Zum Inhalt springen

ADB:Vogler, Georg Joseph

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Vogler, Georg Joseph“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 169–177, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vogler,_Georg_Joseph&oldid=- (Version vom 10. Dezember 2024, 04:40 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Vogler, Georg
Nächster>>>
Vogler, Max
Band 40 (1896), S. 169–177 (Quelle).
Georg Joseph Vogler bei Wikisource
Georg Joseph Vogler in der Wikipedia
Georg Joseph Vogler in Wikidata
GND-Nummer 118627546
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|40|169|177|Vogler, Georg Joseph|Robert Eitner|ADB:Vogler, Georg Joseph}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118627546}}    

Vogler: Abt Georg Joseph V., ein gelehrter Musiker, speculativer Kopf im praktischen, wie geistigen Leben. Geboren am 15. Juni 1749 zu Pleichach, Vorstadt von Würzburg, † am 6. Mai 1814 in Darmstadt. Sein Vater, Johann Georg V., aus einer Müllerfamilie stammend, hatte Lust zur Musik, wurde dem väterlichen Handwerk untreu, erlernte bei einem Geigen- und Zithermacher zu Füssen dessen Kunst, war dabei ein tüchtiger Violin- und Violoncellspieler, ging auf die Wanderschaft, ließ sich in Würzburg nieder und trat in die dortige Hofcapelle als Musiker und Geigenmacher ein. Von seinen neun Kindern blieben nur drei am Leben, zwei Knaben und ein Mädchen. Der Jüngste ist unser V. Der Knabe zeigte schon frühe die charakteristischen Eigenschaften, die ihn durchs ganze Leben begleiteten: eine innige Frömmigkeit, ein wunderbares [170] Gedächtniß und eine ebenso wunderbare Sprachengabe. Immer in Gedanken versunken, forschend, den Grund jeder Anweisung, die ihm gegeben wurde, zu wissen, eine durch nichts zu erschütternde Energie und deshalb ein eiserner Fleiß und ein gewaltiger Ehrgeiz, der ihn immer anspornte der Erste und Beste zu sein. Er benützte den Tag zu seinen wissenschaftlichen Studien, die Nacht zu seinen musikalischen Exercitien, welche die Nachbarschaft zu unausgesetzten Klagen veranlaßten. So charakterisirt sein jüngster Biograph den jungen V. Der Knabe besuchte das Gymnasium und Lyceum bei den Jesuiten in Würzburg, da keine andere wissenschaftliche Anstalt in Würzburg sich befand, deshalb wurde er aber kein Jesuit, mit welchem Titel man ihn in neuester Zeit beehrte. Als Clavierspieler, besonders aber als Orgelspieler leistete er schon früh Hervorragendes, als er daher nach Mannheim ging, um seine theologischen Studien fortzusetzen, hauptsächlich aber weil ihn das dortige Musiktreiben mächtig anzog, fand er an Karl Theodor, Kurfürst der Pfalz, einen eifrigen Beschützer und Förderer. Karl Theodor war wol der gelehrteste und gebildetste Regent seiner Zeit. Schon im J. 1757 hatte er die Akademie der bildenden Künste in Mannheim errichtet, nach ihr stiftete er die oekonomisch-physicalische Gesellschaft, baute dem berühmten Astronomen Christian Mayer eine Sternwarte, gründete die deutsche Gesellschaft, in der ein Lessing, Schiller, Wieland, Klopstock u. a. thätige Mitglieder waren. Unter Stamitz’ Direction hatte die Musikcapelle einen Weltruf erlangt und Iffland mit seinen Genossen zog der Kurfürst nach Auflösung des Gothaischen Hoftheaters in kurfürstliche Dienste. Lessing nannte Mannheim den Vorhof für Kunstjünger. – Der junge Theologe V. wollte am 18. September 1770 in das Kloster der Franciscaner zu Würzburg treten, als er ein Decret vom Kurfürsten erhielt, welches ihn zu seinem Almosenier ernannte. V., der