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ADB:Berthold von Regensburg

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Artikel „Bertold von Regensburg“ von Julius Hamberger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 546–549, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Berthold_von_Regensburg&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 10:56 Uhr UTC)
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Bertold von Regensburg, Franciscanermönch und Wanderprediger, geb. um 1220, † 13. Dec. 1272 in Regensburg. Er wird gewöhnlich der Bruder Berthold von Regensburg genannt, wie denn auch diese alte Reichsstadt aller Wahrscheinlichkeit nach sein Geburtsort ist, während Augsburg und Winterthur gleichfalls auf die Ehre, ihn den Ihrigen nennen zu dürfen, Anspruch gemacht haben. Jedenfalls ist er in Regensburg erzogen und herangebildet worden, und sein vorzüglichster Lehrer war der treffliche David von Augsburg (s. d. Art.), der in dem neu errichteten Minoritenkloster als Novizenmeister und Professor der Theologie wirkte, und mit welchem B. sein ganzes Leben hindurch in dem innigsten Freundschaftsverhältniß blieb. Herrlich entwickelten sich unter der Leitung dieses ausgezeichneten Mannes die ungewöhnlichen Fähigkeiten des Knaben und Jünglings. Die ersten Proben seiner Beredsamkeit legte B. natürlich in Regensburg selbst ab, um das J. 1250 aber trat er aus dem engen Raum des Klosters in die Welt hinaus, wie ja den Brüdern des Franciscus von Assisi allenthalben, wo sie es eben für gut halten mochten, zu predigen und Beichte zu hören gestattet war. Der erste und nächste Schauplatz seiner Thätigkeit war Niederbaiern; 1253 erschien er, bereits hochangesehen, in Landshut; im nächsten Jahre predigte er in Speyer; von da zog er rheinaufwärts durch das Elsaß über Colmar nach der Schweiz, wo wir ihn in verschiedenen Orten und Städten des Aargaus und Thurgaus, in Klingnau, Wyl und Zürich und dann in Constanz predigend treffen. Mehr als einmal durchzog er die oberen Lande, wie er denn wahrscheinlich im J. 1256 durch das Toggenburg und Sargans nach Graubündten ging. In den Jahren 1257 und 1258 weilte er, theilweise wenigstens, in Augsburg bei seinem geliebten Lehrer und übte hier und in Schwaben sein Predigtamt. Gegen Ende des J. 1259 treffen wir ihn abermals in der Nähe des Rheins, namentlich in Pforzheim. Von jetzt an wendete er sich den östlichen Landen zu; zuerst betrat er Oesterreich, dann Mähren und Böhmen, und selbst nach Ungarn scheint er gekommen zu sein, wo er dann vor Zuhörern, die des Deutschen nicht kundig waren, eines Dolmetschers sich bediente. Auf der Rückreise aus Böhmen und Schlesien mag er auch Thüringen besucht haben; daß er in Franken gepredigt habe, sagt er selbst. In den letzten Jahren seines Lebens scheint er keine größeren Reisen mehr gemacht, sondern seinen Wirkungskreis auf Baiern beschränkt zu haben. Im November des J. 1271, als er gerade in Regensburg predigte, wurde ihm, wie erzählt wird, die Todesstunde [547] seines geliebten Lehrers – es starb derselbe zu Augsburg am 16. Nov. 1271 – geoffenbart; nicht viel über ein Jahr später, den 13. Dec. 1272, sollte auch er selbst aus dem Leben scheiden. Die Beerdigung Bertolds erfolgte in der Minoritenkirche, und es sind seine irdischen Ueberreste zum größten Theile noch jetzt in Regensburg vorhanden.

