Zum Inhalt springen

ADB:Clausewitz, Carl von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Clausewitz, Karl von“ von Richard von Meerheimb in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 285–296, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Clausewitz,_Carl_von&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 11:36 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Clauser, Konrad
Band 4 (1876), S. 285–296 (Quelle).
Carl von Clausewitz bei Wikisource
Carl von Clausewitz in der Wikipedia
Carl von Clausewitz in Wikidata
GND-Nummer 11852111X
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|4|285|296|Clausewitz, Karl von|Richard von Meerheimb|ADB:Clausewitz, Carl von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=11852111X}}    

Clausewitz: Karl v. C. wurde am 1. Juni 1780 in Burg geboren, † 1831. Er stammte aus einer polnischen Familie, die im 17. Jahrhundert nach Deutschland, Holstein und Dänemark zog; der Familienname der Mutter war Schmidtin. Sein Vater hatte als Lieutenant im Regiment Nassau-Usingen den siebenjährigen Krieg mitgemacht und lebte mit seiner zahlreichen Familie von dem Einkommen [286] einer kleinen Civilanstellung, die ihm 300 Thlr. einbrachte. Daher war der Unterricht seiner sechs Kinder sehr unzureichend. 1792 trat C. als Junker bei dem Regiment Prinz Ferdinand ein, marschirte im folgenden Jahre nach dem Rhein und wurde bei der Belagerung von Mainz 1793 Officier. Nach dem Frieden zu Basel 1795 kehrte das Regiment in seine Garnison zurück und nun begann C., ein Autodidakt im besten Sinne des Wortes, mit solchem Erfolge zu lernen und sich auszubilden, daß er 1801, seinem lebhaften Wunsche gemäß, die unter Scharnhorst’s Einfluß umgestaltete Kriegsschule in Berlin besuchen durfte. Trotz des gänzlichen Mangels gründlichen Schulunterrichts und der geringen Bildungsmittel, die Neu-Ruppin seinem lebhaften Geiste geboten, hatte er sich mit eisernem Fleiße doch soviel Kenntnisse zu erwerben, seinen scharfen Verstand, sein Urtheil so zu entwickeln gewußt, daß er Scharnhorst’s Blicke bald auf sich zog. Scharnhorst wurde sein Lehrer und väterlicher Freund; der sittliche Ernst, die Arbeitskraft, der ideale Schwung der Seele und der nüchterne, praktische Blick des großen Mannes gingen auf seinen Schüler über. Bei seiner so ungenügenden Vorbildung wurde es C. zuerst sehr schwer, den Vorträgen auf der Kriegsschule zu folgen, oft war er dem Verzagen nahe, und hätte sein Streben aufgegeben, wenn ihn nicht Scharnhorst, den er später „den Vater seines Geistes“ nannte, zum Ausharren ermuthigt hätte.

Auf Scharnhorst’s Empfehlung war C. 1803 Adjutant des Prinzen August von Preußen geworden, nahm in dieser Stellung an dem Feldzuge von 1806 Theil und wurde nach der Capitulation von Prenzlau mit dem Prinzen gefangen, nachdem dieser, an der Spitze seines Grenadier-Bataillons, sich tapfer vertheidigt hatte und die sumpfigen Wiesen der Ucker und die Seen einen weiteren Rückzug unmöglich machten. Prinz August und C. wurden kriegsgefangen nach Nancy gebracht, gingen später nach der Schweiz und kehrten erst nach dem Frieden nach Preußen zurück. In dem Memoire des Prinzen über die Reorganisation des preußischen Heeres ist vielfach Clausewitz’ Einfluß sichtbar. In Berlin hörte C. in den Jahren nach dem Kriege Professor Kiesewetter’s philosophische Vorträge, denen er mit lebendigem Interesse folgte. Die Spuren von dessen dialektischer Methode sollen sich noch in der Gedankenentwicklung seiner rein theoretischen Werke finden. 1809 wurde C. Bureauchef im Kriegsministerium, arbeitete hier unter Scharnhorst’s persönlicher Leitung und wurde im folgenden Jahre als Lehrer an der allgemeinen Kriegsschule angestellt. Seine geistvollen anregenden Vorträge, sowie Scharnhorst’s Empfehlung, wurden Veranlassung, ihm den Unterricht des 15jährigen Kronprinzen in den militärischen Wissenschaften zu übertragen, den er in den Jahren 1810–12 ertheilte. Der Plan des Unterrichts, der dem General v. Gaudi vorgelegt und von diesem genehmigt wurde, enthält im Keime die Gedanken des großen späteren Werkes: „Vom Kriege.“ – 1810 vermählte er sich mit der Gräfin Marie von Brühl.

