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ADB:Albrecht von Scharfenberg

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Artikel „Albrecht von Scharfenberg“ von Paul Hamburger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 583–586, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Albrecht_von_Scharfenberg&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 05:48 Uhr UTC)
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Scharfenberg: Albrecht v. S., Name eines mittelalterlichen Dichters aus bairischem ritterlichen Geschlecht, von dessen näheren Lebensverhältnissen wir nicht die geringste Kenntniß haben; ja es ist bis in die jüngste Zeit hinein zweifelhaft gewesen, welche Dichtungen ihm zuzuweisen sind. Der erste Band der v. d. Hagen’schen Minnesinger bietet unter Nr. 68 zwei Lieder eines Herrn „von Scharpfenberg“. Das erste enthält ein Zwiegespräch zwischen Mutter und Tochter: diese will im fröhlichen Maien zum Tanz, jene warnt vor dem Trug der Männer, die Junge aber schlägt die Ermahnungen in den Wind und springt davon; in dem anderen klagen zwei von ihren Liebhabern verlassene Mädchen einander ihr Leid und verbannen eine Dritte, die sich freudig ihres treuen Buhlen rühmt, aus ihrer Gesellschaft. Allein Weiteres läßt sich über diesen Herrn v. Scharfenberg nicht feststellen. In jedem Falle scheint er nicht identisch zu sein mit jenem Albrecht v. Scharfenberg, den wir nunmehr als den Verfasser dreier epischer Dichtungen anzusehen haben. Der Name Albrecht v. Scharfenberg wird uns nur von Ulrich Füetrer als der eines epischen Dichters bezeugt: er nennt ihn ausdrücklich als Autor der Quellen seines „Merlin“ und seines „Seifrid von Ardemont“ und hat für ihn Worte hoher Anerkennung; ihm gebührt aber auch, wie man schon seit langem, früher freilich ohne zureichende Begründung, angenommen, nach dem durch materielle Erwägungen gestützten Zeugnisse Füetrer’s die Autorschaft des sogenannten „Jüngeren Titurel“. Die Blüthezeit der dichterischen Thätigkeit Scharfenberg’s fällt, wie aus einigen historischen Hinweisen [584] des Jüngeren Titurel hervorgeht, in das dritte Viertel des 13. Jahrhunderts; er hat offenbar zu dem Hofe Ludwig’s des Strengen, Pfalzgrafen und Herzogs in Oberbaiern, in Beziehungen gestanden: denn er erwähnt im Jüngeren Titurel mehrfach den Fürsten, für den er sein Werk verfaßt hat; auch hat S. Boisserée auf zwei den Decken der Heidelberger Papierhandschrift 141 aufgeklebten Blättern 23 zum Theil verstümmelte Strophen aufgefunden, welche, von derselben Hand wie der Codex geschrieben, eine Widmung des Werkes an den Herzog darstellen. Für die Entstehungszeit der drei genannten Werke Albrecht’s läßt sich aus inneren Gründen die Reihenfolge vermuthen: Seifrid von Ardemont, Titurel, Merlin. Seifrid und Merlin sind uns nur in der Fassung erhalten, wie sie Ulrich Füetrer in seiner encyclopädischen Sammlung der mittelalterlichen Ritterromane überliefert hat, also in einer verkürzenden, auszugartigen Umarbeitung mit nivellirendem Stil. Der Seifrid mag eine Jugendarbeit sein, da er seinem Wesen nach erheblich von den beiden anderen Dichtungen absticht; er beruht auf des Dichters eigener Erfindung, die allerdings keine freie und originale ist, da sie durchaus bereits vorhandene, aus der höfischen und Spielmannsdichtung geschöpfte Motive verwerthet; das Ganze ist eine Häufung der üblichen ritterlichen Kämpfe und Abenteuer, in deren Mittelpunkt eine Liebesaffäre steht. Den Merlin hat Albrecht mit großer