ADB:Maximilian I. (König von Bayern)

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Artikel „Maximilian Josef I., König von Baiern“ von Karl Theodor von Heigel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 31–39, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Maximilian_I._(K%C3%B6nig_von_Bayern)&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 07:54 Uhr UTC)
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Maximilian Josef I., König von Baiern, geb. am 27. Mai 1756 zu Mannheim. Sein Vater Herzog Friedrich Michael, Herzog von Zweibrücken, stand als Oberst des Regiments d’Alsace in französischen, dann als General in österreichischen Diensten; 1746 wurde ihm von seinem Bruder Christian IV. die Grafschaft Rappoltstein abgetreten, im nämlichen Jahre vermählte er sich mit Maria Franziska Dorothea, Prinzessin von Sulzbach. Der dritte Sohn, nach seinem Pathen, dem Kurfürsten von Baiern, M. J. genannt, verlebte seine Jugendzeit in Mannheim und Zweibrücken. Von seinen Erziehern und Lehrern übte Abbé Salabert, später pfälzischer Minister, nachhaltigsten Einfluß. Manche Mängel und manche Vorzüge der Regierungsthätigkeit des nachmaligen Königs erklären sich daraus, daß ihm bis zum reiferen Mannesalter keine Aussicht eröffnet war zur Stellung eines Souverän zu gelangen, daß er demgemäß auch nicht zum Regenten erzogen war. Der nachgeborne Sohn eines nachgebornen Prinzen, mußte er die Einladung, in französische Dienste zu treten, annehmen. Gleich seinem Vater wurde er 1777 Oberst des Regiments d’Alsace und wohnte bis zum Ausbruch der Revolution fast ununterbrochen in Straßburg, wo ihm der sogenannte Zweibrücker Hof an der Broglie-Promenade gehörte. Das Project einer Heirath mit einer Gräfin von Brionne scheiterte am Widerstand der verwandten Kurfürsten von Baiern und Kurpfalz. 1785 vermählte er sich mit Wilhelmine Auguste, Prinzessin von Hessen-Darmstadt. Seines jovialen Charakters wegen war der deutsche Prinz in militärischen wie in bürgerlichen Kreisen beliebt; mit den Offizieren der Garnison stand er in cordialstem Verkehr. Auch als König erinnerte er sich noch gern an jene Straßburger Tage. Während die übrigen deutschen Fürsten nur durch die Erfolge der napoleonischen Waffen zu Franzosenfreunden umgewandelt wurden, entsprach bei M. J., der die glücklichsten Jahre seines Lebens in Frankreich und in französischen Diensten verlebt hatte, die Politik der persönlichen Neigung. Unruhen bei Ausbruch der Revolution nöthigten den Prinzen, mit seiner Familie nach Mannheim überzusiedeln. Sein Haus, früher Eigenthum der Freiherrn v. Venningen, war allen Emigranten gastlich geöffnet, sodaß der Prinz, der nur über eine spärliche Rente verfügte, in Schulden gerieth und von den Ständen Baierns mehrmals Geldgeschenke erbitten mußte. Als sich die Franzosen anschickten, Mannheim zu belagern, wandte sich M. J. nach Darmstadt, später nach Rohrbach an der Bergstraße. Durch das unvermuthete Ableben des älteren Bruders Karl August (1. April 1795) wurde er regierender Herzog von Zweibrücken, verfügte jedoch vorerst nur über einen leeren Titel, da das Herzogthum von den Franzosen besetzt war. Nun konnte er auch als präsumtiver Erbe des kinderlosen Kurfürsten von Pfalz-Baiern gelten; er besuchte auch wiederholt München und wurde hier um so populärer, da es bekannt war, daß er trotz finanzieller Bedrängniß große Summen, die ihm vom Wiener Hof für Zustimmung zur Abtretung baierischen Gebiets angeboten waren, ausgeschlagen hatte. 1796 erhob er gegen neue Tauschpläne Oesterreichs, die er aus Mittheilungen eines Generals der österreichischen Rheinarmee kennen gelernt hatte, offen am Regensburger Reichstag Protest, was einen förmlichen Bruch zwischen Karl Theodor und seinem Erben zur Folge hatte. Um sich gegen die geplante Verkürzung zu sichern, trat M. J. mit dem Berliner Hofe in Verbindung. Allein trotz aller Warnungen und Proteste dauerten die [32] Verhandlungen zwischen Karl Theodor und dem Wiener Cabinet fort, österreichische Truppen blieben mit Zustimmung des Kurfürsten auch nach dem Friedensschluß von Leoben in Baiern, die Katastrophe schien bevorzustehen, da starb unerwartet Karl Theodor (16. Februar 1799) und M. J. übernahm sofort die Regierung. Mit ihm hielt, kann man sagen, die neue Zeit Einzug in Baiern; unter keinem Fürsten seit Kaiser Ludwig erfuhr das Land so tiefgreifende Veränderungen, wie unter dem ersten Regenten aus der Zweibrückener