Zum Inhalt springen

ADB:Senefelder, Alois

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Senefelder, Alois“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 8–23, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Senefelder,_Alois&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 17:21 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Sendtner, Otto
Band 34 (1892), S. 8–23 (Quelle).
Alois Senefelder bei Wikisource
Alois Senefelder in der Wikipedia
Alois Senefelder in Wikidata
GND-Nummer 118613219
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|34|8|23|Senefelder, Alois|Hyacinth Holland|ADB:Senefelder, Alois}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118613219}}    

Senefelder: Alois S., Erfinder der Lithographie, war das erste Kind des Schauspielers Peter S. (aus Königshofen im baierischen Franken) und dessen Frau Katharina (einer geborenen v. Völk, welche am 28. Februar 1825 zu München starb); der Knabe wurde am 6. November 1771 zu Prag geboren, wo sein Vater gerade gastirte. Dieser erhielt nach zwei Monaten eine Anstellung am Hoftheater in Mannheim und kam 1778 in gleicher Eigenschaft nach München. Hier empfing der junge S. eine gute Bildung in den Schulen als Vorbereitung zur Universität, denn nach dem Wunsche des Vaters sollte keines seiner Kinder die Bühne betreten. S. machte seine Studien mit Auszeichnung, insbesondere am Lyceum, wo er auch Mechanik, Physik und Chemie hörte und ging dann, seines Fleißes wegen mit einer jährlichen Subvention von 120 Gulden durch die Kurfürstin Maria Anna begabt, nach Ingolstadt zum Studium der Jurisprudenz, wo er in seinen akademischen Zeugnissen immer die erste Note mit Auszeichnung erhielt. Leider starb noch vor seinem Absolutorium 1791 der Vater, wodurch die zahlreiche Familie in eine beschränkte Lage gerieth. Vergeblich suchte er um [9] eine Rechnungsstelle nach, beschäftigte sich, um seine chemischen Kenntnisse zu verwerthen, mit Färberei-Versuchen, welche bei seiner Mittellosigkeit nur unerschwingliche Kosten in Aussicht stellten. Nun glaubte der Jüngling, als dramatischer Dichter für sich und die Seinen am schnellsten eine Existenz begründen zu können. So brachte er im Jahre 1789 ein für dilettantische Kreise verfaßtes Lustspiel „Die Mädchenkenner oder So ein Gelehrter und nur Famulus“ auf die Bühne, welches am kurfürstlichen Hoftheater am 13. Februar 1792 mit bestem Erfolg aufgeführt (S. spielte aber nicht mit, sondern saß unter den Zuschauern) und bei Lentner 1793 gegen gutes Honorar gedruckt wurde. Nun beschloß er auch als Schauspieler sein weiteres Heil zu versuchen. Aber daß Münchener Hoftheater versagte ihm die Aufnahme und die auf den Bühnen zu Regensburg, Nürnberg, Erlangen und Augsburg geernteten trüben Erfahrungen stimmten seinen Enthusiasmus bedeutend herunter, so daß er künftig wieder als Theaterdichter seinen Beruf erproben wollte. Allein schon sein zweites Werk, das Ritterschauspiel „Mathilde von Altenstein oder die Bärenhöhle“, welches er nicht in der vom Verleger gewünschten Frist vollendete und deshalb auf eigene Kosten drucken ließ, deckte nur notdürftig die Baarauslagen. Dasselbe erschien München 1793 (bei Hübschmann XXVI und 148 S. 8°; Goedeke im Grundriß 1859, II. 1078 verzeichnet auch einen Augsburger Nachdruck 1794); es trägt die Dedication an den Kurfürsten Karl Theodor und eine zweite an die Fürstin Karolina von Ysenburg. S. dichtete, wie er dabei erklärt, „in einer Lage, wo meine Seele trüb war und die wahre innige Empfindung in mir darniederlag; wo ich, bloß um dem Drang meiner Gefühle Luft zu schaffen, mich in die Dichterwelt begab, weil mein Herz in der wirklichen keine freudige Beschäftigung fand.“ In einem weiteren Brieffragment an seinen Freund Christian Meyer erklärt S., seinen Stoff „aus einem Weiber-Märchen“ genommen zu haben und erzählt nun diese Kinderstuben-Gespenster-Geschichte, die er indeß geschickt zurecht legte und dramatisch wirksam behandelte. Er schrieb außerdem 1792 noch ein Schauspiel „Die Tischlerfamilie“ (als Fortsetzung von Babo’s Lustspiel „Das Bürgerglück“ 1792), den Text zu einer komischen Oper „Siegfried oder die schnelle Werbung“ (1794); beide Manuscripte kamen in Ferchl’s Besitz und mit dessen Sammlung von Senefelder’s Incunabeln in die k. Akademie und von da in die Hof- und Staatsbibliothek. Es wäre immerhin der Mühe werth, auch diese einer kritischen Durchsicht zu würdigen und S. seine Stellung unter den Dramatikern seiner Zeit, mit welchen er mancherlei Fühlung besitzt, anzuweisen. Zwei andere Stücke „Genoveva“ und „Die Gothen im Orient“, welche über daß kurfürstliche Hoftheater gingen, scheinen verschollen. Als weitere dramatische Dichtungen wurden ihm „Der Bruder aus Amerika“, ein Trauerspiel aus den Ritterzeiten „Wilhelm von Lautern oder der Schatz im Birkenbusche“, eine Tragödie „Werner von Schwarzach“ und „Irrthum und Reue oder der Familientraum“, nach Ferchl’s Angabe mit Unrecht zugeschrieben. Die verdrießlichen Erfahrungen mit „Mathilde von Altenstein“ hatten großen Einfluß auf seine nachfolgenden Untersuchungen, Probleme und deren endliche Lösung. Er gerieth auf allerlei Einfälle, seine dramatischen Erzeugnisse selbst zu drucken oder auf andere Weise zu[WS 1] vervielfältigen, um dadurch die Lage seiner Mutter und Geschwister zu verbessern. Hierin zeigt S. eine Verwandtschaft mit Grillparzer, welcher seine beiden ersten Stücke verfaßte zur Bestreitung der für seine Familie sonst unerschwinglichen Wohnungsmiethe. Da S. während dem Drucke seines Schauspiels manchen Tag in der Officin zugebracht und die Manipulation genau gesehen hatte, so fand er die Buchdruckerei für leicht zu erlernen und wünschte, selbst eine kleine Druckerei zu besitzen, wozu aber alle Mittel fehlten. „Hätte ich daß nöthige Geld gehabt, so würde ich mir damals Lettern, eine Presse und Papier gekauft haben und [10] die Steindruckerei wäre wahrscheinlich sobald noch nicht erfunden worden.“ Dieser Mangel brachte ihn nun, wie er in seinem „Lehrbuch“ (1818 S. 4) sehr anmuthig erzählt, auf andere Projecte. Er machte den Versuch, die Buchstaben verkehrt in Stahl zu stechen und die Platte als Matrize zu gebrauchen, sowie eine Columne von Buchdrucker-Lettern in eine weiche Masse einzudrucken oder in Leisten von Birnbaumholz einzuschlagen und diese dann wieder als Tafeln anzuwenden, ein Verfahren, welches John Sweet aus Newyork auf der Pariser Exposition 1867 producirte. Er hatte also ahnungslos die Stereotypie erfunden und mußte sie nur deshalb liegen lassen, weil die weitere Nutzanwendung seine Mittel überstieg. Um zu sparen, wollte er die gewöhnlichen Buchdruckertypen verkehrt auf eine mit Aetzgrund überzogene Kupferplatte schreiben und mit Scheidewasser einätzen. Dieses gelang alsbald vollkommen, indem er auch eine Tinte erfand, womit er die gemachten Fehler leicht verbessern konnte; nur die Fertigkeit im Schreiben und das nöthige Werkzeug fehlte noch. Nun mußte aber der Arme, da er nur eine Platte hatte, selbe nach dem Gebrauch immer wieder abschleifen und neu poliren, wobei nicht nur eine Menge Zeit verloren ging, sondern auch die Dicke der Platte abnahm. Der Versuch, dazu einen alten Zinnteller zu präpariren, mißlang; jetzt fiel ihm ein, dafür das zufällig erhaltene Stück einer Kelheimer Platte zu Schreibübungen zu gebrauchen. Da fügte es der Zufall, daß S. eines Tages im Juli 1796, in Ermangelung der gewöhnlichen Tinte und eines dazu tauglichen Papiers einen gerade benöthigten Waschzettel mit seiner aus Wachs, Seife und Kienruß bestehenden Tinte vorläufig auf den Stein schrieb; dann fiel ihm ein, diese Platte mit Scheidewasser zu ätzen und zu sehen, was dabei wohl herauskäme. Er fand die Schrift ungefähr ein Zehnteil von einer Linie hoch, wovon sich Abdrücke mittelst Einschwärzen machen ließen. Damit stand S. auf derselben mechanischen Stufe, wie Professor Simon Schmid, welcher schon zehn Jahre früher auf ähnliche Weise Steine zu Abdrücken benutzt hatte, wovon S. vorläufig keine Kenntniß hatte. Darüber entstand später zwischen S. und Schmid ein Streit, welcher am Schlusse dieses Artikels noch kurz beleuchtet werden soll. S. blieb aber bei der alten durch Aetzen erhobenen Manier nicht stehen, sondern machte unermüdlich eine Menge Versuche, Proben und Besserungen, bis er, freilich ganz entblößt von Mitteln, doch zu günstigen Resultaten gelangte. Seine Erfindung war kein Zufall, sondern die Folge emsigen Nachdenkens und zahlloser Experimente. Die Erzählung mit dem Abdruck eines Stempels auf einem Schleifstein, welchen S. als Requisitenmeister des Hoftheaters gemacht haben soll, ist ein Märchen, da S. gar nie eine solche Stelle bekleidete; auch der Fund eines Pflanzenabdruckes auf einem Steine an der Isar gehört in die gleiche Region; wenigstens wollte S. später nie mehr etwas davon wissen. Auch Engelmann in seinem „Traité théorique et pratique de Lithographie“ übersetzt von W. Pabst und A. Kretzschmar (Leipzig 1843) spottet in der Einleitung über diese von Herrn von Schlichtegroll verbreiteten Fabeln. Dagegen scheint das in seinem „Lehrbuch“ ausführlich erzählte Waschzettel-Ereigniß als sicherer Ausgangspunkt seines Sinnens und Denkens. Zur weiteren Verfolgung seiner bisher gewonnenen Erfahrungen und Experimente war Geld unerläßlich, welches S. nicht aufbringen konnte. Schon eine kleine Kupferpresse mit zwei Walzen, welche ein Zimmermann nach Senefelder’s Idee um sechs Gulden hergestellt hatte, erschöpfte die ganze Barschaft der Familie. Bereitwillig verpfändete die Mutter die Quittungen über ihre kleine Pension auf mehrere Monate hinaus. Dazu kam durch die französische Einquartirung eine fühlbare Vertheuerung der nothwendigsten Lebensmittel. Um die Mittel zu einer besser construirten Presse zu erhalten, faßte S. den heroischen Entschluß, für einen Conscribirten bei der Artillerie in Ingolstadt auf sechs Jahre einzustehen, da dieser ihm zweihundert [11] Gulden bot. Diese Frist, meinte S., sei bald herum, er habe hübsche Kenntnisse in Mathematik und Mechanik, vielleicht könne er auch beim Militär sein Glück machen, jedenfalls gewinne er inzwischen doch freie Zeit, seine Pläne weiter zu verfolgen. Er ging also mit einem Rekruten-Transport nach Ingolstadt, wurde aber daselbst durch den Bescheid sehr niedergeschlagen, daß er als geborener „Ausländer“ – er war zufällig zu Prag in die Welt gekommen – vom baierischen Kriegsdienste ausgeschlossen sei, wobei es freilich in der Befugniß des kurfürstlichen Hofkriegsraths gelegen wäre, „auf dem Gnadenwege“ eine Ausnahme eintreten zu lassen. „Als ich von der Donaubrücke in den majestätischen Strom hinabsah, in welchem ich als Student beim Baden schon einmal beinahe den Tod gefunden hätte, so konnte ich freilich den Gedanken nur mit Mühe unterdrücken, daß meine damalige Rettung für mich eigentlich kein Glück gewesen sei, weil ein zu ungünstiges Schicksal mir sogar das, dem Hülfelosesten sonst noch übrige Mittel, seinen Unterhalt auf ehrliche Art zu verdienen, nämlich den Soldatenstand, zu verweigern schien.“ Jetzt dachte er vor der Hand die Schriftstellerei aufzugeben und bloß Drucker um Lohn zu werden.