kein religiöser Schwärmer war, erkannte das Vortheilhafte der Stellung und nahm an. Schon 1773 hatte sich sein musikalischer Ruf soweit verbreitet, daß er Schüler von Nah und Fern erhielt. Anselm Weber war einer seiner ersten Schüler. Das Verlangen nach einer höheren Musikausbildung trieb ihn nach Italien; mit Unterstützung des Kurfürsten ging er nach Bologna zu Martini, doch schon nach einem halbjährigen Cursus trennte er sich von ihm, denn er fand bei ihm nicht, was er suchte. Martini steckte noch ganz in den Fesseln der alten Contrapunktik und der Gradus ad parnassum von Fux war sein A und O; damit war aber dem Jünger der Neuzeit nicht gedient, sein speculativer Kopf suchte nach anderen Formen. Er ging nach Venedig und lernte Hasse kennen, der sich aus Dresden dorthin zurückgezogen hatte. Hier erhielt er Anregung zur Operncomposition und eine Empfehlung an den Componisten Vallotti in Padua. Doch zuerst ging er nach Rom, fand am kurfürstl. Gesandten einen eifrigen Beschützer und errang durch sein Clavierspiel selbst die Aufmerksamkeit des Papstes, Pius VI., der ihn zum Ritter vom goldenen Sporne, päpstlichen Protonotar und Kämmerer ernannte. Am 7. Juli 1774 wurde er unter dem Namen Veranio Meliteo Mitglied der arcadischen Gesellschaft in Rom. Als er am 28. November 1774 den Kurfürsten in Rom begrüßt hatte, ging er nach Padua um den Unterricht beim Pater Vallotti zu beginnen; doch auch hier fand er sich enttäuscht. Statt contrapunktischer Fertigkeit suchte er Aufklärung über die Lehre der Harmonie, über Akustik und das Verhältniß der Accorde unter sich in ihrer Bildung und Verwandtschaft. Er setzte die alten Herren mit seinen Fragen in Verlegenheit, da er über Gegenstände Belehrung verlangte, die bis dahin ununtersucht, deren Existenz überhaupt noch gar nicht nachgewiesen war. Die Harmonielehre befand sich noch in den Kinderschuhen und die Stimmenführung mußte immer noch Ersatz dafür bieten. Im J. 1775, Ende November, befand sich V. wieder in Mannheim und der Kurfürst ernannte ihn zum geistlichen Rath und bald [171] darauf zum Vicecapellmeister, was Cannabich (s. A. D. B. III, 759) sehr verdroß, da er als älteres Mitglied auf den Posten gerechnet hatte. Dem Kurfürsten lag viel daran gute Sänger für die Bühne zu erhalten und da der alte Holzbauer eine Schule für Musiker gegründet hatte, bewog der Kurfürst V. eine Schule für Gesangskünstler zu errichten. Dies geschah und außerdem verfaßte er die Schrift „Tonwissenschaft und Tonsetzkunst“ (Mannheim 1776). Der gedruckte Titel ist für Vogler’s Empfindungsweise so charakteristisch, daß er verdient hierher gesetzt zu werden. Er lautet: „Georg Joseph Vogler’s, päpstlichen Erzzeugen, Ritters vom goldenen Sporn und Kämmerers des apostolischen Palastes, Seiner churfürstlichen Durchlaucht zu Pfalz geistlichen Raths, Hofcaplans und Hofcapellmeisters, auch öffentlichen Tonlehrers und der arcadischen Gesellschaft in Rom Mitgliedes“ und jetzt folgt erst der oben genannte Titel über den Inhalt des Buches. V. verstand es den Ausspruch Goethe’s „nur Lumpe sind bescheiden“ praktisch zu verwerthen. Sein Buch zeigte ihn als Reformator, als Begründer der modernen Harmonielehre. Allerdings blieb Spott und Feindschaft nicht aus und von allen Seiten fiel man über ihn her. Doch V. war nicht der Mann sich irre machen zu lassen, dazu saß er auch viel zu fest in der Gunst seines Fürsten, der ihn zu schützen verstand, denn V. war nicht nur als Gelehrter von Werth, sondern auch als Gesellschafter, denn er verstand in ganz