Als 1812 Preußen ein Bündniß mit Frankreich schloß und ein Contingent zum französischen Heere stellte, nahm C. wie andere gleichgesinnte Officiere, z. B. Gneisenau und Boyen, den Abschied und trat in russische Dienste. Im Februar 1812 hatte der damalige Oberstlieutenant v. C. eine Denkschrift entworfen, die zur Veröffentlichung bestimmt war, um seine und seiner Freunde – ich nenne nur Scharnhorst, Gneisenau, Boyen – Handlungsweise zu rechtfertigen, „ein bleibendes Zeugniß ihres Wirkens und Wollen zu hinterlassen, das früher oder später für die große Sache des Vaterlandes wirken könne“. Diese Denkschrift – abgedruckt in Pertz’ Biographie Gneisenau’s, Theil III., Anhang – suchte die Nachtheile des Bündnisses mit Frankreich zu zeigen, wies nach, was für die Vorbereitung des Kampfes geschehen sei, was noch geschehen müsse und wie derselbe geführt werden könne. In flammenden Worten wird die „fast allgemeine Stimmung“ der öffentlichen Meinung angegriffen, die offen ausspreche, [287] „daß sie an der Erhaltung des Staats auf dem Wege der Ehre und Pflicht verzweifele, daß die bedingungsloseste, schändlichste Unterwerfung Pflicht erscheine“. Welche Mittel die Vertreter der Friedenspartei à tout prix damals anwendeten, um die unbequemen Reformer und Dränger zum Kriege zu entfernen, mag man aus diesem Memoire ersehen, das Gneisenau zur Durchsicht zugeschickt und von ihm mit Randbemerkungen versehen wurde. Der Druck „dieses Denkmals des Heldengeistes, der kriegerischen Scharfsicht und Kühnheit, der unbegrenzten Vaterlandsliebe der edlen Freunde“ wurde damals aus Rücksicht auf die Regierung verschoben und unterblieb dann im Drange der kriegerischen Zeiten. – Da die Bildung der russisch-deutschen Legion, bei welcher C. angestellt werden sollte, sich verzögerte, wurde er Adjutant des Generals Phull, eines früheren würtembergischen Officiers, dann Generalstabsofficier bis 1806 in preußischen Diensten, welcher, früher Militärlehrer des Kaisers Alexander, sich jetzt ohne bestimmte Functionen im großen Hauptquartier befand. Phull, ein einseitiger Theoretiker, voll Verstand aber ohne Kenntnisse, hartnäckig, ohne Energie und ohne die Fähigkeit selbständige Entschlüsse zu fassen, hatte den Plan, im befestigten Lager von Drissa die französische Armee zu erwarten. Obwol Phull nicht mit der obersten Leitung der Operationen betraut war, so galt er doch als Generaladjutant des Kaisers, der mit ihm bei der Armee war, für die Seele der Heeresführung und alle Kritik richtete sich wesentlich gegen ihn. C., zur Besichtigung der Lagerarbeiten und zur Bezeichnung der Marschquartiere nach Drissa an der Düna geschickt, fand alle von Phull selbst vorgeschriebenen Befestigungen sehr unzweckmäßig, hielt es überhaupt für unmöglich, daß die russische Armee bei ihrer damaligen Stärke und ihrem Zustande schon bei Wilna der großen Armee Napoleon’s entgegengestellt werden könne. Ebenso wurde eine Vereinigung mit Bagration bei dieser ersten Aufstellung fast unausführbar. Von allen diesen Nachtheilen wußte C. den Kaiser bei einer persönlichen Zusammenkunft zu überzeugen, ohne den ihm wohlwollenden Phull bloszustellen. Diesen wußte er zu bestimmen, dem Kaiser, der ohnehin das Mißtrauen der Armee gegen Phull’s Befähigung theilte, die Ernennung Barclay’s zum Oberbefehlshaber der Armee vorzuschlagen, selbst aber mit ihm die Armee zu verlassen. Barclay führte dann die Armee nach Smolensk und Moskau zurück, was mehr Folge der Gewalt der Verhältnisse als eines prämeditirten Planes war. C. wurde nach Phull’s Rücktritt Quartiermacher bei dem Grafen Pahlen und machte in dieser Stellung das Gefecht bei Witepsk, die Schlacht bei Smolensk und im Gefolge des Generals Uwaroff die Schlacht an der Moskwa mit. Bald darauf wurde er zum Chef des Generalstabes der Besatzung von Riga unter Graf Essen ernannt, blieb aber, als der Rückzug der großen Armee begann, in Wittgenstein’s Hauptquartier, in dem er Ende November eintraf. Ende December der Avantgarde unter Diebitsch zugetheilt, welche sich zwischen Macdonald’s Corps und das preußische unter York zu schieben suchte, führte er die Verhandlungen mit York, die zur Convention von Tauroggen (abgeschlossen in der Windmühle zu Poscherun den 31. Dec. 1812) führten. Kaiser Alexander schickte ihn bei Beginn des Feldzuges ins preußische Hauptquartier, wo er bis zum Ende des Waffenstillstandes blieb, aber noch keine Gelegenheit fand, in das preußische Heer zurückzutreten, da König Friedrich Wilhelm III. eine Mißstimmung gegen alle Officiere bewahrt hatte, die bei Abschluß der Alliance mit Frankreich gegen Rußland und bei der Stellung eines Hülfscorps in fremde Dienste getreten waren. Den Tod seines geliebten Lehrers und Freundes Scharnhorst empfand er mit tiefem Schmerze; er hat dessen Andenken in einem trefflichen biographischen Aufsatze geehrt, dem Besten, was über den großen Mann geschrieben worden. („Ueber das Leben und den Charakter von Scharnhorst. Aus dem Nachlaß des Generals von Clausewitz.“ Abgedruckt in Ranke’s historisch-politischer Zeitschrift 1832.)

[288] Da der so segensreiche und nothwendige Abschluß des Waffenstillstandes am 4. Juni bei der patriotischen Begeisterung des Volkes vielfach mißdeutet worden und auch Einsichtigere fürchteten, daß er die Brücke zu einem schimpflichen Frieden werden könne, schrieb C. einen Bericht über den Feldzug von 1813 bis zum Abschlusse des Waffenstillstandes, indem er die Vortheile andeutete, welche er den Alliirten bot und die Hoffnung auf einen glücklichen Erfolg des Kampfes begründete. Als Blücher für das Obercommando der schlesischen Armee, Gneisenau zum Chef des Generalstabes derselben ernannt waren, wünschte letzterer den ihm befreundeten und geistesverwandten C. als Generalquartiermeister derselben zu sehen. Doch wurde, auf des Generaladjutanten Knesebeck Rath, der diesem befreundete Müffling gewählt, weil man in dessen pedantischer Natur und schulmäßiger Kriegsgelehrtheit ein Gegengewicht gegen Blücher’s rücksichtslose Energie und Gneisenau’s hochfliegende Pläne zu finden hoffte. C., noch in russischen Diensten, wurde Chef des Generalstabes in Wallmoden’s Armee und nahm in dieser Stellung mit Auszeichnung an dem wesentlich von ihm geleiteten Gefecht an der Göhrde Theil. Anfang 1814 wurde er in Blücher’s Hauptquartier gesandt, trat aber erst nach dem Frieden als Oberst in den preußischen Dienst zurück und wurde bei dem Wiederausbruch des Krieges Chef des Generalstabes des III. Armeecorps (Thielemann), das bei Ligny und Wavre kämpfte. Auch nach dem Frieden blieb er in demselben Verhältniß zu Thielemann als Chef des Generalstabes des Generalcommandos am Rhein, in Coblenz. 