Zum Inhalt springen

ADB:Droste zu Vischering, Clemens August Freiherr von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Droste von Vischering, Clemens August, Erzbischof von Köln“ von Leonhard Ennen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 420–431, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Droste_zu_Vischering,_Clemens_August_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 15:11 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 5 (1877), S. 420–431 (Quelle).
Clemens August Droste zu Vischering bei Wikisource
Clemens August Droste zu Vischering in der Wikipedia
Clemens August Droste zu Vischering in Wikidata
GND-Nummer 118680846
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|5|420|431|Droste von Vischering, Clemens August, Erzbischof von Köln|Leonhard Ennen|ADB:Droste zu Vischering, Clemens August Freiherr von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118680846}}    

Droste: Clemens August D. von Vischering, Erzbischof von Köln. Clemens August stammte aus dem Geschlechte der D. zu Vischering auf dem Hause Darfeld im Münsterischen. Er war der zweite Bruder des Stammherrn Adolf Heidenreich und wie sein älterer Bruder Max Kaspar und sein jüngerer Bruder Franz Otto für den geistlichen Stand bestimmt. Am 22. Jan. 1773 war er auf dem Familiengute Vorhelm bei Münster geboren, † 1845. Mit einer guten Vorbildung ausgerüstet, wurde er im Kreise der Fürstin Galizin und unter dem Einfluß dieser geistreichen, für ein beschauliches Leben schwärmenden Frau in einer seinen Naturanlagen entsprechenden ascetischen, strengkirchlichen Richtung bestärkt und für den Dienst der Kirche vorbereitet. Als junger Domherr von Münster machte er gegen Ende des 18. Jahrhunderts längere Reisen durch Deutschland, die Schweiz und Italien. In seine Heimath zurückgekehrt, empfing er am 14. Mai 1798 die Priesterweihe. Freundschaftlichen Verkehr unterhielt er mit den Convertiten Grafen Stolberg und Friedrich Schlegel, sowie mit vielen anderen katholischen Gelehrten. Er gehörte zu der strengkirchlichen Richtung, welche so wenig auf dem Gebiete des Glaubens der Vernunft, wie auf dem des disciplinaren und rechtlichen kirchlichen Wesens den nationalen Bedürfnissen und Eigenthümlichkeiten irgendwelche Berechtigung zuerkennen will. „Vernunftstolz“ und „Unkirchlichkeit“ waren die Stichwörter, mit welchen er über jedes sich außerhalb der scholastischen Grenzen bewegende dogmatische System und über alle mit den Grundgedanken der strengen Curialisten nicht übereinstimmenden Grundsätze den Stab brach. An ihm fand die römische Curie einen Vertreter, der mit strengster Consequenz den römischen Grundsätzen durch alle Phasen der rheinisch-westfälischen Kirche von den Zeiten der Reaction nach der josephinischen und febronianischen Epoche bis zu dem neuen Aufleben des Romanismus unter dem Könige Friedrich Wilhelm IV. das Wort redete. Durch den Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Febr. 1803 war auch das Hochstift Münster säcularisirt worden. Bis zu einer festen und bleibenden Ausstattung der Domkirche wurde die Fortdauer des seitherigen Zustandes angeordnet: demnach blieb das alte Domcapitel bestehen und behielt mit Zustimmung des Königs von Preußen, der in den Besitz von Münster kam, die Selbstverwaltung seines Vermögens, bis kurz vor Ausbruch des neuen Krieges zwischen Preußen und Frankreich nicht nur die Einziehung des domcapitelschen Vermögens, sondern auch die Aufhebung des Capitels beschlossen wurde. Die Verfügung kam nicht zur Ausführung, und die Existenz des Domcapitels blieb fortan von Staatswegen unbehindert. Das Capitel wählte nun im J. 1807 als seinen rechtlichen Vertreter und Träger der geistlichen Jurisdiction den Domcapitular Clemens August v. D. zum Capitels-Vicar. Am 14. Novbr. 1811 wurde in Folge eines Decretes des Kaisers Napoleon mit sämmtlichen geistlichen Corporationen im Lippe-Departement das münsterische Domcapitel aufgehoben. Am 2. Decbr. kam dieses Decret zur Ausführung. Der Capitels-Vicar Clemens August D. blieb aber in seiner Würde und in der Ausübung der ihm übertragenen Vollmacht. Durch Decret vom 24. Aug. stellte Napoleon das Capitel wieder her, aber nur nach Maßgabe der für die andern französischen Cathedral-Capitel geltenden Grundsätze und Bestimmungen. Die Zahl der Mitglieder wurde auf zwölf festgesetzt, und nur diejenigen Mitglieder sollten zu den neuen zugelassen werden, [421] welche die Priesterweihe besäßen und sich innerhalb des französischen Reiches aufhielten. Dem gemäß sollten nur zwei Mitglieder des alten Capitels in das neue eintreten; 24 blieben ausgeschlossen. Einer der sieben, der frühere Domdechant Graf Ferdinand August v. Spiegel, trat nicht ein. Durch Decret vom 1. Mai 1813 wurden noch fünf Mitglieder anderer aufgehobener Collegiatstifter zu Capitularen ernannt. Der Capitels-Vicar Clemens August D. fügte sich dem an ihn ergangenen Befehle und berief seine Collegen zu einer Capitelssitzung, in welcher die Aufnahme der neuernannten Domherren beschlossen wurde. Von Seiten des Papstes aber wurde den von Napoleon ernannten Capitularen die canonische Institution verweigert. Napoleon ließ sich durch die Weigerung des Papstes, das neue Capitel als ein kirchlich berechtigtes anzuerkennen, nicht abhalten, der münsterischen Kirche nun auch einen Bischof zu geben. Zu dieser Würde ernannte er den Dechanten des alten Stifts, Grafen F. A. v. Spiegel. Papst Pius VII., der von Napoleon in Gefangenschaft gehalten wurde, versagte jedoch dem ernannten Bischof die canonische Institution. Spiegel, der Bedenken trug, die ihm übertragene Würde anzunehmen, wurde unter Androhung der strengsten Maßregeln gezwungen, nach Paris zu reisen und in die Hände der Kaiserin den Eid zu leisten, Juli 1813. Es entstand nun die Frage, auf welche Weise dem ernannten Bischof die Uebernahme der geistlichen Verwaltung möglich gemacht werden könne. Das französische