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ADB:Delff, Hugo

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Artikel „Delff, Hugo“ von Johann Saß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 643–648, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Delff,_Hugo&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 17:11 Uhr UTC)
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Delff: Heinrich Karl Hugo D., philosophischer Schriftsteller, wurde am 11. August 1840 als Sohn des Buchhändlers und Buchbinders C. F. D. in Husum geboren. Die Eltern, die sich anfangs in dürftigen Verhältnissen befanden, aber später durch eigene Tüchtigkeit zu einem guten Wohlstand gelangten, waren beide schwächlich, und so erbte der Knabe von ihnen jene übergroße Sensibilität und Reizbarkeit, sowie den Keim einer Nervenkrankheit, die in gewissem Sinne für seinen ganzen Lebensgang bestimmend geworden ist und bei der Beurtheilung der eigenartigen Persönlichkeit dieses Philosophen durchaus in Betracht gezogen werden muß. Von Ostern 1850 ab besuchte er die Gymnasien in Husum und Meldorf, dann nach seiner Confirmation Michaelis 1855 die Altonaer Gelehrtenschule. Das eigentliche Schulpensum betrachtete er jedoch immer mehr als Nebensache, dagegen widmete er seine besten Kräfte ausschließlich selbständigen Privatarbeiten zunächst aus dem Gebiet der Geschichte und Litteratur. Zu den Lehrgegenständen der Prima des Altonaer Gymnasiums gehörte damals auch die philosophische Propädeutik. Hierdurch angeregt, begann D. im Sommer 1856 das Studium der Philosophie. „Da fand ich nun ein unabsehbares Feld für meinen Verstand und für meine Phantasie, vor allem für den productiven Drang, der bereits alle meine früheren Versuche beseelt hatte“, heißt es in seiner Selbstbiographie. Da er sich der Schule entwachsen und zugleich kränklich fühlte, verließ er Altona und kehrte nach Hause zurück, wo er sich mit rücksichtsloser Neigung der Philosophie ergab. Er las Plato, Spinoza, Schleiermacher, Kant, Fichte und Hegel, fand aber nirgends volle Befriedigung für seine suchende Seele. Schon wollte er an der Philosophie verzweifeln und, von einem Gefühl des Ueberdrusses und der Unlust gebeugt, sie für immer verlassen, um sich einem anderen lebensvolleren Studium zuzuwenden, da lernte er Franz v. Baader’s Werke kennen. In ihnen bot sich ihm in reifster Fülle das, was seinem eigensten tiefsten Wesen entsprach, und von da an faßte er neuen Muth zur Philosophie. „Mich näher über diesen Philosophen orientirend, fand ich mir einen Weg eröffnet, auf dem ich unmittelbar in die Tiefe der innersten lebendigen Triebfedern des Alls geführt zu werden hoffte. Ich sah in neue farbenreiche Fernen wie in eine neue Welt.“ Mit dieser Begeisterung im Herzen, bezog D. Ostern 1857 die Universität Tübingen, wo er sich hauptsächlich mit dem Studium Baader’s und Jakob Böhme’s beschäftigte. Indessen sein Plan, Philosophie zu studiren, begegnete allgemeinem Kopfschütteln, sodaß er an seinem Vorhaben wieder irre wurde und sich der Theologie als einem besseren Brotstudium zuwandte. Am meisten zogen ihn die Vorlesungen J. T. Beck’s an. Zwischendurch las er die Schriften der Mystiker, ferner zahlreiche Werke über Magie und Somnambulismus und trieb auch mathematische Studien. Allein es wurde nicht lichter in ihm, das alte Sehnen aus der Enge in die Weite regte sich mächtig wieder, und im Frühling 1858 entschloß er sich kurz, zur Philosophie zurückzukehren; er verließ Tübingen und ging nach München. Sein Aufenthalt daselbst gestaltete sich in mancher Beziehung beglückend und genußreich. Zum ersten Male streifte der goldene Lebensstrahl der Kunst seinen Pfad, der Verkehr mit dem Maler Gustav König, dem Kupferstecher Thäter u. A. bot mannigfache Anregung. Aber das letzte Resultat der Münchener Zeit war doch wieder ein negatives. „Im