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ADB:Jacobi, Carl Gustav Jacob

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Artikel „Jacobi, Carl Gustav Jacob“ von Moritz Cantor in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 598–602, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Jacobi,_Carl_Gustav_Jacob&oldid=- (Version vom 15. Oktober 2024, 19:28 Uhr UTC)
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Band 50 (1905), S. 598–602 (Quelle).
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Jacobi: Carl Gustav Jacob J. (in der hier gebrauchten Rechtschreibung, da die Mathematiker abkürzend ausschließlich von C. G. J. Jacobi reden), Mathematiker, geboren am 10. December 1804 in Potsdam als Sohn eines wohlhabenden Geldwechslers, † am 18. Februar 1851 in Berlin. Durch einen mütterlichen Oheim, H. Lehmann, vorbereitet, kam der noch nicht 12jährige [599] Knabe in die Secunda des Potsdamer Gymnasiums, aus der er nach einem halben Jahre nach Prima befördert wurde. Mit Rücksicht auf seine große Jugend mußte J. vier Jahre in Prima bleiben, da man ihn vor zurückgelegtem 16. Jahre nicht zur Universität entlassen durfte. Die damals schon hervortretende mathematische Befähigung brachte eher ein unangenehmes als ein angenehmes Verhältniß zwischen dem frühreifen Schüler und dem Mathematik als Gedächtnißsache behandelnden Lehrer hervor, bis letzterer sich entschloß, den Jungen gewähren zu lassen, welcher für sich Euler’s Introductio durcharbeitete und Versuche der Auflösung von Gleichungen fünften Grades anstellte, während die Classe sich mit Elementarsätzen abquälte. J. bezog die Universität Berlin. Er nahm am Böckh’schen philologischen Seminare Antheil, er hörte philosophische Vorlesungen, er studirte die mathematischen Classiker, denn Vorlesungen über höhere Mathematik, wie sie seinen Bedürfnissen entsprochen haben würden, waren damals in Deutschland unbekannt. Etwa zwei Jahre schwankte J. hin und her, ob er sich der Philologie, ob er sich der Mathematik widmen solle. Er entschied sich für letztere und doctorirte 1825 mit einer Abhandlung über die Zerlegung algebraischer Brüche. Gleich darauf habilitirte sich J. als Privatdocent an der Universität Berlin. Seine erste Vorlesung galt den Curven und Flächen im Raum, ein Gegenstand, der von da ab an deutschen Universitäten heimisch geblieben ist, und bei dessen Behandlung J. bereits das Lehrtalent an den Tag legte, das ihm nachmals nachgerühmt wurde. Der eigenthümliche Entwicklungsgang des nun erst 21jährigen Docenten machte die Unterrichtsbehörde in dem Grade auf ihn aufmerksam, daß man J. aufforderte, als besoldeter Privatdocent nach Königsberg überzusiedeln, wo es möglich sein werde, ihn früher als anderwärts zu befördern, da die Professur der Mathematik dort frei sei. J. folgte dem Rathe und wurde in der That schon 1827 zum außerordentlichen, 1829 zum ordentlichen Professor der Mathematik in Königsberg ernannt. Fast gleichzeitig mit der Wohnsitzverlegung war die Veröffentlichung von Jacobi’s erstem Aufsatze: „über Gauß’ Methode, die Werthe der Integrale näherungsweise zu finden“, im ersten Bande des neugegründeten Crelle’schen Journals. Vielleicht hat der junge Verfasser einen Abzug dieses Aufsatzes an Gauß geschickt. Jedenfalls erkundigte sich dieser nach ihm bei Bessel, dem hochbedeutenden Königsberger Astronomen, in einem Briefe vom 20. November 1826, dem eine Einlage an J. beigefügt war: „Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie mir etwas näheres über diesen wie es scheint sehr talentvollen jungen Mann, auch über seine persönlichen Verhältnisse anzeigen wollten.