Linie. Der Münchener Hof gewann rasch ein anderes Aussehen. Die Lippert und Zedtwitz wurden von ihren einflußreichen Aemtern entfernt, die bisher für die einzelnen Landestheile bestehenden Ministerien aufgehoben und Fachminister an die Spitze der Departements der auswärtigen Angelegenheiten, der Justiz, der Finanzen und der geistlichen Angelegenheiten gesetzt, die Leitung des Kriegswesens behielt sich der Kurfürst selbst vor. Daß er bei Ausbruch des zweiten Coalitionskriegs auf Seite Oesterreichs trat und sich zur Reichshilfe bereit erklärte, mußte nach dem Vorausgegangenen fast überraschen. Bald sah er sich gezwungen, vor den in Baiern eindringenden Franzosen nach Amberg zu flüchten. Die Franzosen drangen ein, das österreichisch-bairische Heer wurde bei Hohenlinden geschlagen, erst nach dem Friedensschluß von Luneville (9. Februar 1801) konnte der Fürst in seine Hauptstadt zurückkehren. Den deutschen Reichsfürsten war officielle Theilnahme an den Friedensunterhandlungen nicht gestattet, allein aus französischen Regierungskreisen gelangte an M. J. ein Wink, daß das Wiener Cabinet wieder mit den alten Wünschen hervorrücke und diesmal sogar Einverleibung von ganz Baiern bis an den Lech anstrebe. Als Act der Nothwehr läßt sich demnach entschuldigen, daß M. J. am 24. August 1801 mit der französischen Regierung einen Separatvertrag einging, wonach er die ohnehin schon seit Jahren von den Franzosen besetzten pfälzischen Territorien an Frankreich abtrat, während ihm der Besitzstand auf dem rechten Rheinufer garantirt und für das linksrheinische Gebiet angemessene Entschädigung in Aussicht gestellt wurde. Durch den Reichsdeputationshauptschluß von 1803 wurden denn auch die säcularisirten Hochstifte Regensburg, Freising, Augsburg, Bamberg und Würzburg und Theile von Passau und Eichstädt mit dem Kurfürstenthum Baiern vereinigt. Nicht minder wichtig als dieser Verlust und Zuwachs für den Staatskörper war die Umwälzung, die sich im Innern auf allen Gebieten des kirchlichen, politischen und socialen Lebens vollzog. Während der Besetzung Münchens durch die Franzosen machte eine weitverzweigte Partei Anstrengungen, um mit Hilfe Frankreichs die Republikanisirung Süddeutschlands durchzuführen. In Proclamationen und Pasquillen wurden gegen den neuen Kurfürsten die heftigsten Vorwürfe erhoben, daß er seine Pfälzer ungerecht bevorzuge, mit den französischen Emigranten conspirire, durch einen Subsidienvertrag mit England seine Landeskinder verkauft habe, enorme Privatschulden dem Lande aufbürde etc. Die revolutionäre Bewegung scheiterte an der Weigerung Moreau’s, auf die Pläne der Clubisten einzugehen, und am gesunden Sinn der Mehrheit des Volkes. Im Gegensatz zur Illuminatenhetze unter Karl Theodor verschmähte M. J., nach dem Abzug der Franzosen jenen geheimen Umtrieben nachzuspüren und zum Schutze des Bestehenden Häscher und Tribunale in Bewegung zu setzen. Die Regierung erkannte vielmehr ihre Aufgabe darin, die Forderungen der neuen Zeit, die seit der großen Revolution in allen Staaten immer lauter erhoben wurden, anzuerkennen und darnach, soweit es mit der Autorität der Dynastie vereinbar, die Gesetzgebung einzurichten. „Neuerungen aufzuhalten, welche das unaufhaltsame Fortschreiten des menschlichen Verstandes und das Bedürfniß der Zeit jeder achtsamen Regierung abnöthigen, liegt so wenig in der Macht der Regierungen wie das Gebot, einen Strom stillstehen zu lassen. . . . Mit Klugheit und Entschlossenheit sind die Bewegungen [33] zu leiten, welche vielleicht auch eine Zeit lang, aber doch nur mit großem Nachtheil, vielleicht nur mit Verlust des Ganzen zurückgedrängt werden könnten.“ Diese Worte des Postulatrescriptes vom 11. Februar 1800 enthalten das Programm desjenigen Ministers, der die Seele der neuen Bewegung war, Montgelas. In der Biographie dieses Staatsmannes wird daher die innere Rechtsgeschichte Baierns in dieser wichtigen Reformperiode näher zu erörtern sein. Hier soll nur in Kürze darauf hingewiesen werden, welche Stellung M. J. in dem alle Volkskreise aufregenden Kampfe des Neuen mit dem Alten einnahm. M. J. war in den Ideen des Zeitalters Ludwigs XVI. aufgewachsen und zu vertraut und befreundet mit französischer Litteratur, als daß er sich dem strengen Confessionalismus, den er in Baiern antraf, hätte fügen können. Nicht blos Gewissensfreiheit sollte in seinem Lande herrschen, sondern auch jede Bevorzugung der einen oder anderen Religionspartei sollte