vorzüglicher Weise eine Gesellschaft zu unterhalten, daher er bei Hofe ein gern gesehener Gast war. Da obiges Werk mehr für den Lehrer als den Schüler berechnet ist und die Lehrsätze in eine knappe Form faßt, auch der Akustik ein weites Feld einräumt, so erschienen in den Jahren 1778 bis 1781 drei Jahrgänge „Betrachtungen der Mannheimer Tonschule“ reichlich mit Beispielen versehen. Dieselben befassen sich theoretisch mit den tiefsten Entwickelungen der Gesetze der musikalischen Harmonie, behandeln praktisch alle Stilarten, wie den Concertstil, Theaterstil, Kirchenstil, analysiren berühmte Werke, wie das Stabat mater von Pergolese, lehren Instrumentiren, den Gebrauch der Instrumente u. a. mehr. Mehr als 500 Notentafeln begleiten den Text. Ganz besonders wurde die Spottlust der Berliner gereizt, denn V. ging von dem Grundsatze aus jedes Fremdwort zu verdeutschen und so zu schreiben, wie er sprach. Es mischte sich deshalb vielfach der süddeutsche Dialekt ein, was die Lachlust der Norddeutschen erweckte. Schon am 29. August 1778 erschien in der Berliner Litteratur- und Theaterzeitung Nr. 31 ein Pamphlet voller Schmähungen. Es heißt dort unter Anderem: „Nicht leicht kann ein junger rüstiger Ignorant, der den Trieb zur Autorschaft fühlt, mit mehr Stolz und Eigendünkel in der Welt auftreten, als Herr Georg Joseph Vogler (nun folgen obige Titel und weitere Sottisen). Das Possirlichste am ganzen Werk ist die Tonmäßigung (Temperatur) etc. Der Verfasser hat entweder ein über alle Menschheit erhabenes Ohr, oder er hat, wie eher zu glauben, gar kein musikalisches Gehör“ u. s. f. Am Schluß heißt es: „Ei, Herr Vogler, Sie hatten sich schon 23 Jahre mit Musik beschäftigt und schämen sich nicht und machen sich so lächerlich; Schande um die Musik, wenn solchem Theoretiker und Praktiker so viel Schutz angediehen wird.“ Das Pamphlet blieb nicht ungeahndet. Zwei Schüler Vogel’s, Fr. Mezger und L. Kornacher und zuletzt V. selbst antworteten so eingehend, daß die drei Abhandlungen zugleich eine Erläuterung der Vogler’schen Tonschule sind (Betrachtungen der Mannh. Tonschule, 1. Jahrg., S. 213–275). Trotz aller Angriffe eilten Schüler aus allen Gegenden nach Mannheim und da dieselben sich aus allen Confessionen zusammensetzten, so nannte man sie im Gegensatze zu der Holzbauer’schen Musikschule die „lutherische“. Auch als Componist war V. aufgetreten und hatte in allen Formen Werke in die Welt gesendet. Sie zeichneten sich nicht eben durch hervorragende Erfindungskraft aus; den Hauptwerth legten sie auf eine richtige und [172] wohlklingende Harmonie. In dieser Weise waren sie ausführende Beispiele zu seinen theoretischen Grundsätzen. Seine Operette „Der Kaufmann von Smyrna“ in einem Acte, im italienischen Stile geschrieben, wurde seit 1771 in Mannheim und München mit viel Erfolg aufgeführt. In seinen „Betrachtungen“ hat er diese Oper harmonisch und ästhetisch analysirt und die Musik in den begleitenden Notentafeln abgedruckt. Das Thema zur Ouvertüre benützte er auch zu Variationen, die er 1778 zu Frankfurt a/M. in der Herbstmesse in einem Clavierconcerte öffentlich vortrug. Mozart, der sich 1777 in Mannheim aufhielt und auf eine Anstellung hoffte, sah, von der in der Capelle herrschenden Erbitterung gegen V. angesteckt, in ihm den Feind, der ihn hinderte in Mannheim festen Fuß zu fassen. V., der sich übrigens mit den Capellmitgliedern wenig abgab, dehnte die Proben oft bis zur Ermüdung aus, wobei er stets als der vornehme geistliche im seidenen Kleide, dem violetten