ADB:Esmarch, Carl
Heinrich Karl E. (s. A. D. B. VI, 375), der älteste Sohn des Justizrathes [430] Hieronymus E., der als Mitbegründer des Göttinger Hainbundes in der deutschen Litteraturgeschichte einen Platz gefunden hat.
Esmarch: Karl Bernhard Hieronymus E. wurde am 3. December 1824 in Sonderburg auf der Insel Alsen geboren. Sein Vater war der als juristischer Schriftsteller im Gebiete des schleswig-holsteinischen Rechtes, sowie durch seine Thätigkeit in der schleswigschen Ständeversammlung und später im Frankfurter Parlament, in den Herzogthümern bekannte EtatsrathZwölf Jahre alt bezog E. die Domschule zu Schleswig, dann das Lübecker Katherineum, und 18 Jahre alt die Universität Bonn, wo er Vorlesungen bei Bluhme, Böcking, Budde, außerdem bei Dahlmann, der ihn besonders anzog, Kinkel, Welcker u. A. hörte. Von Bonn ging E. nach Heidelberg, woselbst ihn der Vortrag Vangerow’s derart entzückte, daß er den Entschluß faßte, sich der akademischen Laufbahn zu widmen. Während der drei Semester, die er in Heidelberg blieb, besuchte er die Vorlesungen von Mittermaier, Röder, Schlosser und Gervinus. Ostern 1845 ging er in die Heimath zurück, verbrachte den Sommer in Kiel, ging zum Winter nach Berlin, hörte dort Puchta, Stahl, Trendelenburg, Werder u. A.
Nach Kiel zurückgekehrt bereitete er sich für das schleswig-holsteinsche Landesexamen vor, das er denn auch, allerdings etwas verspätet – mittlerweile hatte er an der Freischarenexpedition Theil genommen, die bei Bau (9. April 1848) ein trauriges Ende gefunden hatte – mit Auszeichnung bestand. Als bald darauf das deutsche Parlament zusammentrat, ging er mit seinem Vater, der als Abgeordneter einen schleswig-holsteinschen Wahlkreis vertrat, nach Frankfurt a. M. Die Nähe Heidelbergs benützte er dazu, um dort den juristischen Doctorgrad zu erwerben; begleitete dann als junger Doctor den deutschen Reichscommissar Max v. Gagern auf dessen Mission in die Herzogthümer, behufs Mitwirkung bei den Verhandlungen über den Waffenstillstand, der dann zu Malmö geschlossen wurde. Er selbst war dorthin mit einem Specialauftrag entsendet, den er zur Zufriedenheit Gagern’s ausführte.
Nach Beendigung dieser Mission trat E. als Freiwilliger in die schleswig-holsteinsche Armee ein und wurde zum Auditor 2. Classe bei der Reservebrigade ernannt. Nach Kündigung des Waffenstillstandes trat E. als Officiersaspirant in das 1. Jägercorps über. Mit diesem Corps machte er den Feldzug von 1850 mit, kämpfte bei Idstedt (24., 25. Juli 1850) und nahm an dem Sturm auf Friedrichstadt (4. October 1850) Theil. Darauf avancirte er zum Portepéefähnrich und wurde zum Lieutenant vorgeschlagen, nachdem er schon längere Zeit Officiersdienste geleistet hatte. Nach dem Fall der schleswig-holsteinschen Sache verließ E. wie sein Vater (später Oberlandesgerichtsrath in Frankfurt a. O.) die Herzogthümer und begab sich nach Göttingen. Dort nahm er den abgerissenen Faden seiner juristischen Arbeiten wieder auf und habilitirte sich daselbst als Privatdocent mit der Schrift: „Inter moram solvendi et culpam a debitore praestandam, quae sit differentia“. Seine Vorlesungen begann er im November 1851 mit einem Colleg: Interpretation des 4. Buches der Gaianischen Institutionen, las dann mit bestem Erfolg über römische Rechtsgeschichte, hielt Pandekten-Praktika und ertheilte nebenbei Privatissima.
Zu Anfang des Jahres 1854 erhielt E. einen Ruf an die Universität Krakau und wurde zu Ostern 1855 zum ordentlichen Professor des römischen Rechtes daselbst ernannt. E. entwickelte hier eine Erfolg versprechende Lehrthätigkeit und vollendete daselbst seine „Römische Rechtsgeschichte“, die im Jahre 1856 erschien. Schon im Jahre 1857 wurde E. nach Prag versetzt, woselbst Brinz, der damals von Erlangen nach Prag berufen worden war, sein College wurde. In Prag war E. neben Brinz u. A. ein ungemein beliebter und wirkungsreicher Lehrer bis an sein Lebensende. Hochgeehrt von Collegen und Schülern starb er nach schwerem Leiden in der Nacht vom 21. auf den 22. Januar 87.