Gouvernement bestand anfänglich darauf, daß der Capitels-Vicar seine Stelle niederlegen und das Capitel dann den Grafen Spiegel zum Capitels-Vicar wählen solle. D. weigerte sich standhaft auf dieses Ansinnen einzugehen; nach vielen Unterhandlungen erklärte er endlich, seine Zustimmung dazu geben zu wollen, daß Spiegel zum zweiten Capitels-Vicar gewählt werde; vor der Wahl müsse derselbe sich aber durch einen Revers verpflichten, sich nicht als gewählten, sondern nur als substituirten zweiten Capitels-Vicar anzusehen, vom ersten Capitels-Vicar ein Substitutionsinstrument entgegenzunehmen und die Diöcesanverwaltung nur in der Eigenschaft als Substitut zu führen. Napoleon durfte von dieser Substitution keine Kenntniß erhalten. Darum formulirte D. das Circular, durch welches er den Pfarrern den Uebergang der geistlichen Verwaltung an den Grafen Spiegel anzeigte, in einer Weise, die den ernannten Bischof als gewählten Capitels-Vicar erscheinen ließ. Nach dem Sturze Napoleon’s nahm der Freiherr v. D. auf Befehl des Papstes, von dem er wegen seines Mangels an offener Energie dem gestürzten französischen Gewalthaber gegenüber scharf getadelt worden war, die dem Grafen Spiegel ertheilte Substitution zurück. In dem an den Grafen Spiegel gerichteten bezüglichen Notificationsschreiben vom 31. März 1815 sagte er, daß er unter dem Drucke der von Napoleon angedrohten Gewalt sich, als er den Grafen Spiegel als Diöcesanverwalter substituirte, geirrt habe, und daß er, welche Gewalt auch immer würde gebraucht worden sein, sich niemals zu jener Substitution hätte verleiten lassen sollen; er widerrufe daher feierlichst sowol die dem Grafen zur Administration der münsterischen Diöcese ertheilte Substitution in ihrem ganzen Umfange, wie auch die ihm zur Ausübung der facultates quinquennales übertragene Gewalt. Gleich nach Empfang dieses Schreibens legte Spiegel die Verwaltung der Diöcese nieder und lieferte alle Verwaltungspapiere an den Freiherrn v. D. aus. Dem Napoleonischen Capitel gegenüber erklärte D., daß er dasselbe als ein kirchlich zu Recht bestehendes nicht weiter anerkennen könne. In einem an die Pfarrer erlassenen Circular sagte er, daß er lediglich auf Befehl des Kaisers Napoleon und auf Zureden des Domcapitels seine Stelle als Verwalter der Diöcese aufgegeben habe. Das bis dahin in seinem Bestande und in seiner amtlichen Thätigkeit ohne jede Anfechtung gebliebene Domcapitel nahm von dem Vorgehen Droste’s Veranlassung, den Professor Hermes und den Canonisten [422] Cordes um ein Gutachten über die canonische Rechtmäßigkeit seiner Institution und seiner Amtshandlungen anzugehen. Obwol diese Gutachten sich zu Gunsten des Capitels und des von demselben gewählten Capitels-Vicars aussprachen, so konnte Spiegel doch nicht bewogen werden, die Verwaltung wieder an sich zu nehmen. Der preußischen weltlichen Verwaltung gegenüber machte D. sofort die Ansprüche geltend, auf welche nach seiner Auffassung die kirchlichen Organe niemals verzichten könnten: er eröffnete gegen die preußische Staatsgewalt den Kampf, der, ihn überdauernd, unter mannigfachen Schwankungen über 60 Jahre lang sich fortgesponnen und in der jüngsten Zeit sich zu einem Kampf der Verzweiflung zugespitzt hat. Dem Staate sprach er das Recht ab, selbständig das niedere und höhere Schulwesen zu organisiren und zu leiten. Seine Anschauungen über das Recht der Kirche auf dem Gebiete des Schulwesens legte er in einem 1817 erschienenen Schriftchen: „Ueber die Religionsfreiheit der Katholiken bei Gelegenheit der von den Protestanten in dem laufenden Jahre zu begehenden Jubelfeier“ nieder. Eine weitere Begründung seiner kirchenrechtlichen Ansichten versuchte er in dem ein Jahr später veröffentlichten Schriftchen: „Ueber förmliche Wahrheit und kirchliche Freiheit.“ Schärfer trat D. mit seinen curialistischen Anschauungen der preußischen Regierung gegenüber, als man auch in der Diöcese Münster die Cabinetsordre vom 21. Nov. 1803, wonach bei gemischten Ehen sämmtliche Kinder in der Religion des Vaters erzogen werden sollten, Geltung verschaffen wollte; der preußischen Verordnung gegenüber gab D. den Pfarrern den Befehl, Trauung sowol wie Aufgebot zu verweigern, wenn bei gemischten Ehen nicht das Versprechen gegeben werde, daß alle Kinder in der katholischen Religion erzogen werden sollten; dem katholischen Ehegatten, der sich bei einem protestantischen Pfarrer trauen lasse, sollten die Sacramente verweigert werden. Die Regierung in Münster fand sich veranlaßt, den Capitels-Vicar zu einer Erklärung über diese Verfügung aufzufordern. Die Antwort Droste’s ließ an Schroffheit nichts zu wünschen übrig: es war darin betont, daß er in dem vorliegenden Falle, wie in ähnlichen, bei denen es sich um Religionsangelegenheiten handle, nur dem Papste, keineswegs aber der weltlichen Regierung Rede und Antwort zu stehen verpflichtet sei; um der Regierung aber keinen Zweifel über seine Anschauungen in Sachen der gemischten Ehen zu lassen, wolle er erklären, daß er die erforderliche Dispens bei dem Ehehinderniß disparitatis cultus nur ertheilen könne, wenn der protestantische Theil das angegebene Versprechen abgebe. Die Regierung mußte erkennen, daß sie es mit einem Manne zu thun hatte, der zur Durchführung seiner streng römischen Grundsätze einen scharfen Conflict mit dem Staate nicht scheue und der der preußischen Staatsgewalt gegenüber ebenso schroff und abweisend sich zu verhalten entschlossen war, wie er sich in seinem Verhalten gegen Napoleon matt und nachgiebig gezeigt hatte. Noch waren diese Differenzen nicht ausgeglichen, als in Folge der Berufung des Professors Georg Hermes an die neugegründete Universität Bonn D. einen neuen, noch bedenklicheren Conflict mit der Regierung heraufbeschwor. Seit 1807 hatte Hermes in Münster Dogmatik und philosophische Einleitung in die christkatholische Theologie vorgetragen. Wegen ihrer philosophischen Richtung hatten diese Vorträge den