Ganzen erlebte ich dort viel Schönes, im Einzelnen freilich wurde meine [644] Vorstellung auch wieder auf das Härteste korrigiert“. Auch hier wiederholte sich das alte Spiel. Aus dem Philosophen wurde aufs neue ein Theologe und zwar unter dem Einfluß G. H. v. Schubert’s und seines Kreises, an den D. von Tübingen her empfohlen war. Schon die Persönlichkeit und Lebensrichtung Schubert’s bedeutete für ihn eine bittere Enttäuschung, der Umgang mit diesem Manne aber, dem er sich doch auch wieder nicht entziehen konnte, wurde ihm eine Quelle vieler Demüthigungen und schwerer innerer Kämpfe und Gewissensqualen. Gleichzeitig erlitt seine Gesundheit eine heftige Erschütterung und sein Nervenleiden nahm einen so ernsten Charakter an, daß er sich auf Anrathen eines Freundes nach Bad Boll in Württemberg begab. Hier erholte er sich in dem Frieden ländlicher Abgeschlossenheit bald soweit, daß er mit Beginn des Sommersemesters 1859 seine Studien wieder aufnehmen konnte. Er kehrte nach Tübingen zurück, um sich nun endgültig der Theologie zu widmen. Wieder war es sein alter Lehrer, der Theologe J. T. Beck, an den D. sich vor allem hielt. Die originelle, markige und sittlich tiefe Persönlichkeit dieses Mannes im Verein mit seiner eigenthümlichen, tiefschöpfenden Gedankenrichtung, die sich vielfach mit den Theosophen nahe berührte, nahm ihn vollständig gefangen. Er fühlte sich zu einem neuen Leben erweckt und von einer sich immer mehr steigernden Gewißheit der Wahrheit erfüllt. Den Winter 1859/60 brachte er im elterlichen Hause in Husum zu. Ostern 1860 finden wir ihn wieder als Theologen in Tübingen. „Da jedoch durch die dänischen Prätensionen und den Nationalitätenstreit in seiner Heimath seine Anstellung im geistlichen Amt dort an unleidliche Bedingungen geknüpft war, und er übrigens gegen dasselbe an sich auch eine persönliche Abneigung hatte, verließ er nach Ablauf des Sommersemesters Tübingen und das theologische Studium und bezog als Philosoph die Universität Kiel“, wo er im Sommer 1861 zum Dr. phil. promovirte. Seine Dissertation führte den Titel: Philosophiae scriptura sacra innisae notiones fundamentales. Damit ist Delff’s akademischer Werdegang, sowie sein ganzes Weltleben überhaupt abgeschlossen. Nach Husum zurückgekehrt, trug er sich anfangs zwar noch mit allerlei in die Weite strebenden Plänen. Allein zu einem festen Entschluß vermochte er sich nicht durchzuringen. „Das Schwanken kam über ihn wie eine Krankheit, wie ein lähmender Schleier über seine Seele“, und das Nervenübel steigerte sich von neuem derartig, daß an ein Reisen und Alleinsein in der Fremde nicht mehr gedacht werden konnte. So mußte er in Husum bleiben, und hier hat er, einen dreimonatlichen Aufenthalt in Leipzig im J. 1865 abgerechnet, seine ganze übrige Lebenszeit bis zu seinem am 6. November 1898 erfolgten Tode verbracht. Er trat in die von seinem Bruder geleitete Buchhandlung ein, deren Theilhaber er später wurde, und die schließlich nach dem Tode des Bruders in seinen Alleinbesitz überging. Jahr um Jahr floß ihm einsam und einförmig dahin. So ganz anders hatte er sich früher seine Zukunft gedacht. Aber seine Hoffnungen erfüllten sich nicht. „Das Letzte, was den Sterblichen nach Philoktet bleibt, die Resignation, ist nun auch mein Theil geworden. Die Illusionen haben sich zerstreut, die glänzende Hülle, die sich mir um Welt und Leben legte, ist zerrissen, die wilden Wünsche sind gezähmt und haben sich an der unerbittlichen Nothwendigkeit selbst erschöpft“. Die Welt war ihm verloren, aber eins blieb ihm immer, die hohe Geisteskraft, die ein freundliches Geschick ihm verliehen hatte; mit ihr und in ihr schuf er sich seine eigene Welt, ein rastlos strebender Wahrheitssucher. Von dem, was er in dieser Welt geschaut und gefunden, legen seine Schriften Zeugniß ab. Sie enthüllen uns sein eigentliches Leben.