Ein Fragment schlecht gedruckter Musiknoten aus einem alten Gesangbuch, welches S. noch zu Ingolstadt in einem Kramladen erhielt, weckte die Ueberzeugung, mit seiner neuen Druckart weit schönere Resultate liefern zu können. Er verband sich nun mit dem als Componisten von Messen, Symphonien, Variationen und Liedern bekannten Hofmusiker Franz Gleißner, welcher im Hause des Professors Simon Schmid bekannt war und von dessen Steindruck-Manier Kenntniß hatte, ohne dessen Erfindung bisher absonderlich zu beachten. Gleißner schenkte seinem Freunde S. jetzt die größte Aufmerksamkeit und gab sich zugleich alle Mühe, Simon Schmid’s Verfahren genau zu erkunden. Darauf schloß Gleißner mit S., dessen Erfahrung im Schreiben und Drucken er nicht umgehen konnte, eine Gesellschaft, wobei Madame Gleißner, eine sehr kluge und energische Frau, bedeutende Handlangerdienste leistete. Sie druckten nun zusammen unter der Firma „Gleißner und Senefelder“ ein Offertorium von Foscano, zwölf von Gleißner für Pianoforte-Begleitung componirte „Lieder“ und „Duetten für Flöten“ und andere Musikalien, welche in Zierlichkeit und Reinheit nichts zu wünschen übrig ließen. Gleißner, welcher überhaupt sein Wissen und Können weit überschätzte, glaubte nicht wenig zu diesem Gelingen beigetragen zu haben und verstieg sich später so weit, daß er dem S. sogar die Erfindung des damals Polyautographie genannten Druckverfahrens streitig machen wollte, wie denn S. überhaupt immer mit Täuschungen und Unfällen kämpfen mußte. Zum Gelingen dieser Arbeiten trug wesentlich bei, daß S. große Vortheile im Einschwärzen erworben hatte, namentlich durch Verbesserung der Druck-Ballen in Walzenform. Die „Lieder“ wurden dem Kurfürsten Karl Theodor überreicht, welcher eine Unterstützung von 100 Gulden aus der Cabinetskasse gewährte und ein Privilegium in Aussicht stellte, welches indeß erst durch den nachfolgenden Regenten realisirt wurde. Die damals unter Vachiery’s Vorsitz florirende Akademie der Wissenschaften, welcher S. ein Exemplar der „Lieder“ zur Prüfung und Begutachtung vorlegte, votirte dem Petenten den doppelten Ersatz der Auslagen für die alte Presse, nämlich 12 Gulden. Die Akademie hatte damals noch keine andere Dotation, als die Anweisung auf die Stempelgefälle; die versammelten Mitglieder legten freiwillig aus ihren Taschen eine Gabe für den jungen Erfinder zusammen, wobei sich die Herren freilich nicht sehr anstrengten. Mit einer neuen Presse (die alte hatte man voreilig verbrannt) ergaben sich aber wider Erwarten viele Anstände, so daß den Unternehmern großer Schaden erwuchs, da sie eine schöne Bestellung nicht rechtzeitig zu liefern vermochten, bis Senefelder’s unermüdlich arbeitender Scharfsinn auch diese Fehler beseitigte. [12] Während Simon Schmid nie über seine ersten Versuche hinauskam und selbe völlig liegen ließ, erhob S. den Steindruck zu einer ungeahnten Höhe, zu einer weittragenden Wirksamkeit, ja zu einer eigenthümlichen Kunst. S. erfand 1796 - und dieses Datum wird als daß Geburtsjahr der Lithographie inskünftig zu gelten haben – eine zum Schreiben auf Stein sehr gute, dem Scheidewasser widerstehende Tinte, er erfand ein brauchbares Werkzeug (Walze), um die so wenig erhobenen Züge einzuschwärzen, er ist der Erfinder der sog. Stangen- und Galgenpresse (zu deren Bau die Akademie die Mittel gewährte) und der chemischen Druckerei (1798). Während bei den verschiedenen älteren Druckarten nur der erhöhte Theil die Farbe empfängt oder beim vertieften zurückbehält, um sie dann beim Abdruck wiederzugeben, ist es beim chemischen Drucke ganz einerlei, ob die Zeichnung erhaben, vertieft oder eben, oder ob alle drei Manieren auf einer Platte vereinigt seien. Es kommt hier nur darauf an, daß sich an den abzudruckenden Linien, Schriften oder Bildern auf der Platte eine solche Materie befinde, an welche sich hernach die Farbe, die aus gleichartigen Substanzen bestehen muß, vermöge ihrer chemischen Verwandtschaft anhängen kann, wogegen durch die Vorbereitung der Platte die Stellen, welche weiß bleiben sollen, die Druckfarbe nicht annehmen und gleichsam abstoßen. S. wählte deshalb die Bezeichnung chemischer Druckerei, weil daß Einfärben in der wechselseitigen Verwandtschaft und nicht bloß in der mechanischen Berührung seinen Grund hat. Er bahnte dadurch die Wege, auf welcher der Steindruck nachmals seine bewunderungswürdige Höhe erreichte. Eine Entdeckung und Errungenschaft bot jetzt der anderen die Hand. Der chemische Stein- oder Flachdruck führte ihn zur Erfindung des Ueberdrucks. S. sollte damals nicht allein Bilder für die Volksschulen auf Stein übertragen, sondern auch ein Gebetbuch auf Stein schreiben, vorwiegend in Cursivschrift, in welcher er gerade die wenigste Uebung besaß. Auch war er der bisherigen Technik des Vorschreibens mit Stift auf Stein müde, und somit dachte er auf ein Mittel, durch welches er davon enthoben werden könnte. Er hatte schon früher bemerkt, wie das mit Bleistift beschriebene und dann befeuchtete Papier beim Abziehen auf dem Steine sehr deutlich die Züge negativ zurücklasse und ging nun an die Herstellung einer Tinte, mit welcher unmittelbar die Schrift auf dem Papier reproducirt werden könnte. S. machte mehrere tausend Versuche, endlich aber ging daraus die Entdeckung des Ueberdruckes und des Wiederdruckes nicht allein lithographirter Gegenstände, sondern auch des Letterndruckes und des Kupferstiches hervor. Es war nun völlig gleich, ob der Stein vertieft oder erhaben gearbeitet war; die Zeichnung konnte jetzt auch ganz eben und der Oberfläche des Steines gleich sein. Nun vermochte er auch mit Aquarellfarben zu drucken und das Bezeichnen mit trockner Seife gab ihm die natürliche Idee zur nachherigen Kreidemanier. Der Uebergang zur gestochenen Manier war so einfach, daß er ihn sogleich benutzte bei dem Titelblatt zu einer Symphonie mit vier obligaten Stimmen von Gleißner (mit Dedication an den Grafen von Törring-Seefeld), welches von S. in die Tiefe gestochen ist, während die Noten, als frühere Arbeit, noch in der alten Manier behandelt sind.