Beifall des Capitels-Vicars, der gerne eine Gelegenheit ergriff, um gegen den „Vernunftstolz“ der neueren Theologen zu eifern, nicht gewinnen können. Dazu kam der Unwille, den D. gegen Hermes wegen des oben angeführten Gutachtens in Sachen des Napoleonischen Capitels gefaßt hatte. D. freute sich, daß der ihm verhaßte Professor Hermes von Münster weg war, wollte aber auch Sorge dafür tragen, daß die münsterischen Theologen von dem Geiste desselben nicht weiter berührt würden. Darum sollten sämmtliche junge Theologen, die dem geliebten Lehrer nach Bonn gefolgt waren, genöthigt werden, [423] nach Münster zurückzukehren. Eigenmächtig erließ D., ohne vorher die Zustimmung des Curators einzuholen, eine Verordnung, wonach kein Theologe ohne seine Erlaubniß anderswo als zu Münster irgend einen Zweig der Theologie hören dürfe; den Zuwiderhandelnden wurde die Ausschließung von den heiligen Weihen angedroht. Die Staatsbehörde mußte, wenn sie die ihr gebührende Autorität auf dem Gebiete des höheren Unterrichtswesens wahren wollte, diese Verfügung der geistlichen Autorität für nichtig und unwirksam erklären; gleichzeitig forderte der Minister der Unterrichtsangelegenheiten den Herrn v. D. zur Verantwortung auf. In der Antwort vom 21. März sprach sich ein Geist der Herrschsucht und Unbotmäßigkeit aus, der noch manchen harten Strauß zwischen der geistlichen und weltlichen Behörde in Aussicht stellte. Um den Standpunkt zu kennzeichnen, den D. der weltlichen Gewalt gegenüber auf dem Gebiete der Religion und des Unterrichts zu behaupten gesonnen war, erklärte er von vornherein, daß der keine Verpflichtung habe, sich vor dem Minister zu rechtfertigen. Zur Klarstellung seiner Auffassung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat bemerkte er, die Einführung des allgemeinen Landrechts habe das in Deutschland allgemein gültige Kirchenrecht nicht aufheben können; hier wie in den Verhandlungen über den freien Verkehr mit Rom, über Anstellung der Geistlichen, über gemischte Ehen, über das Schulwesen, das sogenannte Placet, Ordnungsstrafe, Ablaßzettel etc. habe er immer pflichtmäßig nur das erhalten wollen, was der katholischen Kirche von Gott und Rechtswegen zukomme; es werde der Minister nicht verkennen, daß ihm, dem Capitels-Vicar, Auftrag von dem heiligen Geist geworden sei, unter anderem zur Erfüllung der Pflicht, auf die Freiheit der katholischen Kirche und auf Reinheit und Vollständigkeit der Lehre, mithin ganz besonders auf diejenigen zu wachen, welche bestimmt seien, die Anderen durch Wort und That zu belehren; Pflicht und Gewissen gebiete ihm, auf der Nachachtung seiner Verfügung bezüglich der Theologiestudirenden zu bestehen. In Folge dieser Antwort befahl eine Cabinetsordre vom 16. April, daß die Vorlesungen an der theologischen Facultät bis zum Austrag des schwebenden Streites eingestellt werden sollten; die Ahndung des Verschuldens dieser Störung wurde vorbehalten. D. wollte diese Ahndung nicht abwarten: im Sommer legte er sein Amt als Capitels-Vicar nieder und zog sich zu einem ruhigen Leben stiller Beschaulichkeit, schriftstellerischer Thätigkeit und christlicher Barmherzigkeit zurück. Aus seiner Abgeschiedenheit trat er wieder hervor, als sein Bruder Kaspar Maximilian Bischof von Münster wurde: nun wurde er mit dem Titel eines Bischofs von Kalamoto in part. inf. zum Weihbischof ernannt und erhielt bald darauf auch an Stelle des Grafen v. Spiegel die Würde des Domdechanten, auf die er aber bald wieder verzichtete.

Droste’s alter Gegner Ferdinand August Graf v. Spiegel war am 25. Juni 1825 als Erzbischof von Köln inthronisirt worden. Es war dies ein milder, versöhnlicher Mann, der das Interesse der ihm anvertrauten Diöcese am besten gesichert glaubte, wenn es ihm gelang, die Reste des französischen Radicalismus auszurotten, den kirchlichen Indifferentismus zu beseitigen, den Glauben zu befestigen und das kirchliche Wesen neu zu beleben, dabei aber den Forderungen eines confessionell gemischten Staates gerecht zu werden, den Geist der Zeit mit den Grundsätzen der Kirche in Einklang zu bringen, die Geistlichkeit von ihrem niedrigen Standpunkte der Bildung zu einer möglichst hohen Stufe allgemeiner und theologischer Kenntnisse zu erheben und in die Herzen der Gläubigen die Grundsätze christlicher Duldung und Liebe zu pflanzen. Ferdinand August stand an der Spitze der Diöcese, in welcher die längste Zeit bei Abschließung von gemischten Ehen die Forderung des Papstes Benedict XIV., daß sämmtliche Kinder katholisch werden sollten, maßgebend gewesen war. Sobald das Rheinland [424] unter preußische Herrschaft gekommen war, sollten auch die im alten Gebiete bei Behandlung der gemischten Ehen in Geltung stehenden Grundsätze zu Anerkennung und Nachachtung gebracht werden. Die Regierung verordnete gleich nach der Inthronisation des neuen Erzbischofs, daß auf die Rheinprovinz die für Schlesien gültige Bestimmung, daß alle Kinder in der Religion des Vaters zu erziehen seien, ausgedehnt werden solle. Diese Verordnung und die auf Grund eines päpstlichen Breves eingeführte Praxis standen mit einander in directem Widerspruch, und es konnte nur durch freundschaftliche Unterhandlungen zwischen Rom und Berlin ein Ausgleich gefunden werden. Der preußische Gesandte in Rom, Chr. Karl Jos. v. Bunsen, und der Cardinal Mauro Capellari, später Papst Gregor XVI., traten 1828 in Besprechungen, deren Resultat in dem Breve Venerabiles fratres vom 25. März 1830 präcisirt werden sollten. In diesem Breve sagt der Papst, daß er die rheinischen Bischöfe von den Verlegenheiten den kirchlichen Satzungen und Gesetzen über die Kindererziehung von 1825 gegenüber nicht vollständig befreien könne. Es ergab sich, daß dieses Breve die Grenzen der vorläufigen Abmachungen nicht strenge innehielt. Es wurde durch dieses wenig concise und höchst unklar gefaßte Actenstück dem katholischen Geistlichen nur gestattet, bei gemischten Ehen auch