ADB:Birch-Pfeiffer, Charlotte
[655] Stuttgart, † 25. Aug. 1868 in Berlin. Ihr Vater, würtembergischer Domänenrath, trat 1806 als Oberkriegsrath in bairische Dienste und übersiedelte nach München. Im J. 1809 erblindete er. Die frühreife neunjährige Charlotte wurde seine Vorleserin. Der Vater, ein Mitschüler Schiller’s auf der Karlsschule, wird als männlicher Geist und classisch gebildeter Mann geschildert. In seinem Umgange, auf den sie fast allein angewiesen war, und im Verkehr mit den classischen Dichtern, die sie dem blinden Vater vorlas, bildete Charlotte ihren Geist. Die vom Vater vererbte Vorliebe für Schiller und seine Dramen entzündete ihre Leidenschaft für das Theater. Kaum dreizehnjährig, betrat sie am 13. Juni 1813 zum ersten Male die Bühne des Isarthor-Theaters in München als Prinzessin Thermutis in Lindpainter’s Melodram „Mosis Errettung“. Die Erlaubniß der Eltern hatte sie nach langem, hartnäckigem Kampf gegen ihr Vorurtheil errungen, unterstützt durch das Fürwort des Königs Max Joseph. Bald folgten andere Rollen und Hof wie Publicum zollten ihr so reichlichen Beifall, daß sie schnell eine bevorzugte Stellung errang. Sie entwickelte sich nach dem Muster der Sophie Schröder, und hatte namentlich in leidenschaftlichen Rollen, wie Sappho, Medea, Maria Stuart Erfolg. Während ihres Münchener Engagements, das bis 1826 dauerte (1825 hatte sie den Schriftsteller Dr. Christ. Andr. Birch, einen Dänen, geb. 20. März 1795, der durch sie eine Anstellung bei der Theater-Intendanz in München fand, geheirathet) unternahm sie verschiedene große Kunstreisen, welche ihren Namen in der deutschen Theaterwelt vortheilhaft bekannt machten. Sie spielte 1818 in Prag, 1822 und 1823 in Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim, Darmstadt, Frankfurt, Wien, Kassel, Hannover, Berlin, Dresden, und Hamburg mit Glück. Nachdem sie München gänzlich verlassen, gastirte sie wiederholt in Hamburg, dann in Danzig, Königsberg, Riga und Petersburg. 1827 kam sie über Riga, Reval, Danzig, Breslau, Leipzig, Prag aus Rußland zurück und trat ins Engagement am Theater an der Wien. 1830 ging sie von hier nach Pest, Brünn, Breslau und Berlin, und kehrte endlich nach München zurück, ohne jedoch in ein festes Engagement zu treten, obwol sie sich hie und da in Gastrollen zeigte. Von München aus unternahm sie alljährlich Kunstreisen, die sie u. a. nach Amsterdam, Hamburg und Berlin führten. 1838 übernahm sie die Direction des Theaters in Zürich, die sie bis 1843 führte. 1844 wurde sie von Herrn v. Küstner als Ersatz für die berühmte Amalie Wolff, geb. Malcolmi, die in Pension ging, an das königl. Theater in Berlin berufen. In diesem Engagement verblieb sie bis zu ihrem Tode. Trotz der zahlreichen Erfolge, die sie als Schauspielerin errungen, hat sie den Ruf wahrhafter Künstlerschaft nicht hinterlassen. Sie besaß wol geistige Energie und Leidenschaft, aber ihr Talent war von den Grazien verlassen. Sie wußte stark und energisch zu motiviren, aber nicht schön und harmonisch auszuführen. Auch ihre äußeren Mittel waren kräftig, aber nicht edel. Der Körper voll und üppig, das Antlitz aber gedrängt und von etwas hervortretenden Augen nicht eben verschönt, die Stimme aber stark