ADB:Bischoff, Johann Nikolaus

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Artikel „Bischoff, Johann Nikolaus“ von Karl Maximilian von Bauernfeind in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 563–570, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bischoff,_Johann_Nikolaus&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 18:42 Uhr UTC)
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Bischoff: Johann Nikolaus B., Professor der Mathematik an der Technischen Hochschule in München und Mitglied des kgl. Obersten Schulrathes im Ministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten daselbst, wurde am 11. Februar 1827 in Ansbach geboren und starb in München am 16. Januar 1893. Sein Vater war der sehr geachtete Schlossermeister Johann Bischoff, der seinen Sohn nur unter der Bedingung das kgl. Gymnasium der ehemaligen markgräflichen Residenz besuchen ließ, daß er nebenbei, theils zur Beschaffung des Familienunterhaltes, theils zur eigenen Deckung im Falle der Noth, das Schlossergewerbe bei ihm erlerne. Nachdem Johann B. die Elementarschule und die vier unteren Classen des Gymnasiums, welche damals Lateinschulen genannt wurden, besucht hatte und confirmirt war, also auch die für einen Schlosserlehrling erforderliche körperliche Entwicklung besaß, trat er im Herbst 1840 unter der obenerwähnten Bedingung in die erste oder unterste Gymnasialclasse ein und durchlief diese und die drei folgenden Classen trotz der täglich fünf bis sechs Stunden in Anspruch nehmenden Nebenbeschäftigung mit solchem Erfolge, daß er am 23. August 1844 nach vorausgegangener strenger Prüfung die Befähigungs- und Sittlichkeitsnote „ausgezeichnet“ und von seinem verehrten Lehrer und Rector, Professor Dr. v. Bomhard, noch die besondere Anerkennung erhielt, daß er ein vorzüglicher Lateiner sei.

Im darauf folgenden Herbste bezog B. die Universität München, um an ihr Mathematik zu studiren. Er besuchte zunächst zwei Jahre lang den damals für alle Studirenden obligatorischen philosophischen „Curs“ und erwarb sich am 24. August 1846 auf Grund besonderer Prüfungen das Absolutorium desselben mit der Note der Auszeichnung und der Erlaubniß des Uebertrittes zum Fachstudium. Da in jener Zeit die Mathematik an der genannten Universität nur schwach vertreten war, so wurde er von den paar Vorlesungen über dieses Fach, die er im J. 1846/47 an ihr hören konnte, nur wenig gefördert und er mußte sich deshalb auf die im Herbste 1847 abzulegende mathematische Lehramtsprüfung für Gymnasien hauptsächlich durch Selbststudium vorbereiten. Gleichwol bestand er diese Prüfung mit sehr gutem Erfolge. Da jedoch B. ein einjähriges Fachstudium zur Ausbildung in dem Fache der Mathematik nicht für genügend erachtete, so blieb er im J. 1847/48 um so mehr noch an hiesiger Universität, als zu erwarten stand, daß an derselben demnächst ein tüchtiger junger Mathematiker, der Privatdocent Dr. Ludwig Seidel aus Hof, der seine Studien in Berlin und Königsberg gemacht hatte, als außerordentlicher Professor angestellt werden würde. In der That konnte B. im Sommer 1848 die Vorlesungen Seidel’s hören und sich dadurch einen besseren Einblick in das weite Gebiet der Mathematik verschaffen, als ihn Gymnasialunterricht und Selbststudium zu gewähren vermögen.

