ADB:Braune, Christian Wilhelm
Wöhler und W. Weber und ein Semester in Würzburg bei Virchow. Im J. 1856 wurde er am 19. Juli in Leipzig zum Dr. med. promovirt; die Inauguraldissertation („De cutis facultate jodum resorbendum“, Lipsiae) betraf die Resorption des Jod durch die Haut. Bald darauf wurde er Assistent an der medicinischen Klinik in Leipzig bei Wunderlich, machte im Sommer 1857 mit Hülfe eines Stipendiums eine wissenschaftliche Reise nach Prag, Wien und Berlin und erhielt Ende 1857 die chirurgische Assistentenstelle an der Klinik von Günther. Im Sommer 1860 habilitirte er sich an der Leipziger Universität als Privatdocent für Chirurgie. Dann unternahm er 1862–63 mehrfache Reisen, um im Auftrage des königl. sächsischen Ministeriums die Einrichtungen verschiedener Staaten für den Unterricht von Militärärzten zu sehen, nebenbei wie es scheint, auch anatomische Sammlungen, mit Rücksicht auf eine große Monographie über die Doppelbildungen und angeborenen Geschwülste der Kreuzbeingegend, die 1862 erschien (Leipzig 1862, 4°, mit 20 Tafeln). Es ist dies eine umfangreiche, sehr sorgfältige Arbeit und sowohl von pathologisch-anatomischem als chirurgischem Interesse. B. hielt im Anfange Vorlesungen über Bandagenlehre, chirurgische Diagnostik und über topographische Anatomie. Zugleich beschäftigte er sich von 1863–72 mit ärztlicher, auch chirurgischer Praxis und verheirathete sich 1863 mit einer Tochter von E. H. Weber, wurde Assistent an der anatomischen Anstalt in Leipzig und bei chirurgischen Operationscursen. Neben topographischer Anatomie und Operationslehre las [207] er über Kriegschirurgie und machte 1864 als freiwilliger Arzt den Feldzug in Schleswig-Holstein mit. Am 12. Mai 1866 wurde er zum außerordentlichen Professor der Kriegsheilkunde und topographischen Anatomie ernannt. Von 1867–71 hielt er Operationscurse in topographischer Anatomie für ältere Mediciner. Während des Krieges von 1866 war er in Böhmen bei den Schlachten von Jičin und Königgrätz und nachher in den Kriegslazarethen thätig. Im französischen Kriege 1870–71 begleitete er als consultirender Generalarzt im kgl. sächsischen Armeecorps das Hauptquartier des letzteren. Am 9. März 1872 wurde er zum ordentlichen Professor der topographischen Anatomie in Leipzig ernannt. Diese seine Stellung als Anatom in Leipzig bekleidete er neben dem gleichzeitig aus Basel berufenen Professor der Anatomie W. His[WS 1] in vortrefflichster Harmonie; es ist ein musterhaftes Beispiel vollständiger Uebereinstimmung und gegenseitiger Ergänzung bis zu Braune’s Tode geblieben. Er starb am 29. April 1892 nach fünftägigem Erkranktsein an Lungenentzündung: früher hatte er Venenentzündungen am Bein durchgemacht. Bis zuletzt war er ein eifrig thätiges und überaus nützliches Mitglied der Commission für anatomische Nomenclatur, die auf Anregung von His und Waldeyer unter Beihülfe vieler gelehrter Gesellschaften es unternommen hatte, Ordnung in das unglaubliche Chaos synonymer anatomischer Bezeichnungen zu bringen, die bis zum heutigen Tage das Gedächtniß der Lehrer wie der Studirenden der Medicin in vollkommen unnützer Weise belasten. Die Vollendung dieses ausgedehnten Werkes im J. 1896 sollte B. nicht mehr erleben.
