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ADB:Eßlair, Ferdinand

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Artikel „Eßlair, Ferdinand“ von Joseph Kürschner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 384–386, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:E%C3%9Flair,_Ferdinand&oldid=- (Version vom 17. November 2024, 04:43 Uhr UTC)
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Eßlair: Ferdinand E., dramatischer Künstler, den Devrient den drei „Heroen der neueren Entwicklungsphase“ der Schauspielkunst beizählt, geb. am 2. Febr. 1772 zu Essegg in Slavonien, † am 10. Nov. 1840 zu Mühlau bei Innsbruck. Die über Eßlair’s erste Lebensperiode vorhandenen biographischen Skizzen sind durchgehends mehr oder weniger ungenau und selbst die jüngste Arbeit über den Künstler in Pierer’s Conversationslexikon (vom Unterzeichneten verfaßt) leidet an gleichen Mängeln. Bei eingehenderen Studien und Heranziehung von Specialgeschichten kommt man zu folgendem Resultat. Nach Eßlair’s eigenem, gegen das Ende seines Lebens abgelegten Geständniß war er der Sohn eines angesehenen Beamten, entstammt also nicht dem alten Geschlechte derer von Khevenhüller, wie vielfach (zuletzt von Meyer’s Conversationslexikon) angenommen. Nach den von Haake (a. u. a. O.) gemachten Mittheilungen ist E. ursprünglich Soldat gewesen, dann aber nach glücklichen schauspielerischen Versuchen auf Gesellschaftsbühnen zum Theater übergegangen. Er debutirte 1795 in Innsbruck unter F. v. Hoffmann’s Direction. Sechs Monate später kam er zu Schopf (nicht Schoch, wie Haake angibt) nach Passau, von da 1797 nach München, wo er mit großem Erfolg auf dem alten Theater des Haschebräu’s auftrat. 1798 wurde er Mitglied des Prager ständischen Theaters, das zu jener Zeit unter Guardasoni und jenem Schopf (Wurzbach nennt ihn Schöpf) stand. Als Regisseur des letzteren war Joh. Karl Liebich angestellt, dem, nach Devrient’s Angabe, E. hinsichtlich seines Spiels viel verdanken soll. Für die nächsten Jahre erweist sich nun als einzig zuverlässige, weil documentarisch belegte Quelle, gegenüber allen sonstigen gedruckten Mittheitungen, Hysel’s Geschichtswerk über Nürnberg, das freilich auf die Persönlichkeit des großen Mimen tiefen Schatten wirft, ein Umstand, dem es vielleicht beizumessen ist, daß die nach jenem Buch erschienenen Arbeiten solches nicht benutzt haben. E. wird zwar dort Joh. Baptist E. genannt, aber alle Umstände, der angeführte Briefwechsel mit Liebich, das Jahr des Abgangs von Prag etc. stimmt so genau, daß es keinem Zweifel unterliegt, daß dieser J. B. E. mit F. E. identisch ist, um so mehr, als zweier Eßlair’s nirgend Erwähnung geschieht und E. ebensowol seinen Vornamen verändert haben kann, wie er seine Herkunft bis gegen sein Ende geheim hielt. Unmöglich ist es ja auch nicht, daß dem Künstler alle drei Vornamen eigen gewesen sind. – Uebermäßig angestrengt in Prag, entwich E. im J. 1800 aus dieser Stadt, engagirte sich in Stuttgart bei Haselmeier und wurde von diesem Principal für dessen zweites unter Lüders stehendes Unternehmen in Augsburg verwendet. Nach Auflösung dieser Gesellschaft, der E. im Sommer 1801 nach Straßburg gefolgt war, ging der Künstler infolge einer Einladung des Director Heuberger als Regisseur und Schauspieler nach Salzburg, von wo er aber in kurzer Zeit, zum Theil wol durch die trübseligen Verhältnisse der von vornherein den Todeskeim in sich tragenden Truppe dazu gezwungen, „mit Hinterlassung mehrerer beträchtlicher Schulden flüchtig“ wurde, wie ein gerichtliches Zeugniß vermeldet. Auch in Stuttgart und Augsburg, wohin er sich gewandt hatte, fehlte es ihm nicht an Gläubigern, deren einer