[564] Für das Jahr 1848/49 ließen sich auch die Mittel beschaffen, auf die hin B. es wagen konnte, im Wintersemester an der Universität Leipzig die Vorlesungen des Prof. Möbius über neuere Geometrie und des Prof. Wilhelm Weber über theoretische Physik, und dann im Sommersemester an der Berliner Universität die Vorträge des Prof. Jacobi über Variationsrechnung und ihre Anwendung auf die isoperimetrischen Aufgaben, dann die von Prof. Dirichlet über Zahlentheorie und hauptsächlich die von Prof. Steiner über ausgewählte Stellen der Geometrie und die neuesten Methoden der synthetischen Geometrie zu hören. Die mit den Vorlesungen verbundenen seminaristischen Uebungen brachten den begabten und eifrigsn Studenten mit den damaligen Meistern im mathematischen Fache in nähere Berührung und erweiterten seinen Gesichtskreis in allen Gebieten ihrer Lehrthätigkeit, insbesondere der synthetischen Geometrie, die von da an sein Lieblingsfach wurde. Auch empfing B. in Leipzig und Berlin nachhaltige Anregungen zu eigenen Forschungen im Reiche der inhaltsschwersten und bestbegründeten Wissenschaft, als welche die Mathematik stets galt und gelten wird. Inzwischen war es aber für B. eine dringendere Aufgabe, seinen Lebensunterhalt sicher zu stellen und er that dieses zunächst durch Annahme des Anerbietens, welches ihm der kgl. Hofrath und Professor v. Martius zu München machte, bei ihm als Hauslehrer und Erzieher seines Sohnes einzutreten und nebenbei den gelehrten Vater beim Ordnen seiner aus Brasilien heimgebrachten botanischen Sammlungen zu unterstützen. Diese Beschäftigungen nahmen fast alle freie Zeit des bereits für das mathematische Lehramt an Gymnasien geprüften Candidaten in Anspruch und gestatteten ihm um so weniger sich mit eigenen Forschungen zu befassen, als er sich auch noch auf die Lehramtsprüfungen in reiner Mathematik, darstellender Geometrie und theoretischer Mechanik vorzubereiten hatte. Diese Prüfungen bestand B. im August des Jahres 1851 an der damaligen polytechnischen Centralschule zu München mit dem Erfolge, daß er in jedem der genannten drei Lehrfächer die Note „vorzüglich“ erhielt und schon am 2. April 1852 vom kgl. Staatsministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten dem Rector und Professor Alexander am kgl. Polytechnikum als Assistent und Repetitor für Mathematik zugewiesen wurde. Da Rector Alexander gleichzeitig auch Ministerialreferent über die technischen Schulen in Baiern war, mit Ausnahme der von ihm selbst geleiteten Anstalt, so galt derselbe für Lehramtscandidaten der realen Richtung für eine maßgebende Persönlichkeit, und B. hoffte deshalb zwar nicht auf Bevorzugung, aber doch auf gerechte Anerkennung seiner Leistungen, welche wöchentlich sechs Stunden Vorträge über Trigonometrie, algebraische Analysis und analytische Geometrie, dann sechs weitere Stunden seminaristische Uebungen seiner Zuhörer und überdies noch die Erledigung von allerlei schriftlichen Arbeiten erforderten, welche auch täglich wenigstens eine Stunde Zeit in Anspruch nahmen. Für diese den Aufgaben eines Professors gleichkommenden Leistungen erhielt B. eine jährliche Vergütung von 360 Gulden, was für den Tag nicht einmal einen ganzen Gulden ausmacht. Und diese Vergütung blieb die gleiche vom 1. April 1852 bis zum 1. October 1863, also elf und einhalb Jahre lang! Da kann doch wol von einer Bevorzugung des dem Ministerialreferenten beigegebenen Assistenten und Repetitors keine Rede sein? Wenn man nach dem Grunde der schlechten Bezahlung eines so tüchtigen jungen Lehrers, wie B. es war, fragt, so könnte man zuerst vermuthen, derselbe rühre lediglich von der durch den Minister v. Abel, welcher dem Rector Reindl gegenüber die polytechnischen Schulen für nothwendige Uebel erklärt hatte, begründeten und auch auf das Handelsministerium übergegangenen Verkennung des Werthes der technischen Lehranstalten her; allein in dem vorliegenden Falle lag die nächste Veranlassung zur schlechten [565] Entlohnung der Dienstleistungen des Assistenten B. in dem Bestreben des Rectors, sich bei der ihm vorgesetzten Centralstelle als tüchtiger Verwalter zu empfehlen, wenn er für den damals schon in Aussicht genommenen Neubau eines Polytechnikums jährliche Erübrigungen an den ohnehin schon zu karg bemessenen Etatsmitteln machte. Daß dieses Verfahren längere Zeit hindurch von oben her geduldet wurde, mag allerdings noch eine Wirkung der Abelschen Anschauung über die technischen Schulen gewesen sein.