Braune: Christian Wilhelm B., wurde am 17. Juli 1831 in Leipzig geboren. Sein Vater war der Professor der Arzneimittellehre an der Universität Albert B., die Mutter, Louise geb. Vogel, war aus der Verlagsbuchhandlung F. C. W. Vogel daselbst. Sein Vater war zugleich praktischer Arzt, er starb schon 1848 und hinterließ drei Kinder. Die Mutter war fein gebildet und musikalisch, welche Begabung auf B. übergegangen ist. Er besuchte 1845–1851 die Fürstenschule in Grimma; von 1851 an studirte er in Leipzig Medicin, zwei Semester auch in Göttingen beiB. war der letzte und bedeutendste unter den topographischen Anatomen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf deutschen Universitäten diesen Abschnitt selbständig vertreten hatten; von den dahingeschiedenen sollen außer ihm hier nur R. Hartmann (Berlin), Henke (Tübingen), Joessel (Straßburg i. E.), Rüdinger (München) genannt werden. Wie es zusammenhängt, daß diese Stellungen nach kurzer Blüthezeit wieder eingegangen sind, kann nur aus der Entwicklung der Anatomie überhaupt erklärt werden. – Es war bis zur Mitte des Jahrhunderts die descriptive Anatomie eine in sich abgeschlossene Wissenschaft, höchstens hier und da mit der pathologischen Anatomie an kleineren Universitäten verbunden. Nun trat um jene Zeit die Histologie zufolge der verbesserten Mikroskope in den Vordergrund und dann kamen die Entwicklungssgeschichte und vergleichende Anatomie hinzu, um in ungeahnter Weise die Gründe der Erscheinungen aufzudecken, nämlich Erläuterungen zu geben, weshalb an dieser und jener Körperstelle z. B. die Lage der Organe oder der Verlauf von Blutgefäßen und Nerven so geworden ist, wie er sich thatsächlich zeigt. Für den wissenschaftlichen Anatomen, dessen Specialarbeiten natürlicher Weise sich jenen fast ganz neu eröffneten Gebieten zugewendet hatten, trat die praktische Anatomie, namentlich die chirurgisch-topographische Seite ebenso naturgemäß mehr und mehr zurück. Es ist hervorzuheben, daß bis zur Mitte des Jahrhunderts ein so wichtiges Fach wie die Chirurgie noch hier und da mit der Anatomie vereinigt war. So lag es wenigstens für die Ministerien nahe, erledigte Stellen mit je zwei Professoren der Anatomie zu besetzen, von denen der Eine Histologie, Entwicklungsgeschichte, vergleichende Anatomie ganz oder theilweise vertreten, während der Andere sich vorzugweise, wenn nicht ausschließlich der chirurgisch-topographischen Seite zuwenden sollte. Denn die letztere hatte für das nicht-medicinische Publicum offenbar mehr praktisches Interesse als die Phylogenese und die Ontogenese. Von dieser scheinbar zweckmäßigen Einrichtung von je zwei Professuren, die übrigens nur in Straßburg, Leipzig und München einander gleichberechtigt [208] coordinirt waren, ist man neuerdings wieder zurückgekommen. Einerseits ist das Leichenmaterial zu sparsam geworden, besonders gegenüber der enormen Zunahme studirender Mediciner auf allen deutschen Universitäten und andrerseits stößt eine Vertheilung der Räume anatomischer Institute und ihrer sonstigen Hülfsmittel immer auf Schwierigkeiten, wenn nicht sehr große Verhältnisse und persönlich freundschaftlichste Beziehungen zwischen den beiden Dirigenten darüber hinweghelfen. So ist es gekommen, daß B. als einer der letzten wesentlich topographischen Anatomen oben bezeichnet werden durfte. Infolge der neuen medicinischen Prüfungsordnung werden diese Dinge sich vielleicht anders gestalten.
