Zum Inhalt springen

ADB:Gabelsberger, Franz Xaver

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Gabelsberger, Franz Xaver“ von Emil Bauer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 291–293, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gabelsberger,_Franz_Xaver&oldid=- (Version vom 21. Dezember 2024, 16:35 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Gabelkover, Oswald
Band 8 (1878), S. 291–293 (Quelle).
Franz Xaver Gabelsberger bei Wikisource
Franz Xaver Gabelsberger in der Wikipedia
Franz Xaver Gabelsberger in Wikidata
GND-Nummer 118716026
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|8|291|293|Gabelsberger, Franz Xaver|Emil Bauer|ADB:Gabelsberger, Franz Xaver}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118716026}}    

Gabelsberger: Franz Xaver G., Erfinder des nach ihm benannten Systems der Stenographie und Begründer einer national-deutschen Schnellschrift überhaupt, wurde am 9. Febr. 1789 zu München geboren, wo sein Vater Hofblasinstrumentenmacher war. Bereits im dritten Jahre verlor er den Vater durch den Tod, und der mittellosen Mutter fiel die schwere Aufgabe zu, ihn nebst 3 andern unmündigen Kindern zu ernähren. Der aufgeweckte, von der Natur mit Geistesanlagen und Talenten reich bedachte Knabe fand einen väterlichen Freund in dem Chorregenten und Lehrer Plinkhardt von Haag, der 1799 seine Aufnahme in das Benedictinerkloster Attel bewirkte. Hier und drei Jahre später im Reichsstifte Ottobeuren empfing der junge Gabelsberger den ersten Unterricht, auf den ihn sein Gönner schon vorbereitet hatte; in der letztgenannten Anstalt ergab er sich mit Vorliebe musikalischen Studien. Vom J. 1803 ab besuchte er mehrere Jahre hindurch das Studienseminar seiner Vaterstadt, um den Gymnasialcursus durchzumachen; auf die Universitätsstudien mußte er, seinem sehnlichsten Wunsche entgegen, verzichten, da München zu jener Zeit noch keine Universität besaß und er die Uebersiedelung nach einer auswärtigen Hochschule nicht ermöglichen konnte. So trat er denn 1807 aus der obersten Classe des Seminars und entschloß sich, 18 Jahre alt, Elementarlehrer zu werden. Allein auch das sollte ihm nicht vergönnt sein; eine unerwartete Verschlechterung seiner Vermögensverhältnisse und zunehmende Kränklichkeit, die bei seiner nicht besonders kräftigen Constitution zu Besorgnissen Veranlassung gab, nöthigten ihn, alle weiteren Studien aufzugeben und zunächst für seine Existenz zu arbeiten. Seine ausnehmend schöne Handschrift brachte ihn in Verbindung mit Aloys Senefelder, der kurz vorher begonnen hatte, seine junge Erfindung des Steindrucks in München auszuüben. Er erlernte das Steinzeichnen und leistete Senefelder manchfache Hilfe, nebenher ertheilte er Sprach- und Schreibunterricht. Der erlangten Fertigkeit in der Kalligraphie und Lithographie verdankte G. im J. 1809 eine Anstellung als Diurnist bei der General-Administration der Stiftungen und Communen, und damit war seine fernere Laufbahn entschieden. Er verblieb im Staatsdienst, wurde 1810 definitiv als Kanzelist bei der Münchener Kreisregierung, 1813 in gleicher Eigenschaft bei der Central-Stiftungscasse angestellt und 10 Jahre später zum Geh. Ministerial-Secretär ernannt. Beim Regierungsantritte Ludwigs I., 1825, wurde er aus Organisationsrücksichten zwar pensionirt, bereits im nächsten Jahre aber wieder als Secretär ins statistische Büreau des Ministeriums des Innern berufen. In dieser Eigenschaft, sowie später als Vorsteher des stenographischen Büreaus, erster Landtagsstenograph und Lehrer seiner Kunst wirkte er bis zu seinem Tode, der am 4. Januar 1849 infolge eines Schlaganfalls auf offener Straße eintrat. G. hatte sich in seinen Mußestunden schon frühe sprachlichen Studien manchfacher Art, sowie der Beschäftigung mit Pasigraphie, Kryptographie und Dechiffrirkunst ergeben. Im J. 1817 kam ihm der Gedanke, eine Geschwindschrift zu ermitteln, zunächst nur in der Absicht, sich und einem höheren Beamten durch Aufnahme von Dictaten Erleichterung zu schaffen. Der