dann, wenn der protestantische Theil das Versprechen der katholischen Kindererziehung verweigere, dem Copulationsacte passiv als Zeuge zu assistiren, aber die eheliche Einsegnung, worauf es dem katholischen Theile sowol wie auch dem Staate ganz besonders ankommen mußte, blieb untersagt. Durch eine confidentielle Note des Cardinal-Staatssecretärs konnten die Zweifel und Anstände, welche das Breve bot, nicht gelöst werden. Das preußische Ministerium mußte die Annahme des Breves verweigern, so lange es nicht gelang, durch eine authentische Interpretation desselben die dieser Annahme entgegenstehenden Bedenken aus dem Wege zu räumen. Der Erzbischof Ferdinand August war der geeignete Mann, mit dem Ministerium über die Tragweite des Breves ein Abkommen zu treffen, bei welchem die Grundsätze der Parität und confessionellen Duldung gewahrt würden, ohne daß dem Breve selbst als den inneren Frieden des preußischen Staates gefährdend und das Gefühl der protestantischen Landesangehörigen verletzend geradezu jede Gültigkeit abgesprochen wurde. Nach langen Unterhandlungen mit Bunsen und dem Ministerium gelang es der Umsicht, dem Takt in dem versöhnlichen Sinne des Erzbischofs Spiegel im Juni 1834 ein Abkommen zu Stande zu bringen, in welchem eine milde Praxis in Behandlung der gemischten Ehen von Seiten der Kirche als maßgebend angenommen, den Ansprüchen der katholischen Kirche nach Möglichkeit Rechnung getragen, aber doch keineswegs der Staat als rechtlos der Kirche gegenüber behandelt wurde. Durch persönliche Bemühungen gelang es dem Erzbischof, die Bischöfe von Paderborn, Münster und Trier zur Zustimmung zu der am 30. Juni vom König genehmigten Convention zu bestimmen. Der Inhalt der Convention wurde den einzelnen Pfarrern durch eine Instruction vom 22. Octbr. zur Nachachtung mitgetheilt. Diese Instruction sagt, die kirchliche Disciplin bezüglich der gemischten Ehen sei so gemildert, daß die Cabinetsordre vom J. 1825 über diesen Gegenstand befolgt werden könne. Sie ging rücksichtlich der Fälle, in denen mehr als die sogenannte passive Assistenz gewährt werden sollte, weit über die vom Breve gesteckten Grenzen hinaus. Der Erzbischof und seine Suffragane waren sich klar bewußt, daß sie durch den verhängnißvollen Schritt, durch welchen sie mit Entschiedenheit das ihnen gebührende, aber von der päpstlichen Curie sehr verkümmerte bischöfliche Recht in Anspruch nahmen, die Losung zu einem schweren, erbitterten Kampf gegen Rom und alle Anhänger des römischen Systems geben würden. Aber sie waren entschlossen, diesen Kampf aufzunehmen, der Curie die Stirn zu bieten und den mühsam zu Stande gebrachten [425] Frieden zwischen Staat und Kirche nicht dem römischen kirchlichen Absolutismus zum Opfer zu bringen.

Noch wütete der Kampf und noch waren die namentlich in der Diöcese Köln wühlenden Gegner der Convention nicht zum Schweigen gebracht, als der Träger der versöhnlichen kirchen-politischen Grundsätze, Erzbischof Ferdinand August, am 2. August 1835 starb. Solange Spiegel lebte, hatten seine Gegner und die Wortführer der römischen Grundsätze es nicht gewagt, für ihre Anschauungen offen einzutreten; gleich nach seinem Tode aber wurde von allen Seiten der Kampf gegen das Spiegel’sche System eröffnet: es zeigte sich, daß viele Geister durch die von Frankreich und Belgien eingeschmuggelten Blätter für die römischen Grundsätze gewonnen waren. Anonym ließ der Propst Claessen in Aachen die „Beiträge zur Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts“ erscheinen. Diese unter dem Namen „Rothes Buch“ bekannte Schrift schleuderte die Brandfackel in den massenhaft aufgehäuften Zündstoff. Von Belgien und Frankreich aus wurden unablässig die ultramontanen Schreier im Widerstand gegen die Spiegel’sche Richtung bestärkt. Mit der höchsten Spannung sah man dem Tag entgegen, an welchem die Neuwahl eines Erzbischofs vorgenommen werden sollte. Eine äußerst schwierige Aufgabe erwartete den Mann, der den erzbischöflichen Stuhl besteigen sollte. War er ein Mann, der die Diöcese im Geiste Spiegel’s zu leiten den Willen hatte, so mußte er sich auf die größten Schwierigkeiten, welche ihm von Seiten der immer rühriger hervortretenden ultramontanen Partei erwarten, gefaßt machen; war er nach dem Herzen Roms und dem Wunsch der Ultramontanen, dann stand die Ruhe des Landes und der Friede unter den Confessionen auf dem Spiele. Nach dem geltenden Rechte konnte nur ein solcher Candidat von dem Domcapitel gewählt werden, über welchen sich letzteres mit der königlichen Regierung vorher geeinigt hatte. Das Domcapitel hatte bis zum Wahltag noch keine Persönlichkeit ernstlich ins Auge gefaßt, es wollte dem Ministerium die Initiative überlassen. In Berlin hatte die Partei, welche unter Inspirirung des Geheimraths Schmedding dem Erzbischof Spiegel alle möglichen Schwierigkeiten bereitet und beim Minister Altenstein sowol wie bei dem für mittelalterliche Ideen schwärmenden Kronprinzen einen nicht unbedeutenden Einfluß besaß, die Candidatur des münsterischen Weihbischofs v. D. nicht ohne Erfolg zur Sprache gebracht. D. hatte im Jahre vorher dem Kölner Domherrn München bei Gelegenheit eines Besuchs, den dieser bei ihm im Auftrage des Erzbischofs Spiegel machte, zu verstehen gegeben, daß er sich freuen würde, wenn er an die Spitze einer Diöcese werde gestellt werden. Spiegel machte hiervon dem Minister Altenstein Mittheilung, ohne zu ahnen, daß er hierdurch seinem Nachfolger den Weg bahne. Die Bedenken, welche gegen D. aus seinem früheren Verhalten der Staatsgewalt gegenüber hergeleitet wurden, beseitigte man durch eine Erklärung, welche D. am 5. September dem münsterischen Domcapitular Schmülling gab. Dieser hatte an ihn die Frage gerichtet: „ob er als künftiger Bischof einer der vier westlichen Diöcesen nicht allein das Uebereinkommen vom 19. Juni 1834 nicht angreifen oder umstoßen, sondern vielmehr solches aufrecht zu erhalten und nach dem Geiste der