Sein Bildungsgang, wie er vorhin dargelegt wurde, insbesondere seine ausgedehnten chirurgischen Kenntnisse kamen ihm in seinem Specialfache selbverständlich sehr zu statten. Bis zu seiner Ernennung zum Professor hatte er außer den obengenannten nur einige kleinere Aufsätze zum Theil pathologischen Inhalts veröffentlicht. Von da an waren seine anatomischen Publicationen im Anfange rein topographischer Natur. Hier steht sein epochemachendes Werk voran: „Topographisch-anatomischer Atlas, nach Durchschnitten an gefrorenen Cadavern“ (31 Tafeln in Folio, Leipzig 1867–72 und 3. Auflage 1886–88). Dazu (1875) eine kleinere Ausgabe in Quartformat, die ins Englische übersetzt worden ist (1877). Die abgebildeten Präparate sind eine Zierde der Leipziger anatomischen Sammlung, und in der Durchführung der Gefriermethode, d. h. der Durchsägung gefrorener Leichen in bestimmten Richtungen für topographisch-anatomische Zwecke hat B. unzweifelhaft die Priorität vor Rüdinger, der erst 1870 in München sich mit analogen Untersuchungen beschäftigte. Vorangegangen waren hierin, abgesehen von De Riemer (1818) und Ed. Weber (Gelenke, 1836), der Russe Pirogoff (Anatome topographica sectionibus per corpus humanum congelatum triplici directione ductis illustrata. Petropol. 1853–59. Mit ca. 200 Tafeln) und der Franzose Le Gendre (Anatomie chirurgicale homalographique. Paris 1858). Während nun diese beiden ersten Versuche in den betreffenden Abbildungen mehr geeignet erschienen, auch dem Erfahrenen gleichsam anatomische Räthsel aufzugeben, zeichnet sich der Atlas von B. nicht nur durch die Lebensgröße, sondern namentlich durch die sorgfältig systematische Führung der Sägeschnitte, die Naturtreue und künstlerische Eleganz aus, so daß seine Abbildungen zu den am meisten instructiven zu rechnen sind. Für die Geburtshülfe sind zwei auf derselben Methode beruhende Monographien von Interesse: „Die Lage des Uterus und Fötus am Ende der Schwangerschaft“ (10 Tafeln, Folio, Leipzig 1872) und „Gefrierdurchschnitte in systematischer Anordnung durch den Körper einer Hochschwangeren“ (mit Professor Zweifel. 12 Tafeln, Folio, Leipzig 1890). Während nun B. anfangs wie gesagt Vorlesungen über topographische Anatomie und besondere topographisch-anatomische Präparirübungen gehalten hatte, in denen seine Begabung als Lehrer sich besonders geltend machte, theilte er sich später mit His auf die Weise in die descriptive Anatomie, daß B. die Osteologie, Myologie, Angiologie nebst den betreffenden Präparirübungen zufielen. Mit His zusammen verfaßte er einen Leitfaden für die Präparanten (Leipzig 1883) und gab 1876–1877 die Zeitschrift für Anatomie und Entwickelungsgeschichte heraus, die dann in der anatomischen Abtheilung des Archivs für Anatomie und Physiologie nach des bisherigen Herausgebers (Reichert) Tode ihre Fortsetzung fand. Eine Anzahl kleinerer Aufsätze, größtentheils topographisch-anatomischen Inhaltes sind darin mitgetheilt. Einen ganz anderen Charakter[WS 2] tragen eine große Zahl von Arbeiten, die als physiologisch-anatomisch bezeichnet werden können. Mit dem Auftreten der physikalischen [209] Physiologie seit der Mitte des Jahrhunderts, als Brücke, Du Bois-Reymond, Ludwig die Bahn gebrochen, glaubte man von der Anatomie Aufschluß hoffen zu können, welche Leistungen die Knochen und Gelenke