aufhören, der Werth eines Staatsbürgers fortan nicht nach dem bemessen werden, was er glaube, sondern nach dem, wie er handle. Von solcher Ueberzeugung beseelt, griff der Fürst selbst in einzelnen Fällen energisch ein, z. B. als es sich darum handelte, den Widerstand des Magistrats und des landständischen Ausschusses gegen die Ansässigmachung eines Protestanten in München zu brechen. Sowol das in dieser Angelegenheit an den Münchener Stadtrath gerichtete, – vom rechtlichen Standpunkt ohne Zweifel anfechtbare – kurfürstliche Handbillet vom 29. Juli 1801, als auch das Rescript auf die Vorstellungen des landständischen Ausschusses vom 26. August 1801 bewiesen, daß M. J. die Bahn des aufgeklärten Absolutismus einzuschlagen gedenke, und daß fortan auch in Baiern das Staatskirchenrecht nach denjenigen Grundsätzen geregelt werden sollte, die in Preußen schon seit Friedrich II., in Oesterreich seit Josef II. zur Herrschaft gekommen waren. Im Allgemeinen war also die vom Minister verfolgte Kirchenpolitik auch diejenige des Monarchen, dagegen läßt sich, wenn man den friedliebenden Charakter des Fürsten in Rücksicht zieht, schwer begreifen, wie gerade unter seiner Regierung in Religions- und Kirchenangelegenheiten so willkürlich und gewaltthätig verfahren werden konnte. Denn auch die Freunde des neuen Systems klagten „über die rohe Art der Ausführung, über den Beamtenvandalismus, über die leichtfertige Verschleuderung der vielen Millionen, die man aus den eingezogenen Stiftern und Klöstern gewann“. Zur Entschuldigung solcher Hast und Härte verweist Perthes auf „die Verderbtheit der früheren Obrigkeit“ und die Zähigkeit des Widerstandes der klerikalen und feudalen Kräfte. Auch ein gewisser Widerwille Maximilian Josephs gegen Geschäftsdiscussionen mochte dazu beitragen, daß nicht blos dem aufgeklärten Staatsmann Montgelas, sondern auch seinen rationalistischen Beamten keine Schranken gezogen wurden. Freilich ist es arge Uebertreibung, wenn Herr v. Lang den Sachverhalt so darstellt, als hätte sich M. J. um die Regierung überhaupt nicht gekümmert und nur selten und nur mit Montgelas über Staatsangelegenheiten verhandelt; die Acten aller Ministerien enthalten ja tausend eigenhändige, häufig sehr ausführliche Signate, die von der eigenen Regierungsthätigkeit Maximilian Josefs keineswegs ungünstiges Zeugniß geben. Ebenso ungerecht ist der von Gams erhobene Vorwurf, M. J. habe um des Beifalls der „frivolen Aufklärer“ willen „Baiern um den Ruhm und das Bewußtsein eines katholischen Staates gebracht“. Freilich wurde mit den Liga-Erinnerungen gründlich gebrochen, aber M. J. regierte auch nicht mehr über das Kurfürstenthum Maximilians I., sondern über einen Staat, der außer den altbaierischen Erblanden beträchtliche protestantische Territorien umfaßte. – Schon auf dem Congreß zu Regensburg, der sich mit Regelung der Entschädigungen für die am Luneviller Frieden Betheiligten zu beschäftigen hatte, trat die Absicht Bonaparte’s [34] zu Tage, aus Baiern einen Mittelstaat zu bilden, der gegen Oesterreich gute Dienste leisten, selbständig aber sich nicht vertheidigen konnte und deshalb auf Frankreichs Hilfe angewiesen war. Die freundschaftlichen Beziehungen der bairischen Regierung zu den Tuilerien blieben dem Wiener Cabinet nicht verborgen, in Folge davon gab es fort und fort Differenzen zwischen den beiden Nachbarn, ja Kaiser Franz wollte sogar schon zur Besetzung der Oberpfalz schreiten, und nur russische Intervention verhinderte den Ausbruch der Feindseligkeiten. Dessenungeachtet war M. J., als Oesterreich an Frankreich 1805 den Krieg erklärte, keineswegs fest entschlossen, an der Seite Frankreichs gegen den Kaiser zu fechten. Er wollte dem Beispiel Preußens folgen, aber eine Zeile Napoleons an Talleyrand: „Ich will nicht leiden, daß Baiern neutral bleibt!