Auf Andringen einiger Professoren der alten polytechnischen Schule zu München, welche die Leistungen Bischoff’s zu würdigen verstanden, entschloß sich endlich der Rector Alexander, bei der höchsten Stelle zwar nicht die Verleihung einer außerordentlichen Professur an B., wie dessen Freunde gewünscht hatten, wol aber den Titel Docent und vom 1. October 1863 an einen auf 600 Gulden erhöhten Functionsbezug zu beantragen. Dieser Antrag wurde am 18. Januar 1864 genehmigt, und es war aus der betreffenden höchsten Entschließung deutlich zu erkennen, daß an der polytechnischen Schule für den ausgezeichneten Mathematiker B. eine pragmatische Anstellung als Professor nicht zu hoffen sei. Darauf hin baten zwei andere sachverständige Freunde desselben den Referenten des kgl. Cultusministeriums, den Docenten B. für eine Gymnasialprofessur in Antrag zu bringen; diese gemeinsame Bitte wurde aber zunächst mit der Erklärung abgewiesen, daß sich der Candidat durch seine zwölfjährige Verwendung am Technikum zu sehr in die technische Richtung der Mathematik eingelebt habe, als daß von ihm ein erfolgreicher Unterricht darin am humanistischen Gymnasium zu erwarten sei. Nur nach wiederholter Besprechung dieser Angelegenheit gelang es Bischoff’s Freunden, das Vorurtheil des Herrn Referenten über die Beschaffenheit des mathematischen Unterrichts an technischen und gelehrten Mittelschulen zu zerstreuen, und so erfolgte endlich am 24. October 1864 die allerhöchste Ernennung des Docenten B. zum Professor der Mathematik am königl. Gymnasium in Zweibrücken mit einem pragmatischen Gehalte von jährlich 900 Gulden. Diese Stellung hatte er, der infolge des seinem Talente entsprechenden inneren Dranges täglich 15 Stunden arbeitete, in einem Alter von 38 Jahren erreicht. In Zweibrücken konnte B. seine im J. 1858 zu München begonnenen und in den Bänden Nr. 56 bis Nr. 64 des Crelle’schen Journals für reine und angewandte Mathematik gedruckten Abhandlungen ruhig fortsetzen und zu einem gewissen Abschlusse bringen. Sie betreffen im wesentlichen Fragen, welche sich auf die Theorie der algebraischen Curven und Flächen beziehen, können aber hier im Hinblicke auf den Leserkreis der Allgemeinen Deutschen Biographie, der nur sehr wenige Mathematiker zählt, nicht einmal dem Titel nach angeführt werden, da auch schon die meisten Ueberschriften der Bischoffschen Abhandlungen mathematische Kenntnisse voraussetzen. Wer diese besitzt, mag die im Jahresberichte der Kgl. Technischen Hochschule zu München für 1892/93 veröffentlichte Besprechung der Leistungen des Prof. B. in seinem Fache nachlesen. Zu den vorher in München verfaßten sechs Abhandlungen kam in Zweibrücken die von besonderem Scharfsinn ihres Verfassers zeugende siebente „Ueber algebraische Kurven mit Mittelpunkt“, welche als Programm des kgl. Gymnasiums, an dem B. als Lehrer Vorzügliches leistete, für das Jahr 1865/66 gedruckt wurde, von da aber auch in andere gelehrte Zeitschriften des In- und Auslandes überging. Seine letzte mathematische Arbeit verfaßte B. im J. 1875 wieder in München und zwar in französischer Sprache, da sie für die in Mailand erscheinenden „Annali di Matematica pura ed applicata“ von F. Brioschi und L. Cremona bestimmt war. Werfen wir einen Rückblick auf die vorliegenden acht Abhandlungen von B., denen keine weiteren mehr folgten, so läßt sich von ihnen mit Bestimmtheit sagen, daß dieselben, wenn sie auch [566] nicht eigentlich bahnbrechend waren, doch die Grenzen seiner Wissenschaft in den Richtungen, welche Prof. Steiner bezeichnet hatte, weiter als vorher geschehen war, hinausrückten, und dieses geschah nicht nach dem Steiner’schen rein synthetischen Verfahren, sondern durch die elegante rechnerische Methode, wie sie B. bei Prof. Jacobi kennen gelernt hatte.

