ADB:Püterich von Reichertshausen, Jakob

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Artikel „Pütrich von Reichertshausen, Jakob“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 744–746, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:P%C3%BCterich_von_Reichertshausen,_Jakob&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 15:54 Uhr UTC)
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Pütrich: Jakob P. von Reichertshausen stammte aus dem alten Münchener Patriciergeschlechte der P. und zwar aus demjenigen Zweige, der, seit der Mitte des 14. Jahrhunderts im Besitze des Sedels zu Reichertshausen (swischen München und Ingolstadt), von diesem Besitze Namen, Wappen und Nobilitätsrang erhalten hatte. Die Häufigkeit des Vornamens Jakob in dieser Linie beeinträchtigt die Sicherheit der Lebensdaten für den Einzelnen. Jakob P., der Dichter des Ehrenbriefs, wurde 1400 (in München?) geboren, wahrscheinlich als Sohn des gleichnamigen streitbaren Stadtfeindes von Augsburg. Es scheint, daß der reise- und abenteuerlustige Jüngling zugegen war, als Kaiser Siegmund 1420 die Hussiten in Prag belagerte. Die Sehnsucht nach der entschwundenen Ritterzeit, die ihm sein Leben lang anhaftet, sucht er in eifriger Pflege des Turnierwesens zu stillen; die turnierfähigen Geschlechter Baierns kennt er bis ins Detail und verfolgt ihre Geschichte mit treuem Interesse; auf den Münchener Turnieren von 1427 und 1434 zeichnet er sich als „guter Gesell“ aus und 1439 betheiligt er sich gar am Ausschreiben eines Turniers ebenda. Ein langjähriger Proceß, den er mit seinem Stiefvater über einen Theil des väterlichen Erbes führen muß, wird 1440 zu seinen unbedingten Gunsten entschieden. Spätestens seit diesem Jahre, vielleicht schon erheblich früher (1431?) erscheint P. als herzoglich bairischer Hofrath und hat diese Stellung bis zum Tode inne gehabt. Doch hat sie ihn nicht ständig an München gefesselt. 1442 (vom 18. Juni bis zum 3. Januar 1443) war er als Richter und Vorsteher in den Rath von Landshut delegirt; 1452 wohnte er dem Einzug Kaiser Friedrich’s in Rom bei, wohin ihn sein Weg auch später wieder führte, und von seinen Reisen in Brabant und Ungarn erzählt der Ehrenbrief. Von dem Ansehen, dessen er sich erfreute, zeugt die Thatsache, daß er sich März 1466 unter den fünf Räthen befand, die unter dem Vorsitz des Hofmeisters Veit v. Egloffstein den jungen und nicht immer einträchtigen Herzögen Sigmund und Albrecht IV. zur Seite gestellt wurden. Verheirathet war P. dreimal. Er starb wahrscheinlich 1469, 7 Jahre nach Vollendung des Werkchens, dem er sein bescheiden Theil Unsterblichkeit verdankt.