Treue nach dem französischen Prosaroman gearbeitet; nur in wenigen Einzelheiten finden sich Abweichungen; eingeschaltet ist ein Abriß der Geschichte von Joseph von Arimathia und der Begründung der Tafelrunde, für welche der Grand Saint Gral zur Quelle gedient hat; Albrecht’s Dichtung ist, soweit uns bekannt, die erste und einzige mittelhochdeutsche Bearbeitung der Merlinsage gewesen. Zwischen dem Merlin und dem ihm zeitlich voraufgehenden Titurel besteht eine engere Verwandtschaft in Stoff und Ton. Verräth doch Albrecht schon im Titurel Bekanntschaft mit den Sagen von Artus’ Eltern und von Joseph von Arimathia; nur behandelt er jene hier nach der Darstellung Gottfried’s von Montmouth in der Historia regum Britanniae. Der Jüngere Titurel, Albrecht’s einzige in ihrer originalen oder doch in annähernd originaler Gestalt auf uns gekommene Dichtung, ist wohl als sein Hauptwerk zu betrachten. Wenigstens scheint er in der Schätzung der mittelalterlichen Deutschen eine sehr hohe Stelle eingenommen zu haben: dafür spricht die ungewöhnlich große Zahl der Handsschriften, die uns noch theils vollständig, theils fragmentarisch erhalten sind. Jacob Pütrich v. Reichertshausen rühmt den Titurel in seinem Ehrenbrief 1462 als das vornehmste deutsche Gedicht. Allerdings ist Pütrich der Meinung, daß Wolfram v. Eschenbach, unbestritten die erste Autorität unter allen deutschen Meistern, der Verfasser des Titurel gewesen ist: er hat sich, wie wahrscheinlich die große Menge, durch ein Versteckspiel Albrecht’s täuschen lassen, der sich im Gedichte häufig „Wolfram“ oder „v. Blienvelden“ nennt, wenn er auch an anderen Stellen die Maske abwirft und Albrecht als seinen Namen angiebt. Im J. 1477 ist ein Druck des Werks veranstaltet worden. F. Zarncke hat sich der mühevollen Aufgabe unterzogen, in die wüste Masse der Manuscripte, welche untereinander theilweise sehr starke Verschiedenheiten aufweisen, Ordnung zu bringen; er hat drei Ueberlieferungsgruppen ausgesondert. Doch bleiben immerhin noch viele Unklarheiten bestehen, besonders über die Frage einer späteren Ueberarbeitung einzelner Partien; erst eine sorgfältige kritische Ausgabe könnte hier Licht verschaffen. – Der Jüngere Titurel ist eine Dichtung von gewaltiger Ausdehnung; der von K. A. Hahn besorgte Abdruck der Heidelberger Pergamenthandschrift 383 zählt 6207, der alte Druck sogar 6422 Strophen. Das Metrum ist die in den ersten beiden Langzeilen mit Binnenreimen versehene Strophe der Wolfram’schen Titurelbruchstücke, die nunmehr siebenzeilig ist und – bis auf wenige Ausnahmen, die fast sämmtlich ihre besondere Begründung haben – [585] durchweg klingende Reime aufweist. Das schwierige Versmaaß hat auf die Sprache des Dichters einen verhängnißvollen Einfluß ausgeübt; sie wird mitunter geschraubt bis zur Dunkelheit, und die Syntax zeigt allerhand Eigenthümlichkeiten, wie namentlich eine Vorliebe für Participialconstructionen. Den Hauptstock des Inhalts bildet die Erzählung von Sigune und Schionatulander, deren Anfänge dem Dichter bereits in Wolfram’s Titurelbruchstücken vorlagen. Diese Bruchstücke hat er auch einfach in seinen Text herübergenommen, vielleicht sogar ohne die Binnenreime einzuführen: einige Umstände scheinen darauf hinzudeuten, daß erst ein späterer Ueberarbeiter sich daran gemacht hat, die Reime anzuflicken. Im Jüngeren Titurel stecken auch sonst noch echte Wolframische Bestandtheile, deren Ausscheidung zuerst K. Bartsch versucht hat. Durch diese Verarbeitung Wolfram’scher Stücke ist