Ein solcher Mann besaß in jeder Hinsicht die Eigenschaften eines Hochschulprofessors, und ich freue mich heute noch, daß mir im Sommer 1868 durch das besondere Vertrauen des kgl. Staatsministers v. Schlör Gelegenheit gegeben war, neben dem berühmten Heidelberger Universitätsprofessor Otto Hesse auch den damals noch ziemlich unbekannten Gymnasialprofessor Johann Bischoff als Lehrer der Mathematik für die in jenem Jahre zu eröffnende technische Hochschule in München in Vorschlag zu bringen. Dieser Vorschlag fand am 13. August die allerhöchste Genehmigung und damit war B. vom 1. October 1868 ordentlicher Professor der Mathematik mit einem Jahresgehalte von 1400 Gulden, zu dem noch das Collegiengeld von mindestens 400 Gulden und eine Functionszulage von 200 Gulden für die Leitung und Verwaltung der Anstaltsbibliothek kamen. Den Grundstock dieser Bibliothek bildeten zwar die von der alten polytechnischen Schule an sie übergegangenen Bücher; da dieser Stock aber nur sehr unbedeutend war, weil die aus jener hervorgegangene Industrieschule den größten Theil der vorhandenen Büchersammlung erhielt, so erwuchs für den Oberbibliothekar B., dem für das Ausleihgeschäft ein Unterbibliothekar zur Seite stand, die mühsame Aufgabe, die Bibliothek der technischen Hochschule unter Mitwirkung des Directors und der Professoren erst zu schaffen, wofür ihm reichliche Geldmittel zur Verfügung gestellt wurden. Leider war die Verwaltung der Bibliothek, wozu er vermöge seiner Erfahrung, die er als Assistent gemacht hatte, und auf Grund seiner umfassenden Sprachkenntnisse besonders geeignet war, wieder eine starke Belastung für B.; er überwand sie aber mit der ihm eigenen Pflichttreue und Arbeitskraft, sowie in dem erhebenden Bewußtsein, nunmehr eine Stellung erlangt zu haben, welche allen seinen Wünschen entsprach und ihm auch gestattete, in kurzer Zeit die Schulden zu bezahlen, die er behufs Vollendung seiner Studien machen mußte, und die er aus dem bekannten kargen Assistentengehalte unmöglich bezahlen konnte. Im J. 1881, wo B. den ersten musterhaften Katalog drucken ließ, umfaßte die Bibliothek schon 5786 Nummern in 16 000 Bänden, und bei seinem Rücktritte von derselben (1890) etwa 8700 Nummern in 24 000 Bänden. Dabei sind die zahlreichen technischen Werke, welche in den Fachbibliotheken der Abtheilungen und Institute stecken und von den Conservatoren der letzteren verwaltet werden, nicht mitgezählt. Daß aus diesem Nebenamte dem Oberbibliothekar mancherlei Verdrießlichkeiten erwuchsen, war selbstverständlich und kommt überall vor; wer aber andere Bibliotheken gleicher Art gesehen und benützt hatte, sprach gegen den Director die Ueberzeugung aus, daß an keiner derselben eine größere Ordnung und Pünktlichkeit zu finden war als an jener der technischen Hochschule zu München unter Bischoff’s Verwaltung. Das Jahr 1872 brachte dem vortrefflichen Gelehrten und Forscher B., der nun 45 Jahre alt war, kurz nacheinander zwei Ehrungen: zuerst wurde er im August bei dem großartig gefeierten 400jähr. Stiftungsfeste der Ludwig-Maximilians-Universität von deren philosophischer Facultät zum Ehrendoctor und dann im December von Sr. Majestät dem König zum ordentlichen Mitgliede des von dem kgl. Staatsminister Freiherm v. Lutz geschaffenen und geleiteten obersten Schulrathes ernannt, dem die fachmännische Leitung und Bearbeitung der Angelegenheiten der humanistischen und technischen Mittelschulen obliegt. In dieser neuen Stellung konnte B. nicht bloß seine zwanzigjährigen reichen Erfahrungen im Lehramte, sondern auch seine [567] gründlichen Sprachkenntnisse, von denen am Schlusse noch kurz die Rede sein wird, zur Geltung bringen: sei es in den wöchentlichen Sitzungen, welche im Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten stattfanden, oder bei den Schulvisitationen, die eine wesentliche Aufgabe der Mitglieder des Oberschulrathes bilden, oder bei den Berathungen über die Schulordnungen der gelehrten und technischen Mittelschulen, und er that dieses in so einfacher und bescheidener Weise, daß der vorsitzende Herr Staatsminister wiederholt gegen mich, den Verfasser dieser Lebensbeschreibung, äußerte, es sei ihm in seiner langen Ministerlaufbahn noch kein Mann vorgekommen, der bei gleich eminentem Wissen und Können so selbstlos war wie Professor B.