S., der durch seine Stangenpresse in mechanischer Hinsicht gesichert war und in einem Tage mehrere Tausend der besten Abdrücke machen konnte, wünschte jetzt natürlich geschickte Arbeiter, Zeichner und Künstler zu finden oder zu bilden. Er zog deshalb seine Brüder Theobald und Georg (außer diesen beiden wird noch ein Clemens und Karl genannt und drei Schwestern, die, wie fast alle Träger dieses Namens, auch die Bühne betraten) in sein Geschäft, lehrte sie auf Stein schreiben und ätzen, nahm auch zwei Lehrjungen an und glaubte sicher auf die Zukunft rechnen zu können, welche die von den Gleißner’schen Eheleuten gebrachten Opfer erstatten und lohnen müßte; es gab Aufträge und Bestellungen [13] (die Aufzählung aller weiteren Druckerzeugnisse, darunter auch Bilder für die Jugend und allerlei Lehrmittel für den Schulrath Steiner u. s. w. gehört hier nicht zu unserer Darstellung) und Kurfürst Maximilian hatte durch ein auf 15 Jahre reichendes „Privilegium exclusivum“ für Baiern das alleinige Druck- und Verkaufsrecht gesichert. Da kam Hofrath André aus Offenbach nach München, besah sich Senefelder’s Einrichtungen, erwarb das Druckrecht um eine Summe von 2000 Gulden, wodurch „Senefelder und Compagnie“ (Gleißner) ihr Etablissement in München begründeten. Hier wurden nun insbesondere Kupferstiche auf Stein übertragen und gedruckt. Doch blieben von diesem Geschäft die Brüder Senefelder’s ausgeschlossen, denen Gleißner in Anbetracht des Privilegiums die Ausübung auf eigene Rechnung nicht gestattete; sie zogen also nach Augsburg und errichteten mit Gombart eine Druckerei, welche jedoch nach wenigen Monaten wieder einging, da es den Unternehmern an der nöthigen Erfahrung fehlte. S. aber ging nach Offenbach, um für André eine großartige Druckerei einzurichten. Die Reise dahin führte über Solnhofen, wo André Bestellungen an Steinen und Platten machte. Die ersten Probedrucke in Offenbach fielen glänzend aus, so daß André weitläufige Projecte entwarf. S. sollte in London, Paris, Berlin und Wien Privilegien erwerben und in jeder dieser Städte wollte André eine Kunsthandlung mit Druckerei errichten; die Anstalten in London, Paris und Berlin sollten André’s Brüder leiten, jene in Offenbach und Frankfurt standen unter dessen eigener Leitung. S. erhielt die Geschäftsführung in Wien zugesagt nebst dem fünften Theil des Reinertrages sämmtlicher Etablissements. Gleißner sollte als Componist und Notenzeichner in Offenbach eine Stelle erhalten, wozu ihm die baierische Regierung einen dreijährigen Urlaub gewährte. Alle Parteien waren vollkommen zufrieden, nur hatten Senefelder’s, in München zurückgebliebene Geschwister immer noch mit Not zu kämpfen. Seine Schwester Charlotte zeichnete im December 1799 zwanzig „Neujahrsblätter“ auf Stein, druckte selbe ab und verkaufte sie mit ihren jüngsten Brüdern Karl und Clemens Abends in den Gasthäusern, um aus dem Erlös wenigstens Brod zu erhalten! Um den Geschwistern zu helfen und das baierische Privilegium nicht zu verlieren, wurden die Brüder Georg und Theobald wieder aufgenommen und mit der Führung der Firma zu München betraut.

Indessen befaßte sich André in Offenbach mehr mit Noten- und Cattundruckerei, als mit der Kunst. S. übertrug seine Ergebnisse auf die Cattun-Fabrikation und construirte eine neue Druckvorrichtung, welche das Dessin und den Färbestoff auf die Walze trug. Andres reiste deshalb, um ein Privileg darauf zu nehmen, nach England, wo dieses Verfahren jedoch schon längst bekannt und üblich war. Dann wurde S. nach London geschickt, um für die Steindruckerei ein Patent zu erwirken, die Sache verzog sich aber daselbst ohne seine Schuld auf sieben Monate, welche S. indeß sehr gut benutzte: er verbesserte seine Stein-Tinte, machte die ersten Versuche in der Aquatintamanier, übte sich im Drucke mit mehreren Platten und richtete sein besonderes Augenmerk auf die Verbesserung der Kreidemanier. Als Proben seiner Kunst veröffentlichte S. eine Anzahl von Musterblättern „Specimens of Polyautography, consisting of impressions taken from original drawings on stone“, welche verdiente Aufmerksamkeit erregten.