“ Das ist beiläufig das einzige Mal, daß der Name J. in einem der 1880 gedruckten Briefe von Gauß an Bessel vorkommt. Häufiger sind Bessel’s Aeußerungen. Die an ihn gerichtete Anfrage beantwortete er am 12. December 1826 wie folgt: „Jacobi ist seit Anfang des Sommers hier und bezieht, als Privatdocent, ein kleines Gehalt; förmlich angestellt ist er noch nicht, ich hoffe aber, daß es bald geschehen wird. Er ist gewiß talentvoll, allein er hat sich hier fast alle zu Feinden gemacht, weil er, als er hier ankam, jedem etwas unangenehmes sagte: den geborenen Königsberger versicherte er, daß er seinen hiesigen Aufenthalt als ein Exil betrachte, den Philosophen lobte er Hegel, den Philologen Böckh, alles auf eine Art, die man ihm nicht verzeihen will. Doch hoffe ich, daß solche kleine Albernheiten bald nicht mehr werden erwähnt werden. Mir ist er immer als ein artiger junger Mann erschienen. Von seinen sonstigen Verhältnissen weiß ich nichts näheres, als daß sein Vater ein Jude und Geldwechsler in Potsdam ist. Mit Dirksen soll er nicht freundschaftlich gestanden haben; allein das sagt in Berlin gar Nichts“. Von Moritz Hermann J. (A. D. B. XIII, 597–599), dem Erfinder der Galvanoplastik, [600] dem um drei Jahre älteren Bruder von C. G. J. J., der ihm nach Königsberg gefolgt war und dort als Baumeister eine Thätigkeit entfaltete, die ihn 1835 nach Dorpat berufen ließ, kommt in Bessel’s Briefen nichts vor. Dagegen ist über Jacobi’s Charakter ein zweites Urtheil vorhanden, welches zeigt, daß die in dem ersten ausgesprochene Hoffnung einer gewissen Wandlung sich erfüllte. Am 11. November 1841 schreibt Bessel: „Wir schätzen hier J. doppelt, wegen seines Talentes nicht allein, sondern auch wegen seines Charakters, der seiner sarcastischen Wendung nicht im Mindesten entspricht und, wenn man ihn erst kennen gelernt hat, sehr liebenswürdig erscheint.“ Für Gauß mag das Nichts neues gewesen sein, nachdem er J. 1829 persönlich kennen gelernt hatte, als dieser auf der Durchreise nach Paris ihn in Göttingen besuchte. In Paris verweilte J. damals mehrere Monate in stetem Verkehre mit Legendre, welchem er vorher brieflich schon nahe stand, mit Fourier, mit Poisson und anderen hervorragenden Fachgenossen. Im J. 1831 vermählte sich J. mit einer Dame von hervorragender Geistesbildung und lebte nun in den glücklichsten Verhältnissen, bis im Herbste 1841 ihn ein schwerer Verlust traf. Jacobi’s Vater, der mit Hinterlassung eines damals als groß betrachteten Vermögens von etwa 100 000 Talern gestorben war, hatte letztwillig verordnet, das Geld solle ungetheilt in dem Bankgeschäfte eines seiner Söhne angelegt bleiben, und eben dieser Sohn machte 1841 einen starken Bankerott, sodaß die Miterben, die Mutter und die Bruder, ihr Vermögen dabei einbüßten. Zu diesem Verluste gesellte sich eine neue Unannehmlichkeit. J. wurde am Anfang des Jahres 1843 von der Zuckerkrankheit befallen, und von ärztlicher Seite verlangte man dringend die Uebersiedelung in ein milderes Klima. J. wäre nach den Ereignissen von 1841 nicht im Stande gewesen den Willen der Aerzte zu erfüllen, wenn nicht König Friedrich Wilhelm IV., angeregt durch Alexander v. Humboldt, sich als freigebiger Gönner bewiesen hätte. Schon 1842 hatte J. in Begleitung seiner Frau mit Bessel zusammen auf Staatskosten eine Reise nach England machen dürfen zur Theilnahme an einer dort stattfindenden Gelehrtenversammlung, bei welcher sie die deutsche Wissenschaft in glänzender Weise vertraten, und jetzt 1843 bewilligte der König abermals eine ansehnliche Summe zur Reise nach Italien. Das war jener Winter 1843 auf 1844, in welchem J., Dirichlet, Borchardt, Steiner, Schlaefli gewissermaßen eine mathematische Colonie zu Rom bildeten und in engstem Verkehre die Wissenschaft um die Wette bereicherten. Im Frühjahre 1844 kehrte J. nach Deutschland zurück. Man gestattete ihm seinen bleibenden Aufenthalt anstatt in Königsberg in dem verhältnißmäßig milderen Berlin zu nehmen, wo er als Akademiker lebte. Er gehörte der Universität nicht als Professor an, wiewol sein Gehalt weiterlief und er außerdem noch einen besonderen, wenn auch widerruflichen Zuschuß erhielt: Er hatte nur die Verpflichtung Vorlesungen zu halten, so weit es sein Gesundheitszustand, auf dessen Schonung es ankam, gestatten würde. Schriftstellerisch