Albrecht jedesfalls auf den Gedanken gebracht worden, sich selbst für Wolfram auszugeben. Die Geschichte Sigunens und Schionatulander’s nun wird mit einer Menge anderer Ereignisse umkleidet, die sie fast erdrücken. Einen sehr breiten Raum nimmt die Schilderung von Sarrazenenkämpfen ein, welche genau dem von Wolfram im Willehalm aufgestellten Muster folgen. Die Einleitung bildet eine Genealogie der Gralkönige bis auf Anfortas. Und in jene Haupthandlung sind mancherlei Geschichten von Artus, Parzival und Lohengrin verwoben. Albrecht besitzt eine für seine Zeit außerordentliche Belesenheit. In der heimischen Litteratur ist er völlig zu Hause; er kennt die höfische Dichtung, an der er auch gelegentlich Kritik übt, ebenso gut wie die Spielmannspoesie und die Volksepik. Er verfügt aber auch über gelehrte Bildung und prunkt gern mit seiner Gelehrsamkeit. Wie er im Merlin eine französische Quelle benützt, so ist er auch der lateinischen Sprache mächtig, wodurch er z. B. in den Stand gesetzt ist, die Historia des Gottfried v. Monmouth, die Schrift des Albertus Magnus De lapidibus nominatis und am Schluß in einem bedeutsamen Abschnitt den Brief des Priesters Johannes an den byzantinischen Kaiser Emanuel zu verwerthen. Mit den historischen Ereignissen scheint er gleichfalls vertraut zu sein. Insbesondere stehen ihm auch theologische Kenntnisse zu Gebote, wie er sich denn überall als ein Mann von strengster, fast fanatischer Rechtgläubigkeit erweist. Das dichterische Verdienst des Jüngeren Titurel ist nicht eben hoch anzuschlagen: es mangelt Albrecht an jeglicher Phantasie. Wo er nicht gegebenen Stoff verarbeitet, greift er schon vorher von Anderen verwendete Motive auf. Sein Vorbild ist Wolfram; da er aber der schöpferischen poetischen Kraft entbehrt, läuft sein Verfahren auf eine äußerliche Nachahmung hinaus, welche die Bestrebungen des Meisters breit tritt und verflacht. Das oberste Merkmal von Albrecht’s Darstellung ist eine geradezu unerträgliche Weitschweifigkeit. Jede Kleinigkeit wird mit behäbiger Wichtigthuerei behandelt und bis ins einzelnste ausgemalt. Mit besonderer Vorliebe ergeht sich Albrecht in symbolisirenden Ausdeutungen, moralisirenden Betrachtungen und stark ans abgeschmackte streifenden Spitzfindigkeiten. So wird der an sich recht dürftige Stoff zu einer Dichtung von übermäßigem Umfang auseinanderzogen. Gleichwohl ist der Jüngere Titurel merkwürdig, schon weil er uns sonst nicht erhaltene Wolframische Stücke überliefert hat. Er enthält ferner eine Reihe von Anspielungen und Einzelheiten, welche ihm für uns ein nicht geringes litterarhistorisches Interesse verleihen. Berühmt ist die ausführliche Beschreibung des wunderbaren Graltempels. Auch läßt sich aus der ungemeinen Beliebtheit, deren das Werk sich erfreute, ein Rückschluß auf die ästhetischen Bedürfnisse seiner Verehrer machen.

Charakteristiken des Jüngeren Titurel in den verschiedenen deutschen Litteraturgeschichten. – K. A. Hahn, Der Jüngere Titurel. Abdruck der Heidelberger Handschrift 383. Quedlinburg und Leipzig 1842. – F. Zarncke, [586] Der Graltempel. Vorstudie zu einer Ausgabe des Jüngeren Titurel. Leipzig 1876. – S. Boisserée in den Abhandlungen der philosophisch-philologischen Classe der königl. bair. Akademie der Wissenschaften, I, 384 ff. – Zarncke, Der Priester Johannes. Leipzig, I 1879; II 1876. – K. Bartsch, Germania XIII, 1 ff. – Spiller, Zeitschrift für deutsches Alterthum XXVII, 158 ff. – Hamburger, Zeitschrift für deutsche Philologie XXI, 404 ff.