Es war der glänzenden Kunst der staufischen Dichter gelungen, über die Utopien des höfischen Ritter- und Minnewesens einen täuschenden Schimmer lebensvoller Schönheit auszugießen, der vergessen machte, daß es sich da zu gutem Theile nur um erträumte und keineswegs unbedingt erstrebenswerthe [745] Ideale handle, der auf spätere Geschlechter den Eindruck einer verschwundenen goldenen Wirklichkeit machte, welche sich vielleicht gar wieder realisiren lasse. Von Ulrich v. Liechtenstein an bis auf Kaiser Maximilian kennen wir eine lange Reihe von schwärmerischen Naturen, die inmitten einer rauhen und rohen Gegenwart Trost suchten und Hoffnung bei den dichterischen Bildern einer scheinbar herrlichen Vergangenheit. Bei thatkräftigen Personen steigert sich diese Sehnsucht bis zu den abenteuerlichsten Extravaganzen; bei allen wol, die doch eben Kinder ihrer, einer andern Zeit waren, äußert sie sich mit einer steifen, unbehilflichen Plumpheit, die gerade im Contrast zu dem verfeinerten Gefühlsleben, der vollendeten Formschönheit jener ersehnten Periode zugleich rührend und erheiternd wirkt. Schon die Zeitgenossen empfanden diese Komik oft genug. Auch P. konnte seine angesehene Stellung nicht vor den Foppereien der Hofleute retten. Seine Freude an ritterlichen Spielen, am Turnier ließ man gelten, nicht völlig aber seine unbegrenzte Leidenschaft für alte Ritterromane. Aus modernen Sachen machte er sich Nichts: um aber ein altes Buch, etwa gar von Wolfram oder Gottfried, in seinen Besitz zu bringen, da scheut er keine Mühe, keine Mittel. Von ihm selbst wissen wir, wie wenig wählerisch er in diesen Mitteln war. In 40 Jahren hat er die sehr stattliche Zahl von 164 Büchern, weltlichen und geistlichen, zusammengebracht: aber wie? „mit stellen, rauben, auch darzue mit lehen, geschenkt, geschriben, gekauft und darzue funden“. Sein Abgott ist Wolfram, „der hochbekannt mit tichtes kunst so gar in teutschen welden, das im halt nit geleichet“. P. hat eine weite Reise daran gewandt, um an Wolfram’s Grab in Eschenbach für die Seele des großen Dichters zu beten, wie er ein ander Mal in einem Kloster bei Lüttich die Gruft des berühmten Reisenden Johannes Mandeville gesehen und die Grabschrift copirt hat. Verehrung für Wolfram führt ihn mit dem jungen Landshuter Maler und Dichter Ulrich Füterer zusammen, der nach 1487 sich die Zauberkunst der Medea wünscht, um seinem Gönner P. das Leben wiedergeben zu können, wie dieser Jahre seines Lebens opfern möchte, um den Dichter der Jagd, Hadamar von Laber, vom Tode loszukaufen. Und in aller Bescheidenheit wagt P. selbst ein Paar kleine poetische Versuche.

Von den Liedern und Reden seiner Jugend ist uns Nichts erhalten. Wir kennen nur den Ehrenbrief, den er am Kathrinenabend 1462 vollendete und in einem Akrostichon der Herzogin Mechthild von Oesterreich zueignete. Eine bairische Edeldame hatte ihm das Bild der Fürstin in den wundervollsten Farben gemalt. Er wußte, daß auch sie starke litterarische Interessen besitze. Während freilich der bairische Hof im Wesentlichen die rückwärtes gewandte Geschmacksrichtung Pütrich’s theilte, war Mechthilds Residenz Rotenburg vielmehr der Mittelpunkt eines sehr modern angeregten Kreises; aber P. fühlte diesen Gegensatz wol nicht in ganzer Schärfe und schätzte in der Herzogin die Tochter ihres Vaters, des Pfalzgrafen Ludwig des Bärtigen, dessen alte Bücherschätze er einst in Heidelberg voll neidischer Bewunderung angestaunt hatte. So richtet er an sie eine poetische Epistel, halb Liebesbrief, halb Geschlechtsregister und Bücherkatalog. Dies wunderliche Gemengsel wird in 148 Strr. in des Labers gemeinem Ton, d. i. in