Im J. 1877 hielt sich derselbe in dem Landhause seines Collegen und Freundes Mozet zu Ambach am Starnberger See auf, als er eines Tages plötzlich von Athemnoth befallen wurde, die der herbeigerufene Arzt für eine Folge des im Vorjahre überstandenen Gelenkrheumatismus erklärte. Dieser Anfall war das erste Anzeichen eines an bedeutender Muskelschwäche leidenden Herzens, und von da ab waren die Tage, in denen sich der sonst so rüstige und abgehärtete Mann eines stetigen Wohlseins erfreute, gezählt. Sein Münchener Arzt rieth ihm dringend, die Thätigkeit als Lehrer längere Zeit auszusetzen, aber der seinem Lehrberufe ganz ergebene und von seinen Zuhörern hoch geehrte Professor hielt, den Eisbeutel auf dem Herzen, seine Vorlesungen fort bis zum 20. Juli 1878, wo er wieder nach Ambach ging, um dort Seebäder zu gebrauchen. Aber die hievon und von der reinen Gebirgsluft erwartete gute Wirkung blieb damals und in den folgenden zehn Jahren aus, in denen er unter großen Schmerzen und in gedrückter Stimmung getreulich seines Amtes waltete. Endlich mußte er sich doch entschließen, um Versetzung in den bleibenden Ruhestand zu bitten. Es geschah dieses am 2. April 1888. Das königl. Ministerium gewährte dem Bittsteller zunächst nur einen halbjährigen Urlaub; da sich aber nach Ablauf desselben keine Besserung des Leidens zeigte, so wurde B. infolge hoher Entschließung Sr. K. Hoheit des Prinzregenten unter wohlgefälliger Anerkennung seiner langjährigen ausgezeichneten Leistungen auf dem Gebiete der Wissenschaft und des Unterrichts unter Belassung in seiner Thätigkeit als Oberbibliothekar und Oberschulrath vom 1. November 1888 an in den bleibenden Ruhestand versetzt. Bei diesem Anlasse wollten der Director und die Professoren der technischen Hochschule den scheidenden Collegen durch ein mit ihren Photographien ausgefülltes Album und eine Adresse ehren, und es waren die hiefür erforderlichen ersten Schritte bereits gethan, als ich in meiner Eigenschaft als Director am 13. November einen Brief von B. erhielt, in welchem dieser alle ihm zugedachten Ehren so entschieden ablehnte, daß das beabsichtigte Unternehmen unterbleiben mußte. Uebrigens hätte ich die Ablehnung fast voraussehen können, da B. ungefähr zehn Jahre vorher meine und Professor Seidel’s Absicht, ihn zum Mitgliede der K. B. Akademie der Wissenschaften vorzuschlagen, in ähnlicher wirksamer Weise durchkreuzte. In diesem letzteren Falle mag vielleicht doch das Gefühl, daß geschäftliche Arbeiten und Krankheit seine wissenschaftliche Schöpferkraft sehr beeinträchtigt haben, für ihn mitbestimmend gewesen sein. Den Ruhestand als Professor konnte B. kaum ein Jahr lang in erträglicher Gesundheit genießen, denn schon im J. 1889 gesellte sich zu seinem bisherigen Herzleiden noch ein heftiger Influenzaanfall, dessen Nachwehen nie mehr von ihm wichen. Folge davon war, daß er schon 1890 die Function eines Oberbibliothekars und 1891 auch das Ehrenamt eines Mitgliedes des Oberschulrathes niederlegen mußte, nachdem er sich mit Aufbietung aller Kräfte noch tapfer an den damals betriebenen Vorarbeiten zur Reorganisation der bairischen Mittelschulen betheiligt hatte. Alle Mitglieder des Oberschulrathes [568] hegten den Wunsch, daß die schon vom kgl. Staatsminister Frhrn. v. Lutz anbefohlene und von ihnen vorgenommene strenge Prüfung des vom Münchener „Verein für Schulreform“ in Vorlage gebrachten Entwurfs einer sogenannten „Einheitsschule“ von B. in einem Memorandum dargelegt werde, weil keines von ihnen gleich umfassende Studien in Mathematik, Naturwissenschaften und Philologie gemacht und praktische Erfahrungen in den Lehrfächern der technischen und gelehrten Mittelschulen sich erworben hätte wie er. Hienach hat der oberste Schulrath den vom genannten Verein vorgelegten Plan einer Neugestaltung der humanistischen Gymnasien, welcher auf der „Einheitsschule“ mit sechs Cursen beruhte, einstimmig verworfen und die Beibehaltung der bisherigen Grundlagen des Studienbetriebs, nämlich die Ertheilung des lateinischen Unterrichts durch alle neun Classen und des griechischen in den oberen sechs Classen unter der Bedingung empfohlen, daß der Umfang des Unterrichts in den alten Sprachen, namentlich der griechischen, wesentlich beschränkt werde. Der Nachfolger des Frhrn. v. Lutz, kgl. Cultusminister v. Müller ging auf die Vorschläge seines Oberschulrathes ein und ließ sie im J. 1891 mit einigen Erweiterungen den damals gepflogenen Schlußverhandlungen dieses begutachtenden Collegiums zu Grunde legen, so daß die neugestalteten technischen und gelehrten Mittelschulen mit dem Studienjahre 1891/92 ins Leben treten konnten und nur noch der Vollzugsbedingungen bedurften, die nach Verfluß eines Jahres ertheilt wurden.

