ADB:Gfrörer, August Friedrich
[140] genommen hätte. Im Herbste 1846 erfolgte seine Berufung an die Universität Freiburg als Professor der Geschichte. Möglich war diese Berufung des Protestanten G., der in seinen frühesten Schriften wesentlich auf dem Standpunkt des vulgären Rationalismus steht und selbst nach dem abschwächenden und übertünchenden Urtheil seiner späteren Parteigenossen „zu Resultaten gelangt, die mit der christlichen Lehre nicht immer im Einklang stehen“, durch sein Buch über Gustav Adolf und seinen allmählichen Uebergang zu immer positiveren religiösen Anschauungen geworden. Bei näherer Prüfung wollen diese freilich wenig mehr bedeuten, als eine äußerliche Anerkennung der Erfolge des Christenthums, in welchem er „im höchsten Grade einen Gegenstand des öffentlichen Wohles“ erkannt wissen wollte, und wozu sich eine mehr und mehr hervortretende blinde Achtung und Bewunderung vor den Institutionen der katholischen Kirche gesellte. War aber G. mehr und mehr ein schlechter Protestant geworden, so wurde er damit keineswegs ein correcter Katholik. Der Wechsel der religiösen Lebensanschauung konnte bei einer so kräftigen und in beständiger Opposition sich entwickelnden und sich gefallenden Natur nicht zur völligen Unterwerfung unter die neue Autorität, mit allen ihren Ansprüchen und Consequenzen, sich gestalten. Vom protestantischen Sauerteig war und blieb G. stark durchdrungen, und das protestantische Bewußtsein bricht nicht selten auch in seinen späteren Schriften durch. Ein Freund der Jesuiten ist er, der in der ersten Auflage seines „Gustav Adolf“ sich noch ungescheut über sie ausspricht, später sein Urtheil freilich gemildert und die bedenklichsten Stellen ausgemerzt hat, nie geworden. In seinem Vorschlag auf Wiedervereinigung der beiden größeren Confessionen in Deutschland, den er auf dem Frankfurter Parlament einbrachte, verlangte er ausdrücklich die Zusicherung von Seiten des päpstlichen Stuhles, daß nie Jesuiten, Redemptoristen und Liguorianer sich auf deutschem Boden niederlassen dürfen. Im Parlament vertrat er den 6. Wahlbezirk des württembergischen Donaukreises. Erst im Herbst 1849 kehrte er, auf eine kategorische Weisung der Regierung, nach Freiburg zurück. In Uebereinstimmung mit seiner kirchlichen Anschauung gehörte G. der großdeutschen Partei an und war ein fanatischer Gegner Preußens. Bekannt aus seiner parlamentarischen Thätigkeit ist nur jener verunglückte Antrag auf Wiedervereinigung der Katholiken und Protestanten, dessen einzelne Artikel nach rein äußerlichen Opportunitätsrücksichten ausgewählt sind. Gfrörer’s Familie hatte sich über die Revolutionszeit in Straßburg aufgehalten, und dort waren seine Frau und Kinder zum Katholicismus übergetreten. G. selbst zögerte mit diesem Schritte aus scheuer Rücksicht auf die öffentliche Meinung. Erst an dem Tage, an welchem in den katholischen Kirchen Badens der bekannte Hirtenbrief des Erzbischofs Hermann v. Vicari vom 11. Novbr. 