Seidenmäntelchen, den violetten Strümpfen und der Calotte auf dem Kopfe erschien. Er kam mit seinen Hofmusikern nur bei den Musikproben und Aufführungen in Berührung und stand ihnen gesellschaftlich fern. Mozart dagegen lebte unter den Hofmusikern, wurde von ihnen bewundert und bildete doch nur einen Theil der Hofbedienten. In München ging es Mozart nicht besser, man schätzte seine Genialität, betrachtete ihn aber als Beamten für unzuverlässig. „Es ist noch zu früh“, sagte ihm der Kurfürst. Man citirt so gern Mozart’s Brief vom 22. November 1777 über V. und zieht daraus einen Schluß auf Vogler’s Leistungen und seinen Charakter, die Verhältnisse lagen aber anders und die Schuld an Mozart selbst. Am vorurtheilsfreisten beurtheilt ihn wol Karl Ludwig Juncker, protestantischer Pfarrer in Ruhpoldsdorf bei Kirchberg. Er schreibt in der Musikalischen Realzeitung 1788, Bd. 1, S. 60: Vogler rechne ich unter die größten Clavierspieler Deutschlands. Seine Spielart ist kraftvoll und brillant, daher glückt ihm auch weit mehr das Allegro, als das Adagio. Seine Fertigkeit ist bis zum Erstaunen, ebenso seine Sicherheit. Mit dieser Eigenschaft stehen auch seine Compositionen in Verbindung, er liebt das Brillante, Große, drückt heroische und prächtige Gefühle mit der ganzen Energie der Tonkunst aus. – Auf Wunsch Landgraf Ludwig’s von Hessen-Darmstadt componirte V. das Melodrama Lampedo von Lichtenberg und die Landgräfin Louise, eine Verehrerin Vogler’s, trat selbst in der Rolle der Königin Lampedo auf. Der Erbprinz dirigirte das Orchester. Die Aufführung fand am 4. Juli 1779 statt und wurde mehrfach wiederholt. – Von der Idee beseelt, sein System zum Gemeingut der ganzen musikalischen Welt zu erheben, suchte er sein Heil bei den Akademien der Wissenschaften. Da Deutschland sich ihm feindlich entgegen setzte, richtete er seine Blicke nach dem Auslande. Er nahm Urlaub und ging in Begleitung von drei Schülern im December 1780 nach Paris. Das musikalische Paris war damals in zwei Parteien gespaltet, in Piccinisten und Gluckisten. Louis XVI. war Piccinist und die Königin Marie Antoinette hielt zu ihrem Landsmanne und war Gluckistin. Durch den baierschen Gesandten dem Bruder des Königs vorgestellt, wurde er der Königin bekannt, die von seinem Clavierspiel entzückt war, so daß sie ihn in ihre Protection nahm. Er wurde öfter durch eine Hofequipage nach Versailles abgeholt und widmete ihr auch zwei von ihm gespielte Compositionen. Das eine ist ein Clavierconcert opus 8 und das andere ein Clavierquartett. Beide erschienen 1781 in Paris bei Sieber und wurden mehrfach nachgedruckt. Dabei vergaß er nicht den Hauptzweck seiner Reise. Er reichte sein System der Akademie ein, wurde daselbst eingeführt und eine Commission zur Prüfung ernannt. Er stieß hier aber auf Hindernisse, denn d’Alembert hatte das System Rameau’s mit Erläuterungen der Akademie vorgelegt und der Mathematiker Van der Monde ebenfalls ein System der Harmonie eingereicht. Letzterer trat gegen [173] Rameau und Tartini auf und war dadurch ein Feind Vogler’s. Dennoch erreichte V. nach vielfachem Drängen endlich ein begutachtendes Urtheil, in welchem sein System für eine Weiterentwickelung des Rameau’schen erklärt wird. Die Zeit benützte aber V. auch, sich dem großen Publicum zu zeigen und veranstaltete in der Kirche St. Sulpice mehrfach Orgelconcerte, die ihm eine gute Einnahme und wahre Bewunderung verschafften. Wir haben über sein Orgelspiel mehrfache Urtheile von bewährten Fachmännern, die es als hervorragend