Nach seiner Rückkehr von London fand S. zu Offenbach seine beiden Brüder Georg und Theobald, welche zu München das gewünschte Fortkommen nicht gefunden hatten und nun hier ihr Glück suchen wollten. Da verlautete plötzlich, daß ein gewisser Anton Niedermayer, welcher in Straßburg studirt hatte und zu München mit Senefelder’s Brüdern bekannt geworden und oft ihre Werkstätte besuchte, erst in Regensburg und dann durch den Musikalienhändler Pleyel nach Paris gerufen, auch daselbst eine Druckerei begonnen, dann aber, da seine Versuche [14] sehr ungenügend ausgefallen, sich nach Wien gewendet habe, um dort ein Privilegium für ganz Oesterreich zu erreichen. Diese Schleichwege zu vereiteln und die Priorität für ihre Söhne geltend zu machen, eilte Senefelder’s Mutter nach Wien, woselbst alsbald auch Madame Gleißner eintraf. Die beiden Frauen, welche nicht im Stande waren, ihren Wünschen durch weitere künstlerische Vorlagen Nachdruck zu geben, erreichten nichts, als daß Frau Gleißner, in der irrigen Ansicht, sie müßte sich sehr wohlhabend geberden wie Leute, welche durch ihre Erfindung viel Geld ins Land brächten, große Schulden contrahirte, welche Herr André wieder edelmüthig deckte. Es begann damit wirklich eine ganze „Komödie von Irrungen“, welche indessen für Keines der Betheiligten heiter ausging. Jetzt mußten auch Gleißner und S. nach Wien, stießen aber auf Widerstand bei allen Kunsthändlern der Stadt. Endlich fand S., der mit André in begreifliche Spannung gerieth, einen einsichtigen und reichen Gönner in dem Hofagenten, Großindustriellen und wahren Humanisten Joseph Hartl von Luchsenstein (geboren 1760 † 1822 zu Wien. Vgl. Wurzbach 1861. VII, 405 ff.), welcher sich für die Cattundruckerei interessirte. Dieser gewährte die Mittel zur Anschaffung einer Stangenpresse und nun lieferte S. verschiedene, von einer Commission auf das günstigste begutachtete Druckproben. Dessen ungeachtet erreichte S. doch kein ausschließliches Privilegium, sondern mußte sich einstweilen mit einer Gewerbebefugniß begnügen. Jetzt wurden die Pressen in Gang gesetzt, da Hartl ernstlich an die Errichtung einer Cattundruckerei und einer Musikalienhandlung dachte. Die ersten lithographischen Producte bildeten indessen wieder nur Musikalien, die mit Ausnahme einer Ouverturen-Sammlung, lauter Compositionen des musikalisch dort völlig unbekannten Gleißner waren – vergeblich hatten die Unternehmer bei dem alten Haydn und bei Beethoven angeklopft. Man druckte große Massen von Gleißner’s Tonschöpfungen, welche natürlich bleischwer liegen blieben; sie lieferten im ersten Monate den Ertrag von 10 Gulden 48 Kreuzer, im zweiten gar nur 1 Gulden 36 Kreuzer. Dagegen versprach der Cattundruck freilich eine sichere Rente, verzögerte sich aber in Erwartung des Privilegiums; als dann dasselbe nach langem, nutzlosen, ja geradezu schädlichen Hinhalten endlich 1803 ausgefertigt wurde, stand Herr v. Hartl durch Unglücksfälle in allerlei Unternehmungen betroffen auf dem Punkte, seine Fabrik wieder aufzugeben. S. schloß mit anderen Männern eine neue, namentlich auf artistische Interessen gerichtete Gesellschaft, die ihm seine Ansprüche gern ablösen wollte, nur mußten vorerst Hartl’s Vorschüsse zurückbezahlt werden und von dem auf Senefelder fallenden Theil wurde eine gegen Senefelder’s Wissen von Gleißner contrahirte Schuld abgezogen, so daß dem armen S. nur – 50 Gulden verblieben! In allen diesen namenlosen Hetzereien, in dieser fast endlosen Kette von Mißgeschick, Verdruß und Widerborstigkeit, im eigentlichen Ringkampf ums Dasein bewährte sich S. fortwährend als ein Mann von unerschöpflicher Geduld und Ausdauer, beseelt und getragen von dem redlichsten Streben für seine Kunst und deren verbündeten Beförderer; mitten in dem fast unlösbar scheinenden Wirrwarr arbeitete er an neuen Problemen, verbesserte sein Material und seine Maschinen und ersann immer wieder frische Ressourcen. S. setzte seine letzte Hoffnung auf den Cattundruck, für welchen sich Herr v. Hartl noch immer interessirte. Dieser gedachte abermals ein Privilegium zu nehmen und S. als Director der Fabrik zu bestellen; S. verwendete auch seinen ganzen Scharfsinn auf die Neuconstruction der Maschinen, die ihm sehr wohl gelang. Aber auch jetzt trat das alte Verhängniß dazwischen in Gestalt eines treulosen Werkmeisters, welcher Senefelder’s Maschine abzeichnete und verkaufte, so daß selbe von mehreren Etablissements nachgeahmt wurde. Ueberdies verhinderte Napoleon’s Continentalsperre den Gebrauch der englischen Baumwollengarne. Damit erreichte jedes Privilegium [15] sein Ende und Senefelder’s mühevolles, dornenreiches Tagewerk in Wien war geschlossen, obwohl jetzt die Gebrüder Faber alles aufboten, den unentbehrlichen S. für ihre Fabrik zu St. Pölten zu gewinnen. Kaum war dieser Contract unterzeichnet, als aus München der Antrag kam, sich mit dem Herrn Baron v. Aretin daselbst zu associiren, wobei sich auch der berühmte Abbé Vogler betheiligen wollte, der jedoch bald davon wieder abstand. S. begriff, daß er hier mehr an seinem Platze sei und kehrte mit Gleißner im October 1806 nach München zurück, wo der Steindruck inzwischen einen ganz überraschenden Aufschwung erhielt. Hier hatten Senefelder’s Brüder nothgedrungen, um einem Schwindler die Spitze zu bieten, ihr Geheimniß gegen eine jährliche Rente von 700 Gulden an die Direction der „Feiertags-Schule“ verkauft (1804), wo nun die Professoren Kefer und Mitterer (s. Allg. D. B. 1885. XX, 207 ff.) in glücklichster, rationellster Weise den Ausbau dieser Erfindung zur Kunst erhoben, für welche der Ausdruck „Lithographie“ zur allgemeinen Annahme gelangte. Daneben errichtete der Landes-Directionsrath von Hazzi mit Senefelder’s Brüdern eine Druckerei (1805) mit besonderer Vorliebe für industrielle Zwecke; hierbei wurde der im topographischen Zeichnen und Graviren geübte Karl S. verwendet und unter ihm die ersten Karten gedruckt, wozu der Krieg (1805) den nächsten Anlaß bot. Auch anderswo entstanden neue lithographische Anstalten z. B. in Stuttgart die Cotta’sche Officin durch Herrn Hofrath G. H. v. Rapp (s. A. D. B. XXVII, 293 ff). Der häufig unbefugter Weise hinausgetragene Same gewann überall erfreulichen Boden, faßte Wurzel, trug überraschende Blüthe und Frucht. Indessen ist es, wie anziehend es auch wäre, hier nicht unsere Aufgabe, eine „Geschichte der Lithographie“ zu geben (wozu zuerst B. Späth im Kunstblatt 1820, Nr. 99 bis 103 die Grundzüge und insbesondere Engelmann in seinem vorgenannten Werke im weiteren Sinne die ganze Entwickelung schilderten), sondern nur den Lebensabriß ihres Erfinders zu skizziren.