Versöhnung, der es eingegeben, anzunehmen bereit und beflissen sein werde“? Die Antwort lautete: „daß er sich wol hüten werde, jene gemäß dem Breve von Papst Pius VIII. darüber getroffene und in den genannten vier Sprengeln zur Vollziehung gekommene Vereinbarung nicht aufrecht zu erhalten oder gar, wenn solches thunlich wäre, anzugreifen oder umzustoßen, und daß er dieselbe nach dem Geist der Liebe und Friedfertigkeit anwenden werde“. Diese Erklärung war klar, bindend und unzweideutig; sie schien der Staatsregierung die Garantie zu bieten, daß D. als Erzbischof von Köln niemals daran denken werde, bezüglich der gemischten Ehen sich auf den früher [426] behaupteten Standpunkt zu stellen und irgend einen Conflict hervorzurufen. Der Regierungs-Commissar Schmedding kam nach Köln, um sich mit dem Capitel über die Person des zu Wählenden zu verständigen. Mit Staunen und Schrecken vernahmen die Capitulare den Vorschlag der Regierung; sie ließen aber jeden Widerspruch fahren, als Schmedding ihnen versicherte, das Ministerium habe die Ueberzeugung, daß D. jeden Conflict mit der weltlichen Behörde vermeiden werde. Vollends gaben sie sich gefangen, als in der entscheidenden Wahlsitzung der langjährige Vertreter des verstorbenen Erzbischofs, Domcapitular München, die Wahl Droste’s mit aller Entschiedenheit befürwortete. Clemens August v. D. wurde am 1. Decbr. 1835 gewählt und am 29. Mai 1836 inthronisirt. Am 26. Mai hatte er den Homagialeid in die Hände des Oberpräsidenten abgelegt. Aus dem vom Tage seiner Inthronisation datirten ersten Hirtenbriefe ließen sich auf die Grundsätze, welche er bei seiner Verwaltung werde maßgebend sein lassen, keinerlei Schlüsse ziehen; nur der darin vorkommende Ausdruck „Vernunftstolz“ schien darauf hinzudeuten, daß er seinen alten Haß gegen die theologische Richtung der Hermesianer noch nicht vergessen hatte. Gleich nach seinem Amtsantritt zeigte D., welch ein schreiender Contrast zwischen seinem Character und dem seines Vorgängers bestand. Spiegel war ein feiner, hochgebildeter Mann, der in seinem ganzen Wesen sich in der Formen der feinen, vornehmen Gesellschaft bewegte, der in seinem ganzen Haushalt die Erinnerung an den Glanz der alten geistlichen Fürstenhöfe, jedoch ohne die Frivolität derselben, nachklingen ließ, und der den Verhältnissen der Neuzeit gerecht wurde, ohne den Grundsätzen seiner Kirche, sowie den Forderungen und der Würde seines Standes das geringste zu vergeben. Clemens August v. D. dagegen war eine düstere, ascetische, verschlossene Natur mit einem abstoßenden Aeußeren, die mit Ostentation jede Theilnahme an einem heitern Lebensgenuß verschmähte und sich von der Pflicht einer sogen. Repräsentation freisprach. In seiner finstern Abgeschlossenheit führte er einen höchst einfachen Hausstand, beschränkte sich in seinem Mobiliar auf das nothwendigste und suchte etwas darin, alle Welt vor den Kopf zu stoßen und jede hergebrachte Form im Verkehr mit der guten Gesellschaft außer Rücksicht zu lassen. Die Professoren der Bonner theologischen Facultät, die ihm bei seiner Inthronisation ihre Aufwartung machen wollten, ließ er nicht vor. Der Oberpräsident, der ihn einführen sollte, wurde nicht angenommen; den conventionellen Besuch erwiderte er erst, als v. Bodelschwingh ihm schriftlich erklärte, daß er, ohne ihn einzuführen, abreisen würde, im Fall er ihn nicht besuche. Auch in der Folge fanden höhere Staatsbeamte, die dem Erzbischof einen Besuch machen wollten, eine verschlossene Thüre. Die dem erzbischöflichen Stuhl vom Grafen v. Spiegel vermachte kostbare Bibliothek ließ er einpacken und aus dem Hause schaffen. Eine aus seiner ganzen kirchlichen und theologischen Richtung hervorgehende principielle Bedeutung hatte das Verhältniß, in welches er sich dem Domcapitel, dem Priesterseminar und der Bonner theologischen Facultät gegenüber stellte. Das Domcapitel, welches dem Erzbischof Spiegel bei Verwaltung der Diöcese treu zur Seite gestanden hatte, schien ihm nicht von dem rechten kirchlichen Geiste beseelt zu sein, darum beschränkte er seinen Verkehr mit demselben auf das allernothwendigste, enthob die bewährtesten Arbeitskräfte in demselben ihrer Thätigkeit, verschmähte ihren Rath bei den wichtigsten Entscheidungen und schenkte sein Ohr nur solchen Männern, die er als Träger des strengsten Ultramontanismus und eines fanatischen Glaubenseifers erkannte. Er war entschlossen, an den theologischen Lehranstalten nur solche Professoren zu dulden, welche dem reinsten Romanismus ergeben waren, die bischöfliche Gewalt nur als einen Ausfluß der Obergewalt des römischen Papstes darstellten und sich als Gegner des von Rom verdammten Hermesianismus bekannten. Alle, die ihm [427] als Anhänger der Hermesischen Lehre bezeichnet wurden, behandelte er mit rücksichtsloser Härte; sie galten ihm als zu scheuende Fürsprecher des von ihm so sehr gehaßten „Vernunftstolzes“. Am 12. Jan. 1837 erließ er ein Rundschreiben an die Beichtväter der Stadt Bonn, wodurch nicht nur das Lesen der Schriften von Hermes, sondern auch der Collegienbesuch bei seinen Schülern verboten wurde. Dem Inspector des Bonner Convictoriums befahl er, den Alumnen und Repetenten das Studium der Hermesischen Schriften zu untersagen. Den Professoren Achtenfeld und Braun und dem Repetenten Weiser verbot er die Ausübung der Seelsorge. Dem Docenten Hilgers, der ihm eine Schrift ehrfurchtsvoll übersandte, schickte er das Buch mit dem Bemerken zurück, daß er bedauere, dasselbe nicht annehmen zu können. Als ihm das Verzeichniß der Vorlesungen mitgetheilt wurde, schrieb er bezüglich der Collegien der Hermesianer, „er könne sich nicht äußern, bis ihm die Bücher angegeben wären, nach welchen sie lesen würden“. Der Curator ersuchte ihn um eine Conferenz, in welcher er seine Einwendungen ordnungsmäßig vorbringen möge. Nach längerem Widersteben ging er endlich im Frühjahr 1837 auf solche Conferenz ein und es wurden darin dem