[431] E. war kein Schnellarbeiter, meist verwarf er viele Bogen, bevor er einen gelten ließ. Was Inhalt und Form anbelangt, war er gegen sich der strengste Richter. Dies war für die Zahl seiner litterarischen Arbeiten nicht günstig. Von seiner Habilitationsschrift ist bereitet oben Erwähnung geschehen; dieselbe erschien 1852 im Druck; in ansprechendster aber doch gründlichster Weise behandelt er das Verhältniß zwischen mora und culpa und kommt zu dem Resultate, daß die mora zwar eine laesio iuris, keineswegs aber eine culpa involvire, welche er vielmehr als imputationem personalem a mora prorsus alienam bezeichnet. Vier Jahre später publicirte E. seine „Römische Rechtsgeschichte“, welche sein Haupt- und Lieblingswerk war. In großen Zügen will er darin die Geschichte des classischen Rechtes in einer des Gegenstandes würdigen Sprache schildern. Wie er in der Vorrede sagt, hat nicht Willkür oder Laune, sondern die Sache selbst den Stil gemacht. Die Arbeit hat manche Anfechtung erfahren, namentlich des Stils und des Umstandes wegen, daß sie die Form über den Inhalt setze. Gewiß hätte stofflich mehr geboten werden können, allein gerade stoffliche Beschränkung war für den Verfasser der Hauptzweck. Ihm kam es vor allem auf Darstellung des Ineinanderwirkens der äußeren und inneren Begebenheiten, des Zusammenarbeitens aller treibenden Kräfte, kurz auf eine Darstellung der Entwicklung des römischen Rechts in den für seine Größe entscheidenden Zeiten an. Deshalb war sein Blick immer nur auf das Große und Ganze, auf die durchschlagenden Gesichtspunkte, und erst in zweiter Reihe auf das Detail gerichtet. In dieser richtigen Erfassung der Aufgabe der Rechtsgeschichte liegt das Hauptverdienst der Arbeit, welche man nur dann gerecht würdigt, wenn man sie mit dem vergleicht, was bis dahin als Rechtsgeschichte ausgegeben wurde. Erst im J. 1877 erschien die zweite Auflage derselben, welche sich als eine völlige Neubearbeitung des Stoffs darstellt. Die Wärme für die Sache war geblieben, die Mängel der Erstlingsarbeit vermieden. Bald war eine dritte Auflage nothwendig, deren Vollendung E. nicht mehr erlebte, sie erschien im J. 1887.
E. war vor allem akademischer Lehrer; dies beweist auch sein Pandektenlehrbuch, das 1860 unter dem Titel: „Grundsätze des Pandektenrechtes“ in Wien erschien. Gedacht war dasselbe als Grundlage des Vortrags, in möglichster Schärfe und Knappheit sollten die Rechtsbegriffe unter Hervorhebung der markantesten Quellenstellen zum Ausdruck gebracht werden; angestrebt war nicht Darstellung der Entwicklung, nur der fertige Bestand sollte gegeben werden. Gleichfalls Unterrichtszwecken diente eine kleine Schrift: „Pandektenexegeticum“ (Prag 1876); selbe enthielt 50 ausgewählte Pandektenstellen, unter Hervorhebung der Aufgaben, welche der Interpret lösen sollte. Von Monographien hat E. nur eine veröffentlicht. Selbe erschien 1873 unter dem Titel: „Vacuae possessionis traditio“. Sie führt in feiner selbständiger Weise den von Brinz ausgesprochenen Gedanken durch, daß auch der Besitzerwerb den Grundsätzen des Successionsbegriffs unterworfen sei. Wenn noch die kleine, bloß für einen Freundeskreis gedruckte Schrift über die l. 49 D. mandati 17. 1, welche auf Grund einer geringfügigen Textesänderung eine neue Erklärung dieser lex damnata versucht, dann einige kleinere Abhandlungen in der österreichischen Gerichtszeitung (Die Singularsuccession in Obligationen, 1856, Nr. 141, 142; Zur Lehre vom Schadensersatz, 1857, Nr. 6; Zur Lehre vom Beginne der Verjährung eines klagbaren Anspruchs, 1857, Nr. 31), endlich noch verschiedene Recensionen in der Münchner Vierteljahrsschrift erwähnt werden, so ist der Kreis der Fachschriften erschöpft, die wir E. zu danken haben. Allein der Kreis seiner Studien war ein viel weiterer. Neben seinen Berufsstudien betrieb in ausgedehntem Maaße Philosophie, Geschichte, [432] schöne Litteratur und Sprachen. Insbesondere in der altnordischen Litteratur war er heimisch. Von Jugend an hatte er sich mit Poesie beschäftigt und noch als Jüngling die Dichtung: „Der Sieg von Bornhövd“ anonym veröffentlicht. Später publicirte er gleichfalls anonym das Epos „Der Hort der Dichtung“, viele Gedichte in Zeitungen und Flugblättern, darunter ein schwungvolles Festgedicht anläßlich der Feier des 100jährigen Geburtstags Savigny’s (1879). Ein größeres Werk ist das Epos „Knud Laicard“ (1864), dem dann treffliche Uebersetzungen aus der Edda folgten; von seinen vielen Uebersetzungen ist meines Wissens nur „Axel“ von Tegnér erschienen. Auch das Russische zog E. in den Kreis seiner Studien, er übersetzte daraus Moromzeff’s gehaltvolle Schrift „Was heißt Rechtsdogmatik“. E. war seinem ganzen Wesen nach conservativ, hielt zähe an dem fest, was er für Recht hielt. Deshalb ertrug er auch nur schwer die Annexion der Herzogthümer durch Preußen und hat sich nur langsam und allmählich mit der neuen Ordnung der Dinge, die der Prager Frieden herbeigeführt hatte, innerlich abgefunden.
- Karl Esmarch, Nachruf, gehalten im Deutschen akadem. Juristenverein von Hofrath Prof. Dr. Karl R. v. Czyhlarz (Juristische Vierteljahrsschrift, Organ d. dtsch. Juristenver. in Prag, XIX. Bd., der N. F. III. Bd., 1887).