Die Zahl der Werke, in denen D. seine philosophischen Ideen und die Resultate seiner Forschungen über die höchsten Probleme des Menschendaseins [645] niedergelegt hat, beträgt siebzehn. Sie verteilen sich auf einen Zeitraum von nahezu 30 Jahren. Wie schon erwähnt, waren Franz v. Baader und Jakob Böhme die ersten Denker, in deren Philosophie D. noch als Student etwas seinem Wesen Verwandtes und Entsprechendes fand, und eine Zeit lang war er ganz in ihre Denkweise verwandelt. Doch auch durch diese Metempsychose begleitete ihn das Bewußtsein, „daß in diesen und ihren Genossen noch nicht alles sei, daß etwas Neues geschehen müsse, und daß dieses zu vollbringen oder anzulegen er für seine Aufgabe anzusehen habe“. Und allmählich, je selbständiger er zu denken und die eingesammelten Elemente zu verarbeiten begann, um so weiter entfernte er sich wieder von jenen, sodaß Baader ihm als ein völlig Fremder erschien, und um so lebendiger und dringender erneuerte sich in ihm das Gefühl, „daß in der Philosophie vieles, ja noch alles zu thun sei, daß die Philosophie einer gründlichen Reformation bedürfe, und daß er diese versuchen müsse, es gelinge nun wie es könne“. In der That, eine Reformation der Philosophie, das ist die Aufgabe, die sich D. für seine Philosophie gestellt hat. Das Wesen dieser Reformation aber, ihr innerster Kern, hat darin zu bestehen, daß in der Philosophie an die Stelle des Verstandes das Gemüth treten muß. Der Verstand allein vermag nichts zu schaffen, höchstens Irrthümer, nicht durch ihn, sondern einzig und allein in den Tiefen des Gemüths wird „das Absolute“, wird Gott und damit die Wahrheit als eine lebendige Realität erkannt. So berührt sich Delff’s Philosophie aufs engste und innigste mit den Problemen der Theologie, religionsphilosophische Erörterungen, sowie Untersuchungen über das Christenthum und seinen Stifter beschäftigen ihn sein ganzes Leben hindurch und nehmen einen breiten Raum in seinen Schriften ein. Jener Leitsatz von der Vorherrschaft des Gemüthes aber ist bestimmend für sie alle und kehrt als oberstes Grundgesetz immer wieder. Delff’s erste Schrift sind die „Ideen zu einer philosophischen Wissenschaft des Geistes und der Natur“ (Husum 1865). In diesem Buche, dem er anfangs den Titel „Fermente zu einer Reformation unserer Begriffe“ hatte geben wollen, kündigt er in noch wenig gereifter Form seine Reformgedanken an. Unsere Begriffe sind insofern unwahr, als sie mechanisch sind. Um zur Wahrheit zu gelangen, bedarf es einer Umkehr der Wissenschaft – einer Umkehr nicht im Sinne der Hierarchie oder des Pietismus, sondern im Sinne des Geistes und der Vernunft. Reinheit des Herzens, „Eingründung“ in die Gemeinschaft des göttlichen Lebens ist die Grundbedingung der Wahrheits-, d. h. der Gotteserschauung. Die Abhängigkeit des Verfassers von den Mystikern und Theosophen tritt hier in allen seinen Ausführungen klar zu Tage. In der Folge beschäftigte er sich eingehend mit der modernen Philosophie, vor allem aber auch mit Plato und den Platonikern. Die Früchte dieser Studien wurden in dem speciell durch die Lectüre von Schelling’s „Clara“ angeregten Gespräch „Cäcilie oder von der Wahrheit des Uebersinnlichen“ (Husum 1867) und in den „Grundlehren der philosophischen Wissenschaft“ (ebd. 1869) niedergelegt. In einem Anhang zu letzteren (S. 185 ff.) skizzirt D. den historischen Zusammenhang, in dem sein System aufgefaßt sein will. Zu den Hauptstationen des Weges, den er gegangen ist, gehört auch Dante, den er als seinen „erhabenen Lehrmeister“ preist. In zwei selbständigen Schriften: „Dante Alighieri und die Göttliche Komödie. Eine Studie zur Geschichte der Philosophie und zur Philosophie