1818 wurde er als Generalmajor zum Director der allgemeinen Kriegsschule nach Berlin berufen; die Hoffnungen, die man an die Wirksamkeit einer so hervorragenden Intelligenz an dieser Stelle geknüpft, sollten sich nicht erfüllen. Die wissenschaftliche Leitung der Anstalt lag in den Händen der Militärstudiencommission, die Einberufung der Officiere zur Kriegsschule, ihre spätere Beförderung und Anstellung hing weniger von ihren wissenschaftlichen Leistungen, als von der Protection ab, die sie in anderen Kreisen fanden. Ebenso scheiterten Clausewitz’ Versuche, einen regelmäßigen Besuch der Stunden einzuführen, an kleinlichen, schwer im Einzelnen zu bezeichnenden Gegenwirkungen. C. hat in dieser Stellung peinliche Erfahrungen gemacht; obwol seine große Urbanität, selbst eine gewisse Blödigkeit, ihn nie die Form verletzen ließ, und obwol er niemals voreilige Schritte oder herbe Aeußerungen gethan, so wurden doch bei der Generalinspection und dem Kriegsministerium Beschwerden geführt, die zum Theil seine Versetzung in einen anderen Wirkungskreis veranlaßten. Selbst den jungen, zum Besuch der Kriegsschule commandirten Officieren gegenüber war er schüchtern und fast verlegen, es kostete ihm sichtliche Ueberwindung ein Wort des Tadels oder einen Vorwurf auch in der mildesten und höflichsten Weise auszusprechen. Später, nachdem der wissenschaftlich und geistig vielleicht bedeutendsten Persönlichkeit des Heeres eine andere Thätigkeit zugewiesen worden, wurde die Direction der Kriegsschule fast nur mit älteren Generalen besetzt, deren Kräfte höheren Stellungen in der Armee nicht mehr gewachsen waren; doch ist das damalige, ihm oft unangenehme und drückende Verhältniß für die Militärwissenschaft und die gesammte Armee zum reichsten Segen geworden, denn hier fand er Zeit zu den nach seinem Tode herausgegebenen Werken, deren Grundgedanken die kriegswissenschaftlichen Anschauungen der deutschen Heere seit Jahrzehnten bestimmen und die großen Erfolge der letzten Kriege mit bedingt und vorbereitet haben. Sie stammen aus der Zeit seines innigen Verkehrs mit Scharnhorst, gewannen die erste Gestalt zu der Zeit, wo C. dem Kronprinzen militärischen Unterricht ertheilte, wurden entwickelt und gereift in den reichen Erfahrungen der Kriege von 1812–15 und im geistigen Verkehr mit vielen bedeutenden Heerführern und Staatsmännern, namentlich mit Gneisenau, den C. fast jährlich auf dessen Landsitz besuchte. 1830 wurde er auf den Vorschlag des Prinzen August von [289] Preußen, des Chefs der Artillerie, als Inspecteur der zweiten Artillerieinspection nach Breslau versetzt, womit seine Arbeit an den später herausgegebenen Werken geschlossen wurde. Die Manuscripte fanden sich damals in Berlin, versiegelt und als unvollendet bezeichnet, nach seinem Tode vor. Schon im December desselben Jahres wurde er auf Gneisenau’s Wunsch nach Berlin berufen und als Chef des Generalstabes der vier, dem Feldmarschall unterstellten Armeecorps, zum Schutze der östlichen Grenze, angestellt. Im März des folgenden Jahres ging das Generalcommando nach Posen; da die preußischen Truppen zu keiner kriegerischen Verwendung kamen, war Clausewitz’ Thätigkeit wesentlich administrativer Natur, aber bei dem genauen Studium des russisch-polnischen Krieges, dessen tägliche Operationen im preußischen Hauptquartier genau verfolgt und eingehend mit dem Feldmarschall besprochen wurden, zeigte C., wie General v. Brandt in seinen trefflichen Memoiren sagt, die ganze Schärfe seines kritischen Geistes, er tadelte namentlich Diebitsch’ Maßregeln, fürchtete die schwersten Unfälle und war oft mit dem mehr sanguinischen Gneisenau in Widerspruch. Dagegen zeigte er ein seltenes Talent, aus wenigen Angaben über die Stellung des Feindes dessen folgende Operationen vorher zu sagen und mit nie irrender Geistesklarheit die Situation zu entwickeln, die sich aus den wenigen ihm gegebenen Daten ergeben müsse. Das Schicksal hat es ihm versagt, im Kriege selbst große Heere zu leiten, aber der oben genannte, keineswegs für C. voreingenommene Beurtheiler, ist überzeugt, daß der große Schriftsteller als Stratege sich glänzend bewährt haben würde. „Die Art, wie er die Dinge beurtheilte, aus einzelnen Bewegungen und Märschen Folgerungen zog, die Geschwindigkeit und Dauer der Märsche calculirte, und die Punkte voraus bestimmte, wo es zu Entscheidungen kommen würde, waren von höchstem Interesse. Was später von Historikern mühsam ausgeklügelt, von Militärschriftstellern als die Quintessenz militärischer Weisheit aufgetischt worden, erschloß sich ihm im Augenblick.“ Dagegen glaubt Brandt nicht, daß C. in der unmittelbaren Führung der Truppen Ausgezeichnetes geleistet haben würde. Ihm fehlte l’art d’enlever les troupes, er wurde verlegen und fühlte sich nicht ganz frei und wohl vor der Front, was weniger Folge seiner geistigen Eigenthümlichkeit, als der mangelnden Gewohnheit war (manque d’habitude du commandement), da er von den ersten Jahren seiner Dienstzeit an bis 1830 sich in Stellungen befunden, in denen er nicht direct zu commandiren hatte. Im geselligen Verkehr war C. höchst liebenswürdig, seine Conversation war immer anregend und geistig belebt, in der Controverse zeigte sich die dialektische Schärfe seines Geistes, dessen Eigenthümlichkeit es entsprach, daß er alles Komische sehr lebhaft empfand; sein herzliches Lachen konnte sich fast bis zum Lachkrampf steigern. Wie vorher Diebitsch, wurde auch Gneisenau am 23. August ein Opfer der Cholera und C. erlag noch im Laufe des Jahres derselben Krankheit wie der geliebte Feldherr und Freund. Er starb am 16. November in Breslau nach kurzem Krankenlager, wenige Tage nach seiner Rückkehr aus Posen. Er hat keine anderen Kinder als seine unsterblichen Werke hinterlassen, welche seine Wittwe später unter Mitwirkung des Majors v. Etzel, des Generals Grafen Gröben und anderer Freunde herausgab. Der bekannte Militärschriftsteller P. (Pönitz), der sich die Apotheosirung und Popularisirung Clausewitz’ zur Aufgabe gestellt hat, sagt sehr wahr: „Alle anderen militärischen Schriftsteller werden mit der Zeit, in der sie gelebt, vergessen werden, nur zwei werden unvergänglichen Ruhm und Werth behalten, Behrenhorst und C.“; Beide geben keine Theorie, die aus den Gefechtsverhältnissen ihrer Zeit abstrahirt und auf sie berechnet ist, sondern sie zeigen, daß im Kriege die intellectuellen und moralischen Eigenschaften des Feldherrn wie der Officiere und Soldaten entscheiden, [290] und das gilt für alle Zeiten, für jede Form der Organisation der Heere und jede Art der Bewaffnung.