ihn „einen leichtsinnigen, muthwilligen und ehrlosen Schuldner“ nennt. Ende 1801 kam er zu Aurnheimer nach Nürnberg. Trotz günstiger Aufnahme und freundlichem Entgegenkommen des Directors, der auch Eßlair’s pecuniäre Lage zu verbessern suchte, knüpfte er widerrechtliche Unterhandlungen mit Prag an, die Aurnheimer bekannt wurden und zu einer Verhaftung des Künstlers führten. Zwar versuchte sich dieser in einer „Vertheidigung des Schauspielers E. über die plötzliche [385] ungerechte Verhaftnehmung auf Befehl des Herrn Directeur Aurnheimer 1802“ von jedem Verdacht zu reinigen, doch wurde das Schriftstück durch ein zweites, vom Director versandtes „auf die Wahrheit zurückgeführt und durch actenmäßige Thatsachen vervollständigt“. (Beide Schriftstücke bei Hysel S. 92 bis 103.) Durch Schulden gebunden blieb E. trotz dieses häßlichen Vorfalls in Nürnberg, übernahm sogar im October 1805 mit Reuter, Braun und Eberhardt neben Aurnheimer die Direction, um sie jedoch schon ein Jahr später wieder aufzugeben und gleichzeitig am 4. Dec. 1806 gänzlich vom Nürnberger Theater zurückzutreten. E. war in Nürnberg mit Ignatia geb. v. Fuchsheimer verehelicht, die vermuthlich noch vor seinem Abgang von Nürnberg starb, jedenfalls 1806. Kurze Zeit darauf heirathete er in Stuttgart, wo er 1807 Aufnahme gefunden hatte, die Schauspielerin Elise Müller, mit der er im Mai genannten Jahres am Theater zu Mannheim gastirte und daselbst vom 1. Oct. engagirt wurde; er für Helden und gesetzte Liebhaber, sie für Liebhaberinnen und weibliche Charakterrollen. Von Mannheim aus unternahm E. im August 1812 sein erstes Gastspiel nach Berlin, das seinen bedeutenden Ruhm begründen half. Im October 1812 wurde er nach Karlsruhe versetzt und aus dieser Zeit nun ist uns eines der glaubwürdigsten Zeugnisse über seine Künstlerschaft aufbewahrt durch Haake (a. u. a. O. S. 199–214. 246 f.), der ihn als eine gigantische, aber leicht bewegliche Figur und im Besitz eines Organs schildert, das jeden Ausdrucks fähig, dazu reich an Phantasie und einem durch natürlichen Verstand glücklich geläuterten Kunstinstinct. Glänzende Anerbieten veranlaßten E. am 1. Jan. 1815 ein lebenslängliches Engagement für Stuttgart anzunehmen, doch verließ er diesen Ort nach dem Tod des Königs Friedrich I. (30. Oct. 1816)[1] und trat nach einem glänzenden, 30 Rollen umfassenden Gastspiel in München als lebenslängliches Mitglied in den Verband des dortigen Hoftheaters. Hier wie früher in Stuttgart, wo er auch als Lehrer an der Theaterschule thätig gewesen war, versah er die Functionen eines Regisseurs. Von seiner zweiten Frau geschieden, verheirathete er sich in München mit einer geb. Ettmeier, die er im Juni 1808 bei einem Gastspiel in Mannheim kennen gelernt hatte. – Anfang der dreißiger Jahre gingen Eßlair’s Talente bereits stark abwärts, wie man deutlich aus einem Artikel Lewald’s in den „Unterhaltungen für das Theaterpublicum“ (II. S. 105–109) herauslesen kann. Gegen das Ende des vierten Jahrzehntes ließ er sich dann auch pensioniren, was ihn aber nicht von Gastspielreisen abhielt, deren letzte ihn 1840 nach Regensburg führte, wo er noch in glänzendster Weise geehrt wurde. Schon hier fühlte er die Abnahme seiner Kräfte und begab sich zum Gebrauch einer Kaltwassercur nach dem in der Nähe Innsbrucks gelegenen Dorfe Mühlau. Dort schied er ruhig und getröstet aus dem Leben, von den größten Blättern noch im Tod durch Nachrufe gefeiert, denn es gab wol kein Publicum einer irgend bedeutenderen Stadt, in der sich der Verstorbene nicht durch seine Gastspiele Freunde erworben. Auf besondere Anregung des damaligen Königs von Baiern wurde des Künstlers Grab mit einem Denkmal geziert.

