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ADB:Ettmüller, Ernst Moritz Ludwig

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Artikel „Ettmüller, Ernst Moritz Ludwig“ von Ludwig Tobler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 398–400, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ettm%C3%BCller,_Ernst_Moritz_Ludwig&oldid=- (Version vom 20. Dezember 2024, 05:12 Uhr UTC)
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Ettmüller: Ernst Moritz Ludwig E., geb. am 5. Oct. 1802 zu Gersdorf bei Löbau in der sächsischen Oberlausitz, wo sein Vater Prediger war, erhielt seine erste Bildung im elterlichen Hause, besuchte seit 1816 das Gymnasium zu Zittau und studirte 1823–26 zu Leipzig, zuerst Medicin, dann deutsche Litteratur und Geschichte. Nachdem er hierauf einige Zeit theils auf Reisen, theils bei seinen Eltern zugebracht hatte, begab er sich 1828 nach Jena, wo er an den damaligen Bestrebungen der Studirenden lebhaften Antheil nahm. Hier habilitirte er sich auch (1830) und hielt Vorlesungen über mittelhochdeutsche Dichter. 1833 folgte er einem Ruf als Professor der deutschen Sprache und Litteratur am Gymnasium zu Zürich, wo er zugleich an der Hochschule thätig war und 1863 ganz an diese übertrat. (Brockhaus, Conv.-Lex., 11. Aufl. 1865, Bd. VI. S. 39.) In dieser Stellung verblieb er bis an sein Ende, welches am 15. April 1877 erfolgte. Seine Wirksamkeit als Lehrer war nicht bedeutend, weil schon sein Organ ungünstig war und ihm die Gabe methodischer Mittheilung fehlte. Aber er besaß ein reiches Wissen auf dem Gebiete der Litteratur [399] und Geschichte und in engerem Kreise wußte er dasselbe belehrend und unterhaltend zu verwerthen. Er war von wahrer Begeisterung für das germanische Alterthum und Mittelalter erfüllt, welche auch seinen Charakter und sogar sein Aeußeres beeinflußte. Seine litterarische Thätigkeit muß eine vielseitige und fruchtbare genannt werden, wie das nachfolgende Verzeichniß seiner Schriften beweist. Mit Vorliebe und wol auch mit der meisten Auszeichnung bewegte sie sich auf dem Gebiete des Altnordischen und Angelsächsischen, und die wissenschaftliche Betreibung des letzteren ist durch Ettmüller’s Arbeiten jedenfalls bedeutend gefördert worden, während seine Ausgaben mittelhochdeutscher Dichtungen den Ansprüchen an kritische Behandlung nicht ganz genügen und zum Theil ein etwas gewaltsames Verfahren zeigen. Daß er Sinn für Poesie und lebendigen Trieb dazu hatte, beweisen seine eigenen Dichtungen und seine Uebersetzungen, in welchen er oft nur allzusehr die Sprache der alten Zeit in die der Gegenwart hineinzog. – Seine Schriften sind, sachlich und zeitlich geordnet, folgende: 1) Altnordisch: „Vaulu-Spa, das älteste Denkmal germanisch nordischer Sprache“, 1830. „Die Lieder der Edda von den Nibelungen, stabreimende Verdeutschung nebst Erläuterung“, 1837. „Altnordisches Lesebuch nebst kurzgefaßter Formenlehre und Wörterbuch, zum Gebrauch bei Vorlesungen“, 1861. (Der prosaische Theil dieses Lesebuches ist von Lüning, dem Herausgeber der Edda, bearbeitet.) „Altnordischer Sagenschatz, in neun Büchern, übersetzt und erläutert“, 1870. (Die Sagen sind zum größeren Theile aus Saxo Grammaticus, einige aus den „Fornaldarsögur Nordrlanda“ geschöpft; die Erläuterungen enthalten Beiträge zur Mythologie und vergleichenden Sagenforschung.) „Beiträge zur Kritik und Erklärung der Edda“, in Pfeiffer-Bartsch’s „Germania“, Jahrgang 14, 17, 18, 19. – 2) Angelsächsisch: „Scôpes vîdsîdh; Adhelstans Sieg bei Brunanburg. Angels. und