Die Anziehungskraft, welche B. auf seine Zeitgenossen ausübte, war eine ganz außerordentliche. Wohin er kam, drängte sich das Volk in ungeheuren Massen zu ihm heran; die Chronisten sprechen von 60000, ja von 100000 und mehr Zuhörern. Meistens predigte B. im Freien, auf Feldern und Wiesen, auch wol von einer Anhöhe oder von einem Baume herab, auf welchem ein Gerüst für ihn erbaut war, wie denn noch im siebzehnten Jahrhundert eine Linde bei Glaz den Namen der „Bertolds Linde“ führte. Natürlich vermochten auch so nur die Wenigsten seine Worte zu vernehmen, doch mochte es den Uebrigen schon etwas Großes sein, ihn nur zu sehen, und der Eindruck, den er hervorgebracht, wird theilweise wol auch auf diejenigen übergegangen sein, die ihn nicht hatten hören können. Die Zeit aber, in welche seine Wirksamkeit fiel, war eine höchst traurige und verwirrungsvolle. Sehr verderblich hatte schon der erbitterte Kampf zwischen Papst und Kaiser auf die staatliche und sittliche Ordnung eingewirkt, und ebenjetzt erschien der Kaiserthron so herabgewürdigt, daß kein Deutscher mehr Verlangen trug, ihn einzunehmen. Die Fürsten und Städte bekriegten einander, plünderten und verheerten das Land; der Adel gefiel sich in Wegelagerung und Straßenraub; statt des Rechtes herrschte allenthalben nur die Gewalt, und das schwer bedrängte Volk fiel der Verwilderung und der Verzweiflung anheim. Da erschien B. und wußte mit der Macht seines Wortes die Gewaltthätigen zu beugen, die Erbitterten zu besänftigen, die Gemißhandelten zu trösten. Vornehme und geringe Räuber brachte er dazu, ungerechtes Gut zurückzuerstatten, wie er denn z. B. auf den Ritter Albrecht von Sax einen solchen Eindruck machte, daß derselbe das Schloß Wartenstein und die Vogtei an das Koster Pfäfers zurückgab. Ebenso vermochte er auch den Ritter Ludwig von Liebenzell, seinen langwierigen Streit mit der Markgräfin Irmengard von Baden auf gütlichem Wege zu schlichten. Oftmals kam es vor, daß Sünder, von seiner Predigt getroffen, vor Schmerz über ihr Vergehen ohnmächtig zusammensanken, andere aber aufstanden und laut beichteten, wie denn ein Mädchen im Thurgau wegen unerlaubten Gebrauches der Schönheit öffentlich Buße that, wo dann, als B. ihre reuende Seele allgemeiner Vergebung empfahl, sogleich einer vom Volke sie zum Weibe nahm.

Solche Wirkungen hervorzubringen, setzt nun freilich nicht blos eine ganz besondere geistige Begabung, sondern auch und hauptsächlich ein ebenso tief in Gott wurzelndes als von warmer Menschenliebe erfülltes Herz voraus, und in letzterer Beziehung hatte B. ohne Zweifel seinem Lehrer, David von Augsburg, sehr viel zu verdanken. David gehörte zu den edelsten Repräsentanten der Mystik, und es begegnen uns in Berthold’s Predigten nicht selten Spuren jenes innigen Zusammenlebens mit der Gottheit, wie es nur den eigentlichen Mystikern eigen ist, und in das er eben auch eingetreten war. Vorherrschend war jedoch Bertolds Richtung eine praktische, und wir finden in ihm recht eigentlich einen Mann des Volkes, dessen Lage und Verhältnisse, dessen Sitten und Bestrebungen er bis in alle Einzelheiten kannte und auf dessen Standpunkt er sich ganz und gar zu stellen wußte, um es von da aus um so sicherer dem höchsten, ewigen Ziele entgegenzuführen. So ist denn auch seine Darstellung eine durchaus volksmäßige, voll Kraft und Natürlichkeit, die Bilder überall zutreffend, nirgends gehäuft, immer edel, und niemals, wie etwa bei Abraham a Sancta Clara, ans Possenhafte anstreifend. Die gewaltigsten Contraste treten bei ihm zu Tage; [548] oft ist es geradezu, als ob sich der Himmel mit seiner ganzen Herrlichkeit vor uns erschließe, um diejenigen aufzunehmen, die Gottes Wege wandeln wollen, und wiederum, als ob die Hölle mit all ihrer Qual sich aufthue, um die Ungerechten in ihren Abgründen versinken zu lassen.

Die Tugenden, auf welche B. bei aller Gelegenheit dringt, sind innere Demuth und Reue und Wiedererstattung jeglichen ungerechten Erwerbes; ohne das seien alle äußerlichen Bußen und Reinigungen von gar keinem Erfolge. Wer ungerechtes Gut bei sich behält, den könne nichts von der Verdammniß retten. „Das kannst du nicht büßen, sagt B., mit einer Fahrt übers Meer. Man gibt dir jetzt das Kreuz von dem Papst, übers Meer zu fahren für zehn Seelen. Aber wenn du auch hinüberfährst mit diesem Kreuz und mit dem, woran St. Peter und St. Andreas gemartert wurden, und das heilige Grab wieder gewinnst und die Heiden fern und nahe bezwingst und erschlagen wirst im Dienst Gottes, und wenn du dich legen ließest in das heilige Grab, worin Gott selbst lag, und auf dich legtest alle diese Kreuze und das noch dazu, woran Gott selbst starb, und stände Gott zu deinem Haupt und St. Maria zu deinen Füßen und alle Engel auf der einen und alle Heiligen auf der andern Seite, und nähmest den heiligen Gottes Leichnam in deinen Mund: die Teufel brächen dir die Seele doch aus dem Leibe und führten sie hinab in den Grund der Hölle.“