“ (13. August 1805) zog jenem Wunsche eine Schranke. Treitschke tadelt nicht blos im Allgemeinen, daß die baierische Regierung, den Befehlen Napoleons gehorsam, die österreichischen Unterhändler durch erheuchelte Friedensbetheuerungen so lange zu täuschen suchte, sondern erhebt speciell gegen den Kurfürsten den schweren Vorwurf, er habe sein Ehrenwort dafür, daß seine Truppen keinen Schwertstreich führen würden, mithin für eine bewußte Unwahrheit verpfändet. In den Memoiren des Ministers Montgelas wird der Sachverhalt folgendermaßen aufgeklärt. Allerdings war das Bündniß mit Frankreich schon geschlossen (29. August 1805), aber die Vorstellungen des im Auftrag des Kaisers Franz nach München gekommenen Fürsten Schwarzenberg wirkten auf den Kurfürsten so erschütternd, daß er sich zur Absage an Napoleon und zur Annahme der österreichischen Anträge entschloß; nun warf aber Montgelas seinen ganzen Einfluß in die Wagschale und bat um seine Entlassung; der Kurfürst wagte nicht, sie anzunehmen, und wechselte neuerdings seinen Entschluß, zur Bestürzung der Gesandten Oesterreichs und Rußlands, die sich schmählich mystificirt glaubten. In der Nacht vom 8. September flüchtete der Kurfürst nach Würzburg; von hier aus erließ er einen Aufruf, der die Verbindung mit Frankreich als Act der Nothwehr gegen Oesterreichs heimliche Anschläge rechtfertigen sollte. Die Oesterreicher besetzten München, aber bald darauf hielt Napoleon festlichen Einzug, wieder wenige Wochen später wurde die Entscheidungsschlacht bei Austerlitz geschlagen, unmittelbar darauf der Friede zu Preßburg geschlossen (26. December 1805). Der Bundesgenosse Frankreichs erhielt beträchtlichen Antheil an der Kriegsbeute, u. A. die Markgrafschaft Burgau, das Fürstenthum Eichstädt, die Grafschaft Tirol mit Vorarlberg und viele schwäbische und fränkische Reichsstädte und Herrschaften; auch die Markgrafschaft Ansbach wurde von Preußen abgetreten, während auf Würzburg und Berg verzichtet werden mußte. Erst durch diese Erwerbungen in Schwaben und Franken war zu einer freieren Entwickelung Baierns als eines modernen Staates die Grundlage geboten, aber freilich war es immer noch eine schwierige Aufgabe, aus so heterogenen Bestandtheilen ein einheitliches Ganzes zu bilden. Im Preßburger Vertrag war festgesetzt, M. J. sollte zwar Mitglied des Deutschen Reichs bleiben, aber den Königstitel annehmen; eine Proclamation vom 1. Januar 1806 gab kund, daß sich der bairische Staat „zu seiner ursprünglichen Würde emporgehoben habe“. Die Auflösung der alten Reichsverfassung war unvermeidlich, der 12. Juli 1806 brachte die Katastrophe. Der neue König Baierns und 15 andere deutsche Fürsten traten dem Rheinischen Bund unter Napoleons Protectorat bei; bald darauf sagten sie sich ausdrücklich von der Gemeinschaft mit dem Deutschen Reiche los. Die Stiftung des neuen Bundes brachte wieder zahlreiche Gebietsveränderungen, für Baiern den wichtigen Gewinn der Reichsstadt Nürnberg. Den Rheinbundfürsten war zwar dem Namen nach volle Souveränetät eingeräumt, aber selbstverständlich durften sie keine andere Politik treiben als die von Napoleon vorgezeichnete, ihre Truppen waren Soldaten [35] der „großen Armee“, ihre Gesandten nur Gehilfen der französischen Diplomatie. Aus den oben dargelegten Gründen erhellt, warum sich M. J. zu einer Rolle, die nach legitimistischer Auffassung für eine der ältesten Dynastien Europa’s etwas Demüthigendes hatte, leichter als andere Fürsten verstand. Es kostete nicht viel Mühe, ihn zu überreden, daß er, um die Verbindung mit Frankreich durch Bande des Bluts fester zu knüpfen, seine Tochter dem Stiefsohn Napoleons, dem Sohne des Generals Beauharnais, zur Gattin gab. Man pries in München die Fügung, daß wieder eine baierische Königstochter, wie einst Theodelinde, des Langobarden Autharis Braut, nach Italien zog, um einen Königsthron zu besteigen, daß gerade ein Herrscher, der in Ideen und Thaten Karl dem Großen nacheiferte, das von diesem Frankenkönig an Baiern verübte Unrecht zu sühnen geneigt war. Im November 1807 nahm M. J., von seiner Gemahlin, dem Kronprinzen und Minister Montgelas begleitet, an den glänzenden Festen Theil, die zu Ehren Napoleons und Eugens in Oberitalien gefeiert wurden. Auf Hin- und Rückreise besuchte er Tirol; sein joviales, leutseliges Wesen ließ ihn gerade hier die Gunst des Volkes rasch gewinnen, aber allzugroße Freigebigkeit mit Zusagen und Versprechen blieb nicht ohne schädliche Folgen. Es machte böses Blut, daß die für das ganze Königreich geltende Verfassung von 1808 alle Corporationen und Privilegien der einzelnen Provinzen aufhob, während doch wenige Monate vorher der Monarch selbst erklärt hatte, an der landständischen Verfassung Tirols werde niemals gerüttelt werden. Auch in anderen Fällen waren Milde am unrechten Ort und Wohlthätigkeit ohne sorgfältige Prüfung vom Uebel; während oft zu den wichtigsten Dingen die Mittel fehlten, hatten die Bettler und Parasiten im Ueberfluß. Andrerseits waren die patriarchalische Einfachheit und die Leutseligkeit des Königs gerade in jenen