und rauh, von tiefem, fast männlichem Klange. Ihre Spielweise war derb und grell. Viel wichtiger ist sie als Schauspiel-Directorin, am wichtigsten als Schauspieldichterin geworden. Die Zeit ihrer Züricher Direction gilt als das goldene Alter der schweizerischen Bühnen. Sie wußte ihr Theater zweiten Ranges durch energische und sachgemäße Leitung in die vordere Linie deutscher Theaterunternehmungen zu stellen, und bildete sich in einem reichen Repertoire ein wohlgeschultes, sehr tüchtiges Ensemble. Als Schauspieldichterin trat sie zuerst in Wien auf 1828 mit einem Drama „Herma“, das nach einem van der Velde’schen Romane gearbeitet war. Es hatte keinen Erfolg. Bald aber machte sie volles Theaterglück mit „Schloß Greifenstein“, „Pfefferrösel“ u. a. Sie arbeitete [656] anfänglich nur nach Erzählungen, brachte später eine große Anzahl Originalstücke, und kehrte endlich zur Bearbeitung von Romanen zurück. Van der Velde, Walter Scott, Victor Hugo, die Bremer, Storch, Auerbach, die Kavanagh, Georges Sand, Wilkie Collins u. a. waren die Fundgrube, aus denen sie ihre Stoffe nahm. Unstreitig besaß sie ein starkes Talent, die Architektonik der Composition, die Oekonomie der Wirkungen verstand sie in hohem Grade. Das zeigen ihre dramatischen Bearbeitungen von Romanen ebenso, wie ihre Originalstücke, denen man übrigens Erfindungsreichthum, lebhafte Phantasie und leidenschaftliche Energie ebenso zusprechen muß, wie den Mangel an Geschmack. Ihre colossalen Erfolge erweckten ihr eine Legion von Neidern, die in ihren Angriffen weit über das Ziel hinausschossen. Mit Recht rühmt Ed. Devrient ihren Stücken den deutschen Charakter nach. Sie waren ehrbar und von sittlicher Tendenz und übten ein heilsames Gegengewicht gegen die frivolen fremdländischen Erzeugnisse, denen sie den Zutritt auf das deutsche Theater nicht verwehrten, doch erschwerten. Den Schauspielern bot sie gute und dankbare Rollen und bereitete ihnen wenn auch oft wohlfeile, doch nie unwahre und unnatürliche Erfolge. Ihre Wirksamkeit ist von größerem Einfluß gewesen auf die Schauspielkunst als auf die Litteratur. Jetzt sind die meisten ihrer Stücke, deren sie gegen hundert verfaßte, vom Repertoire verschwunden. Nur „Dorf und Stadt“, „Die Waise aus Lowood“ und „Die Grille“ haben noch Lebensfähigkeit. – Am 13. Juni 1863 feierte sie ihr Jubiläum unter der Theilnahme der ganzen deutschen Theaterwelt. Im Sommer 1868 war sie nach einer Brunnencur in Karlsbad – sie litt an Gicht und Katarrh der Augen und Lunge - zur Nachcur nach Nauheim in Hessen gegangen. Von dort berief man sie an das Krankenlager des Gatten nach Berlin, wo sie am 25. August starb. Am 27. Aug. begrub man sie auf dem Jerusalemer Kirchhof.
Birch: Charlotte B., geborene Pfeiffer, gewöhnlich Birchpfeiffer genannt, Schauspielerin und dramatische Dichterin, geb. 23. Juni 1800 in- Gesammelte dramat. Werke, 13 Bd. Leipz. 1863 ff. – Gesammelte Novellen u. Erzählungen, 3 Bde., das. 1863 ff., vgl. dazu Brümmer, Dichterlexikon S. 63; ferner Theaterlexikon von Blum, Herloßsohn und Marggraf; G. Horn in Entsch’s Bühnenalmanach 1864 u. 1869. – Ed. Devrient. Gesch. der deutschen Schauspielkunst, Bd. IV. u. V. – H. Laube in der N. fr. Presse vom 6. Sept. 1868.