An der Spitze der Angabe von Clausewitz’ einzelnen Werken und deren kurzer Beurtheilung, mag hier die warme und treffende Charakteristik stehen, die General Gröben, der Herausgeber des 9. u. 10. Theiles der Gesammtwerke, in der Vorrede entwirft. „Selten findet sich in einer Person eine solche Stärke der Meditation mit so großer Tiefe des Gemüths und Zartheit der Empfindung verbunden als in C. Wem die Wahrheit indessen nicht mehr gilt, als der Schmerz sie zu tragen, dem konnte sein Urtheil auch im gewöhnlichen Leben oft da zu scharf dünken, wo es nur gerecht war; oder der, dessen Blick nur an der Oberfläche streifte, konnte sich wol von ihm abwenden, weil ihm das Herz kalt schien, das gleichwol so tief, wahr und warm empfand. Freund und Feind fand in allen Wechselfällen des Lebens in ihm den Ehrenmann, der überall nur die Sache kennt, nicht die Person. Er war der Mann ruhiger Besonnenheit, seltener Klarheit, unerschütterlicher Festigkeit der Gesinnung. Aber nicht allein im Gebiete militärischen Wissens war er stark, er war es auch als Staatsmann im höheren Sinne des Worts. Und eben weil er so war, stand er den Männern so nahe, welche die Zeitgeschichte mit höchster Achtung nennt: Scharnhorst, Gneisenau, Stein.“ Es war ein Vermächtniß des vielgeliebten Verstorbenen, das es der Wittwe zur Pflicht machte, die hinterlassenen Werke herauszugeben, was C., selbstlos und fern von aller Eitelkeit, nicht bei seinen Lebzeiten hatte thun wollen. Die Herausgeberin, nach Clausewitz’ Tode Oberhofmeisterin der Prinzessin Wilhelm von Preußen, hatte die Geistesarbeit des Gatten mit lebendigem Antheil begleitet, da sie „in der glückseligen Ehe Alles mit einander theilten, nicht allein Freud und Leid, auch jede Beschäftigung, jedes Interesse des täglichen Lebens“. Sie konnte Zeugniß geben von dem Eifer, von der Liebe, mit der er sich seiner Arbeit widmete, von den Hoffnungen, die er damit verband, sowie von der Art und dem Zeitpunkte ihres Entstehens und durfte in der Vorrede sagen: „War ich 21 Jahre hochbeglückt an der Hand eines solchen Mannes, so bin ich es auch noch, trotz meines unersetzlichen Verlustes, durch den Schatz meiner Erinnerungen und meiner Hoffnungen, durch das reiche Vermächtniß von Theilnahme und Freundschaft, das ich dem geliebten Verstorbenen verdanke, durch das erhebende Gefühl, seinen seltenen Werth so allgemein und so ehrenvoll anerkannt zu sehen.“ Diese liebevollen Züge einer weiblichen Hand durften dem Gesammtbilde des großen Schriftstellers um so weniger fehlen, da die vorherrschend analytische Natur seines Geistes, die vernichtende Kritik in seinen Werken, leicht zu einem unrichtigen Urtheile über den Menschen verleiten können. Von 1832 an erschienen die hinterlassenen Werke des Generals K. v. C. in 10 Bänden in Berlin bei Ferdinand Dümmler. Die ersten drei Bände enthalten die theoretische Anschauung des Verfassers vom Kriege, die späteren, als Anwendung auf die Kriegsgeschichte, die kritische Beleuchtung und Darstellung einzelner Feldzüge. C. sagt in der Vorrede: „System ist in dieser Darstellung auf der Oberfläche gar nicht zu finden und statt eines fertigen Lehrgebäudes sind es nichts als Werkstücke. Die wissenschaftliche Form liegt in dem Bestreben, das Wesen der kriegerischen Erscheinungen zu erforschen, ihre Verbindung mit der Natur der Dinge, aus denen sie zusammengesetzt sind, zu zeigen“, und in einem späteren unvollendeten Aufsatze: „Das Manuscript über die Führung des großen Krieges, welches man nach meinem Tode finden wird, kann, so wie es da ist, nur als eine Sammlung von Werkstücken betrachtet werden, aus denen eine Theorie des großen Krieges aufgebaut werden sollte. Das Meiste hat mich noch nicht befriedigt, allein die Hauptlineamente, welche man in diesen Materialien herrschen sieht, halte ich für die richtigen in der Ansicht vom Kriege, sie sind die Frucht eines vielseitigen [291] Nachdenkens mit beständiger Richtung gegen das praktische Leben, in beständiger Erinnerung dessen, was die Erfahrung und der Umgang mit ausgezeichneten Soldaten mich gelehrt hatte.“ C. verkannte die großen Schwierigkeiten nicht, die ein philosophischer Aufbau der Kriegskunst habe, die vielen schlechten Versuche verglich er mit Lichtenberg’s bekanntem Auszug aus einer Feuerlöschordnung; dennoch hielt er es für möglich, eine systematische Theorie des Krieges zu schreiben; er hat nach eigenem Wort nur die Materialien[WS 1] voll Geist und Gehalt geliefert, hat aber zugleich die falschen, auf die Kriegführung oft so einflußreichen Theorien mit unerbittlicher Kritik und mit oft höhnender geistiger Ueberlegenheit zerstört. Wieviel die deutschen Heere auch diesem negativen Theil seiner großen Leistungen verdanken, erkennt man leicht, wenn man Krismanic’s Kriegsplan von 1866, Frossard’s und Bazaine’s Anschauungen vom Kriege kennt; die französische wie die österreichische Litteratur zeigen, daß Feldherren und Schriftsteller noch in dem Bann der ausgeklügelten Theorien eines Matthieu Dumas und des Erzherzogs Karl, oder derer von Heinrich v. Bülow oder von Jomini[WS 2] liegen. So darf man sagen, daß die Männer, die 1864, 1866, 1870/71 die preußischen und deutschen Heere geleitet haben, durch Clausewitz’ Schriften gebildet sind, und in ihren tiefgedachten und so einfachen Conceptionen, bei dem energischen Wollen, bei der sorgsamen Ausführung mit eiserner Consequenz festgehaltener Entschlüsse, spürt man das Wehen seines Geistes. Der Krieg ist nach C. die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln; eine unendlich fruchtbare Definition, die von vorneherein die abstracte, rein mathematische oder eng an das Terrain geknüpfte Anschauungsweise ablehnt. Das