bewegten Jahren auch politisch wichtige Factoren. Die allgemeine Zuneigung ließ leichter über manche Härte hinwegsehen. Wenn auch in den an Baiern gefallenen Reichsgebieten, deren manches eine glorreiche Geschichte aufzuweisen hatte, der Sondergeist nicht auf einmal erlosch, so regte sich doch keine Feindseligkeit gegen einen so wohlgesinnten Regenten, Baierns Heinrich IV., wie ihn der von Kiel an die Landshuter Hochschule berufene Jurist Feuerbach nannte. Es gab keine Bambergische oder Ansbachische Faction im Lande, nur die Tiroler, insbesondere durch die kirchlichen Neuerungen gereizt, erblickten in der Vereinigung mit Baiern eine schmähliche „Unterjochung“. Als sich Oesterreich 1809 noch einmal zum Krieg mit Napoleon aufraffte, erhob sich auch das Volk der Berge zu verzweifeltem Kampf, um die Herrschaft der „Freimaurer“ abzuschütteln. M. J. wäre auch diesmal lieber neutral geblieben. Montgelas wies aber darauf hin, daß sich Baiern mit Frankreich zu weit eingelassen habe, als daß es sich im bevorstehenden Entscheidungskampf eine passive Haltung erlauben dürfte, und M. J. ließ sich auch diesmal überreden. Als die Oesterreicher den Inn überschritten, begab er sich nach Dillingen, wo er mit Napoleon zusammentraf und durch die glänzendsten Versprechungen getröstet wurde. Napoleon bewährte auch in den Treffen um Regensburg seine oft erprobte Ueberlegenheit; die Niederlage bei Aspern konnte auf einen Augenblick Zweifel wachrufen, aber der Sieg bei Wagram zerstreute alle Besorgnisse. Der Wiener Friede vom 14. October 1809 brachte aufs Neue beträchtlichen Gewinn, die Markgrafschaft Baireuth, das Inn- und Hausruckviertel, die ehemals geistlichen Territorien Salzburg und Berchtesgaden; nur Südtirol war an das Königreich Italien abzugeben. Furchtbare Opfer hatte die Behauptung des Alpenlandes gekostet. Vergebens suchte Kronprinz Ludwig im Auftrage des Vaters dem wenigstens nach Niederwerfung Oesterreichs völlig nutzlosen Blutvergießen Einhalt zu thun. Als endlich der Aufstand erdrückt war, drang Napoleon darauf, die störrischen Bauern durch strengeres Regiment gefügig zu [36] machen, aber M. J. wollte lieber auf Beschwichtigung und Versöhnung hinwirken. Ueber das Verfahren der Franzosen, die ihm, wie er sagte, seinen Hofer erschossen, war er empört; den Sohn Speckbacher’s ließ er auf seine Kosten studiren. Im Allgemeinen war die Politik des bairischen Cabinets nur darauf gerichtet und konnte vorerst nur darauf gerichtet sein, sich durch Gefügigkeit und Pünktlichkeit die Gunst des Protectors zu wahren. Allein schon regte sich auch in Baiern eine Partei, die in der Abhängigkeit von einer fremden Macht eine Demüthigung erblickte und auf die Wiedervereinigung der deutschen Stämme ihre Hoffnung setzte. Dem Könige lag zwar solche Auffassung fern, aber gerade er mußte schmerzlich empfinden, daß der nimmer endende Krieg so viele Menschenopfer forderte. Auch Handel und Gewerbe konnten sich bei der Unsicherheit aller Verhältnisse nicht erholen, trotz aller Siege ging der Wohlstand zurück, Abgaben und Schulden stiegen auf beängstigende Höhe. „Mein Land ist sehr unglücklich“, sagte M. J. schon 1809 zu General Rapp, „wenn es so fortgeht, bin ich genöthigt, den Schlüssel unter’s Thor zu legen und davonzugehen.“ Bei Stiftung des Rheinbundes hatten die Fürsten der Hoffnung Ausdruck verliehen, daß der mächtige Protector „nur Befestigung der inneren und äußeren Ruhe sich angelegen sein lassen werde.“ Seither hatten sie vollauf Gelegenheit gehabt sich zu überzeugen, daß das napoleonische System mit ruhigen und friedlichen Zuständen ein für allemal unvereinbar, daß die Aufgabe der souveränen Bundesgenossen in Wahrheit darin bestehe, die immer weiter greifenden Eroberungspläne eines willkürlichen Gebieters ausführen zu helfen. Als der Krieg gegen Rußland begonnen und soeben ein bairisches Contingent von 30,000 Mann den Marsch nach Polen angetreten hatte, kam Graf Mercy-Argenteau als französischer Botschafter nach München. Obwol gerade er durch den Systemwechsel von 1813 peinlich betroffen wurde, spricht er in seinen Denkwürdigkeiten doch nur mit Achtung von Baiern und zollt insbesondere den liebenswürdigen Eigenschaften des Königs Anerkennung. Der Gesandte möge ihn recht oft besuchen, bat M. J. bei der ersten Audienz, aber ja alle Etiquette zu Hause lassen. Die Worte des Königs sind überaus charakteristisch für dessen Sinnesart. „Ich bin nicht den ganzen Tag König, ich war nicht dazu bestimmt es zu werden, und bin glücklich, wenn ich Augenblicke finden kann, in denen ich es vergessen darf, um mit Männern von Ihresgleichen vertraulich zu plaudern, – kommen Sie also zu mir, so oft Sie wollen, und vor Allem ohne Ihre Ministeruniform, die ich nur bei Festlichkeiten sehen will; anderen Falls würden Sie mich verpflichten, ebenfalls meine Uniform anzulegen, und das paßt mir gar nicht.