Nunmehr sei auch der außeramtlichen Thätigkeit Bischoff’s, nämlich seiner Sprachkenntnisse und litterarischen Arbeiten gedacht. Dabei benützen wir Mittheilungen seines Neffen, des Studienlehrers Dr. Rötter in Bayreuth, in dessen Besitz die hierauf bezüglichen Bücher und Manuscripte des Verstorbenen übergingen. Den von seinem innigst verehrten Lehrer, Rector Dr. v. Bomhard in Ansbach empfangenen Anregungen folgend, blieb B. zeitlebens den classischen Studien treu. Zu einem vorzüglichen Lateiner herangebildet, schrieb er nicht bloß in der Oberclasse des Gymnasiums unter Bomhard’s Aufsicht, sondern auch später gern lateinisch, und zwar mit einer Schärfe, Gewandtheit und Kraft des Ausdrucks, um die ihn mancher Philologe beneiden dürfte. Er übersetzte Stücke aus Tyrtaeos in lateinische Distichen und freute sich immer wieder an lateinischer Wiedergabe von Lieblingsstellen deutscher und fremder moderner Classiker. Er war begeistert von Sophokles, Aristophanes, Thukydides, aber Plutarch war sein Liebling. Von den Lateinern liebte er besonders Tacitus und Horaz, die er immer wieder las und stellenweise übersetzte. Dabei beschäftigte er sich viel mit Pausanias, Vergil und Sallust. Rhetoren wie Cicero und Demosthenes, und Poeten wie Euripides und Ovid war er durchaus abhold. Unter seinen Manuscripten befinden sich metrische Uebersetzungen der Wolken des Aristophanes und mehrerer Oden und Episteln des Horaz. Aus Pietät gegen seinen verstorbenen Bruder, den Maler Friedrich B., der auch das Ansbacher Gymnasium besucht und eine hochdeutsche Uebersetzung des niederdeutschen Reineke Fuchs hinterlassen hatte, ging unser B. auch an diese Dichtung, studirte ihre altfranzösischen Originale, arbeitete das Manuscript seines Bruders um und ließ im J. 1884 die erste Hälfte unter dem Titel „Reineke der Fuchs“ bei Th. Riedel in München im Druck erscheinen, seine einzige Veröffentlichung dieser Art. Ein angesehener Recensent sagt von ihr: „Vorliegende Arbeit legt man mit dem Bedauern aus der Hand, daß der Verfasser in ihr nur das erste Buch des Reineke behandelt hat. Derselbe gibt Geist und Form des Originals getreu und in schöner Sprache wieder“. Von seiner Kenntniß der modernen Sprachen führen wir nur folgendes an: er beherrschte das Spanische vollständig und schrieb correct das Französische, Englische und Italienische. [569] Zum gewandten Ausdruck in den letztgenannten drei Sprachen fehlte es ihm an Uebung, da er die Mittel nicht besaß, um sich einige Zeit in Frankreich, England und Italien aufzuhalten. Alle Hauptwerke der modernen Litteratur waren ihm aus eingehender Lectüre bekannt: so die spanischen Romanzen, die Dichtungen des Cervantes, des Boccaccio und Ariosto, die Werke des Macchiavelli, Voltaire, Rousseau, Pascal, Montesquieu, Rabelais, Molière und Beranger, die Chroniken und Geschichten von Froissart, Joinville, Villehardouin, Guillaume de Tyr u. A., die meisten altfranzösischen contes et fabliaux, die Dramen Shakespeare’s, die Werke von Milton, Burns, Swift, Gibbon, Macaulay u. s. w. In dieser vielfachen und vielseitigen Lectüre suchte B. in schlaflosen Nächten, deren er nur zu viele durchzumachen hatte, Vergessen seiner Leiden und Erfrischung des Geistes.