Ziel des Kampfes ist, den Feind wehrlos zu machen, seine materiellen und moralischen Streitkräfte zu vernichten; die Mittel dazu lassen sich alle auf eines zurückführen, den Kampf. Das ist ganz im Sinne Friedrich des Großen und Napoleons, Blücher’s und Gneisenau’s gedacht, und hat sich 1866 und 1870 glänzend bewährt. Der Kampf aber ist ein Abmessen der körperlichen und geistigen Kräfte, vermittelst der körperlichen. Die Kriegführung – zu der im weiteren Sinne alle Thätigkeiten gehören, die um des Krieges willen da sind, also auch die Schöpfung der Streitkräfte ist die Anordnung und Führung des Kampfes, der aus einer großen Zahl in sich geschlossener Acte, Gefechte, besteht; daraus entspringt die ganz verschiedene Thätigkeit, diese Gefechte in sich anzuordnen und sie unter sich zum Zwecke des Krieges zu verbinden. Das eine ist Taktik, das andere Strategie genannt worden; erstere ist die Lehre vom Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht, letztere die Lehre vom Gebrauch der Gefechte zum Zwecke des Krieges. Eine positive Lehre der Kriegführung ist unmöglich, da das Talent und das Genie des Feldherrn außer dem Gesetze handeln, die Theorie würde meist im Widerspruch mit der Wirklichkeit sein. Die moralischen und intellectuellen Momente der kriegerischen Thätigkeit entziehen sich jeder Berechnung, aber sie wirken nicht überall gleich stark ein. Der Muth persönlicher Aufopferung wird bei dem Soldaten und den niederen Führern mehr in Anspruch genommen, für den Verstand und das Urtheil derselben sind die Schwierigkeiten geringer. Das Feld der Erscheinungen ist geschlossener, Zwecke und Mittel in der Zahl beschränkter, die Data bestimmter, meist in wirklichen Anschauungen enthalten; die Schwierigkeiten nehmen in den höchsten Stellen zu und bei dem obersten Feldherrn muß fast Alles dem Genius überlassen bleiben. Es ist leichter, die innere Ordnung, Anlage, Führung eines Gefechts durch eine theoretische Gesetzgebung zu bestimmen, als den Gebrauch des Gefechts. Da ringen die physischen Waffen miteinander, und wenn auch der Geist nicht fehlen darf, muß doch der Materie ihr Recht gelassen werden. In der Wirkung der Gefechte, wo die materiellen Erfolge zu Motiven werden, hat man es nur mit der geistigen Natur zu thun. Die Theorie ist hier nur soweit [292] möglich als sie eine Betrachtung, keine Lehre ist. Sie ist eine analytische Untersuchung des Gegenstandes, also der Kriegsgeschichte, und führt zur Vertrautheit mit der Natur des Krieges. Je mehr sie den Zweck erreicht, desto mehr geht sie aus der objectiven Gestalt des Wissens in die subjective des Könnens über. Bilden sich aus den Betrachtungen von selbst Grundsätze und Regeln, schießen die Wahrheiten von selbst in Krystallform zusammen, so wird die Theorie diesem Naturgesetz des Geistes nicht widerstreben, aber nur um dem Gesetz des Denkens zu genügen, nicht um daraus eine algebraische Formel für das Schlachtfeld zu bilden. Es gibt für die Kriegführung keine Gesetze, aber Grundsätze, Regeln, Vorschriften und Methoden, namentlich für die Taktik. Alle Formationsübungen und Felddienstreglements sind Vorschriften und Methoden, sie sind unentbehrlich, da durch die Uebung der stets widerkehrenden Formen Fertigkeit, Präcision und Sicherheit in der Führung der Truppen erreicht und die Friction der Maschine vermindert wird. Die Methode wird umsomehr gebraucht, je weiter die Thätigkeit hinunter steigt; nach oben hin wird sie abnehmen, bis sie sich in den höchsten Stellen ganz verliert. Darum wird sie mehr in der Taktik als in der Strategie zu Hause sein, denn der Krieg in seinen höchsten Bestimmungen besteht nicht aus einer unendlichen Menge kleiner Ereignisse, sondern aus einzelnen großen, die individuell behandelt sein wollen. Für den Feldherrn ist daher die Klarheit des Geistes und die Stärke des Charakters das Entscheidende, der wichtigste Theil der Strategie liegt im Gebiete des Willens. Die Mittel und Formen, deren sich die Strategie bedient, sind so sehr einfach, durch ihre beständige Wiederkehr so bekannt, daß es dem gesunden Menschenverstand nur lächerlich vorkommen kann, wenn er häufig die Kritik mit geschraubter Emphase davon sprechen hört. Dies wird noch lächerlicher dadurch, daß eben diese Kritik nach der gemeinsten Meinung alle moralischen Größen von der Theorie ausschließt, so daß Alles auf ein paar mathematische Verhältnisse von Gleichgewicht und Uebergewicht, von Zeit und Raum beschränkt wird. Die Verhältnisse der materiellen Dinge sind alle sehr einfach, schwieriger ist das Auffassen der geistigen Kräfte, die im Spiel sind. So ist auch in der Strategie Alles sehr einfach, aber nicht Alles sehr leicht; den einmal gefaßten Plan durchzuführen, das erfordert neben einer großen Stärke des Charakters eine große Klarheit und Sicherheit des Geistes. Die den Gebrauch des Gefechts bedingenden Ursachen lassen sich in die moralischen, physischen, mathematischen und statistischen Elemente eintheilen; denkt man sich diese Elemente getrennt, so wird Klarheit in die Vorstellungen gebracht, manche verlieren von selbst die erborgte Wichtigkeit; der Werth einer Operationsbasis z. B. würde, wenn man nur ihre Lage betrachten wollte, viel weniger von dem geometrischen Element der Winkel abhängen, als von der Beschaffenheit der Wege in der Gegend, durch die sie führen. Die moralischen Größen sind die Geister, die das ganze Element des Krieges beherrschend durchdringen und die sich an den Willen, der die ganze Masse der Kräfte in Bewegung setzt – also an den Feldherrn –, anschließen und mit ihm in eins zusammen rinnen. Diese moralischen Hauptpotenzen sind – die Talente des Feldherrn, die kriegerische Tugend des Heeres