Erzbischof drei Vorschläge zum Ausgleich der Differenzen mit der theologischen Facultät gemacht. Auf den ersten Vorschlag, er möge die ihm verdächtigen Professoren vor sich bescheiden, damit er sich dadurch die Ueberzeugung von deren echtkatholischer Gesinnung oder vom Gegentheil verschaffen könne, erklärte er, er wolle mit jenen Männern in keine persönliche Berührung treten, bis die Sache ausgeglichen sei. Ebenso wies er den zweiten Vorschlag zurück, er möge eine schriftliche Erklärung jener Lehren über die in Frage stehenden Punkte annehmen. Schließlich ging er nicht einmal auf das Ansuchen ein, die Vorlesungen im Convict durch Commissarien beaufsichtigen zu lassen oder ein unverdächtiges Lehrbuch anzugeben. Die Professoren waren erbötig, ihre Hefte dem Erzbischofe zur Einsicht vorzulegen. Die Regierung ging so weit, die Professoren der Theologie die Verpflichtung unterzeichnen zu lassen, sich sowol der besonderen Ehrfurcht wegen, welche diejenigen, welche es angehe, dem apostolischen Stuhle schuldig seien, als wegen ihrer Obliegenheit, den kirchlichen Sinn der Jugend zu pflegen, jeder Polemik bezüglich der Hermesischen Sache zu enthalten. Alle diese entgegenkommenden Schritte beantwortete der Erzbischof mit dem den Theologen ertheilten Befehl, sich des Besuchs der Vorlesungen der Hermesischen Professoren zu enthalten. Er ging noch weiter: er stellte 18 Thesen auf, deren Unterzeichnung er von den als Hermesisch verdächtigten Professoren, sowie von allen für die Weihen präsentirten jungen Clerikern verlangte. Nach der 18. These mußte der Unterzeichner das Versprechen geben, dem Erzbischof in allem, „was sich auf Lehre und Disciplin beziehe, zu gehorchen und von seiner Entscheidung an Niemanden als an den Papst zu appelliren“. Hierdurch war der staatsrechtlich erlaubte Recurs an die Staatsbehörde untersagt, ein Verbot, welches sogar von entschiedenen Anhängern des ultramontanen Systems als ungesetzlich anerkannt wurde. Vom evangelischen Gymnasium in Köln rief er den Religionslehrer ab und erklärte, er werde nicht eher einen neuen ernennen, als bis das Gymnasium für eine Simultananstalt erklärt werde. Im Kölner Seminar ließ er, ohne der Regierung Kenntniß von diesem Schritt zu geben, die Vorlesungen einstellen. Es nutzte nichts, daß er durch befreundete und hochgestellte Männer ersucht wurde, auf gesetzlichen Weg zurückzukehren und der Regierung seine Wünsche und Beschwerden in ordnungsmäßigem Wege vorzutragen. Er beantwortete solche Rathschläge mit der Bemerkung, daß die Gesetze des Staates mit den Rechten und Freiheiten der Kirche nicht vereinbar seien. Eine größere Tragweite als alle die in der Hermesischen Frage zu Tage getretenen Eigenmächtigkeiten hatte nach der Auffassung der Staatsregierung das [428] Verhalten des Erzbischofs bezüglich der gemischten Ehen. Weder die preußische Regierung noch der Erzbischof Spiegel hatte es für angezeigt gehalten, der römischen Curie von der Berliner Convention und von der an die Pfarrer erlassenen erzbischöflichen Instruction Kenntniß zu geben. Der Erzbischof hielt dafür, daß er sich in der ganzen Angelegenheit innerhalb seiner Rechtsgrenzen bewegt habe und darum der Pflicht, Rom mit der Sache zu behelligen, überhoben sei; durch die gehässige Polemik, welche von Belgien aus gegen die Instruction eröffnet wurde, ließ er sich nicht einschüchtern. Ebensowenig konnten die verdammenden Stimmen, welche sich am Rhein gegen die Instruction erhoben, ihn beirren. Die von allen Seiten geschürte Aufregung erhielt einen neuen Anstoß, als der vom Bischof von Trier auf seinem Todesbette unterzeichnete vollständige Widerruf aller gegen das päpstliche Breve gethanen Schritte bekannt wurde. Durch diesen Widerruf wurde die Frage bezüglich der Convention und der damit zusammenhängenden Instruction vor der Hermesischen Angelegenheit in den Vordergrund gedrängt. Aus einer Note des Cardinal-Staatssecretärs vom 3. Febr. 1837 konnte die preußische Regierung erkennen, daß die Curie nicht gesonnen war, dem drohenden Kampfe auszuweichen, und der Kölner Erzbischof war es, der ihn eröffnete. Ohne Rücksicht auf die Instruction, deren Nachachtung er versprochen hatte, verbot er in vorkommenden Fällen den Pfarrern die Trauung vorzunehmen, wenn nicht vorher von den Brautleuten das Versprechen abgegeben würde, daß die Kinder in der katholischen Religion erzogen werden sollten. Er stellte sich auf den schroffsten Standpunkt der Intoleranz den akatholischen Bekenntnissen gegenüber und beanspruchte in dem confessionell gemischten preußischen Staate für das katholische Bekenntniß das Recht der ausschließlichen Geltung. Wenn Preußen nicht an seinem eigenen Sarge mit zimmern und die Garantie seines eigenen Bestandes aufgeben wollte, mußte es den Bemühungen, solche Grundsätze in das nationale Leben überzuleiten, mit aller Entschiedenheit entgegentreten, es mußte darauf bestehen, daß die oft angerufene Instruction bei Behandlung der gemischten Ehen maßgebend bleibe. Der Erzbischof weigerte sich, auf solches Ansinnen einzugehen. Sein Verfahren suchte er durch die auch auf publicistischem Gebiete durch das Journal de Liége vertheidigte Erklärung zu rechtfertigen, daß er zwar versprochen habe, die Instruction zu beobachten, aber nur insoweit, als sie mit dem Breve des Papstes Pius VIII. übereinstimme. Es kam nun zu diplomatischen Unterhandlungen, in welchen der römische Ministerresident v. Bunsen, der Regierungspräsident Graf Stolberg und der päpstliche Unterstaatssecretär Monsignore Capaccini die Hauptrolle spielten. Es scheint, daß auf die Haltung des Erzbischofs geheime preußenfeindliche Hetzereien nicht ohne Einfluß blieben: hatte er heute Zusagen gemacht, die einen befriedigenden Ausgleich hoffen ließen, so nahm er morgen wieder jedes Zugeständniß zurück. Wenn er den Vorschlägen des Mons. Capaccini hätte Gehör geben wollen, würde eine Einigung erzielt worden sein. Doch er schien den Bruch zu