der Geschichte“ (Leipzig 1869) und „Die Idee der Göttlichen Komödie“ (ebd. 1871) hat er den Dichter der Divina Commedia behandelt und den Nachweis unternommen, daß derselbe keineswegs, wie man bisher annahm, ausschließlich mit der Scholastik in Verbindung stehe und von ihr aus zu erklären sei, daß vielmehr der Geist Dante’s mit den geheimsten Tiefen der [646] Speculation, mit der von den Victorinern zu den Platonikern und weiter hinaufführenden mystischen Philosophie die intimsten und doch eigenthümlich geprägten Bezüge hatte, daß somit die Mystik der eigentliche Grund und Zweck des ganzen Gedichtes und sein Verfasser als einer der würdigsten Repräsentanten in der Geschichte der Philosophie einzureihen sei. (Vgl. Franz Hoffmann, Philosoph. Schr. Bd. 4, S. 89 ff., 1877.) – Die erste umfassende Darstellung seines Systems gab D. in dem zweibändigen Werke: „Welt und Weltzeiten. Eine Philosophie des Lebendigen und der That“ (Leipzig 1872), das man wol ein theosophisches Seitenstück zu Lotze’s Mikrokosmus genannt hat. Es ist eine Art Encyklopädie der theoretischen Philosophie. D. nimmt hier abweichend von seiner Erstlingsschrift einen durchaus scientifischen Standpunkt ein, sein Grundsatz ist ausdrücklich nicht das credo ut intelligam, sondern das intellego ut credam. „Seine Philosophie, welche die Einseitigkeiten sowohl des Realismus, der nur die Erscheinung ohne die Sache, als des Idealismus, der nur den Inhalt des Gedankens ohne sachliche Geltung kennt, gleichmäßig überwinden will, ist Idealrealismus, ihr Ziel das „An Sich der Sache“, subjectiv in der Form des Wissens, objectiv in jener des Wollens. Daraus ergeben sich zwei Haupttheile des Systems: Idealphilosophie oder Logik als ideale psychische, Realphilosophie oder Metaphysik als reale physische Seite der Idee, d. i. des Absoluten. Beide Theile zusammen, soweit sie auf apriorischer Deduction beruhen, bilden die theoretische (Schelling’s negative), soweit sie auf der nur a posteriori erkennbaren That als Thatsache beruhen, die historische (Schelling’s positive) Philosophie. Gemeinsame Grundlage beider als unendliches Subject-Object ist das nicht unpersönliche, sondern persönliche Absolute, der „lebendige Gott“, der „Alles in Allem“ ist, mit dem im Bewußtsein Eins zu sein, Wissen, im Wollen Eins zu sein, Sittlichkeit ist. Ohne „Deifikation“ ist keine Erkenntniß möglich, das Unendliche (Gott) nicht zu wissen, aber schlechterdings unmöglich.“ – Nicht streng in den Rahmen dieser philosophischen Werke, aber der Zeitfolge nach, gehört hierher die kleine Schrift: „Johann Georg Hamann. Lichtstrahlen aus seinen Schriften und Briefen. Mit Erläuterungen und einer biographischen Einleitung“ (Leipzig 1873). Ueber Hamann schrieb D. auch einen längeren Artikel für den X. Bd. der A. D. B., die außerdem noch fünf kleinere Beiträge aus seiner Feder enthält. Das folgende Werk „Cultur und Religion. Die Entwickelung des humanen Bewustseins historisch und philosophisch betrachtet“ (Gotha 1875) bildet gewissermaßen eine Berichtigung und Erweiterung von „Welt und Weltzeiten“. Während hier der philosophische Theismus als Ideal des Verfassers erscheint, beginnt er dort dem Christenthum ein größeres Vorrecht einzuräumen. „Beiträge zur Religionsgeschichte“ gab er in dem Buch: „Prometheus. Dionysos. Sokrates. Christus“ (Gotha 1877). Ausdrücklicher inaugurirte er seinen neuen Standpunkt in dem anonym erschienenen „Glaubensbekenntniß eines unmodernen Culturforschers“ (Gotha 1879), um ihn dann im Einzelnen noch näher auszuführen in der Schrift „Ueber den Weg zum Wissen und zur Gewißheit zu gelangen“ (Leipzig 1882). Das Allergewisseste ist das Sittliche, das Seinsollende; dieses ist die