In einer andern Predigt geht B. den verschiedenen Handwerkern nach und verurtheilt ihre mannigfaltigen Betrügereien. Wiederum warnt er davor, Kindern oder Verwandten ungerechtes Gut anzusammeln. „Daß wir Gut und Verwandte lieb haben, das gönnet uns Gott wohl, denn er hat uns Alles zu Nutz geschaffen, und darum sollen wir Gott lieb haben. Es will aber auch Gott, daß ihr euern Kindern lieber minder zurücklasset, als daß ihr ihnen unrecht Gut gewinnet, und auch, daß ihr andere Sünden lasset um seinetwillen. So schlägt einer den andern todt, oder schwört einen Meineid um eines Verwandten willen; da sollst du alle Welt nicht darum nehmen oder tausend Welten. Niemand soll Verwandte oder Gut so lieb haben oder irgend ein ander Ding, daß er Gottes Huld darüber verliere.“

Ueber die Flüchtigkeit des ganzen Erdenlebens sagt er, alle Weltherrlichkeit sei wie der Blick eines schnellen Reiters in eine flimmernde Krambude, und wie bedenklich es sei, mit der Buße zu zögern bis zum Todbette, veranschaulicht er damit, daß er zu erwägen gibt, wie doch ein Mann, der immer ganz blind gewesen sei, wohl schwerlich auf den ersten Schuß einen Vogel treffen werde. „Gottes Anschauung, sagt er dagegen, ist also minniglich und süß, daß man ihrer nie gesättiget und müde wird. Keiner Mutter war je ihr Kind so lieb, sollte sie es drei Tage ansehen ohne Unterlaß und sonst nichts thun, als ihr liebes Kind ansehen: sie äße am vierten Tage viel lieber ein Stück Brod. Wenn man aber zu einem Menschen spräche, der jetzt bei Gott ist: du hast zehn Kinder auf dem Erdreich, und du sollst ihnen allesammt erkaufen, daß sie Ehre und Gut haben bis an ihren Tod, damit, daß du einen einigen Augenblick von Gottes Angesicht thust, nur so lange, als einer die Hand mag umkehren; und sollst dann wieder zu Gott sehen und dann dein Auge nimmermehr von ihm kehren; – der Mensch thäte es nicht.“ Sehr schön ist auch, wie B. denjenigen gegenüber sich ausspricht, die da sagen, daß unser Herr keine Zeichen und Wunder mehr thue. „Nun seht, antwortet er ihnen, er thut gar große Zeichen alle Tage; nur weil sie so gewöhnlich sind, wollet ihr sie nicht dafür halten. Die Sonne ist ein groß Zeichen, nur daß ihr es gewohnt seid. Ferner, man wirft das Korn in die Erde; das läßt Gott verfaulen in der Erde, daß das Zeichen desto größer sei, und dann läßt er anderes Korn aus dem faulen Korn wachsen, daß alle Welt gespeist werde. Ebenso läßt er den edeln wohlschmeckenden Wein [549] aus saurem Wasser werden, denn die Weinreben ziehen den Saft aus der Erde; der versauert in den Reben, und daraus macht er alle Jahre den edeln, guten Wein. Nun sehet, ob das nicht ein schönes Zeichen ist. Und jetzund will ich euch noch ein anderes großes Zeichen sagen, das unser Herr alle Tage thut. Er thut dies Zeichen alltäglich, daß er die ganze Welt empor hat gehängt, daß sie auf nichts schwebt; Berge, Wasser und alles Erdreich, das schwebet empor auf nichts!“ –

B. hat uns seine Predigten, aus denen hier nur einige wenige Stellen beispielsweise ausgehoben werden konnten, nicht in eigener Aufzeichnung hinterlassen; doch sind sie uns ohne Zweifel mit aller Treue und Genauigkeit überliefert. Als sehr auffallend muß es aber erscheinen, daß eben diese Predigten, die noch jetzt auf jedermann einen mächtigen Eindruck hervorzubringen nicht verfehlen können, Jahrhunderte lang in den Bibliotheken wie begraben und vergessen blieben, bis erst im J. 1824 Dr. Kling, damals Repetent in Tübingen, auf Anregung von August Neander, einen Theil derselben herausgab. Jakob Grimm sprach sich über diese Erscheinung im XXXII. Bande der Wiener „Jahrbücher für Litteratur“ in einer ausführlicheren Anzeige aus, die er nachmals selbst in seiner Autobiographie für eine seiner besten Arbeiten dieser Art erklärte. Es folgte dann eine vollständige Sammlung der Predigten Bertolds in neudeutscher Uebersetzung von F. Göbel, mit einem Vorworte von Alban Stolz, Schaffhausen 1850–51, in zweiter, vermehrter Auflage Regensburg 1857. Im Originaltext ließ ebendiese Predigten Dr. Franz Pfeiffer zu Wien 1862 erscheinen; der zweite Band, der Nachträge, Nachweise über die handschriftlichen Quellen, ihre Benutzung und Bearbeitung, auch eine Art von Commentar und am Schlusse noch ein Wörterbuch enthalten sollte, kam wegen inzwischen eingetretenen Dahinscheidens des Herausgebers nicht mehr zu Stande.