte man darin bereits die Formen zu erkennen, in denen die heilige Dreizahl sich in den Geschöpfen ausgeprägt habe. Wo A. darauf zu sprechen kommt, verwerthet er wiederholt eine Stelle aus dem Buche „Von den Ursachen“, indem er sich das dort Gesagte völlig zu eigen macht. Es ist daher gestattet, darin den Ausdruck seiner Denkweise zu erkennen. Zahl findet sich hiernach in den Dingen, weil jedes Geschaffene eine Vielheit von constituirenden Principien aufweist. Denn überall ist zum Mindesten zu unterscheiden zwischen dem Ding und seinem Sein, außerdem zwischen solchem, was seine Gattung und solchem, was seine Artbestimmtheit und Individualität ausmacht. Sofern aber zwischen [195] diesen Principien eine nothwendige Beziehung besteht, indem das Eine vom Andern abhängig ist, liegt hierin gleichsam eine intelligibele Bewegung, in welcher das Eine nach dem Andern strebt, damit daraus das Ganze werde; das ist das Gewicht in den Dingen. Sofern endlich eine nothwendige Wechselbeziehung zwischen dem Ganzen und seinen constituirenden Elementen besteht, da aus ihnen nicht mehr und nicht weniger als eben dieses Ganze werden kann, und dieses andererseits nicht mehr und nicht weniger als gerade diese Principien erheischt, so ergibt sich daraus das Maß, welches sich in allen Dingen findet. Diese Stelle ist noch in andrer Hinsicht beachtenswerth, sie läßt sich als ein prägnanter Ausdruck jener hyperrealistischen Denkweise betrachten, welche mit der antiken Philosophie gleich anfangs auf das Mittelalter übergegangen war und nun durch die Zuführung des neuen Materials mit seiner Beigabe an neuplatonischer und arabischer Mystik eine abermalige Verstärkung erhielt. Allzuoft werden die verschiedenen Gesichtspunkte, welche das abstrahirende Denken an den Dingen zu unterscheiden weiß, verwechselt mit realen Elementen, auf welchen das Sein dieser Dinge beruht; was dem Denker aus irgend welchen Motiven als das Wichtigere und Bedeutungsvollere erscheint, prägt er um zu der Ursache, von welcher die Natur und Kraft der Dinge abhängt, und seine eigensten Gebilde gelten ihm als die zutreffenden Repräsentanten objectiver Gestaltungen. Es genügt zum Beweise an den Universalienstreit zu erinnern, der bereits seit dem 11. Jahrhundert die Schulen in feindliche Heerlager spaltete. Seit den großen Meistern der attischen Philosophie war es zum Dogma geworden, daß nur das Allgemeine das wahrhaft Erkennbare und eigentlich Wesenhafte an den Dingen sei, daher stritt man darüber, was das Allgemeine in die engen Grenzen des Individuums zusammenziehe, und welcher Art die Existenz des Allgemeinen sei. Man unterschied nach der Beantwortung der letzteren Frage Realisten und Nominalisten mit zahlreichen spitzfindig abgestuften Unterabtheilungen, aber die Fragestellung selbst war hyperrealistisch, eine richtig geleitete Untersuchung hätte das Umgekehrte festzustellen gehabt, was uns befähige und berechtige, die ursprünglich allein bekannten Einzeldinge unter allgemeinen Begriffen zu denken. Lateiner und Araber hatten hier mit einander gewetteifert, immer feinere Distinctionen aufzustellen und stets neue Betrachtungsweisen zu versuchen. A. geht mit größter Gewissenhaftigkeit auf alles ein, was ihm hierüber seine Quellen bieten, den verschiedenen Meinungen überall einen vernünftigen Sinn abzugewinnen bemüht. Mit Unrecht hat man daraus geschlossen, daß es ihm selbst an einer Meinung gebräche. Sein Standpunkt ist der des sogenannten gemäßigten Realismus, der der Sache nach allerdings das Richtige traf, wenn er, die Existenz der Universalien als solcher verneinend, die Form der Allgemeinheit aus dem Verstande herleitete, der sie dem von ihm erfaßten Wesen des Dinges hinzufüge. Aber darum bleibt ihm doch das Individuum das contrahirte Allgemeine; seinem allgemeinen Wesen gegenüber verhält sich das einzelne Ding nur wie sein zufälliger Träger, und die gleiche Denkweise zeigt sich, wenn den geistigen Substanzen zwar die Zusammensetzung aus Materie und Form abgesprochen, dagegen die aus quo est und quod est zugeschrieben wird.