Grundlage aller Gewißheit. Es ist aber unzertrennlich von der Religion und entwickelt sich principiell in der Form der Religion, die wieder am reinsten und wahrsten im Christenthum vorhanden ist. Das Christenthum ist die absolute, überhaupt die einzig mögliche Religion. Es ist die als Thatsache gegebene, als unmittelbares Leben offenbarte absolute Wahrheit. Diese durch fortgesetztes religionsgeschichtliches Studium gewonnene Einsicht und Ueberzeugung hat D. in erschöpfender Weise historisch-kritisch begründet und dargelegt in seinen „Grundzügen der Entwicklungsgeschichte der Religion“ (Leipzig 1883). Sein ganzes philosophisches Denken faßte er darauf [647] übersichtlich und polemisch zusammen in dem Buche „Die Hauptprobleme der Philosophie und Religion“ (Leipzig 1886), in dem Kant und die Neukantianer die schärfste Zurückweisung erfahren. Auch dies Werk gipfelt in dem Satze, daß alle wahre Erkenntniß einzig und allein auf der Empfindung des Gemüths beruhe, und daß nur in dem Christenthum als der absoluten Religion die erfahrungsmäßige Grundlage aller Metaphysik gegeben ist. In den folgenden Jahren versenkte sich D. völlig in das Studium der Person Christi und der damit zusammenhängenden Fragen. In seiner „Geschichte des Rabbi Jesus von Nazareth“ (Leipzig 1889) verfolgte er den Zweck, das Göttliche in Jesus in dem Menschlichen desselben darzustellen. In der Persönlichkeit Jesu hat „Gott, der, der wahrhaft der Gott ist, der ideale Hintergrund und die ideale Höhe des Daseins, seinen gesammten Inhalt, d. h. sich selbst dem Menschen unmittelbar ans Herz gebracht; die reale Metaphysik und Hyperphysik des Daseins ist hier faßbares geschichtliches und innergeschichtliches Leben“. Andererseits bemühte er sich, das Leben Jesu auf eine gesicherte geschichtliche Basis zu setzen. Diese ergab sich ihm hauptsächlich aus dem Johannesevangelium, das er nach Ausscheidung verschiedener als Interpolationen erkannter Stücke einem Schüler der Gemeinde Jesu in Jerusalem, einem Mitglied der hohenpriesterlichen Aristokratie zuschrieb. Die nähere Begründung dieser Hypothese versuchte er in den beiden Schriften: „Das vierte Evangelium, ein authentischer Bericht über Jesus von Nazareth, wiederhergestellt, übersetzt und erklärt“ und „Neue Beiträge zur Kritik und Erklärung des vierten Evangeliums“ (Husum 1890). Er vervollständigte seinen Beweis noch durch den Aufsatz „Noch einmal das vierte Evangelium und seine Authenticität“ (Theologische Studien und Kritiken, Jg. 65, 1892, Bd. 1, S. 72 ff.), jedoch ohne bei den Vertretern der kritischen Theologie besonderen Anklang zu finden. – In seinem letzten Werke „Philosophie des Gemüths. Begründung und Umriß der Weltanschauung des sittlich-religiösen Idealismus“ (Husum 1893) zieht D. noch einmal die Summe seines Denkens und Lebens. „Das Gemüth ist das Innerste im Menschen, dem es nach der Seite des Erkennens besonders eigen ist, in allem Gegebenen dessen Innerstes zu erfassen, also das, was ihm zu Grunde liegt, sein Wesen, das eigentlich Sachliche. Das Gemüth ist insofern das sachliche Organ, mithin auch das eigentliche Organ für die Philosophie. Das Gemüth ist es, aus dem das wesentliche, principielle, das Totalerkennen des inneren Sachlichen und Wesentlichen hervorgeht. Nicht also nur der Verstand, sondern das Gemüth muß regieren in der Philosophie, der Verstand aber nur dessen Werkzeug und Diener sein.“ Geleitet von dieser Idee entwirft der Verfasser die Umrisse einer Speculation, welche die inneren Verhältnisse in Gott darlegen und enthüllen und die innere Genesis der Welt daraus erklären soll. Ein Anhang enthält eine „Uebersicht und Ableitung der sogenannten mystischen Erscheinungen“.