und der Volksgeist desselben, die sich freilich aller Bücherweisheit entziehen, sich weder in Zahlen und Formeln darstellen, noch classificiren lassen. Trotz der großen Schwierigkeit einer Theorie lassen sich doch eine Reihe von Sätzen evident machen, welche die Grundlage derselben bilden können. Die Vertheidigung ist die stärkere Form des Krieges, mittelst welcher man den Sieg erringen will, um nach gewonnenem Uebergewicht zum Angriff, d. h. zum positiven Zwecke des Krieges überzugehen; die Vertheidigung ist die stärkere Form mit negativem Zwecke, der Angriff die schwächere Form mit dem positiven Zwecke. Daß die großen Erfolge die kleinen mit bestimmen, daß man also die strategischen Wirkungen auf gewisse Schwerpunkte [293] zurückführen kann, daß eine Demonstration eine schwächere Kraftverwendung ist, als ein wirklicher Angriff, daß sie also besonders bedingt sein muß, daß der Sieg nicht blos in der Eroberung des Schlachtfeldes, sondern in der Vernichtung der physischen und moralischen Streitkraft des Feindes besteht, und daß diese meist erst im Verfolgen der gewonnenen Schlacht erreicht wird, daß der Erfolg immer da am größten ist, wo der Sieg erfochten wurde, daß also das Ueberspringen von einer Linie und Richtung auf die andere nur als nothwendiges Uebel betrachtet werden kann; daß die Berechtigung zum Umgehen nur von der Ueberlegenheit überhaupt oder von der Ueberlegenheit der eigenen Verbindungs- und Rückzugslinie über die des Gegners entstehen kann, daß Flankenstellungen also auch durch dieselben Verhältnisse bedingt werden, daß sich jeder Angriff im Vorgehen schwächt, – diese und andere in seinen Schriften verstreute Gedanken nannte C. nur kleine Körner gediegenen Metalls und wies auf einen größeren Kopf hin, der noch erscheinen möchte, um statt der einzelnen Körner das Ganze in einem Guß gediegenen Metalls ohne Schlacken zu geben.

Im Obigen sind die aus den drei ersten Theilen seiner Werke gezogenen Gedanken fast überall mit dessen eigenen Worten wiedergegeben, weil bei der Schärfe seins Denkens, der Knappheit und Prägnanz seines Ausdrucks, sich Wort und Gedanke überall decken und weil viele Goldkörner aus seinen Werken längst „geflügelte Worte“ geworden, die leider zum Theil halb oder mißverstanden werden und nicht Alle wissen, wer sie zuerst gesprochen. Wie Kant’s Philosophie in Deutschland das Denken selbst derer schult, die kaum mehr von ihm als seinen Namen kennen, so beherrscht C. seit 30 Jahren die kriegswissenschaftliche Anschauungssweise des preußischen Heeres. Sein Einfluß ist wesentlich negativ, denn man mag zweifeln, ob es möglich ist, nach den feinen von ihm gezogenen Linien das Gebäude einer Theorie zu gestalten. Aber er hat uns befreit von der hohlen Gelehrsamkeit früherer Zeiten, hat all’ die elenden Systeme mit überlegenem Hohn zerstört, hat uns von allen zuerst gelehrt, wie man den Krieg studiren und seine Geschichte schreiben soll und uns gezeigt, daß im Kriege die intellectuellen und moralischen Potenzen im Feldherrn und den Führern und Soldaten die materiellen und mechanischen unendlich überwiegen. Die Freiheit und ideale Erhebung des Geistes, die Stärke und Zucht des Willens im Dienste der Pflicht athmen in jedem Satze seiner Werke. Nur das erste Capitel des ersten Buches über die Natur des Krieges hielt er für vollendet, alle anderen Theile der sechs Bücher (über die Theorie des Krieges, von der Strategie, das Gefecht, die Streitkräfte, die Vertheidigung) sollten noch umgearbeitet und gekürzt werden; das siebente und achte Buch, über den Angriff und den Kriegsplan, waren nur in flüchtigen Skizzen und Vorarbeiten vorhanden. Besonders mag hier auf die Capitel über Festungen im fünften und sechsten Buch hingewiesen werden, die trotz der gewaltigen Umgestaltungen der Communicationen und der Waffen noch heute volle Wahrheit haben. Leuchtende Beispiele seiner Geistesschärfe bieten die Capitel: „Ueber Höhen, Operationsbasis und Schlüsselstellungen“, die wenigstens im deutschen Heere die Irrlehren früherer Theoretiker mit ihren oft so nachtheiligen Einflüssen auf die Heeresleitung für alle Zeit zerstört haben sollten. Was C. über Märsche, Quartiere, den Unterhalt sagt (letzteres in Uebereinstimmung mit der größten Autorität auf diesem Gebiete, Cancrin, „Militär-Oekonomie im Frieden“), zeigt den nüchternen Blick des erfahrenen Mannes für das praktische Leben, der alle kleinen Bedingungen und Hemmungen der Heeresmaschine mit derselben geistigen Klarheit beherrscht, mit welcher er die luftigen Spinngewebe abstracter Theorien zerriß und sich selbst im freiesten Aether der Speculation bewegte.

Dem achten Buche (vom Kriegsplan) folgt als Anhang die oben erwähnte [294] Uebersicht des dem Kronprinzen ertheilten militärischen Unterrichts, enthaltend neben dem Entwurf für denselben die Aufsätze: „Ueber die wichtigsten Grundsätze des Kriegführens; „Ueber die organische Eintheilung der Streitkräfte“; „Skizze eines Planes zur Gefechtslehre“. – Die folgenden 7 Bände seiner Gesammtwerke enthalten: die kritischen Darstellungen der Feldzüge von 1796 und 1797 in Italien (Band 4); die Feldzüge von 1799 in Italien und der Schweiz (Band 5 und 6); den Feldzug von 1812 in Rußland, von 1813 bis zum Waffenstillstand (wieder abgedruckt) und den Feldzug von 1814 in Frankreich (Band 7); den Feldzug von 1815 gegen Frankreich (Band 8); strategische Beleuchtung mehrerer Feldzüge von Gustav Adolf, Turenne, Luxemburg und andere historische Materialien zur Strategie (Band 9); strategische Beleuchtung mehrerer Feldzüge von Sobieski, Münich, Friedrich dem Großen, dem Herzog Ferdinand von Braunschweig und andere historische Materialien zur Strategie (Band 10).