Deutsch“, 1839. „Beowulf, Heldengedicht des achten Jahrhunderts, zum ersten Mal aus dem Angelsächsischen in das Neuhochdeutsche stabreimend übersetzt“, 1840. In der Einleitung und den Anmerkungen zu dieser Uebersetzung hat E. die Bedeutung des Gedichtes für die germanische Alterthumskunde und Geschichte der epischen Poesie zuerst erkannt und auch die Entstehung desselben nebst vielen einzelnen Beziehungen richtig erklärt. (Hieran schließt sich auch Ettmüller’s letzte Publication, ein Universitätsprogramm von 1875, worin er das Beowulflied von den späteren Zuthaten gereinigt herzustellen suchte.) „Anglosaxonum poetae atque scriptores prosaici“, 1850. „Lexicon Anglosaxonicum“, 1851. (Bestandtheile der bei Basse in Quedlinburg erschienenen „Bibliothek der gesammten deutschen Nationallitteratur“, zu welcher Sammlung auch mehrere der folgenden mittelhochdeutschen und mittelniederdeutschen Dichtungen, von E. herausgegeben, gehören.) – 3) Mittelniederdeutsch: „Theophilus, Schauspiel aus dem 14. Jahrhundert“, 1849. „Spil fan der upstandinge (1464)“, 1851. „Des Fürsten von Rügen, Wizlaws IV., Sprüche und Lieder in niederdeutscher Sprache“, 1852. – 4) Mittelhochdeutsch: „Der Singerkrieg ûf Wartburc“, 1830. „Sant Oswaldes Leben“, 1835. „Künec Ortnídes mervart unde tôt“. 1838. „Gudrunlieder“, 1841. „Heinrichs von Meissen, des Frauenlobes, Leiche, Sprüche, Streitgedichte und Lieder“, 1843. „Daz maere von froun Helchen sünen“, aus der „Ravennaschlacht“ ausgehoben, 1846. „Heinrich von Veldeke“ (Eneit und Lieder), 1852. „Orendel und Brîde, eine Rune des deutschen Heidenthums“, 1858. (Mit ausführlicher und in der Hauptsache gewiß richtiger Erklärung des mythischen Gehaltes der Sage.) „Johann Hadloubes Gedichte“, in den Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. I. 8. „Die beiden ältesten deutschen Jahrbücher von Zürich", ebenda II. 3. „Sechs Briefe und ein Leich“, ebenda 4. „Eidgenössische Schlachtlieder“, ebenda 11. „Chronik von Rapperswyl“, ebenda VI. 5. – 5) Litteraturgeschichte: „Handbuch der deutschen Litteraturgeschichte, mit Einschluß [400] der angelsächsischen, altscandinavischen und mittelniederländischen Schriftwerke“, 1847. (Jener „Einschluß“ gibt diesem Buche, das freilich nur sehr compendiarisch gefaßt ist, einen besonderen Werth für die Uebersicht des Gesammtgebietes der älteren germanischen Litteratur.) „Herbstabende und Winternächte, Gespräche über deutsche Dichtungen und Dichter“, 3 Bde., 1865–67. (Mit diesem Werke hat E. den interessanten, wenn auch nicht gerade nachzuahmenden, Versuch gemacht, die Litteraturgeschichte belletristisch und zwar in dialogischer Form zu behandeln. Diese Behandlung bildet also einen Uebergang von streng wissenschaftlicher zu populärer Darstellung, schließt aber nicht aus, daß der Verfasser allerlei wirklich Belehrendes, auch aus dem Gebiet der allgemeinen Culturgeschichte, beizubringen wußte.) – 6) Kunst- und Culturgeschichte: „Ein Brautschmuckkästchen des 14. Jahrhunderts“, in den Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. VII. 1. „Die Freskenbilder zu Konstanz, aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts“, ebenda XV. 6. „Einiges über den Ritterstand“, ebenda XI. 4. „Die weisen Frauen der Germanen“, 1859. – 7) Eigene Dichtungen: „Deutsche Stammkönige“, 1844. (Stabreimende Behandlung longobardischer Sagen.) „Kaiser Karl der Große und das fränkische Jungfrauenheer“, 1846. (Komisches Epos.) „Karl der Große und der h. Goar“, 1852 (ebenfalls humoristische Behandlung einer Legende).