bezeichnen, darunter von dem bekannten Orgelvirtuosen Rinck. Er gab zwar seinen Orgelvorträgen sehr wunderliche Programme bei, die vielfach Anstoß erregten, dennoch mußte man seine Virtuosität anerkennen und besonders die geschmackvolle Registrirung, die damals als etwas Neues großes Aufsehen erregte. Auch versuchte V. eine Oper bei der großen Oper in Paris anzubringen, schreckte aber vor den Sängerinnen zurück, von denen keine einzige im Stande war seine Arien zu singen. Er probirte unablässig, verlor endlich die Geduld und behandelte die Damen so grob, daß er sich damit unmöglich machte. Dennoch setzte es die Königin durch, daß ihm ein französischer Text „Le patriotisme“ (auf die Belagerung Gibraltars bezüglich) eingehändigt wurde, der denn auch in Versailles vor dem Hofe zur Aufführung gelangte. Der Herzog von Orleans begrüßte V. in einer deutschen Anrede und die Königin verehrte ihm zum Abschiede eine werthvolle goldene Dose. Zum Schluß gab er noch ein Orgelconcert in der Kirche St. Sulpice. – von hier wandte er sich nach England, reichte der Royal Society sein System in lateinischer Sprache zur Begutachtung ein und erhielt vom Präsidenten eine zustimmende Erklärung. – Der Kurfürst Karl Theodor, Ende 1777 auf den Thron von Baiern gekommen, hatte seine Mannheimer Capelle zum Theil nach München mitgenommen, darunter auch V. Im Anfange des Jahres 1784 starb der Capellmeister Bernasconi und V. wurde nun zurückberufen um dessen Stellung einzunehmen. Für den Carneval 1786 schrieb er die Oper „Castore e Polluce“, die mit großem Beifall mehrfach wiederholt wurde. V. wurde es aber in München zu eng, die Kunst trat durch militärische Unternehmungen in den Hintergrund und V. nahm abermals Urlaub. Er besuchte Lübeck, Berlin, wo er in der Garnisonkirche ein Concert für die Armen vor dem preußischen Hofe und einer großen Zuhörerschaft gab. Von da ging er nach Düsseldorf, wo er in der Gemäldegalerie vor jedes berühmte Gemälde sein Pianoforte setzen ließ und in Tönen auszudrücken versuchte, was sein Herz bei Betrachtung des Gemäldes erregte. Forkel überschüttete ihn deshalb mit unsäglichem Hohn. In Amsterdam gab er ein Orgelconcert, zu dem 7000 Billete verkauft waren. Hier traf ihn vom Schwedenkönig Gustav III. die Ernennung zum Capellmeister und Lehrer des Kronprinzen; gern folgte er dieser Berufung, während Cannabich in München seine Stelle vertrat. Gustav III. von Schweden war ein eifriger Förderer der Tonkunst und berief an seinen Hof zahlreiche Ausländer von Bedeutung. V. erhielt jährlich 2000 Reichsthaler, Futter für zwei Pferde und ein halbes Jahr Urlaub zu Reisen. Er legte nun die Capellmeisterstelle in München nieder und verpflichtete sich dem Schwedenkönige auf zehn Jahre, nach deren Verlauf ihm eine Pension von 500 Reichsthlr. zugesichert wurde, die er verzehren konnte, wo er wollte. V. als katholischer Priester in einem exclusiv-protestantischen Lande erregte viel Mißbehagen und die Geistlichkeit machte sogar dem Könige Vorstellungen. Indessen ging V. seinen Arbeiten mit Energie entgegen. Er gründete eine Singschule und eine Musikschule, componirte Opern und brachte Gluck’s Opern zu ersten Aufführungen in Stockholm, denen er seine ganze Kraft widmete. Die Urlaubszeit benützte er zu Reisen, auf denen er sich als Clavier- und Orgelvirtuose hören ließ. 1786 war er in Rußland, spielte auch vor dem Kaiser. Dabei richtete er sein Augenmerk auf [174] alle bedeutenden Orgelwerkstätten und war bemüht die Meister derselben anzuspornen Verbesserungen