Mit dieser Schrift ist das Lebenswerk Delff’s abgeschlossen. Stolz und kühn war die Aufgabe, die er sich einst am Beginn seiner Laufbahn gestellt hatte. Ist ihre Lösung ihm gelungen, war sein Ringen und Streben von dem erhofften Erfolg gekrönt, und haben seine Ideen Eingang gefunden in die Geister, haben sie nachhaltig „reformirend“ gewirkt? Man braucht nur die Vorreden des Verfassers, besonders die zu seinen letzten Büchern zu lesen, um zu wissen, daß die Antwort auf jene Fragen im wesentlichen negativ ausfallen muß. Wohl gab und gibt es noch heute sozusagen eine kleine Gemeinde dieses Philosophen, die in jedem seiner Werke eine Offenbarung erblickt. Zu seinen begeistertsten Verehrern und Freunden zählte unter anderen der Königsberger Schriftsteller Alexander Jung. Aber im ganzen verschwindet ihre Zahl doch so sehr, daß D. selbst sich als einen „völlig Vereinsamten“ bezeichnet. [648] Die Gründe dieser Vereinsamung liegen einmal in der großen Einseitigkeit seines Systems, das fast zu allen in der wissenschaftlichen Welt herrschenden Richtungen in eine überzeugte und rücksichtslose Opposition tritt. Die Ergebnisse der modernen Forschung werden in vielen Fällen einfach negirt, und der auf die neuere Philosophie oder auf die Naturwissenschaften gegründeten Weltanschauung der Gegenwart wird überhaupt gar keine Gültigkeit, gar keine Berechtigung zuerkannt. Dazu kommt, daß dies System in seinem speculativen Theil durchaus die Grenzen überschreitet, die selbst der religiösen Erkenntniß gesteckt sind, ein Weg, der nicht zur Wissenschaft, sondern leicht zu geistreichen Phantasien, ja Phantastereien hinführt, die niemand befriedigen können. Die Gründe liegen ferner in der schroffen Art und Weise, in der D. für sich und die von ihm gefundene Wahrheit eintrat. Vergangene Jahrhunderte haben die Wahrheit vergebens gesucht, und keiner Zukunft wird sie sich enthüllen, aber er hält sie in seinen Händen und bietet sie der im Dunkeln wandelnden Welt, die – sie verschmäht. Und warum verschmäht? Weil sie verdorben ist, verdorben vor allem von den Vertretern der akademischen Wissenschaft, denen D. mit blindem Haß vorwirft, daß sie die deutsche Jugend geistig und sittlich zu Grunde richten und allein Schuld tragen an der völligen Entartung unseres Volkes, in dem weder ideales Empfinden noch ideales Verständniß mehr zu finden ist. Es liegt etwas Krankhaftes in diesen Gedanken, die immer schwerer auf ihrem unglücklichen Träger lasteten und ihm Seele und Leben mit einer herben Bitterkeit erfüllten, und je erbitterter er sie aussprach, desto einsamer wurde es um ihn. Wäre es ihm gelungen, sein Temperament mehr zu beherrschen, wäre er ohne jenes maßlos gesteigerte Selbstgefühl in die Oeffentlichkeit getreten, sein Erfolg würde ein anderer gewesen sein. Denn seine Werke enthalten aus der Fülle eines reichen Geistes und tiefen Wissens heraus in einer oft geradezu glänzenden Sprache geschrieben, einen Schatz von anregenden und fruchtbaren Ideen. Mag ein weniger mystisch veranlagter Sinn an diesem philosophischen Sonderling manches seltsam, ja verkehrt und abstoßend finden, seinem selbst unter den erschwerendsten Umständen nie ermattenden Streben für alles Hohe und Ideale kann man seine Bewunderung nicht versagen. Als muthiger Kämpfer gegen die Anhänger einseitiger Verstandesbildung, als glühender Eiferer gegen den Materialismus und vor allem gegen die Feinde des Christenthums und der Religion bleibt D. immer eine sympathische Erscheinung, und als solcher dürfte er auch in der Geschichte der Philosophie seinen Platz behalten.

Quelle: Delff’s handschriftlicher Nachlaß, besonders seine unter dem Titel „Studien“ niedergeschriebenen autobiographischen Aufzeichnungen. – Zu vergleichen ist O. Siebert, Geschichte der neueren deutschen Philosophie seit Hegel (Göttingen 1898), S. 394–397.