in mechanischer, die Blutgefäße in hydraulischer Hinsicht u. s. w. zu vollbringen vermöchten. Solche Untersuchungen sind nicht denkbar, ohne das Experiment und die Rechnung zu Hülfe zu nehmen. Was die Gefäße anlangt, so wendete sich B. dem so außerordentlich variablen und deshalb schwer auf die entscheidenden Verhältnisse rückführbaren Venensystem zu. Hierher gehören: „Die Oberschenkelvene des Menschen“ (Leipzig 1871, mit 6 Tafeln), ferner: „Beiträge zur Kenntniß der Venenelasticität“ (Festschrift für C. Ludwig, 1873), sowie „Die Venen der menschlichen Hand“ (Leipzig 1873, mit 4 Tafeln) und „Das Venensystem des menschlichen Körpers“. I: Vordere Rumpfwand (mit Fenwick), (Leipzig 1855, mit 4 Tafeln), II: Die Venen des menschlichen Fußes und Unterschenkels (mit P. Müller), (1899, mit 4 Tafeln), sämmtlich auf gelungene Injectionen und Versuche gegründet. Die Mechanik der Gelenke, ein Gebiet, das früher theilweise der Physiologie zugewiesen wurde, weil die Bewegungserscheinungen am Lebenden nicht außer Acht gelassen werden dürfen, hat B. in Verbindung mit Mehreren behandelt. Zuerst die Mechanik des Ellenbogengelenkes (mit Kyrklund) 1879, dann die Promotion und Supination des menschlichen Vorderarmes und der Hand (mit Flügel) 1882; am wichtigsten aber wurde das Zusammenwirken mit Prof. O. Fischer, einem Mathematiker vom Fach. Hierher gehören die Untersuchungen über die Gelenke des menschlichen Armes (1885, 1887), über den Antheil, den die einzelnen Gelenke des Schultergürtels an der Beweglichkeit des menschlichen Humerus haben (1888), ferner über die Rotationsmomente der Beugemuskeln am Ellenbogengelenke des Menschen (1889), sodann über die Methode der Bestimmung von Drehungsmomenten (Archiv f. Anatomie 1889; gegen E. Fick), über den Schwerpunkt des menschlichen Körpers mit Rücksicht auf die Ausrüstung des deutschen Infanteristen (1889), endlich über die Bewegungen des Kniegelenkes nach einer neuen Methode am lebenden Menschen gemessen (1891) und Nachtrag dazu (Anat. Anzeiger 1891, VI, 432). Die größeren Arbeiten auf diesem Gebiete sind in den Abhandlungen der Kgl. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, Bd. XIII-XVIII erschienen, außerdem kleinere Aufsätze in dem genannten Archiv f. Anatomie. Im ganzen liegen 49 Publicationen vor, zu denen noch etwa 20 von Schülern, die unter ihrem eigenen Namen schrieben, hinzukommen. Die Arbeiten über Gelenke werden von den Fachgenossen verschieden beurtheilt, da sie an mehreren Punkten mit den bisher angenommenen physikalischen Grundlagen der Gelenkmechanik in Widerspruch treten. Die Entscheidung kann erst von der Zukunft erwartet werden; jedenfalls ist es zu bedauern, daß B. aus einem Arbeitsgebiet, dem er die letzten 15 Jahre seines Lebents gewidmet hat, vorzeitig abberufen wurde. Er hatte neue und möglichst exacte Untersuchungsmethoden für seine Zwecke erst schaffen müssen.
B. war ein äußerst bescheidener, liebenswürdiger Charakter und dem Verfasser seit 1862 befreundet; er scheint geneigt gewesen zu sein, seinen jüngeren Mitarbeitern hier und da von seinem eigenen Verdienst etwas reichlich zu überlassen.
- K. v. Bardeleben, Anatomischer Anzeiger 1892, VII, 440 u. 476. – W. His, Archiv f. Anat. u. Physiol., Anat. Abth., 1893, S. 231. Mit e. Porträttafel. – W. His, Anatom. Anzeiger 1897, XIII, 331.