Die Verbindung des Frhrn. v. Aretin mit S. dauerte vier Jahre, in denen aus dieser Anstalt zahlreiche Pläne, Karten, Tabellen, Circulare u. s. w. hervorgingen, aber auch durch Strixner’s Beihülfe die Ausgabe von Dürer’s sog. „Gebetbuch“, welche eine wieder nicht hierher gehörige Geschichte hat – eine ganz musterhafte und seitdem immer noch unübertroffene Reproduction, welche auch Goethe’s Interesse in hohem Grade erregte (vgl. dessen Bericht hierüber in Nr. 67 Jenaer Allg. Litt.-Ztg. 1808). Sodann begann S. die Publication eines „Musterbuch über alle lithographischen Manieren“, welches aus 4 Heften mit 40 Blättern bestehen sollte, jedoch in der ersten aus zehn Probeblättern bestehenden Lieferung (München 1809 bei A. Senefelder, Fr. Gleißner & Comp.) stecken blieb, da S. immer noch höhere Vollendung anstrebte. Auch das damals schon verkündete „Lehrbuch“ der Lithographie blieb aus denselben Gründen unvollendet. S. arbeitete auf sechs Pressen, welche freilich interimistisch wieder pausiren mußten, wenn die Regierung nicht gerade mit dringlichen Arbeiten Alles in Athem hielt. Senefelder’s Name verbreitete sich, einheimische und auswärtige Staatsmänner zeigten mehr oder minder thätiges Interesse, auch Baierns „kronenwürdiger Prinz“ erkundigte sich durch eigenen Augenschein um die Entstehung und Fortbildung dieser Kunst, erklärte selbe für eine Zierde des Jahrhunderts, gab sein Autograph zur Vervielfältigung und ließ Senefelder’s Büste durch Joseph Kirchmaier modelliren. Dessen ungeachtet rentirte sich Aretin’s Unternehmen wenig, da noch andere Druckereien trotz Senefelder’s Privileg etablirt wurden, sogar die Central-Staatskasse errichtete eine eigene Steindruckerei mit einer besonderen Concession für das Musik- und Geschäftsfach. Dabei machte die kurzsichtige Bureaukratie Mißgriffe und Fehler. So wurde Theobald S. 1808 von dem Freiherrn v. Hartmann (sein Name ist auch in den damals umlaufenden Spruch: [16] „Steinharte Männer liegen centnerschwer auf Baierns Herzen“ eingeflochten) durch Verwechselung mit seinem Bruder Alois aufgefordert, für die General-Administration der Stiftungen eine lithographische Druckerei in Gang zu setzen. Die königlichen Aemter ersahen aus der Errichtung von Druckereien überhaupt einen großen Vortheil, da S. und seine Brüder die Tabellen- und Geschäfts-Druckerei sehr verbesserten und Theobald den Ueberdruck für amtliche Ausschreibungen in Anwendung brachte. Deshalb errichtete die Stiftungs-Administration eine lithographische Anstalt, welche in zwei Officinen, sowohl für die laufenden Geschäfte, wie zur Erzeugung von Kunstproducten für den öffentlichen Cultus und den Unterricht arbeitete. Und Theobald S. wurde 1809 als Inspector der lithographischen Anstalt im Ministerium des Innern angestellt und genoß als solcher Vorteile, die seinem Bruder, dem unermüdet thätigen und so oft getäuschten Erfinder der Lithographie zugedacht waren! Ueberdieß wurde auch die Druckerei der Armenanstalt auf dem Anger errichtet und sogar beim k. Staatsrath eine Presse in Gang gesetzt. Auch erkannte die Steuer-Cataster-Commission den großen Vortheil, der ihr durch die Einrichtung einer solchen Presse erwachsen mußte, aber nicht S., sondern Franz Weishaupt, einer der ausgezeichnetsten Arbeiter Senefelder’s, erhielt den Auftrag dazu! Senefelder’s Verhältnisse gestalteten sich immer trüber, dazu kamen noch höhnische Artikel in Zeitungen, welche ihm seine Erfindungen anstritten, ferner ein ärgerlicher Proceß mit dem Fiscus wegen Verletzung des ihm ertheilten ausschließlichen Privilegiums, schließlich löste sich durch K. v. Aretin’s Versetzung nach Neuburg die mit demselben geführte Gesellschaft. Endlich erhielt S. durch Vermittelung des Herrn v. Utzschneider (vgl. Senefelder’s Bericht hierüber in seinem „Lehrbuch“ S. 116 ff.) eine Anstellung 1809 als Inspector der lithographischen Anstalt der k. Steuer-Catastel-Commission mit einer lebenslänglichen Besoldung von 1200 Gulden und 300 Gulden als Functions-Zulage, auch Gleißner wurde in den Staatsdienst mit übernommen bei 1000 Gulden Gehalt und dem Rang eines Inspectors; dabei erhielt S. die Vergünstigung, seine Presse nebenbei noch weiterführen zu dürfen, wovon S. aber nach Erledigung seiner laufenden Verbindlichkeiten keinen weiteren Gebrauch machte. Sein neuer Wirkungskreis, wobei er durch Mettenleiter und F. Weishaupt in ausgiebiger Weise unterstützt wurde und seine Idee zur gediegensten Verwirklichung bringen konnte, galt als Sinecure. S. hing seinen Lieblingsplänen nach und machte noch viele Erfindungen, die theilweise als unausführbar und unpraktisch sich erwiesen (darunter z. B. auch sein damals viel bewundertes Steinpapier, welches die nur in Baiern vorkommenden Solnhofer Platten ersetzen sollte) und nur Zeit, Mühe und Geld kosteten. Er unternahm jetzt auch wieder mehrfache Reisen, z. B. 1810 nach Paris, wo seine Arbeiten das größte Aufsehen erregten, so daß S. ernstlich daran dachte, sich in Paris zu etabliren. Daselbst war es G. Engelmann, welcher alsbald nach München kam, Senefelder’s Unterweisung genoß und durch C. v. Mannlich und Mitterer’s Erfahrungen weiter gefördert, die neue Technik in Paris zu einem mit Deutschland rivalisirenden Aufschwung brachte. Sein späteres, hier schon öfters erwähntes Lehr- und Musterbuch (1840) bietet ein ganz vorzügliches Material zur Geschichte der Lithographie.

Um den immer dringender werdenden Anfragen zu genügen, beschloß sein schon 1809 begonnenes Lehrbuch des Steindrucks (damals erschien nur der erste Bogen davon) endlich auszuarbeiten; es sollte ein mit Proben aller Art reich ausgestattetes Prachtwerk werden, dessen Kosten der wohlerprobte Hofrath André zu decken versprach. Nur fand S. kein Genügen an seinen Zeichnungen und Platten, wollte immer Neues und Besseres bieten, zwischen durch ging S. wieder nach Wien (1815), um für Buchhändler Gerold eine lithographische Anstalt einzurichten, welcher den Verlag des „Lehrbuchs“ übernahm, dessen Abfassung [17] S. jetzt um so lieber ausführte, als unterdessen Hofrath v. Schlichtegroll zu München (im „Anzeiger für Kunst- und Gewerbefleiß in·Baiern“ 1816 und 1817) eine Reihe von breiten Artikeln in Briefform über die Erfindung der Lithographie veröffentlichte, welche zahlreiche Unrichtigkeiten verbreiteten. Das langerwartete „Lehrbuch“ erschien 1818. Dasselbe giebt in der ersten kleineren Hälfte eine ganz anmuthig anhebende seither oftmals nachgedruckte Autobiographie mit der Geschichte von Senefelder’s Erfindung; die zweite, größere Hälfte bietet eine richtige und deutliche Anweisung zu den verschiedenen Manipulationsarten, nebst Abbildung der dazu nöthigen Druckmaschinen; beigegeben sind zwanzig „Musterblätter“, welche für die Genesis der Erfindung und die einzelnen Arten derselben sehr lehrreiches und historisches Interesse bieten, aber doch hinter den seitherigen Leistungen von Manlich, Mitterer, Strixner u. a. zurückbleiben, welche damals schon unvergleichlich bessere Kunstarbeiten producirten. In seinem Lehrbuch spricht S. von seiner Methode „lithographische Stereotypen“ auf die leichteste Art zu verfertigen, behauptet im „Farbendruck“ seitdem solche Fortschritte gemacht zu haben, daß er außer den mit Farben illuminirten Bildern auch noch von Oelgemälden ganz ähnliche Abdrücke liefern könne, welchen Niemand ansehe, daß sie gedruckt seien (wogegen der eigentliche Oelfarbendruck doch erst 1830 erfunden wurde), auch rühmt S. noch während der Abfassung seines Lehrbuches (S. 128) eine neue Art erfunden zu haben, um Bilder, Tapeten, Spielkarten und selbst Cattun mit Steinen zu drucken, wobei zwei Personen in einem Tage 2000 Folio- Abdrücke machen könnten, wenn auch das Bild aus hundert Farben bestehen sollte! Außer dem „Tondruck“ (welchen Strixner vereinfachte) kam S. nach den schon 1799 gemachten Beobachtungen über die Verwendbarkeit der Metallplatten auf die unmittelbare Anwendung des chemischen Druckes auf Messing, Zinn oder Zink; dieses noch wichtigere Verfahren nannte er Metallographie oder Metalldruck (1818), wobei Fr. Weishaupt indessen großen Antheil hatte (Kunst- und Gewerbeblatt 1843 S. 216).

Nach Vollendung seines „Lehrbuches begab sich S. abermals nach Paris, wo er mit großen Ehren aufgenommen wurde. Die englische „Society of Encouragement“ verlieh ihm die große goldene Medaille mit der Inschrift: „The Inventor of Lithography Mr. Alois Senefelder 1819“ und eine ähnliche der Herzog Eugen von Leuchtenberg; der König von Sachsen übersendete ihm einen Brillantring, ebenso der Kaiser von Rußland; der „Polytechnische Verein für Baiern“ überreichte ihm seine höchste Ehrengabe (die silberne Medaille) und König Ludwig die goldene Ehrenmedaille des Civilverdienst-Ordens der baierischen Krone (1827). Weiter publicirte S. noch seine wichtige Erfindung des Mosaikdrucks, welche er schon 1818 kannte, aber erst 1825 veröffentlichte, dann die Wiedergabe von Oelgemälden, an welcher er schon vor 1818 arbeitete, aber erst nach 1830 in eclatanter Weise bethätigte, wofür ihm König Ludwig ein Geschenk von eintausend Gulden zustellen ließ. Diese Erfindung Senefelder’s erregte jedoch damals nur geringes Aufsehen, während Liepmann’s späterer „Oelfarbendruck“ die Runde durch die Welt machte.