1853 verlesen wurde (27. Novbr.), legte er das katholische Glaubensbekenntniß ab. Am badischen Kirchenstreite nahm G., der tägliche Gast des Erzbischofs, hervorragenden Antheil, mit der vollen Heftigkeit der dem Convertiten eigenen Intoleranz gegen Andersgläubige. In der publicistischen Thätigkeit fühlte er sich dabei „wie zu Hause“. Wegen eines heftig auftretenden Leberleidens suchte er im Sommer 1861 Heilung in Karlsbad, starb aber dort an hinzugetretener Wassersucht, am 6. Juli 1861, mit Hinterlassung einer zahlreichen Familie. „Eine Persönlichkeit von ungewöhnlichen Eigenschaften“, lautet ein gewichtiges Urtheil über seine geistige Bedeutung; „ein nicht geringes Talent werden auch seine entschiedensten Gegner ihm einräumen; daß er mit demselben argen Mißbrauch getrieben, werden die meisten derer zugeben, die ihn loben“. G. zeichnete sich durch außerordentliche schriftstellerische Fruchtbarkeit aus; Scharfsinn und ungewöhnliche Combinationsgabe charakterisiren ihn, aber nicht minder der Mangel einer strengen Methode und vorurtheilsfreier Unbefangenheit. Seine bedeutendsten Schriften [141] sind: „Geschichte unserer Tage“ (1830–31 unter dem Pseudonym Freymund); „Philo und die jüdisch-alexandrinische Theosophie“ (1831); „Geschichte des Urchristenthums“ (1838, 3 Bde.); „Gustav Adolf“ (1. Aufl. 1837, 3. Aufl. 1852; 4. Aufl., besorgt von Onno Klopp, 1863); „Allgemeine Kirchengeschichte“ (1841–46, 4 Bde.), die bis zu Heinrich IV. reicht; „Untersuchungen über Alter, Ursprung und Werth der Decretalen des falschen Isidorus“ (1848); „Geschichte der ost- und westfränkischen Karolinger“ (1848, 2 Bde.); „Urgeschichte des menschlichen Geschlechtes“ (1855, 2 Bde.); „Papst Gregor VII. und sein Zeitalter“ (1859–61, 7 Bde.). Nach Gfrörer’s Tode hat aus seinem Nachlaß der Grazer Professor J. B. Weiß, in Freiburg als Privatdocent neben G. thätig und mit ihm nahe befreundet, dessen Vorlesungen herausgegeben. Erschienen sind davon: „Geschichte des 18. Jahrhunderts (1862–73, 4 Bde.); „Zur Geschichte deutscher Volksrechte“ (1866, 2 Bde.); „Byzantinische Geschichten (1872 bis 74, 2 Bde.).
Gfrörer: August Friedrich G., Professor der Geschichte an der Universität Freiburg; geb. zu Calw am 5. März 1803. Mit manchem schwäbischen Theologen theilte er das Schicksal, daß er dem elterlichen Wunsche gehorsam, ohne innere Neigung das Studium der Theologie ergriff. Gemäß dem in seiner Heimath für dieses Studium üblichen Bildungsgang, war G. vier Jahre Zögling eines sogenannten niederen evangelischen Seminars (1817–21) und dann ebensolange (1821–25) Studirender der Theologie im höheren evangelischen Seminar (Stift) zu Tübingen. Die beiden folgenden Jahre (1826–27) brachte er auf wissenschaftlichen Reisen in der Schweiz und Italien zu, und 1828 wurde er zum Repetenten am Tübinger Stift, 1829 zum Stadtvicar in Stuttgart berufen. Der Eintritt in die theologische Praxis brachte Ueberzeugung und Entschluß vollends zur Reife, daß er einer Laufbahn entsagen müsse, für die er, der mit dem Offenbarungsglauben völlig gebrochen hatte, nicht den geringsten innern Beruf in sich fühlte. Eine Bewerbung um die Stelle des dritten Bibliothekars an der k. öffentlichen Bibliothek zu Stuttgart war von glücklichem Erfolg begleitet (1830). In seiner neuen Stellung war es ihm möglich, sich mit seiner riesigen Arbeitskraft ganz dem Studium der Litteratur und der Geschichte zu widmen, ohne daß ihn dabei die seiner Neigung weniger zusagende mechanische oder organisatorische Seite des bibliothekarischen Berufes sehr stark in Anspruch- v. Weech, Badische Biographien I. 300–304. – Nippold, Welche Wege führen nach Rom? – Rosenthal, Convertitenbilder aus dem 19. Jahrh. – Alberdingk Thijm, Nekrolog Gfrörer’s in der Revue de Louvain. 1861.