In der Theologie ist Alberts Ruhm durch den seines Schülers Thomas verdunkelt worden, der ihn an Schärfe des Verstandes und systematischem Talente ohne Zweifel übertraf. Auch ist er selbst nicht dazu gekommen, die Lehre von der Erlösung und Heiligung und den letzten Dingen in seiner Summe zu behandeln. Wenn aber das Mittelalter den Aquinaten und seine Schüler Albertisten nannte, so erkannte es an, daß ihre wissenschaftliche Thätigkeit wesentlich auf dem Grunde beruhte, welcher von dem deutschen Meister gelegt worden war. Der eine Theil der Aufgabe, den er sich gestellt hatte, reichte in der That bereits [196] hin, ein Menschenleben auszufüllen, sein unermüdlicher Fleiß hatte von allen Seiten die Bausteine herbeigebracht, auch wol an einzelnen Stellen vorläufige Dispositionen getroffen, seinen Nachfolgern fiel es zu, das Gebäude wirklich auszuführen. Ueber der größeren Klarheit und Schärfe aber ging den Späteren ein Element verloren, welches bei A. mit dem wissenschaftlichen Interesse noch innig verbunden erscheint: es ist dies der unverkennbare Zug zur Mystik und das nirgends verleugnete Streben, sich in die gefundene Wahrheit betrachtend zu versenken. Zu den Schriften, welche ausschließlich dieses Gepräge tragen, sind seine Commentare zu den biblischen Büchern zu rechnen. Eine auf sprachlichen, historischen und antiquarischen Kenntnissen ruhende Exegese würde man in ihnen vergebens suchen, dagegen enthalten sie bis ins Kleinste durchgeführte allegorisch-moralische Deutungen, welche durch zahllose Väterstellen gestützt werden.

Ludovicus de Valleoleti, † 1436, Tabula quorundam Doctorum ord. Praed., darin Brevis historia de vita et doctrina Alberti magni, Auszüge bei Echard, Script. ord. Praed. I. 162 ss. Vita B. Alberti doctoris magni etc. compilatore Petro de Prussia, Köln 1486. Legenda B. Alberti magni etc. collecta per Rudolphum de Novimagio, Köln bei Johannes Koelhoff 1490. Sighart, Albertus Magnus, Regensburg 1857. Octave d’Assailly, Albert le Grand, Paris 1870. Schmeller in den Münchner Gelehrten Anzeigen Jahrg. 1850 Nr. 5. Seibertz, Geschichte der Stiftung des Klosters Paradies bei Soest (Zeitschrift für westphäl. Geschichte und Alterthumskunde, 7. Bd. 1856). Jourdain, Gesch. der Aristotel. Schriften im Mittelalter, deutsch von Stahr, Halle 1831, S. 281. Choulant und Thierfelder in Henschel’s Janus, Bd. I. S. 127 und 687. Bormans, Bullet. de l’Acad. Belgique. Bd. XIX. 1852. Pouchet, Hist. des sciences naturelles au moyen-âge ou Albert le Grand et son époque, Paris 1853, S. 203 bis 320. Meyer, Gesch. der Botanik, Bd. IV, Königsberg 1857, S. 9–84. v. Martens, Ueber die von A. M. erwähnten Landthiere, Archiv für Naturgesch., Jahrg. 24 Bd. I. S. 123–144. Zusätze von Jessen Jahrg. 33 Bd. I. S. 95–105. Joël, Verhältniß Albert des Großen zu Moses Maimonides, Breslau 1863. Haneberg, Zur Erkenntnißlehre von Ibn Sina und Albertus Magnus, Abh. der philos.-philol. Cl. der k. baier. Akad. der Wiss., XI. 1, München 1866, S. 189–267.