Im Jahre 1827 trat S. in den verdienten Ruhestand. Drei Jahre vorher war sein alter Freund und früherer Associé Gleißner nach wiederholten Schlaganfällen, an einer Gehirnkrankheit gestorben; eine seiner Töchter erblindete, Gleißner’s Frau endete in gänzlich hülfloser Lage. S. aber blieb immer noch im schauderhaften Durcheinander seines sogen. Laboratoriums mit kostspieligen Verbesserungen thätig, insbesondere im Mosaik- und Oelgemäldedruck, er betrieb außerdem die Reproduction von Landschaften, Thierbildern und Porträts (darunter sein eigenes Bildniß), bis er nach kurzer Krankheit am 26. Februar 1834 [18] sein thätiges Leben beschloß. Der Sectionsbefund ergab Knollengewächse (Tuberkeln) im Gehirn (eine Abbildung derselben im Kunst- und Gewerbeblatt 1834, S. 86). König Ludwig ließ ihm ein Grabmal errichten, dessen Inschrift sinnreich auf einen Solnhofer Stein eingegraben ist; seine Büste fand eine Stelle in der Ruhmeshalle der Bavaria.

Bewunderungswürdig wie seine Arbeitskraft, ist auch die Vielseitigkeit derselben. Er dichtete und reimte nicht nur mit Leichtigkeit, sondern componirte Lieder und Arien, die er mit Begleitung des Piano sehr artig vortrug. Er liebte die Lectüre mit Leidenschaft, führte geschickt die Feder. Journal-Polemik wurde für ihn ein wahres Bedürfniß. Er genoß nie Unterricht im Zeichnen und konnte doch ziemlich correct Crayon- und Federzeichnungen auf Stein entwerfen oder graviren. Während seiner Beschäftigung mit dem Mosaikdrucke übte er sich in der Oelmalerei und copirte unter anderen Arbeiten ein Madonnenbild mit großem Geschick. Jede neue Entdeckung erregte sein Interesse. Als er zu London hörte, daß die englische Regierung 33000 Pfund Sterling für die Erfindung eines lenkbaren Luftballons aussetzte, verabschiedete er seine Drucker, schloß seine in einem großen Saale des Hotels Roquelaure befindliche Werkstätte, kaufte alle Werke über Aërostatik und studirte mit Eifer diese schwierige Wissenschaft. Nach vier Wochen hatte er kleine Ballons fertig, welche mit den Luftströmen zu kämpfen hatten, die von mächtigen Blasebälgen erregt wurden. Glücklicherweise ließ er dann diese Probleme fallen und kehrte zu seinem Steindruck zurück. In Paris verließ er plötzlich seine Lithographie und das vielverheißende Steinpapier, um an der Herstellung eines ächten Blau für die Kattunfärberei zu arbeiten, wozu ein Herr Oberkampf 100 Louisd’or als Preis ausgesetzt hatte. S. machte Färbeversuche und glaubte nach zehn Tagen sein Problem gelöst zu haben. Dann schlief die Sache wieder ein. Obschon er auf das schmerzlichste erfahren hatte, was Elend und Mittellosigkeit bieten, bekümmerte er sich doch wenig um seine eigenen Verhältnisse und zeigte eine ganz Mozart’sche Natur, die größte Sorglosigkeit hinsichtlich des Geldes, das er mit Leichtigkeit wieder weggab. Erst durch die Sorgfalt seiner zweiten Frau kam einige Ordnung in seine Finanzen, obwohl er auch jetzt noch häufig seinen Gehalt für Monate voraus erhob oder verpfändete. Zur süßesten Freude gereichte ihm der einmüthige Eifer aller civilisirten Nationen, aus seinen sinnreichen Erfindungen größtmöglichen Nutzen zu ziehen!

Am Schlusse seiner Autobiographie (Lehrbuch 1818 S. 132) ist der Wunsch ausgesprochen, daß seine Erfindung „bald auf der ganzen Erde verbreitet, der Menschheit durch viele vortreffliche Erzeugnisse vielfältigen Nutzen bringen und zu ihrer größeren Veredlung gereichen, niemals aber zu einem bösen Zwecke mißbraucht werden möge. Dies gebe der Allmächtige! Dann sei gesegnet die Stunde, in der ich sie erfand!“ Das kennzeichnet ihn als einen uneigennützigen, wahren Humanisten. Ebenso das am 31. October 1833, wenige Monate vor seinem Ableben geschriebene Albumblatt: „Lang ist die Kunst, aber nur kurz ist das Leben. Diese Wahrheit fühle ich schmerzlich, denn wie wenig konnte ich ausführen, wie viel bleibt unvollendet! Und dennoch bin ich unter den Erfindern einer der Glücklichsten gewesen, da ich eine so große Ausbreitung der Lithographie erlebt habe.“ Einer der Glücklichsten! Sein Leben und das Schicksal der ganzen Familie Senefelder gestaltete sich doch zu einer wahren, ergreifenden Tragödie!

S. verheirathete sich 1810 mit einer Tochter des Oberauditors Versch und nach deren frühzeitigem Ableben 1813 noch in demselben Jahre mit Anna Marie Reuß (einer Nichte des Componisten und Capellmeisters Peter von Winter), welche als kluge, sorgfältige Hausfrau die finanzielle Lage ihres Gatten ordnete und von Haus aus vermöglich und durch spätere Erbschaft mehr als wohlhabend, ihrem Stiefsohne nicht unbeträchtliche Opfer brachte. Ein Jahr vor ihrem (am [19] Mai 1857 erfolgten) Ableben errichtete sie ein Testament, wodurch sie ihr aus 54848 Gulden bestehendes Baarvermögen (nach Abzug mehrerer Legate und weiteren Bestimmungen für die drei Kinder ihres verstorbenen Stiefsohnes Heinrich) an das allgemeine Krankenhaus und den Armen-Fonds der Stadt München vermachte.

Dieser aus erster Ehe seines Vaters stammende Sohn Heinrich S. (geboren 1813), begabt mit vortrefflichen Eigenschaften und Geistesanlagen, erhielt keine seinem leichtbeweglichen und heftigen Charakter passende Erziehung und Richtung, der Vater hatte so wenig als möglich dafür gesorgt. Er widmete sich der Kunst, besuchte die Münchener Akademie und zeichnete mehrere Porträts. Nach dem Tode des Vaters (seine Stiefmutter bezahlte eine erhebliche Summe, um einen Militär-Ersatzmann für ihn zu stellen), ging der unstete Jüngling nach Wien und Berlin, heirathete daselbst, übersiedelte später nach Hamburg, wo er im lithographischen Institut des Herrn Charles Fuchs conditionirte, bei dem großen Brande 1842 seine Habe verlor und kaum das Leben seiner Kinder rettete. Nach München zurückgekehrt, erhielt er durch König Ludwig eine Unterstützung von 3000 Gulden zur Errichtung einer den väterlichen Namen forterbenden lithographischen Kunstanstalt. Nagler (XVI, 270) verzeichnet einige Blätter nach Zöllner, W. Schadow, Hosemann und Wittich, welche vielleicht schon früher entstanden. Der junge Mann erkrankte aber und starb nach langem Leiden am 31. December 1845; er hinterließ eine Wittwe mit drei Kindern in größtem Elende. Sie waren auf die Mildthätigkeit guter Menschen angewiesen. Zu ihrem Besten edirte Hofrath Hanfstängl das 1834 prachtvoll und höchst charakteristisch, mit genauester Beibehaltung der unregelmäßigen Kopfformen, kurz vor Alois Senefelder’s Ableben gezeichnete Porträt des großen Erfinders, und Albrecht Adam, der vielgefeierte Thier- und Schlachtenmaler verfaßte einen Aufruf als stellvertretender Vormund der Senefelder’schen Kinder, beziehungsweise Enkel: Ludwig, Henriette und Christine. Diese porträtirte Benno Adam (auf einem zu Paris bei Llanta gedruckten Blatt) und widmete den Ertrag zu gleichen Zwecken. Jedes derselben erhielt später durch die vorerwähnte testamentarische Verfügung ihrer Stiefgroßmutter einhundert Gulden als jährliche Leibrente, wobei es dem Ludwig S. vorbehalten blieb, nach erlangter Ansässigmachung und Verehelichung seine Leibrente gegen einen Capitalbetrag von 2000 Gulden umzutauschen. Derselbe widmete sich der Lithographie, starb aber nach langjährigen Leiden am 13. April 1874, wodurch seine Mutter Ludovika S. die letzte Stütze verlor und in die äußerste Noth versetzt wurde. Das „Comité des deutschen Senefelder-Bundes“ erließ eine Bitte zur Unterstützung der armen, erblindeten Frau, welche vor fremden Thüren um Hilfe bat und ein Lithographie-Porträt ihres berühmten Schwiegervaters in photographischer Reproduction verkaufte! Sie starb arm und vergessen am 12. November 1878 zu München.