“ Er sprach nur mit Bewunderung vom genialen Kaiser, klagte aber auch unverhohlen über dessen schwer zu ertragende Willkür, sowie über die Brutalität einiger französischer Beamten und Generäle. Als die große Armee immer weiter ins Innere Rußlands vordrang, wurde M. J. ängstlich. Wenn man es nicht mit dem Kaiser zu thun hätte, meinte er, müßte man die Lage höchst bedenklich finden, „aber er hat uns an Wunder gewöhnt“! Als aber doch der Feldzug scheiterte, erklärte sich zwar der König zu neuen Opfern bereit, und es war gewiß nicht Verstellung, wenn er in seinen Briefen an Napoleon Anhänglichkeit und Ergebenheit betheuerte; immerhin ließ er geschehen, daß sein Ministerium in Fühlung mit dem neutralen Oesterreich trat, um für alle Fälle den baierischen Besitzstand sicher zu stellen. Durch den Uebertritt Oesterreichs auf Seite der Verbündeten wurde diese Verbindung wieder gelöst und die glänzenden Siege Napoleons bei Großgörschen und Bautzen ließen den König lebhafte Genugthuung empfinden, daß er der Versuchung, von Napoleon abzufallen, widerstanden hatte. Rasch änderte sich jedoch die Lage. Die Prager Conferenzen zerschlugen sich, ein starkes österreichisches Corps rückte an die baierische Grenze, General Wrede bezeichnete seine Stellung am Inn als [37] gänzlich unhaltbar. Ungeduldig drang nun auch der König in den französischen Gesandten, er möge doch seinem Hofe die wehrlose Lage Baierns schildern und ausgiebige Unterstützung fordern. „Napoleon fuhr jedoch fort“, – diese Worte Mercy’s enthalten die bündigste Rechtfertigung des Königs – „von Baiern eine Treue zu beanspruchen, die bald geradezu unmöglich werden mußte.“ Die Prinzen Ludwig und Karl bestürmten den Vater, die günstige Offerte des Wiener Hofes rechtzeitig anzunehmen, die öffentliche Meinung verlangte immer allseitiger Anschluß an die Verbündeten, das französische Hauptquartier aber ließ alle Anfragen und Bitten einfach unbeachtet. Da gab der König in einer Conferenz im Landhaus des Ministers Montgelas zu Bogenhausen am 7. October 1813, durch die dringenden Vorstellungen Wrede’s überwunden, seine Einwilligung zu einem Vertrag mit Oesterreich, der am 8. October zu Ried zum Abschluß gedieh. Baiern wurde der Fortbestand als unabhängiges Königreich und der ungetheilte Besitz aller Provinzen, in geheimen Artikeln für den Fall, daß Gebietsabtretungen nothwendig werden sollten, ausreichende Entschädigung zugesichert. Bei einer Zusammenkunft mit dem Gesandten Mercy in Mainz machte Napoleon dem heftigsten Unwillen über den „Verrath“ des Königs von Baiern Luft. „Der König wird mich nächstes Jahr wiedersehen und soll sich daran erinnern; es war ein kleiner Fürst, den ich groß gemacht, es ist ein großer Fürst, den ich klein machen werde!“ Jedoch nicht Napoleon fand Gelegenheit nach Deutschland zu kommen, sondern die bairischen Truppen zogen an der Seite ihrer natürlichen Bundesgenossen in der französischen Hauptstadt ein. Durch den Pariser Vertrag vom 3. Juni 1814 gelangte gegen Abtretung von Tirol und Vorarlberg das Großherzogthum Würzburg abermals in Besitz Baierns. Den Fürstencongreß in Wien besuchte auch M. J. mit seinen beiden Söhnen. La Garde überliefert in seinen Denkwürdigkeiten anziehende Züge aus dem Verkehr des Monarchen in den Wiener Volkskreisen. In den Conferenzen verhielt sich Baiern gegenüber den Bemühungen um festere Vereinigung der deutschen Stämme am feindseligsten, ja noch während des Congresses wurde von Baiern und Württemberg insgeheim mit Frankreich verhandelt, und nur die Warnung der gleichgesinnten und befreundeten Kronprinzen beider Staaten unterdrückte das Wiederaufleben rheinbündischer Gelüste. Namentlich von Seite Baierns wurde aber daran festgehalten, daß den Fürsten volle Souveränetät bleiben müsse und deshalb nur ein lockeres Band die deutschen Staaten umziehen dürfe. Nicht als Gesetz, sondern nur als völkerrechtlicher Vertrag wurde die Wiener Bundesakte in Baiern verkündigt. Andrerseits konnten trotz der Bemühungen des Wiener Cabinets nicht alle Zugeständnisse des