war er auch in Berlin von größter Fruchtbarkeit. Nun trat das Jahr 1848 ein. J. gehörte der liberalen, vielleicht einer vorgeschrittenen liberalen Richtung an, ohne die Monarchie als solche zu bekämpfen. Er trat vielmehr als glänzender Redner für sie im Constitutionellen Club auf, und das verübelte man ihm von zwei Seiten. Von links warf man ihm vor, daß er einen königlichen Gehaltszuschuß beziehe, von rechts, daß er durch seine öffentliche Parteinahme sich der königlichen Wohlthaten unwerth erweise. Es kam während der dem Revolutionsjahre folgenden Reactionszeit dahin, daß am 31. Mai 1849 die ministerielle Anfrage an J. gelangte, ob er noch immer nicht im Stande sei, seine Königsberger Professur zu versehen, daß ihm bald darauf der bisher gewährte außerordentliche Zuschuß [601] entzogen wurde. J. mußte seine Frau und sieben minderjährige Kinder in Gotha unterbringen, wo das Leben wenig kostspielig war, und sich selbst verhältnißmäßig einfach in Berlin behelfen, um nur dort bleiben zu können. Das Ende des Jahres brachte ihm eine Berufung nach Wien unter glänzenden Bedingungen, und diese Möglichkeit, J. zu verlieren, öffnete der preußischen Regierung die Augen. Der frühere Zuschuß wurde J. neuerdings als wirklicher Gehalt verliehen und mit Rückdatirung noch erhöht. Aber Aufregungen und ernste Sorgen nicht minder als allzuanstrengende Geistesarbeit hatten Jacobi’s körperliche Widerstandskraft vor der Zeit zerstört. In den ersten Tagen des Jahres 1851 wurde J. von der Influenza befallen, von welcher er sich zwar rasch erholte, allein am 11. Februar erkrankte er aufs neue, und eine Woche später starb er. Seine unter der Aufsicht der Berliner Akademie herausgegebenen Werke füllen sieben stattliche Bände. Deren Inhalt verbreitet sich fast über das ganze Gebiet der mathematischen Wissenschaften, wenn auch die Lehre von den elliptischen Transcendenten und die Zahlentheorie vorzugsweise zu nennen sind. Ihnen gehören wenigstens zwei Schriften an, welche in Buchform erschienen sind, die „Fundamenta nova theoriae functionum ellipticarum“ von 1829 und der „Canon arithmeticus“ von 1839. Die Lehre von den elliptischen Transcendenten war, da Gauß seine weitreichenden Untersuchungen auf diesem Gebiete in dem Dunkel seiner Notizbücher verborgen hielt, noch in dem Zustande, bis zu welchem Legendre sie gebracht hatte, als J. und kurze Zeit vor ihm der norwegische Mathematiker Abel an ihre Fortentwicklung herantraten. Selten hat wol die Geschichte der Wissenschaften von einem fruchtbareren Wettkampfe zu erzählen gehabt als der war, welcher in den drei Jahren 1826–1829 zwischen den beiden fast gleichaltrigen Nebenbuhlern (Abel ist 1802 geboren) entbrannte. Jeder von ihnen bediente sich sofort der von dem anderen entdeckten Ergebnisse, jeder erkannte die ihm fremde Leistung als ebenbürtig an, und erst in einem Zeitpunkte, der weit nach dem Tode Beider liegt, wurde der Versuch gemacht, Jacobi’s Unabhängigkeit anzuzweifeln, ein Versuch, welcher bei Niemand, der J. persönlich gekannt hatte, ein gläubiges Ohr fand. Das Ineinandergreifen der Arbeiten von Abel und J. macht es um so schwieriger streng zu trennen, was Diesem oder Jenem ausschließlich angehört, und man wird sich, will man von einer sehr ins Einzelne gehenden fachwissenschaftlichen Darstellung absehen, damit begnügen müssen zu sagen, daß die Fundamente Jacobi’s die Summe aus dem ziehen, was 1829 über die elliptischen Transcendenten bekannt war, und was bis etwa 1850 keinen umgestaltenden Zuwachs erhielt, mit jenem Zeitpunkte aber infolge der bahnbrechenden Arbeiten von Weierstraß und Riemann der Methode nach fast schon veraltet ist. Von J. stammt jedenfalls der Name der elliptischen Functionen im Gegensatz zu den elliptischen Integralen, von ihm der Name der Thetafunctionen, während die dadurch bezeichneten Reihen schon in den Arbeiten französischer Gelehrten über die mathematische Wärmelehre vorkamen. J. und Abel erkannten jeder für sich