wollen. „So sehr ich beim Beginn der Unterhandlung,“ schrieb Graf Stolberg am 20. Sept. an den Cultusminister, „die Hoffnung hegen konnte, daß der Erzbischof den mildernden Bedingungen sich fügen und in seinen festgehaltenen Ansichten es nicht bis zum Extrem kommen lassen würde, so ist, wie ich Sr. Majestät berichtet, leider doch das letztere erfolgt, indem der Prälat am Schluß der Verhandlungen alle schriftliche und mündliche Annäherung zurückgewiesen und mich in die Nothwendigkeit versetzt hat, ihm zu erklären, da Se. Majestät die weitere amtliche Wirksamkeit des Prälaten an Erfüllung der wesentlichen Punkte der mir gegebenen Instruction geknüpft hatte, so sei durch seine abweisende Entscheidung jede Verständigung über irgend eine zur Besprechung gekommene Angelegenheit unmöglich und unnütz geworden, welche des Erzbischofs fortgesetzte [429] Amtsthätigkeit auf eine längere Zeit voraussetzen würde.“ Bei allen erneuten Versuchen, den Erzbischof zur Nachgiebigkeit zu bewegen, verharrte derselbe standhaft bei seiner Abweisung. Unumwunden erklärte er: „der Hauptpunkt sei die Trauung, er könne Niemanden trauen lassen, der nicht das Versprechen gebe, die Kinder katholisch zu erziehen, und dahin habe er selbst, nach Suspension der Vollmachten des Generalvicariats, seine Pfarrer bei vorkommenden Fällen instruirt, und das sei in der Diöcese ganz ruhig eingeführt“. Am 16. September erklärte er dem Herrn v. Bunsen, daß er sich auf nichts einlassen könne, er meine vielmehr, die Sache solle so fortgehen, wie sie jetzt bei ihm bestehe, so daß er bald nach dem Breve, bald nach der Instruction handle; falls dies nicht genüge, müsse er wünschen, daß alle weiteren mündlichen und schriftlichen Mittheilungen aufhörten, da er sich nicht der Gefahr aussetzen wolle, dasjenige, was er im Leben versprochen, auf dem Todtenbette bereuen und widerrufen zu müssen. Gleich nach Eingang des Berichtes von Bunsen und Stolberg entschloß man sich in Berlin zu ernsten Schritten. Auf Befehl des Königs wurde dem Erzbischof durch den Cultusminister die Alternative gestellt, entweder sofort seinen Gehorsam gegen das Landesgesetz zu erklären oder freiwillig ein Amt niederzulegen, das er nicht innerhalb der durch die Gesetze vorgeschriebenen Grenzen verwalten zu können glaube. Gleichzeitig wurde durch den Grafen Stolberg ihm anheimgegeben, sich eine Frist zu erbitten, um dem Papst seine Lage vorzulegen und inzwischen nur den von ihm vorgefundenen status quo fortbestehen zu lassen. Am 3. Novbr. erhielt der Erzbischof vom Minister Altenstein ein Schreiben, worin erklärt war, der König wolle ihm gestatten, das Erzbisthum niederzulegen und alsdann solle wegen des Vergangenen nicht weiter eingeschritten werden; er möge mit der Antwort eilen und ihr eine solche Fassung geben, daß sie dem Könige vorgelegt werden könne. Sofort antwortete er, daß seine Verpflichtungen gegen die Erzdiöcese und die ganze Kirche ihm verbiete, sowol seine Amtsverrichtungen einzustellen, als sein Amt niederzulegen. Von diesen beiden Schreiben gab er am 4. Novbr. dem Domcapitel sowol wie sämmtlichen Pfarrern der Stadt Kenntniß. In Berlin erhielt man am 12. Novbr. durch den Oberpräsidenten v. Bodelschwingh die Anzeige, daß der Erzbischof entschlossen scheine, das Volk aufzuwiegeln und sich der Ausführung der ihm drohenden Gewaltmaßregeln thätlich zu widersetzen. Sollte es ihm gelingen, seine Haftmaßnahme zu vereiteln, so habe er die Absicht, sich in dem Augenblick, wo er gefangen genommen werden solle, im bischöflichen Ornat in den Dom zu begeben und der Polizei anheimzugeben, ihn aus der Mitte der Geistlichkeit und des Volkes vom Hochaltar hinwegzureißen. Das Ministerium mußte um jeden Preis die Aufführung einer solchen Komödie zu verhindern suchen. Am 13. traten die Minister zu einer Conferenz und am 14. unter dem Vorsitz des Königs zu einem großen Ministerrathe zusammen. Alles drängte hier zu sofortigem entschiedenen Handeln; es machte sich die Ansicht geltend, daß der Erzbischof sich neben seiner persönlichen Auflehnung gegen die Gesetze auch an einer Conspiration zum Umsturz der bestehenden kirchen-politischen Verhältnisse betheiligt habe. Es wurde beschlossen, in größter Eile den geschürzten Knoten zu durchhauen, den Erzbischof gefangen wegzuführen und demselben den Proceß zu machen. Der 20. November war der Tag, an welchem der verhängnißvolle Schritt von Seiten der Staatsgewalt geschehen sollte. An demselben Tage schrieb Graf Stolberg an Bunsen: „Heute ist der Tag angebrochen, welcher in seinen Folgen höchst bedeutungsvoll werden kann. Möge der Herr aller Herren seine schützende Hand offen halten, auf daß unser Vaterland nicht Schauplatz der boshaften Einwirkungen unserer Feinde werde! Möge er auch Festigkeit und Weisheit und kräftige Ausdauer schenken, wenn es zu irgend einem Kampfe sich gestalten sollte!“ Der Oberpräsident legte [430] dem Erzbischof in Gegenwart mehrerer höheren Beamten die königl. Cabinetsordre vor, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß derselbe sich weder unter die Gesetze des Staates beugen, noch auf sein Amt verzichten wolle, erklärte er ihn für gefangen und ordnete seine Abführung an. Der Erzbischof erwiderte, er füge sich der Gewalt; ein Reisewagen stand vor der Thür; doch nahm man des Erzbischofs eigene Equipage, und nach 7 Uhr fuhr der Wagen mit dem Erzbischof, dem Gensd’armerieobersten v. Sandau, dem Bedienten und einem Beamten in bürgerlicher Kleidung ab, die erste Viertelstunde von 20 Unterofficieren zu Pferde begleitet. Zum Aufenthalt für den hohen Staatsgefangenen war die Festung Minden bestimmt. Clemens August v. D. benahm sich bei seiner Gefangennahme gelassen, ruhig und würdig. Der Oberpräsident gab am folgenden Tage dem Domcapitel Kenntniß von der gewaltsamen Entfernung des Erzbischofs; das Capitel übernahm in Folge der ihm vom Cultusminister zugegangenen Aufforderung die Verwaltung der Erzdiöcese, als ob