Wie schon in Haake’s Mittheilung angedeutet, war E. von Natur sehr glücklich beanlagt und traf fast bei allen Aufgaben das Rechte, nur ließ er sich, nach glaubhaftem Zeugniß, durch Sucht nach Beifall dazu verleiten, überaus fein, doch dem gebildeten Auge völlig bemerkbar, die echte Kunst mit Effecthascherei zu verquicken. Sein Pathos nennt Haake das gewaltigste, das auf den deutschen Bühnen erreicht worden, in seiner Darstellung des „Theseus“ kam es im Bereiche der Tragödie zum glänzendsten Ausdruck. Immer bestrebt zu befriedigen, that er das möglichste für seine Ausbildung, die er allein seinem Fleiße [386] verdankt. Was er gab war keineswegs allein das Resultat seiner Mittel und Anlagen, sondern ein bewußt erzeugtes, nach einer eigenen, selbst begründeten Theorie geschaffenes Kunstgebilde, an dessen weiterer Ausführung er im Verlauf der Zeiten zu arbeiten nicht müde wurde. Die schöne Begabung: die nackte Wirklichkeit künstlerisch zu idealisiren, war ihm in hohem Grade zu eigen, sie hauptsächlich verschaffte ihm seine Triumphe als Dallner in Iffland’s „Dienstpflicht“, den er so zu geben verstand, daß Tieck einzelne Momente zu den größten zählt, die er je auf dem Theater gesehen. Ebenso gehört Iffland’s „Oberförster“ zu den Aufgaben, die er im bürgerlichen Drama am besten löste. Seine größte Bedeutung lag jedoch unbedingt in der Wiedergabe gewaltiger Charaktere, wie etwa der eines Karl Moor, Wallenstein, Otto von Wittelsbach, Lear, Belisar, Hugo („Schuld“), Tell u. a., obgleich er in mehreren dieser Rollen einzelne Stellen zu wenig tragisch und mehr nach der Comödie hinneigend gegeben haben soll.

Vgl. Wurzbach’s Lex.; Klingemann’s Allg. deutsch. Theater-Almanach, Braunschweig 1822, S. 257–303; Tieck, Dramaturg. Blätter I.; Wolff’s Almanach für Freunde der Schauspielkunst auf das J. 1840, S. 74a–74k, und 1841, S. 67–77 (enthält Eßlair’s Gedächtnißfeier, Epilog von Ed. v. Schenk; Neuer Nekrolog XVIII. II. S. 1325; Chezy, E. in Wien, 1824: (Dräxler-Manfred) E. in Prag, 1826; Hysel, Das Theater in Nürnberg von 1612–1863 etc., Nürnberg 1863, S. 92–103. 105–110, auch S. 121 ff. (Gedicht auf E. in Nürnberger Mundart); A. Haake, Theater-Memoiren, Mainz 1866, S. 199–214. 246 f.; Lewald, Allg. Theat.-Revue, II. S. 347 ff.: Supplément de la biogr. universelle et portative des contemporains etc., Paris 1813, p. 198.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 385. Z. 25 v. o.: Erst 1819 vertauschte Eßlair Stuttgart mit München. [Bd. 55, S. 889]