Rieder Vertrags durchgesetzt werden. Baiern erhielt zwar für Abtretung des Inn- und Hausruckviertels an Oesterreich einen Theil der alten Pfalz zurück, allein auf die durch jenen Vertrag in Aussicht gestellte Contiguität des bairischen Gebiets mußte vorerst verzichtet werden; nach Erlöschen der männlichen Linie des badischen Hauses, tröstete Metternich, werde sich an Einlösung jenes Versprechens denken lassen. In der inneren Politik Baierns schien ein wichtiger Umschwung bevorzustehen; gerade in Baiern, das bisher nach rein absolutistischen Principien verwaltet worden war, gewann es den Anschein, als sollte dem immer lauter hervortretenden Verlangen nach Mitwirkung des Volks an der Regierung Beachtung geschenkt werden. Schon 1814 war eine Commission damit betraut worden, die Constitution von 1808, deren wichtigste Bestimmungen gar nie ins Leben getreten waren, den veränderten Bedürfnissen entsprechend umzuarbeiten. Es kam jedoch nur ein an veralteten Begriffen festhaltender Entwurf zu Stande. M. J., auch hierin der Ansicht des Thronfolgers nachgebend, verwarf denselben und ordnete neue Vorbereitungen an. Offenbar leitete dabei die Absicht, Beschlüssen des Wiener Congresses bezüglich der Constitutionen zuvorzukommen und [38] eine ungelegene Einmischung in die inneren Landesangelegenheiten abzuwehren. Als sich jedoch herausstellte, daß die Constitutionsidee weder in Wien, noch in Berlin Gönner finden werde, blieb es vorerst auch in Baiern bei dem Projecte; nicht M. J., wol aber Montgelas erblickte in solcher Mündigerklärung des Volkes eine Gefährdung des Thrones. Solange der genannte Minister am Ruder stand, wurde auch im Verkehr mit Rom auf Wahrung der Kronrechte vorsichtig Bedacht genommen. Die Curie hatte schon 1802 den Kampf gegen die kirchenpolitischen Neuerungen in Baiern aufgenommen, ohne jedoch die Bestrebungen der Regierung zum Stillstand bringen zu können; mit dem Religionsedict von 1809 war das bairische Staatskirchenrecht in der Hauptsache zum Abschluß gebracht. Dagegen wünschte M. J. dringend, zur Regelung der Rechte der katholischen Kirche in Baiern einen friedlichen Vergleich mit dem heiligen Vater abzuschließen; mehrere Concordatsentwürfe wurden ausgearbeitet, die Verhandlungen mit Rom wenigstens niemals gänzlich abgebrochen. Allein erst als Montgelas aus der leitenden Stellung ausgeschieden war, gewann die Curie im diplomatischen Kampfspiel die Oberhand. Ein Handbillet des Königs vom 2. Februar 1817 zeigte plötzlich dem Nichts ahnenden Minister an, daß er „auf sein wiederholtes und dringendes Ansuchen“ entlassen sei. Der Sturz des mächtigen Staatsmannes war das Werk des Kronprinzen Ludwig und des Marschalls Wrede, die in der heimlichen Bundesgenossenschaft Baierns mit Frankreich eine Schmach für den Staat und im Verhalten des Ministers gegen Rom eine Gefahr für die Religion erblickten. Auch am Wiener Hofe, den M. J. nach Vermählung seiner Tochter Karoline Auguste mit Kaiser Franz besuchte, wurde er bestürmt, mit dem rheinbündischen und rationalistischen System, das durch Minister Montgelas repräsentirt werde, zu brechen. Ein Brief des Kronprinzen an den König, worin Klage geführt war, daß sich gewisse Diener des Königs zwischen Vater und Sohn zu drängen suchten, gab den Ausschlag. M. J. war sich darüber nicht im Unklaren, daß er durch sein Vorgehen gegen einen Staatsmann, der so klug und energisch für Vergrößerung und Selbständigkeit des Staates Baiern gewirkt hatte, undankbar handle; es gelang jedoch, seine Bedenken durch die Vorstellung zu beschwichtigen, daß der verdiente Beamte Rang und Gehalt ungeschmälert behalte, und der in der Presse ertönende Jubel über den Sturz des hartnäckigsten Gegners der Verfassungsfreunde beruhigte den Monarchen vollends. Die höchste vollziehende Gewalt wurde nun fünf Fachministern übertragen, die höchste berathende Stelle sollte ein Staatsrath bilden, an dessen Sitzungen auch König und Kronprinz häufig Theil nahmen. Bald traten wichtige Folgen des Systemwechsels zu Tage. Am 5. Juni 1817 wurde vom bairischen Bevollmächtigten, Bischof Häffelin, zu Rom ein Concordat unterzeichnet, das der römischen Kirche alle „nach Gottes Ordnung und den canonischen Vorschriften“ gebührenden Rechte zusicherte. Da folgerichtig dadurch die Gleichberechtigung der christlichen Confessionen einfach aufgehoben gewesen wäre, verweigerte M. J. seine Zustimmung. Er unterzeichnete jedoch einen neuen Vertrag vom 24. October 