jeder Art einzuführen. So begann er z. B. Versuche zu machen die von Professor Kratzenstein zur Nachahmung der menschlichen Stimme gebauten Zungenpfeifen in Orgelpfeifen umzuwandeln, die bei steigendem Druck des Windes zum Forte anschwellen und beim Nachlassen des Druckes im Pianissimo enden, ohne sich zu verstimmen. Er wollte dadurch die Ausdruckfähigkeit der Orgel wie beim Pianoforte durch den Anschlag erzielen. Er engagirte den schwedischen Orgelbauer Racknitz, der bei Kirsnik in St. Petersburg als Geselle gearbeitet hatte, für Anbringung dieser Orgelpfeifen bei seiner tragbaren Orgel, die er Orchestrion nannte. Nach langen Bemühungen und Versuchen erreichte er seinen Zweck; die ersten Pfeifen mit durchschlagenden Zungen brachte er in einer Orgel zu Rotterdam an. Sein eigenes Orchestrion befand sich in einem Kasten, der vermittelst beweglicher Thüren sich öffnete und schloß, um den Ton stärker oder schwächer werden zu lassen. Durch die neuen Zungenstimmen bekam es V. in seine Gewalt ein noch ausgeprägteres Crescendo seinem Orchestrion zu verschaffen, da sich jede einzelne Pfeife selbst zum Fortissimo und Pianissimo gebrauchen ließ. In dieser Weise erreichte er bei kleineren Orgeln dieselbe Kraft wie bei größeren und so entstand das Vogler’sche „Simplifications-System“, das so viel Aufsehen erregte, freilich auch ebenso viel Widersacher als Bewunderer fand. Ferner erstreckten sich seine Versuche darauf, die großen Pfeifen, zweiunddreißig Fuß genannt, entbehrlich zu machen, da sie den Orgelbau vertheuern und zu viel Wind beanspruchen. Er fußte auf der Entdeckung Tartini’s, daß, wenn man einzelne Intervalle eines Dreiklangs mit einander verbindet, dadurch ein tieferer Ton in der Luft entsteht. Verbindet man z. B. den Grundton eines Dreiklangs mit der Quint, so entsteht die tiefere Octave des Grundtones in der Luft. Wenn man daher eine Pfeife von 16 Fuß mit der Quint, die nur 102/3 Fuß lang ist, verbindet, so entsteht nach Vogler’s Annahme ein Ton, welcher einer Pfeife von 32 Fuß entspricht. V. erklärte ferner, jeder Ton besteht aus dem Grundton, der großen Terz und reinen Quint. Die Orgelbauer hatten dies Princip schon längst in ihren Mixturen empirisch angewendet. V. versuchte nun dasselbe auf das gesammte Pfeifenwerk seiner simplificirten Orgeln anzuwenden. Sobald er seine Versuche zur befriedigenden Lösung gebracht hatte, baute er auf seine Kosten mehrere große Orgeln in Deutschland danach um. In München waren es die Orgeln in der St. Peterskirche und in der Michaelshofkirche. Wo man sonst die großen dicken Pfeifen sah, nebst allem kleinen Beiwerk, war nun alles in einen Holzkasten eingeschlossen. Das Pedal, sonst aus 32 Tasten bestehend, hatte deren nur 18, ebenso waren die übrigen Stimmen reducirt. Mendelssohn war entzückt von der Diposition, konnte sich aber auf dem Pedal nicht zurecht finden, auch Rinck in Darmstadt war mit dem Princip einverstanden, mußte aber seine Unfähigkeit erklären die Orgel zu spielen. V. war ein Idealist. Er sah in jedem künftigen Organisten sich selbst an der neuen Orgel sitzen. Unter seinen Händen erklang die Orgel in allen seinen Nüancen, unter fremder Hand erwies sie sich als unbrauchbar und alle Orgeln, die er mit seinem eigenen Gelde umgebaut hatte, mußten wieder in ihrer früheren Gestalt hergestellt werden. Die neuere Orgelbaukunst hat sich Manches von den Vogler’schen Erfindungen zu Nutze gemacht, doch in anderer praktischerer Weise, so daß der Spieler in keiner Weise sich erst darauf einüben muß.