Das häusliche Leben des Verstorbenen war von Anfang an ein höchst einfaches und blieb es bis zum Ende. B. blieb unverheirathet, weil er vor seiner Berufung an die Münchener technische Hochschule die hiefür erforderlichen Geldmittel nicht besaß und nach derselben fast alles, was ihm nach Bestreitung seiner geringen Bedürfnisse übrig blieb, auf Bezahlung seiner schon erwähnten Schulden, dann auf Unterstützungen naher Verwandter und anderer Hülfsbedürftigen verwendet werden mußte. Seinen Haushalt besorgte eine bejahrte brave Frau mit solcher Treue und Pünktlichkeit, daß er ihr, als sie in seinem Dienste das siebzigste Lebensjahr vollendete, ein Geschenk von 1000 Mark machte. Seinen Bruder, den schon genannten Maler Fr. Bischoff, als derselbe erkrankt war und in dem Krankenhause zu Erlangen untergebracht werden mußte, unterhielt er auf seine Kosten, bis er starb; eine Nichte ließ er an der Münchener Frauenarbeitsschule zur Lehrerin für dergleichen Lehranstalten ausbilden, und was er für arme Studirende und Gelehrte, sowie für wohlthätige Vereine that, entzieht sich unserer Kenntniß, da bei ihm die linke Hand nie wissen durfte, was die rechte that. Daß es aber nicht wenig war, was er in dieser Richtung spendete, ist aus einzelnen in Listen verzeichneten Gaben zu schließen. Als B. noch verhältnißmäßig gesund war, verbrachte er in jeder Woche einige Abende in heiterer Gesellschaft guter Freunde, und es war hiebei eine Lust zu sehen, wie er durch geschichtliche und andere Mittheilungen die Unterhaltung zu beleben wußte. Für wahres wissenschaftliches Verdienst hegte B. stets aufrichtige Hochachtung und er trug, soviel er konnte, zur Anerkennung desselben in weiteren Kreisen bei; scheinbare Verdienste aber, die nur auf äußeren Glanz berechnet waren, fanden bei ihm, der von aller Eitelkeit frei war und nur für die Wissenschaft arbeitete, keine Beachtung und manchmal eine schneidige Abfertigung. In den nachgelassenen Uebersetzungen fränkischer Schriftsteller aus den Zeiten der Kreuzzüge ließ er seinen Gefühlen freien Lauf, und was er da niederschrieb, zeugt von tiefer und warmer Empfindung für Freiheit und Menschenwohl und läßt seine Milde und Herzensgüte noch mehr erkennen, als der persönliche Verkehr mit ihm. Bischoff’s Name wird in der Geschichte seiner Wissenschaft fortleben und von seinen Verwandten, Freunden, Collegen und Schülern bis an ihr Ende in treuem Andenken bewahrt werden. Seine Beerdigung fand am 18. Januar auf dem nördlichen Kirchhofe in München in feierlicher Weise statt, denn ein ansehnliches Trauergefolge erwies ihm die letzte Ehre und Namens des Lehrkörpers und der Studirenden der technischen Hochschule, ferner im Auftrage des früheren Directors derselben, der durch Unwohlsein verhindert war, dem Leichenbegängnisse beizuwohnen, endlich von den Mitgliedern der mathematischen Gesellschaft und anderer Vereine wurden Kränze am Grabe niedergelegt, das eine einfache Säule aus Syenit bezeichnet.

[570] Nach eigenen Erlebnissen und mit Benützung von Personalacten, sowie von Aufzeichnungen zweier Neffen des Prof. Bischoff und meines in der Allgemeinen Zeitung vom 4. Febr. 1893 enthaltenen Nachrufs.