1817, obwol das Concordat auch in dieser Fassung eine Verleugnung mancher bisher festgehaltener kirchenpolitischer Grundsätze bedeutete. Die bairischen Protestanten befürchteten deßhalb Schmälerung der Rechte, die ihnen von Seite des bairischen Staates vertragsmäßig zugesichert waren; M. J. selbst glaubte sich überlistet und forderte seine Minister nachdrücklich auf, zur Beschwichtigung der Protestanten geeignete Vorkehrungen zu treffen. Eine officielle Interpretation des Concordats wurde in Aussicht genommen, und die bequemste Handhabe bot die Einlösung des Versprechens einer Verfassung. Das Concordat sollte zugleich mit einem constitutionellen Edict, welchem im Wesentlichen das Religionsedict von 1809 zu Grunde läge, publicirt werden. Auch andere Motive ließen raschen Abschluß des Verfassungswerkes wünschenswerth [39] erscheinen; es galt, Baden in der Gunst der öffentlichen Meinung zu überflügeln, und auch der Zerrüttung der Staatsfinanzen war nach des Kronprinzen freimüthiger Erklärung nur noch durch Berufung von Ständen und einmüthiges Zusammenwirken von Volk und Regierung abzuhelfen. Am 26. Mai 1818 wurde die Verfassung proclamirt; Tags darauf legten der König, der Thronfolger und die Kronbeamten den Eid auf das neue Grundgesetz ab. Als jedoch im Januar 1819 zum ersten Mal die Kammern einberufen wurden, weigerten sich einige Geistliche, den Verfassungseid zu leisten oder wollten sich doch nur mit weitreichenden Vorbehalten zu Gunsten des Concordats dazu verstehen. Darüber erhob sich aufs Neue Streit mit der Curie und erst eine zu Tegernsee am 15. September 1821 erlassene Erklärung des Königs, daß sich der Constitutionseid lediglich auf die bürgerlichen Verhältnisse beziehe und die Katholiken dadurch zu Nichts verpflichtet seien, was den katholischen Kirchensatzungen zuwiderlaufe, stellte vorläufig Ruhe her. Auch die leitenden Staatsmänner der deutschen Großmächte ließen es an Versuchen nicht fehlen, die constitutionelle Entwicklung Baierns zu hemmen. Der stürmische Verlauf des ersten Landtags von 1819 ließ die Warnungen der Gentz und Metternich gerechtfertigt erscheinen. Die Oppositionspartei der zweiten Kammer erregte insbesondere durch die Forderungen der Beeidigung des Heeres auf die Verfassung und der Rechenschaftsablage über die Finanzverwaltung vor Gewährung der Verfassung den Unwillen des Königs. Wenig fehlte, so hätte sich M. J. den Vorstellungen Metternich’s gefügt, nur der Kronprinz, der dem österreichischen Minister den Mißerfolg der Pläne zur Wiedergewinnung der badischen Pfalz nicht verzeihen konnte und die Mitwirkung der Volksvertretung an Regelung der Finanzen nicht missen wollte, wendete eine Katastrophe ab. Aus der volksfreundlichen Gesinnung des Königs selbst erklärt sich, daß die auf die Karlsbader Conferenzen folgenden politischen Processe in Baiern durchaus nicht mit drakonischer Strenge geführt wurden. M. J. pflegte sich die wegen demagogischer Umtriebe Verhafteten nach der Voruntersuchung vorführen zu lassen; in den meisten Fällen wurde sodann die ganze Untersuchung niedergeschlagen und nicht selten den Angeklagten noch ein Geldgeschenk zur Heimreise zugestellt. In manchen Fällen wurde freilich die fast an Schwäche streifende Gutherzigkeit des Königs häßlich mißbraucht. Allein auch trübe Erfahrungen vermochten weder im König eine Sinnesänderung hervorzurufen, noch der treuen Anhänglichkeit des Volkes Eintrag zu thun. Ueber den patriarchalischen Verkehr des Fürsten mit Angehörigen aller Stände gingen zahllose Anekdoten von Mund zu Mund. Mit herzlicher Freude blickten Alt und Jung auf den stattlichen Greis, der, allem Prunk und aller Etiquette abhold, in einfachem, dunkelblauem Rock, grauen Beinkleidern und halbhohen ungarischen Stiefeln wie ein behäbiger Bürger in allen Theilen der Stadt lustwandelte, für jeden Gruß freundlich dankte, jeden Bekannten anredete und auch mit Unbekannten gern ein paar fröhliche Worte wechselte. Im Herbst 1825 kehrte er von Tegernsee, wo er wie gewöhnlich im Kreise seiner Familie den Sommer zugebracht hatte, nach München zurück. Am 12. October wohnte er einem ihm zu Ehren vom russischen Gesandten veranstalteten Feste bei, in der darauf folgenden Nacht verschied er.

Wolf, Kurze Lebens- und Regierungsgeschichte König Max Josephs I. (1836). – Söltl, M. J., K. v. B., sein Leben und Wirken (1837). – Lerchenfeld, Gust. v., Gesch. Baierns unter König M. J. I. (1854). – Archivalisches Material.