Ruhelos benützte V. auf solche Art seine halbjährlichen Urlaube zu weiten Reisen, stets als Orgel- und Claviervirtuose auftretend und die Orgeln, soweit es ihm gestattet wurde, nach seinem Princip umarbeitend, wozu er stets den schon erwähnten Racknitz als Gehülfen mit sich führte. Die veranstalteten Concerte, die stets reiche Einnahmen brachten, mußten zum Theil die Unkosten decken. [175] 1790 war er wieder in England, von da ging er nach Frankfurt, dann nach Darmstadt, wo er von dem Sohne des Landgrafen, der seit kurzem die Regierung angetreten hatte, erwartet wurde. Man wollte ihn gern an Darmstadt fesseln, doch sein schwedischer Contract war noch in Kraft. Im November finden wir ihn in Rotterdam, darauf in Amsterdam, wo er drei Concerte auf seinem Orchestrion gab. Um diese Zeit erschienen Forkel’s Variationen über das englische Volkslied „God save the king“. Forkel war ihm ein böser Feind, nicht nur durch seine Schriften über ihn selbst, sondern auch durch die abgeschmackte Art, in der er über Gluck herfiel. Da kamen V. die Forkel’schen Variationen eben recht, um ihm an diesem erbärmlichen Machwerk zu beweisen, ein wie schwacher Componist er sei. Er ließ die Variationen neu stechen, setzte seine eigenen Verbesserungen unter die Zeilen und begleitete sie mit den beißendsten Bemerkungen. So erschienen sie 1793 in Frankfurt a/M. bei Varrentrapp und Wenner. (Exemplare in der Universitätsbibl. in Göttingen und der Staatsbibl. in München.) 1792 befand er sich in Lissabon; um Volkslieder kennen zu lernen, schiffte er nach Afrika hinüber, in der Hoffnung alte Gesänge der Mauren zu hören, kehrte dann über Griechenland nach Stockholm zurück; wo er Ende 1793 eintraf. Das Wesentlichste seiner Untersuchungen auf der weiten Reise hat er in dem Choralsystem (Kopenhagen 1800) mitgetheilt und die Art und Weise der Harmonisirung der Volksmelodien im Polymelos (München bei Falter 1806). In Stockholm fand er seinen Protector nicht mehr am Leben, Gustav III. war in der Nacht vom 15. zum 16. März 1792 von der Hand des Mörders gefallen. Jedoch der Nachfolger hielt die Zusage seines Vaters und V. trat in seinen gewohnten Wirkungskreis, gründete eine Wittwen- und Waisencasse für die Mitglieder der Capelle und hielt unentgeltliche Vorlesungen über Harmonie, zu welchem Zwecke er das Handbuch „Inleding til Harmonias Kennedom“ schrieb. In diese Zeit sollen auch die Chöre nebst Balletmusik zu dem Drama „Hermann und Unna“ von v. Skiöldebrand, welches seinen Zug durch Dänemark und Deutschland nahm. Am 5. September 1794 kam es in Berlin zur Aufführung, 1807 in Leipzig, 1808 in Würzburg u. s. f. 1796 befand er sich zum zweiten Male in Paris und spielte wieder auf der Sulpicer Orgel, an der man bereits Veränderungen nach seinen Angaben vorgenommen hatte. Sein letztes Concert für die Armen war überfüllt, und Hunderte harrten vor den Thüren der Kirche; 1796 lief sein Contract in Schweden ab, doch auf Wunsch des Regenten und Kronprinzen blieb er noch bis 1798. Er zog sich dann nach Prag zurück, hielt Vorlesungen über Tonwissenschaft in einem Saale, den er auf seine Kosten in einen „akustischen Hohlspiegel“ umgebaut hatte und in dessen Brennpunkt sein Orchestrion stand. Zwistigkeiten verleideten ihm den Aufenthalt und er ging nach 2 Jahren nach Wien. Hier entwickelte er eine rege Thätigkeit, fand große Anerkennung und einen freundschaftlichen Verkehr mit v. Sonnleithner, Gänsbacher und im Hause der gräflichen Familie Firmian. Er gab Concerte, führte seine Compositionen auf und componirte für das Theater an der Wien die Oper „Samori“, die sich eines guten Erfolges erfreute. Er hatte zu gleicher Zeit mit Beethoven, der den Fidelio componirte, Wohnung und Kost im Theater. 