Wie schon der von dem Herausgeber gewählte Titel andeutet, sind die Darstellungen der Feldzüge in den beiden letzten Bänden am wenigsten ausgearbeitet und abgerundet; doch enthalten auch sie einen reichen Schatz treffender Bemerkungen und tiefblickender Anschauungen. Die Beurtheilung der Feldzüge Gustav Adolfs haben spätere Forschungen bestätigt. Diese strategischen Beleuchtungen gewähren das höchste Interesse, sie vergönnen uns einen Blick in die Werkstätte seines eminenten, mit rastlosem Fleiße arbeitenden Geistes. Clausewitz’ Genie, dessen Tendenz vorherrschend analytisch war, zeigte seine Stärke und Eigenthümlichkeit besonders in seinen kritischen Betrachtungen der Kriegsgeschichte. Ueberall faßt er – seinem leitenden Grundsatze gemäß, daß der Krieg eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist – die politischen Verhältnisse ins Auge und weist nach, welchen Einfluß sie auf den Kriegsplan und die späteren Entschlüsse des Feldherrn ausüben. Glänzend ist sein Talent der persönlichen Charakteristik, z. B. im Feldzuge von 1812; von dem Gesammtbilde der Versammlung der Streitkräfte, der Operationen und Gefechte, heben sich die Gestalten der Führer mit ihren Vorzügen und Fehlern scharf und treu gezeichnet, die Darstellung belebend und erwärmend, ab. „In der geschichtlichen Kritik“, sagt C. (Band 1. Vom Kriege, S. 154 ff. u. a. a. O.), „lassen sich drei Thätigkeiten des Verstandes unterscheiden; erstens: die geschichtliche Ermittelung und Feststellung zweifelhafter Thatsachen; zweitens: die Ableitung der Wirkung aus den Ursachen – die eigentliche kritische Forschung –; drittens: die Prüfung der angewandten Mittel, dies ist die eigentliche Kritik, in der Lob und Tadel enthalten sind. In den meisten kritischen Betrachtungen herrscht eine unbehülfliche, unzulässige Anwendung einseitiger Systeme, als einer förmlichen Gesetzgebung. Noch größer ist der Nachtheil, der in dem Hofstaat von Terminologien, Kunstausdrücken und Metaphern liegt, den die Systeme mit sich schleppen und der wie loses Gesindel, wie der Troß eines Heeres von seinem Prinzipal loslassend, sich überall umhertreibt. Die Meisten können gar nicht raisonniren, ohne ein solches Fragment wissenschaftlicher Lehre als Stützpunkt zu gebrauchen. Alle Terminologien verlieren aber ihre Richtigkeit, wenn sie sie hatten, sobald sie aus dem System, dem sie angehörten, herausgerissen werden. – So ist es gekommen, daß die theoretischen und kritischen Bücher, statt einer schlichten Ueberlegung, wimmelnd voll sind von diesen Terminologien, die dunkle Kreuzpunkte bilden, an denen Autor und Leser von einander abkommen.“ Ueberall fordert C. Einfachheit und Klarheit der Begriffe, zeigt die Verworrenheit und Unhaltbarkeit früherer Systeme und des kritischen Raisonnements in der Kriegsgeschichte. Die Napoleonischen Feldzüge haben wesentlich seine Anschauungsweise bestimmt, welche in den Befreiungskriegen (1813–15) ihre Bestätigung fand. In Napoleon’s [295] Feldzügen wird die Entscheidung meist durch wenige große Schlachten herbeigeführt, in denen er seine ganze Macht concentrirt, und nach dem, oft an sich wenig bedeutenden Siege, durch die Energie der Verfolgung, die Consequenz, mit welcher er den klar erkannten Zweck festhielt, den mehr überraschten, unentschlossenen, zersplitterten, als taktisch unfähig gewordenen Gegner vernichtete. Er sah die Entscheidung nicht in der Besetzung und Behauptung aller wichtigen Punkte oder der sogenannten Schlüsselstellungen, nicht in künstlichen Operationen auf die Rückzugslinien und die Ernährungsquellen des Feindes, sondern allein in der Schlacht. Zu dieser müssen alle Kräfte vereinigt, in ihr aber successive gebraucht werden, um den ermüdeten Gegner, der alle seine Truppen ins Gefecht geführt hat, mit dem Stoß frischer Kräfte zu überwältigen. Die Gefechte neuerer Zeit entscheiden sich nicht so schnell wie in dem schlesischen Kriege, wo Friedrich II. die ganze Kraft an einem Punkte in einem Moment concentrirte; damals entzündeten sich die Gefechte wie trockenes Pulver, in den Napoleonischen Kriegen wie nasses Pulver. Die Truppen wurden in ihnen sparsamer und nacheinander verbraucht, der Gegner hingehalten, zum schnellen Verbrauch seiner Kräfte verleitet, um dann durch massenhafte Verwendung der Cavallerie und Artillerie wie durch brüske Colonnenangriffe die Entscheidung herbeizuführen. Diese taktischen Anschauungen, die auch Höpfner, der in Clausewitz’ Geist dachte und schrieb, überall theilt, waren in der preußischen Armee allgemein herrschend und es wurde bis 1866 und noch während dieses Feldzuges als Gesetz betrachtet, die Streitkräfte allmählich zu entwickeln, starke Reserven aller Waffen, namentlich Cavallerie- und Artilleriereserven der Armee, zurück zu behalten, um durch sie die taktische Entscheidung herbeizuführen. Durch die moderne Entwicklung der Wirksamkeit der Feuerwaffen und die geänderte Gefechtsthätigkeit der Infanterie haben Clausewitz’ taktische, aus den früheren Feldzügen geschöpfte Anschauungen nicht mehr dieselbe Gültigkeit, während Alles, was er über Strategie, Kriegsgeschichte und historische Kritik sagt, für alle Zeiten Dauer und Geltung behalten wird. Nicht an elementarische Formen, an Behauptung wichtiger Terrainpunkte, an tiefe strategische Combinationen, sondern an die intellectuelle und moralische Ueberlegenheit des Feldherrn über die Plan- und Entschlußlosigkeit des Unterliegenden, an den Muth, die Disciplin der Truppen, an die verständige Sorge für ihre Ernährung, war der Sieg von jeher geknüpft. Daher hat die Kriegswissenschaft nicht dahin zu streben, ein speculatives System der Kriegführung, Recepte für den Gewinn der Schlachten zu finden, sondern sie soll nur die Erfahrungen der Vergangenheit mit denen der Gegenwart vergleichen; nur wenige allgemeine Grundsätze gibt es, die so fest eingeprägt werden müssen, daß „sie die Gewalt der Anschauung“ erlangen, aber bei den stets veränderten Verhältnissen fordert jeder einzelne Fall seine besondere Regel, die nur „in der Atmosphäre der Gefahr“, nicht in der Studirstube entworfen werden und Geltung finden kann.