der Stuhl erledigt sei, und ernannte einen Capitularverweser in der Person des Generalvicars Domdechanten Dr. Johannes Hüsgen. Auf den 22. wurden die Pfarrer der Stadt in die Wohnung des Regierungspräsidenten v. Ruppenthal geladen, wo der Oberpräsident ihnen von der ernsten Maßregel, wozu der König sich gezwungen gesehen habe, Mittheilung machte. Dabei erklärte er, er setze in die Pfarrer das Vertrauen, daß sie das Ihrige, besonders von der Kanzel, dazu beitragen würden, die Ruhe unter dem Volke aufrecht zu erhalten. Am Tage vorher hatte das Capitel bereits in einem besonderen Ausschreiben sämmtlichen Geistlichen von der Wegführung des Erzbischofs und von der Uebernahme der Verwaltung durch das Capitel Mittheilung gemacht. Der Eindruck, den der staatliche Gewaltschritt bei Clerus und Volk machte, war verschieden: ein Theil billigte das Vorgehen der Regierung, ein anderer verdammte es; eine Zeit lang mußten einzelne höhere Geistliche, die bei der ultramontanen Partei nicht sonderlich gut angeschrieben waren, sich manche wörtliche und thätliche Anfechtungen gefallen lassen; die Ruhe des Landes wurde aber nicht gestört. Am 10. Decbr. gab der Papst in einer besonderen Allocution seinen Schmerz darüber Ausdruck, „daß die kirchliche Freiheit verletzt, die bischöfliche Würde verachtet, die heilige Gerichtsbarkeit usurpirt und die Rechte der katholischen Kirche und des heiligen Stuhles mit Füßen getreten seien“, und er gab die feierliche Erklärung, daß er niemals aufhören werde, „jegliche gegen den wahren Sinn der von seinem Vorgänger erlassenen Erklärung in dem Königreich Preußen fälschlich eingeführte Praxis in Betreff der gemischten Ehen gänzlich zu verwerfen“. Jeder Versuch, das Ministerium zu bestimmen, daß es den Erzbischof ohne bindende Garantien seiner Wirksamkeit zurückgebe, war vergeblich. Clemens August D. lebte in Minden in Ruhe nur ascetischer Beschaulichkeit. Das Versprechen, sich nicht nach Köln zu begeben, verweigerte er zu leisten; darum blieb er unter polizeilicher Bewachung. Zum April 1839 erhielt Clemens August D. vom Könige die Erlaubniß, seinen Aufenthalt auf dem Droste’schen Familiengute Darfeld zu nehmen. Als nach dem Tode Friedrich Wilhelms III. dessen ältester Sohn Friedrich Wilhelm IV. den Thron bestieg, glaubte man allgemein, derselbe werde der Diöcese Köln ihren Erzbischof zurückgeben. Es geschah dies aber nicht. Nach vielen Verhandlungen durch den Grafen Brühl, der deshalb nach Rom gesandt worden war, beauftragte der Papst den Erzbischof von München, Grafen von Reisach, sich zum Erzbischof zu begeben. Dieser gab die Erklärung ab, daß er um des Friedens willen alles bereitwillig der Entscheidung des Papstes überlasse. Auf den Vorschlag des Königs Ludwig von Baiern wurde der Bischof von Speyer, Johannes v. Geissel, zum Coadjutor mit dem Rechte der Nachfolge für Köln ernannt und vom Erzbischof Clemens August D. selbst durch einen Hirtenbrief bei seiner [431] neuen Heerde eingeführt. In diesem Hirtenschreiben vom 9. März 1842 betonte er besonders, daß er sein Erzbisthum behalte und der Erzbischof seiner Diöcese bleibe. Es war dieses das letzte officielle Actenstück, welches er als Erzbischof unterzeichnete. Den Coadjutor, der ihm einen Besuch machte, empfing er mit Kälte und Mißtrauen; nach kurzer Unterredung entließ er ihn aber mit Liebe und Vertrauen. In stiller Zurückgezogenheit lebte er in Münster, bis er am 19. Octbr. 1845 nach schweren Leiden einer Krankheit erlag, welche er sich auf einer Reise nach Rom zugezogen hatte. In seinem Testamente hatte er bestimmt, daß er da beerdigt werden wolle, wo er sterbe. Darum wurde seine Leiche nicht nach Köln übergebracht, sondern am 23. im Dom zu Münster auf dem hohen Chor, unmittelbar dem Grabmal des Fürstbischofs Friedrich Christian v. Plettenberg gegenüber, beigesetzt.

Clemens August D. war der Träger der Ideen, welche seit Jahrhunderten mit der Staatsgewalt im Kampfe gelegen hatten. Er hatte den Grenzstreit wieder wachgerufen, in welchem die römische Kirche mit dem Staate um die Alleinherrschaft auf einzelnen Gebieten des Ehe- und Unterrichtswesens seit Jahrhunderten gerungen hatte. Für eine Reihe von Jahren wurde durch gegenseitige Nachgiebigkeit der Austrag der durch Clemens August D. angeregten Frage wieder verschoben, bis vor mehreren Jahren die Kirche neuerdings Ansprüche erhob, welchen mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten die Pflicht der staatlichen Selbsterhaltung gebot.

Hermes, Gutachten über die Lage der münsterischen Kirche, 1815. (Cl. Aug. v. Droste) Gesch. Darstellung der Lage der münsterischen Kirche, Frkf. 1815. Antwort darauf, von Hermes: Ueber Wahrheit und wirkliche Freiheit, Frkf, 1818. v. Moy, Darlegung des Verfahrens der preuß. Regierung gegen den Erzbischof von Köln. Röm. Staatsschrift vom 4. März 1838. Görres, Athanasius. Lieber, Die Gefangennehmung des Erzbischofs von Köln und ihre Motive. Görres, Die Triarier. Conversationslexicon der Gegenwart, 1838–39, Bd. 1 u. 2. Allocution des Papstes vom 13. Septbr. 1838. C. Hase, Die beiden Erzbischöfe. Bretschneider, Der Freiherr v. Sandau. Chr. Karl Joh. v. Bunsen, aus seinen Briefen und nach eigener Erinnerung geschildert von seiner Wittwe, 1866, Bd. 1. Bunsen, Darlegung des Verfahrens der preuß. Regierung, 1838. Actenstücke in Bezug auf die kölnische Angelegenheit. Beiträge zur Gesch. der kath. Kirche im 19. Jahrhundert. Historisch-politische Blätter von Philipps und G. Görres. Kölnische Zeitg. 1837 u. 1845 etc. etc. Ueber die Genossenschaften der barmherzigen Schwestern (von Cl. Aug. v. Droste), 1833. Versuch einer Erleichterung des inneren Gebetes (von Cl. Aug. v. Droste), 1833.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 431. Z. 15 v. u. hinzuzufügen: Ranke, S. W. XLIX/L, 362 ff.; Treitschke, Deutsche Geschichte III, 217 ff. IV, 689 ff.; Nippold, Neueste Kirchengeschichte, 3. Aufl. II, 627 ff., 678 ff., 837 ff. [Bd. 33, S. 795]