die Nothwendigkeit, den Gedanken der complexen Größen in die Theorie der elliptischen Transcendenten einzuführen und kamen dadurch zur Entdeckung doppelt periodischer Functionen. Von J. ist wieder die Entdeckung, daß rationale Functionen irgend eines Grades zur Transformation eines elliptischen Integrals in ein Integral derselben Form führen, und daß die sogenannte Multiplication elliptischer Integrale immer aus zwei Transformationen zusammengesetzt werden kann. Hat J., wie wir schon sagten, den Namen der elliptischen Functionen erfunden, so war die Erfindung des Gegenstandes, d. h. die Aufstellung eines Umkehrungsproblems, ihm und Abel gemeinsam, und nach Abel’s 1829 erfolgtem Tode kam J. auf [602] die Erweiterung des Problems zu einer Umkehrung von vier oder mehr gleichzeitig zu betrachtenden Integralen. Wir nannten Zahlentheorie als ein zweites Hauptgebiet Jacobi’scher Forschungen. Schon 1827 veröffentlichte J. eine Reihe von Sätzen über cubische Reste, welchen er zwar keine Beweise mitgab, welche aber durch ihre Ausdrucksweise zeigten, ihr Entdecker müsse tief in die betreffende Lehre eingedrungen sein; 1828 und 1834 folgten Untersuchungen über die Zerfällung einer Zahl in vier Quadrate, bei welcher elliptische Transcendenten zahlentheoretische Anwendung fanden, 1832 solche über die Classenzahl bei quadratischen Formen, für welche J. einen merkwürdigen Lehrsatz inductiv entdeckte, während der Beweis erst 1839 und 1840 von Dirichlet gefunden wurde. Im J. 1839 beschäftigte sich J. mit der Lehre von den primitiven Wurzeln, und sein „Canon arithmeticus“ gab Tabellen der Indices für alle dem ersten Tausend angehörenden Primzahlen, deren Herstellung nicht gerade schwer aber unsäglich mühevoll war. In demselben Jahre behandelte er complexe Primzahlen, 1846 die Kreistheilung und ihre Anwendung auf die Zahlentheorie. Wir haben schon oben gesagt, daß Jacobi’s Arbeiten alle Gebiete der Mathematik berührt haben. Wir müssen einzelne noch nennen. So seine classischen Abhandlungen über Determinanten und Functionaldeterminanten von 1841, deren letztere eine ganz neue Lehre schuf, während die erstere theilweise schon Bekanntes in eine neue Form zu gießen wußte. Von dieser Gedankenfolge ausgehend, kam J. 1844 und 1845 zu dem sogen. letzten Multiplicator, dessen Auffindung bei der Integration von Differentialgleichungen von wichtiger Anwendung ist. Auch sonst hat J. die Lehre von den Differentialgleichungen und besonders die von den partiellen Differentialgleichungen erweitert, schon 1827, dann wiederholt 1837 und 1842 hat er sich damit beschäftigt. In der Variationsrechnung hat eine Abhandlung von 1837 sich mit der zweiten Variation beschäftigt, welche erst den Ausschlag darüber geben kann, ob das Verschwinden der ersten Variation wirklich die Kennzeichen einer Maximal- oder Minimalbestimmung in sich trägt. Eine verwandte geometrische Aufgabe, die Herstellung der geodätischen Linien auf dem dreiaxigen Ellipsoid, löste eine Abhandlung von 1839. Die eine Umwälzung in dem Vortrage der analytischen Mechanik hervorbringenden Untersuchungen über die Hamilton’schen Gleichungen sind vorzugsweise aus Jacobi’s Vorlesungen über Dynamik zu entnehmen, welche Clebsch 1866 herausgab. Auch über Geschichte der Mathematik, und zwar insbesondere der griechischen Mathematik, hat J. gearbeitet. Das sind nur einige wenige von den schier zahllosen Leistungen, durch welche J. sich berühmt gemacht hat. Sie alle im Zusammenhang zu schildern, war einem 1904 im Drucke erschienenen Buche vorbehalten, das aber nur von Mathematikern und zwar ausschließlich von solchen verstanden werden kann, die in den höchsten Gebieten ihrer Wissenschaft sich heimisch fühlen.

Vgl. Gedächtnißrede auf C. G. J. Jacobi von Lejune-Dirichlet in den Abhandlungen der Berliner Akademie für 1852 und besonders Leo Königsberger: Carl Gustav Jacob Jacobi, Festschrift zur Feier der hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages. Leipzig 1904.