Umstand, daß ein Jahr später die baierische Verfassung proclamirt wurde, trug nicht wenig dazu bei, ihn in seinem Vorhaben zu bestärken. Als 1819 die Landstände zum ersten Male zusammenberufen wurden, konnte G. bereits einige zufriedenstellende Proben seiner Erfindung ablegen. Mit unermüdlichem Fleiße arbeitete er nun sein System von Jahr zu Jahr durch, und die baierischen Landtage von 1822, 1825 und 1828 zeigten die fortgesetzte Vervollkommnung seiner Kunst. Bald erregten seine praktischen Leistungen und die einiger herangebildeter [292] Schüler allgemeines Aufsehen. Im J. 1823 erhielt er eine kleine staatliche Unterstützung, die ihm aber einige Jahre später infolge übelwollender Einflüsse wieder entzogen wurde. Der Entwurf seines Schriftsystems, soweit es damals gediehen war, wurde 1829 auf Veranlassung des Ministeriums des Innern der Münchener Akademie der Wissenschaften zur Prüfung vorgelegt und das Urtheil fiel sehr günstig aus, indem Gabelsberger’s Schrift als „durchaus originell und bei hinreichender Kürze geläufiger, zuverlässiger und lesbarer als jede frühere“ bezeichnet wurde. Von noch größerer Bedeutung für die Weiterentwickelung seines Werkes war der Umstand, daß die baierische Regierung ihm 1831 auf Antrag der Abgeordnetenkammer eine jährliche Unterstützung von 1000 Gulden zu Theil werden ließ, wovon die eine Hälfte ihm als ersten Stenographen und Lehrer seiner Kunst zufiel, während die andere zu Prämien und Unterstützungen für besonders befähigte und fleißige Schüler dienen sollte. Ermuthigt durch diese Anerkennung und beruhigt über das Schicksal seiner Schrift ging G. nun an die Bearbeitung eines Lehrbuchs derselben, während er nebenher auf das eifrigste durch Unterrichtertheilen thätig war. Als Frucht seiner 17jährigen unermüdlichen Arbeit erschien 1834, „seinem lieben Vaterlande Baiern in Liebe und Dankbarkeit gewidmet“, die „Anleitung zur deutschen Redezeichenkunst oder Stenographie“, ein Werk, dem für alle Zeiten einer der ersten Plätze in der stenographischen Litteratur gesichert ist. Es enthält nach einer sehr interessanten Einleitung über Geschichte und Ausbildung der Schnellschrift eine neue Theorie der Kunst, an welche G. sein Verfahren anschließt und durch praktische Beispiele für den Selbstunterricht erläutert. Nachdem die Anleitung, welche mit großem Beifall aufgenommen wurde, 1839 neu aufgelegt worden war, erschienen 1843 die „Neuen Vervollkommnungen in der deutschen Redezeichenkunst oder Stenographie“ (2. Aufl. 1849), in welchen der Erfinder eine Anzahl Verbesserungen seines Systems vorführte, durch Aufstellung eines auf die Grundsätze der altrömischen Stenographie, der sogenannten „Tironischen Noten“ basirenden Kürzungsverfahrens seine Schrift für die höchsten Anforderungen der Praxis geeignet machte und gleichzeitig einige Fingerzeige für die Uebertragung derselben auf das Russische und Dänische gab. Zu weiterer Ausbildung für die Jünger seiner Kunst hatte er 1838 das erste Heft einer „Stenographischen Lesebibliothek“ herausgegeben; neben sonstigem Lesestoff enthält dasselbe auch eine Reihe formschöner, schwungvoller Distichen, in welchen G. seinem für die Stenographie begeisterten Herzen Luft macht. Bei diesen litterarischen Arbeiten kam ihm seine Fertigkeit im Lithographiren von früher her sehr zu statten; die mehr als 400 Quartseiten des stenographischen Theils der „Anleitung“, sowie die „Lesebibliothek“ sind fast durchgängig von seiner eigenen Hand auf den Stein geschrieben. Ueber der Umarbeitung seines Lehrgebäudes überraschte ihn der Tod, das Werk wurde indeß 1850 in neuer Auflage mit Benutzung hinterlassener Papiere des Verstorbenen durch den Münchener Gabelsberger Centralverein herausgegeben. In der Geschichte der Schnellschrift überhaupt, wie in der Deutschlands insbesondere nimmt G. eine Stelle von höchster Bedeutung ein und von seiner Erscheinung ausgehend wird der Geschichtsschreiber der Stenographie die Wichtigkeit dieser Kunst für die nationale und geistige Entwickelung unseres Volkes