der verkünstelten Titurelstrophe abgehandelt. P. überschätzt sein Können nicht; er hofft, daß gewandtere Dichter aus Mechthild’s Umgebung seine Verse bessern, er weiß, daß seine Kunst „nit hoch, nur nider nistet“, daß sein Gedicht nicht „schon und feielfar“ sei, er macht keinen Anspruch darauf, „ein poet teutsch nit unlieblich“ zu heißen, wie ihn die Unterschrift seines Bildes nennt. Sein Ungeschick ist besonders lustig in dem überschwänglichen, von gespreiztem Unsinn strotzenden ersten Theil, in dem er zeigt, daß er den Minnesang wohl kenne. Obgleich „seins leibs luceren“ Mechthild nie sahen. [746] obgleich seinen 62 Jahren die Amorschaft wenig ansteht, wie ihm Frau Anna sehr unzweideutig zu Gemüthe führt, trotzdem sähe er die Herzogin lieber als alle Blumenauen; der Wind, der aus ihrem Lande weht, würde sein Herz laben, wenn er etwas jünger wäre; die Krone gäbe er hin, um ihr nahe zu sein, sei’s auch nur als Ofenheizer; ein Kranz aus ihrem Garten wäre ihm lieber als der Kranz, den Gawan der Orgeluse vom Baume des Gramoflanz brach; und als Lohn seiner Ergebenheit bittet er, daß sie nächste Fastnacht seine Amie heiße, ja er verstärkt die Bitte durch ein Geschenk, ein Paar niedlicher römischer Schuhe für ihre kleinen Füßchen, deren Maß er freilich nicht kenne. Mitten in diese minniglichen Phrasen schneit eine lange Episode hinein, Verzeichniß und Statistik der bairischen turnierfähigen Geschlechter; daß während Pütrich’s Lebzeiten nicht weniger als 17 ausstarben, gibt Anlaß zu einer Klage über die Macht des Todes. Mechthild scheint dies altmodische Liebesgefasel, dessen gespenstische Leblosigkeit an Gestalten E. T. A. Hoffmann’s gemahnt, so harmlos hingenommen zu haben, wie es gemeint war; sie läßt den biedern Greis gar zur Vollendung drängen und schickt ihm einen Katalog ihrer Bibliothek, den er in einer Nachschrift erwidert. Diese Nachschrift ist für uns das weitaus Interessanteste an Pütrich’s Arbeit. Ein Vergleich ergibt zur Evidenz, wie Mechthild vorzüglich für neue und neueste Litteratur Sinn hat, während für P. noch immer der Titurel „das haubt ab teutschen puechern“ ist. Er besaß mhd. Gedichte, von deren Existenz wir nur durch ihn erfahren. Der Zug des Herzens verleitet ihn, wider Recht und Brauch die weltlichen Bücher vor den geistlichen zu nennen, und Gewissensbisse bleiben nicht aus. Wir aber werden dem guten alten Herrn, der im Leben ein hoher und tüchtiger Beamter war, gern das Närrische in der ehrlichen Schwärmerei seiner Mußestunden nachsehen; nicht die schlechtesten Geister waren es, die von einer unfruchtbaren Gegenwart unbefriedigt die versinkenden Schätze der Stauferzeit festzuhalten suchten. Nur sehr allmählich drang der Humanismus Ersatz schaffend in das Geistesleben des deutschen Adels, der deutschen Höfe ein, und erst die Reformation, die im letzten Grunde auch dem Humanismus zu Gute kam, hat den Nachwirkungen der mhd. Dichtung einen vorläufigen Abschluß zu geben vermocht.

Einen Abdruck des Ehrenbriefs gibt Karajan in der Zeitschr. f. deutsches Alterthum, 6, 31 fg.; doch ist dort die Versabtheilung sehr fehlerhaft und zur Herstellung eines verständlichen Textes nichts geschehen. – Monographie von Adelung, Leipzig 1788. – Eine vortreffliche Charakteristik Pütrich’s bei Uhland, Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage, 2, 250 fg. – Ueber das Biographische vgl. ferner Freiberg, Sammlung historischer Schriften und Urkunden III, 265; Oberbair. Archiv 36, 158; Zeitschr. f. deutsches Alterth. 27, 278 ff.; Strauch, Pfalzgräfin Mechthild, S. 38 fg.; über das Litterarhistorische Scherer, Anfänge des deutschen Prosaromans, S. 16.