Die Zeitschrift für Kunst, Wissenschaft und Geschichte des Krieges brachte im Jahrgang 1858 einen Aufsatz von C. über die preußische Kriegsverfassung, der vor jeder Verringerung des Heeres-Budgets warnt, und zeigt, daß die Sicherheit des Thrones nichts von der allgemeinen und gleichen Dienstpflicht zu fürchten habe. Der Aufsatz ist nicht in die letzte Gesammtausgabe seiner Werke aufgenommen, ist aber unzweifelhaft von seiner Hand, und wahrscheinlich 1819 geschrieben, als Boyen und Grolmann wegen der Aenderung der Landwehr-Einrichtung den Abschied genommen. Clausewitz’ Urtheile sind hier wie überall nicht ohne Schärfe, das erklärt, daß der im Leben so milde Mann viele Feinde hatte. Seine großen Verdienste fanden zuerst getheilte und späte Anerkennung wegen der politischen Parteistellung, die ihm zugeschrieben wurde.

[296] In Clausewitz’ Nachlaß fand sich ein von Höpfner in dessen trefflicher Geschichte der Feldzüge von 1806 und 1807 benütztes Manuscript über den Feldzug von 1806, das damals wegen der einschneidenden Schärfe der Kritik wie der persönlichen Charakteristik nicht den Gesammtwerken einverleibt werden durfte. Es wartet noch im Archive des Generalstabes auf seine Veröffentlichung. Alles was in der theoretischen Behandlung des Krieges und der Geschichte desselben bisher geleistet, wurde durch Clausewitz’ hinterlassene Werke in so tiefen Schatten gestellt, daß seine reiche, ernste und geistesfreie Anschauungsweise, besonders wol seine Kritik, manche Widersprüche hervorrief, deren einige hier erwähnt werden mögen.

Was der Prinz Eugen von Würtemberg in seinen von Helldorf herausgegebenen Aufzeichnungen über C. sagt, bezieht sich nur auf dessen Competenz als Beurtheiler des Feldzuges von 1812; der Schweizer Lecomte greift in seiner Biographie des von ihm einseitig bewunderten Jomini. (S. 377) die nur negative Richtung von Clausewitz’ Schriften, der Folge d’un vice de son esprit et de son caractère, an. „Qu’a t’il fondé“, fragt er, „nous ne savons“, was wol im Vorstehenden hinreichend widerlegt ist. Mit größerer Berechtigung wurde der Satz „daß die Vertheidigung die stärkere Form des Krieges sei“ angegriffen, z. B. in der österreichischen Militär-Zeitschrift 1863 „Gedanken über Offensive und Defensive“. Die Lehre von der Oekonomie der Streitkräfte, der Nothwendigkeit starker Reserven aller Waffen und in jedem selbständigen Truppenkörper, drohte in Verbindung mit dem Satz, daß die Defensive die stärkere Form sei, der Kriegführung einen defensiven Charakter zu geben, den freilich die siegreichen Feldzüge des letzten Jahrzehnts keineswegs gezeigt haben. Weitaus das bedeutendste Werk war die Theorie des großen Krieges von C. v. Willisen, angewendet auf den russisch-polnischen Feldzug, in welchem, fern von allen persönlichen Motiven, aber im bewußten Gegensatz zu Clausewitz’ vorherrschend negativer Wirksamkeit, was dort analytisch zerlegt war, synthetisch wieder aufgebaut werden sollte. Hatten Jomini und C. ihre Anschauungen wesentlich aus den Feldzügen und Schlachten Napoleon’s geschöpft, so ging Willisen von denen Friedrich des Großen aus. In den Händen der Familie des Verstorbenen befindet sich noch eine Anzahl von Aufsätzen politischen, philosophischen und ästhetischen Inhalts, die alle Zeugniß von der seltenen Vielseitigkeit und der eindringenden Schärfe seines Geistes geben. Das Maiheft 1876 der Zeitschrift für preußische Landeskunde enthält eine Reihe interessanter Briefe von C. an seine Frau, aus den Jahren 1812–15.

C. erlebte nicht die späte Erfüllung alles dessen in unseren Tagen, was er und seine Freunde in den Zeiten der Fremdherrschaft vorbereitet hatten. Ebenso hatten Heer und Volk im weiteren Kreise erst lange nach seinem Tode und in Folge der späteren Wirkung seiner hinterlassenen Schriften die Größe seines Wesens und Wirkens erkannt; heute wird die höhere wissenschaftliche Anschauung im preußischen Heere durch ihn bestimmt, und die glänzenden Feldzüge der Jahre 1866 und 1870/71 sind in seinem Geiste gedacht und geführt worden.

C. war von kaum mittelgroßer, schlanker Figur, der Teint dunkel, das Gesicht scharf geschnitten. Im Gespräch belebten und erheiterten sich die sonst ernsten Züge; die geistreiche Stirn, die tiefliegenden Augen und die meist fest geschlossenen Lippen erhöhten den Eindruck der oft scharf pointirten, immer anregenden Worte. Auch in der wissenschaftlichen Discussion, die er liebte, zeigte er seine unerbittliche Logik, den Reichthum an Kenntnissen, die ihm immer bereit lagen, und die Idealität seines Geistes. Die Wärme und Güte seines weichen Herzens haben Alle, die ihm näher gestanden und seinen Verlust lebenslänglich betrauerten, tief empfunden.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 296. Z. 1 v. u.: K. Schwartz, Leben des Generals Karl von Clausewitz und der Frau Maria von Clausewitz, geb. Gräfin Brühl, mit Briefen, Aufsätzen etc. 2 Bde. Berlin, Dümmler, 1878. [Bd. 8, S. 795]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Materalien
  2. siehe Antoine-Henri Jomini