darzustellen haben. Man hat ihn mit vollem Rechte den „deutschen Tiro“ und den „Vater der deutschen Stenographie“ genannt. Vollständig unabhängig von den Versuchen seiner Vorgänger, die französisch-englischen Methoden auf die deutsche Sprache anzuwenden, schuf er ein durchaus originelles, alle früheren überragendes System. Statt der steifen, in ihrer Anwendung unhandlichen geometrischen Linien benützte er für sein Alphabet handgerechte, flüchtige und verbindungsfähige, den Lauten unserer Sprache angepaßte Züge; er wurde der [293] Schöpfer der graphischen Stenographie. Das von ihm aufgestellte System läßt zwar Verbesserungen im Einzelnen zu, und hat sie ja auch im Laufe der Zeiten erfahren, steht aber im Uebrigen in seinen Grundprinzipien unerschütterlich fest und hat sich bis heute den ersten Rang in Deutschland zu erhalten gewußt. Außer Stolze, dessen Schrift, von andern Gesichtspunkten ausgehend, bei ihrer Einfachheit, Consequenz und Wissenschaftlichkeit der Gabelsberger’s ebenbürtig zur Seite steht, ja für die Zwecke einer Volks- und Verkehrsschrift ihr entschieden vorzuziehen ist, und in neuester Zeit Arends mit einer weit weniger brauchbaren, „rationellen Kurzschrift“ hat keiner der zahlreichen Nachfolger neben seiner geistvollen Erfindung aufkommen können. Im J. 1876 existirten 249 Vereine mit mehr als 9000 Mitgliedern nach Gabelsberger’s Schrift; die sonstige Verbreitung derselben läßt sich darnach bemessen, daß 1873: 14078, 1874: 18556 Personen stenographischen Unterricht erhielten. Das königl. stenogr. Institut zu Dresden, als Unterrichtsanstalt begründet im J. 1835 und 1839 zur Staatsanstalt erhoben, sowie die Centralvereine zu München und Wien entwickeln eine bedeutende propagandistische Thätigkeit. Die bessern Lehrbücher weisen sämmtlich hohe Auflagen auf, gegen 40 Zeitschriften in stenographischer und gewöhnlicher Druckschrift vermitteln den Verkehr der Anhänger unter einander, und eine bändereiche Litteratur bezeugt, welch reges geistiges Leben innerhalb der Schule herrscht. Mit mehr oder weniger Erfolg ist das System bisher auf die englische, französische, italienische, spanische, schwedische, dänische, finnische, neugriechische, lateinische, ungarische und böhmische Sprache übertragen worden; nach mehreren von diesen Uebertragungen wird auch parlamentarisch gearbeitet. G. verband mit der Geduld und Gründlichkeit des deutschen Gelehrten eine außerordentliche, fast übergroße Bescheidenheit. Erst nach neunmaliger Umarbeitung trat er mit dem Entwurfe der Redezeichenkunst vor die Oeffentlichkeit, und bis an sein Lebensende war er unablässig mit der Verbesserung seines Geisteskindes beschäftigt. Die beste Charakteristik seines Wesens und Strebens bieten die Worte, welche der Abgeordnete Dr. Müller nach seinem Tode in der baierischen Kammer sprach: „G., der Mann, der das Wort zu fixiren verstand, war einer jener seltenen, bescheidenen, ich möchte sagen allzubescheidenen Männer, die nur für das höhere Interesse der Kunst, der schöpferischen Idee, der höheren Erfindung lebten. Den edelsten Willen durch die herrlichste That zu vollbringen, erfüllte seine Seele. Er verlangte nichts, er bat um nichts; man mußte ihm alles anbieten. Er hat in seinem Streben, dem Vaterlande zu nützen, nie auf seine Interessen gesehen, nie gesucht, sich Reichthum aus seiner Kunst zu erwerben!“ – Die Vaterstadt München hat ihrem treuen Sohne den Tribut der Dankbarkeit gezollt, indem sie 1862 eine Straße nach ihm benannte; bereits 1856 wurde sein Grabmal durch dankbare Jünger mit einem Denkstein versehen und die Stadtgemeinde erklärte seinen Begräbnißplatz zugleich mit dem Senefelder’s für unveräußerlich.

Anders, G. und seine Verdienste um die Stenographie, Berlin 1851. J. H. Wolf, Franz Xaver G., Erfinder der deutschen Stenographie, München 1849. Albrecht, Gabelsberger’s Leben und Streben, Leipzig 1858.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 293. Z. 8 v. u.: Vgl. ferner: Gerber, Gabelsberger’s Leben und Streben. 1868. [Bd. 10, S. 767]