Es erübrigt noch ein kurzer Rückblick auf Senefelder’s Brüder, welche in obiger Darstellung schon theilweise erwähnt wurden. Von denselben widmete sich Theobald (geb. 1777 in Hanau) u. Georg S. (geb. 1778) erst dem Schauspiel, bis sie Alois S. in die Geheimnisse seiner Erfindung einweihte. Anfangs arbeiteten sie mit ihm, errichteten dann vorübergehend bei Gombart in Augsburg eine Druckerei, suchten ihr Glück wieder in Leipzig und Dresden auf den Brettern und kamen nach Offenbach, wo sie bei Hofrath André in Dienst traten. Bald darauf, nachdem Theobald vergeblich zur Regensburg sich umgethan, begaben sich die Beiden nach Wien und 1801 nach München zurück, wo sie den Notendruck betrieben, bis sie unbefugter Weise 1804 die Erfindung ihres Bruders gegen eine jährliche Leibrente von je 700 Gulden an die Direction der Feiertags-Schule verkauften und daselbst als Lithographen in Dienst traten. Theobald S. etablirte [20] 1808 die lithographische Druckerei an der k. Stiftungs Administration, welche 1809 in eine doppelte Sparte, sowohl für geschäftliche Zwecke wie für Erzeugnisse der Kunst erweitert wurde und erhielt die Stelle eines Inspectors daselbst, wobei er zuerst das von seinem Bruder erfundene Ueberdruck-Verfahren zur Vervielfältigung der amtlichen Erlasse verwendete. Theobald S. lithographirte einige sehr selten gewordene Blätter und Landschaften, welche zu den Incunabeln der Lithographie gehören (vgl. Ferchl S. 41 ff.). Sein Hauptwerk bildet die mit Beihülfe seines Bruders Clemens S. bewerkstelligte Reproduction des von Hans Ostendorfer für Herzog Wilhelm IV. von Baiern auf Pergament gemalten „Turnierbuchs, eine nach Zeichnung und Farbe wirklich ganz stilgerechte Musterleistung, welche 1817–1820 in Lieferungen (mit Text von Schlichtegroll und Kiefhaber, ein Blatt daraus auch im „Musterbuch“ des Vaters) und neuerdings 1881 durch Franz Reichardt in zweiter Auflage (bei J. A. Finsterlin zu München) mit kostbarer coloristischer Ausstattung, von denselben Steinen abgedruckt, erschien. Auch lieferte Theobald S. 1829 mit vier aus „Joseph’s und seiner Väter Leben“ (Augsburg 1784 bei U. Stage) reproducirten Blättern eine schöne Probe, wie man mittelst des chemischen Druckes ältere Bücher wirklich täuschend neu auflegen könne, ein Verfahren, welches unser heutiger Lichtdruck indessen leicht überbietet. Theobald S. starb im November 1845 und hinterließ eine Wittwe mit 14 Kindern, ohne Pension, ohne Geschäft, ohne Vermögen, in der traurigsten Lage. Ueberhaupt brachte das Jahr 1845 für die ganze Familie eine ganze Kette von Elend: Ein Neffe, Jakob Senefelder, endete im Alter von 28 Jahren vergiftet während einer gefährlichen Beschäftigung in einer Münchener chemischen Fabrik. Die älteste Schwester der genannten Brüder, Magdalena, die Gattin des Schauspieldirector Hansen, dessen ganzes Leben aus Entbehrungen und Elend bestand, starb nach fünfzigjähriger Ehe den schauderhaften Tod des Lebendigverbrennens, darüber entfloh ihr wahnsinnig gewordener Gatte und wurde nach einigen Tagen, verhungert oder erfroren, an einen Baum gelehnt, in einem Walde aufgefunden. Am letzten Tage desselben Jahres endete, wie oben erwähnt, Alois Senefelder’s einziger Sohn, gleichfalls in äußerster Not. So gestaltet sich daß Leben Senefelder’s und seiner Angehörigen zu einer wahren Tragödie! Auch die beiden jüngsten Brüder erreichten wenig von den Gaben des Glücks. Georg S. erhielt eine Stelle als Graveur im k. Ministerium und starb 1849. Clemens S., geb. 1788, war Anfangs Schauspieler und ging dann gleichfalls zur Lithographie über. Er besaß unter allen Brüdern das meiste Talent zum Zeichnen, insbesondere zur Landschaft. Eine übrigens sehr dilettantische, „Schloß Landeck“ in Tirol darstellende Ansicht findet sich im „Musterbuch“. Außer verschiedenen anderen Blätter, darunter auch ein Plan von Straßburg, lieferte Clemens S. eine fabelhaft minutiöse Arbeit mit einem auf Stein geschriebenen und gezeichneten „Almanach auf das Jahr 1821“ (und 1824); daß Heftchen mißt bloß dritthalb Centimeter in der Höhe und zwei Centimeter in der Breite; wahrlich eine Subtilität sondergleichen! Später fand er im Ministerium des Aeußeren eine Stelle als Secretär und starb 1833 zu München. Er wurde einmal in Wien wegen der unvorsichtig in einem Gasthaus öffentlich hingeworfenen Aeußerung (welche nichts anderes bezwecken wollte, als die vielseitige Erfindung seines Bruders zu rühmen), daß man Alles täuschend nachmachen könne, sogar alle Wechsel und Banknoten und zwar also täuschend, daß man die falschen von den echten durchaus nicht zu unterscheiden vermöge, von seinem Hotel weg in Arrest gesetzt, aber alsbald wieder freigegeben, jedoch mit der Weisung, sammt seinem mitgebrachten Handwerke, so bald wie möglich Stadt und Land wieder zu verlassen. Die Lithographie war damals aber schon längst in Wien eingeführt, ausgeübt und durch ein kaiserliches Privileg geschützt. Karl S., geboren 1786, diente Anfangs [21] in der Artillerie, machte sich mit dem Steindruck vertraut, zeichnete mit chemischer Tinte, gravirte in Stein, suchte aber vor allem auch mit dem Druckverfahren sich bekannt zu machen. In seinem vielbewegten Leben zeigte er seine Kunst in mehreren deutschen Städten und kam als der erste Lithograph nach Amerika. Er publicirte ein sehr brauchbares „Lehrbuch der Lithographie“ (Regensburg 1833, Verlag bei Reitmayr), wobei er sich ausdrücklich als den „Bruder des Erfinders“ bezeichnete, was hier zur Steuer der Wahrheit hervorgehoben wird, gegenüber der verbreiteten Nachricht, er habe „den fahrenden Arcanisten gespielt und sich häufig für den Erfinder der Lithographie ausgegeben“. Er starb im allgemeinen Krankenhause zu München am 27. Juli 1836 an der Lungenschwindsucht. Das mit 14 verschiedenen Schriftarten in 23 Zeilen gravirte Titelblatt wird Jedermann für die Arbeit eines ruhigen, fleißigen Mannes und gewiß nicht als daß Product „eines fahrenden Arcanisten“ erklären. Gleich jeder anderen Kunst und Erfindung, ebenso wie der Holzschnitt und Typendruck, das Schießpulver, der Dampf und das Telephon, hat auch die Lithographie eine Vorgeschichte. Daß schon im 13. Jahrhundert Steine hochgeätzt wurden, bezeugen viele Tischplatten und Grabsteine, mit Schriften, Bildern und mannigfachem Zierwerk, welche Ferchl (in seiner „Geschichte der ersten Lithographischen Kunstanstalt“, 1862 S. 151 ff.) beiläufig aufzählt und verzeichnet. Das interessanteste Fundstück ist jedoch ein kleiner, nur 8 cm breiter, 3 cm hoher, aus dem ehemaligen Kloster Benedictbeuern stammender Stein, mit einer an den König (und nachmaligen Kaiser) Ferdinand gerichteten, offenbar in den nächsten Jahren nach 1530 mit Spiegelschrift sehr zierlich geschnittenen und also offenbar zum Abdrucke bestimmten, sechszeiligen Adresse: „Dem Allerdurchleuchtigstenn | Großmechtigstenn Fürstenn | vnnd herrn herrn Ferdinando | Romischem zu Hungern vnnd | Behaim etc. Konig Ertzhertzoge | zu Osterreich Hertzogenn zu“ … | (abgebildet in Ferchl’s „Uebersicht“ im „Oberbaierischen Archiv“ 1856, XVI, 200 und dessen „Geschichte“ 1862 S. 88), welcher jedoch bei seiner geringen Stärke kaum eine Presse ausgehalten hätte. S. hatte davon keine Kenntniß, ebenso wenig Simon Schmid, dessen Ansprüche auf Priorität des Steindrucks hier kurz berührt werden. Dieser Simon Schmid (geb. 1760 zu München, studirte mit großer Vorliebe für die Naturwissenschaften und zeichnenden Künste, die Theologie, wurde 1784 Priester zu Ingolstadt, Hofmeister, Lehrer an der bürgerlichen Realschule zu München, Professor der Logik und Naturgeschichte an der 1789 errichteten Militär-Akademie, 1804 Pfarrer zu Ober-Haching und Miesbach 1807, dann 1808 Geistlicher Rath und Hofcaplan der Kurfürstin Leopoldine, starb hochgeachtet und allgemein verehrt 1840 zu München) machte, veranlaßt durch einen heute noch in der Nähe des sog. Benno-Brunnens an der Frauenkirche eingemauerten, mit aqua forte geätzten Leichenstein, um 1787 den Versuch, mit zerschmolzenem Wachs große Fracturbuchstaben auf Marmor zu zeichnen und diesen dann mit Scheidewasser zu begießen, um selbe erhaben zu erhalten (Nagler, 1845, XV, 363) und dann mit einem um die Achse beweglichen Cylinder zu schwärzen und abzudrucken. Er versuchte es darauf mit der Zeichnung eines Vogels, dann mit einer „einwärts“ d. h. vertieft gearbeiteten Figur und einer Landkarte von Afrika, ferner folgten ein Heft mit „Abbildungen von Giftpflanzen“ (auf ganz kleinen, nur 12 cm breiten und 8 cm hohen Steinen) und 6 Blätter mit Theilen des menschlichen Körpers (Augen u. s. w.), welche zu Unterrichtszwecken (in der Schulbücher-Verlags-Druckerei) zu Hunderten abgezogen und an die Jugend vertheilt wurden. Senefelder’s Brüder, welche die sog. Militär-Akademie besuchten, mußten sie in den Händen gehabt haben. S., der unbewußt auf dem gleichen Wege experimentirte, griff den von Simon Schmid schon seit längerer Zeit als Lehrmittel zum naturwissenschaftlichen Unterricht verwendeten Steindruck und ganz [22] unabhängig von diesem, gleichfalls auf und war schon 1796 im Stande, Schriften nicht nur vertieft, sondern mit noch größerem Vortheile erhöht, auf den Stein , darzustellen und abzudrucken. Er verwendete diese Erfindung mit Gleißner (welcher freilich mit Schmid Fühlung gewonnen hatte) zuerst zum Notendruck und dieser schlug seine indirect bei Schmid erworbenen Kenntnisse im Steindruck so hoch an, daß er sich selbst als Miterfinder der damals sog. Polyautographie bezeichnete, seinem Freunde S. später sogar die Druckerei streitig machte und den größeren Theil des Gewinnes zog, wozu ihn allerdings der Umstand berechtigen mochte, daß er die Mittel zum Geschäftsbetrieb verschaffte und nebst seiner Frau beim Drucke thätig mitwirkte. Hat eine, übrigens kaum nennenswerthe Defraudation gegen Simon Schmid je stattgefunden, so beging selbe Gleißner und nicht S., der Gleißner’s Beihülfe immer als dessen eigenste Leistung nahm. Faßt man vorurtheilslos alles zusammen, so war Simon Schmid freilich der erste oder bekannte Erfinder des Steindrucks auf mechanischem Wege; S. stand nur kurz auf demselben Boden, ging aber dann weiter, indem er als Schöpfer des chemischen Druckes der Lithographie zu jener Bedeutung verhalf, wodurch sie die mannigfaltigste Ausdehnung erhielt und zur Kunst erhoben wurde. Während Simon Schmid von seinen ersten Versuchen nicht sehr ermuthigt und von anderen Geschäften überladen, keinen Schritt weiter that, brachte S. unermüdlich, zahllose neue Proben und durch Erfindung neuer Tinten, Kreiden und Bindemittel diese junge Technik auf die Höhe der Kunst, welche Simon Schmid neidlos bewunderte, nur mit dem ohnehin selten genug ausgesprochenen Gefühl, daß eigentlich doch er den ersten Impuls dazu gegeben (vgl. Nagler, 1845, XV, 358 ff.). Andere angebliche Ansprüche wie z. B. jene John Webber’s (vgl. S. R. Köhler in Lützow’s Zeitschrift 1888, XXIII, 37 ff.) kommen hier gar nicht in Betracht. Seltsamer Weise wollte auch der Tondichter Karl Maria v. Weber, welcher seit 1798 bei Kalcher in München weilte, dieselbe Erfindung und zwar mit einer zweckmäßigeren Maschine gemacht haben.