1804 verließ er Wien, reiste nach Salzburg, wo er die Klosterorgel am St. Peter simplificirte, gab darauf ein Concert auf derselben, celebrirte am 4. August ein Hochamt, wobei seine Messe in Dmoll von allen Musikern Salzburgs aufgeführt wurde. Michael Haydn trat ihm bewundernd näher. Am 22. August 1805 reiste er nach München, gab dort öfter Orgelconcerte und führte in der Hofkirche seine Pastoralmesse auf. Trotz aller äußerlichen Anerkennung hoffte er doch vergeblich auf eine Anstellung und als auch die ausbedungene Pension von Schweden trotz aller Verhandlungen mit der Regierung nicht mehr [176] gezahlt wurde, wandte er sich in seiner Noth an den Landgrafen von Hessen-Darmstadt, der ihn mit offenen Armen empfing und alles bewilligte, was V. begehrte. Am 24. August 1806 trat er seine Stellung als Capellmeister an mit einem Gehalt von 2200 Gulden, freier Wohnung und Kost. Am Schluß seines Lebens hatte er noch die Freude zwei bedeutenden Schülern mit seinem Wissen und Können zu dienen, es waren Weber und Meyerbeer, der dritte im Bunde, Gänsbacher, war zu gering veranlagt. Alle drei kamen im April 1810 nur wenige Tage nach einander in Darmstadt an und genossen auf kürzere oder längere Zeit gemeinsam Vogler’s Unterricht. Gänsbacher mußte schon am 10. Juli seinen Verpflichtungen gegen die Familie Firmian als Verwalter ihrer Güter nachkommen, Weber verließ ihn am 14. Februar 1811, da seine Mittel erschöpft waren, nur Meyerbeer blieb und konnte sich von V. nicht trennen, bis ihn derselbe selbst fortschickte, da, wie er sagte, er nun auf eigenen Füßen stehen müsse. Meyerbeer’s Oper Jephtha’s Tochter war von der Münchener Bühne angenommen und ging am 23. December 1812 über die Bretter. V. und Meyerbeer waren beide in München und trotz des elenden Textes ward Meyerbeer’s Talent bewundert. Von da ab begann Vogler’s Stern zu sinken; er hatte durch Herstellung von Orgeln, besonders seines Triorganons, einer Orgel mit drei Spieltischen, die er in München bauen ließ, enorme Verluste, so daß er tief in Schulden steckte. Mit seinem Landgrafen, jetzigem Großherzog, hatte er sich auch erzürnt, unternommene Concerte ergaben nur wenig Gewinn, die Reisen kosteten viel Geld und statt sich herauszureißen, gerieth er immer tiefer in Geldverlegenheiten. Ein Geschwür am Fuße hinderte ihn an der gewohnten Bewegung und ein Schlagfluß machte am 6. Mai 1814 seinem Leben ein Ende. Ziehen wir das Resultat seines thätigen und strebsamen Lebens, so bleibt doch nur ein kleiner Gewinn übrig. Seine Bestrebungen der Harmonielehre feste Grundsätze zu geben, blieben zwar nicht unbeachtet, doch ein anderer (Marx) sollte erst die Früchte ernten. Die Verbesserungen an der Orgel erwiesen sich nicht als praktisch und verschwanden fast spurlos nach seinem Tode. Als Componisten aber fehlte ihm eine tiefere originale Erfindungsgabe. Trotz der Erfolge, die er selbst erntete, trotz der Anerkennungen, die man ihm bereitwillig darbot, wie sie unseren großen Meistern nie oder nur in seltenen Fällen zu Theil wurden, verschwanden seine Werke von der Oberfläche, sobald er selbst als mächtiger Hebel nicht mehr wirken konnte. Es hat wol selten ein Künstler so viel Verehrung und so viel Haß zugleich erfahren. Dies hing aber auf das engste mit seinem Wesen und Können zusammen. Als Virtuose bewundernswerth, als Gesellschafter liebenswürdig und unterhaltend, als Lehrer und Freund aufopfernd, als Mensch eitel bis zum Lächerlichen, als Priester heuchelnd, vielleicht nur in den äußerlichen Formen, doch das genügt der Spottsucht der Menschen. Den Abbé trug er in seiner geistlichen Kleidung stets zur Schau; war er zu Tisch geladen, so schickte er den Diener mit dem Gebetbuch voraus. Ganz vergeblich bemüht sich sein jüngster Biograph, Schafhäutl, ihn von solchen Vorwürfen der Mitlebenden rein zu waschen. Selbst die marktschreierischen Programme zu seinen Orgelconcerten weiß er nur damit zu entschuldigen, daß V. sein Publicum kannte. Er konnte allerdings, meint der Biograph, statt die Mauern von Jericho einfallen zu lassen, ein ästhetischeres Motiv wählen, da er das aber nun eben nicht that, verfiel er dem Spotte jedes Gebildeten.

Ein Lebensbild zur Errichtung eines Denkmals. Darmstadt 1867, 16 S. – Lorbeerkränze und Cypressenzweige auf dem Grabhügel eines außerordentlichen Künstlers. Darmstadt 1814. – Biogr. von Jos. Fröhlich. Würzburg 1845. – Vogler’s Leben, Charakter und musikalisches System. Seine Werke, seine Schule, Bildnisse etc. von Dr. K. E. v. Schafhäutl. Augsburg 1888. [177] Eine Besprechung letzterer Biogr. in Monatsh. f. Musikgesch. 19, 150. – Ein Concertprogramm ebd. 11, 101.