Von der fast unübersehbar angewachsenen Litteratur erinnern wir außer den schon im Text erwähnten Werken hier nur an das Nothwendigste z. B. Fr. v. Schlichtegroll’s Briefe über die Erfindung der Lithographie im „Anzeiger für Kunst und Gewerbefleiß in Baiern“ 1816 und 1817. Der erste an Kreisrath Lipowsky gerichtete Bericht (S. 748) ist ein unübertreffliches Muster, wie man mit möglichst vielen Worten nichts zu sagen vermag; der zweite (an Franz v. Krenner) berichtet S. 755 ff. von Senefelder’s Jugend; der dritte (an W. v. Goethe) 1816 S. 789 ff. 803 ff., 1817 S. 17 ff. von Senefelder’s Erfindung, aber im breiten Redefluß und mit allerlei Unrichtigkeiten; der vierte (1817 S. 81 ff. an den Autographen-Sammler Frhn. v. Moll) enthält nichts Neues, während der fünfte (1817 S. 312 ff. an Prof. May in Augsburg) sich mit der Simon Schmid-Frage beschäftigt. Senefelder’s „Lehrbuch“ (mit Vorwort von Fr. v. Schlichtegroll) erschien München und Wien 1818; in französischer Uebersetzung (Paris 1819); englischer Uebersetzung (London 1819) und italienischer ziemlich ungenauer Bearbeitung (Neapel 1824). Vgl. dazu die „Rückblicke“ von Prof. Speth im Kunstblatt 1820, S. 394 ff. – Nekrolog im Kunst- und Gewerbeblatt 1834, 7, 46–90. – Engelmann, „Gesammt-Gebiet der Lithographie“, Chemnitz 1840. – Nagler, 1846. XVI, 239–270. – Ferchl, „Uebersicht der Incunabeln-Sammlung“ im Oberbair. Archiv 1856, XVI, 115 ff. (und erweitert als „Geschichte der Errichtung der ersten Lithographischen Kunstanstalt“, München 1862. Ferchl’s Sammlung erwarb die königl. Akademie der Wissenschaften und lieferte daß ganze Material an die königl. Hof- und Staatsbibliothek). – Eggers’ Kunstblatt 1856, VII, 29 ff. und 78 ff. – Schlotke, „Senefelder-Album“, Hamburg 1871 zu Senefelder’s [23] hundertjährigem Geburtsfeste (mit Abbildung von Senefelder’s Geburtshaus in Prag, seines Grabes in München, mit Portrait nach Hanfstängl und Facsimile); dazu die Festschrift von L. Pietsch, Berlin 1871. – Wurzbach, 1877, XXXIV, 102–108. – Das erste Denkmal zu Senefelder’s Ehren mit seiner nach Julius Zumbusch von Hörner in Erz gegossenen Büste wurde am 6. November 1877 zu München enthüllt (abgebildet von K. Appold in Nr. 1798 der „Illustr. Ztg.“ Leipzig, 15. December 1877). – Ein großes Denkmal wird gegenwärtig in Berlin vorbereitet.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zn