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ADB:Gisi, Wilhelm

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Artikel „Gisi, Wilhelm“ von Martin Gisi in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 368–370, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gisi,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 3. Oktober 2024, 23:00 Uhr UTC)
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Gisi: Wilhelm G., schweizerischer Geschichtsforscher und Statistiker, geboren in Olten am 18. April 1843, † in Solothurn am 10. December 1893. Der Sohn eines bescheidenen und tüchtigen Primarlehrers, besuchte G. zunächst die Schulen seiner Vaterstadt Olten und dann das Gymnasium von Solothurn, das er im Herbste 1862 verließ, um an der Universität Tübingen historische, philologische und staatswissenschaftliche Studien zu betreiben. Nachdem er schon im zweiten Jahre die von der dortigen staatswirthschaftlichen Facultät gestellte Preisaufgabe: „Revision der Lehre vom Kapitalzins und Zinswucher mit Rücksicht auf ihre geschichtliche Entwicklung in der Theorie und Gesetzgebung“ bearbeitet und mit einem zweiten Preise belohnt worden war, bezog er im Herbst 1864 die Universität Leipzig und kehrte im folgenden Frühling nach Tübingen zurück, wo er am 15. März 1865 zum Doctor philosophiae promovirt wurde. Seine Dissertation erschien ein Jahr später in [369] erweiterter Form unter dem Titel „Der Antheil der Eidgenossen an der europäischen Politik während der Jahre 1512–1516“ (Schaffhausen 1866) und fand große Anerkennung. Nachdem G. die folgenden Sommermonate noch in Genf und Paris zugebracht hatte, übernahm er im September 1865 die Lehrstelle für Geschichte an der Kantonsschule in St. Gallen, die er im April 1868 aus Gesundheitsrücksichten aufgab, um als eidgenössischer Unterarchivar nach Bern überzusiedeln. Außer verschiedenen historischen und statistischen Arbeiten, die im „Archiv für Schweiz. Geschichte“ und in der „Zeitschrift für schweiz. Statistik“ erschienen, veröffentlichte er in dieser Zeit auch die „Bevölkerungsstatistik der schweizerischen Eidgenossenschaft und ihrer Kantone“ (Aarau 1868), sein Hauptwerk auf diesem Gebiete, das, wie allgemein anerkannt wurde, trotz einiger damals kaum zu vermeidender Mängel, eine inbezug auf die schweizerische Populationistik bestehende Lücke in sehr willkommener Weise ausfüllte. Auch in seiner neuen Stellung setzte G. seine schriftstellerische Arbeit auf historischem und statistischem Gebiete fort, veröffentlichte u. a. den ohne Fortsetzung gebliebenen ersten Band seines „Quellenbuches zur Schweizergeschichte“ (Bern 1869), eine Sammlung aller auf die heutige Schweiz bezüglichen Stellen der griechischen und römischen Autoren mit einleitendem Text und erklärenden Anmerkungen, redigirte von 1871–1874 die „Zeitschrift für schweizerische Statistik“, die unter seiner Leitung einen bemerkenswerthen Aufschwung nahm, und habilitirte sich als Privatdocent an der Universität Bern, an der er während zehn Jahren (1870–1880) Vorlesungen über zahlreiche Gegenstände aus der Geschichte und Nationalökonomie hielt.

Im October 1872 wurde G. vom schweizerischen Bundesrathe zum Secretär und Bureauchef der Bundeskanzlei gewählt und rückte im Januar 1879 zum Stellvertreter des Kanzlers der Eidgenossenschaft vor. Indem er sich dank seiner Energie und Arbeitskraft rasch in diese verschiedenen Beamtungen einlebte, blieb es ihm möglich, seine Privatarbeiten fortzusetzen. So veröffentlichte er im 18. Bande des „Archivs für Schweiz. Geschichte“ (1873) eine Abhandlung „Ueber die Entstehung der Neutralität von Savoyen“ und beabsichtigte, eine Sammlung der Bundesverfassungen und Bundesverfassungsentwürfe seit 1798 in authentischem Texte herauszugeben, von der aber nur die erste Lieferung, die helvetische Constitution von 1798, erschienen ist (Bern 1872).

Veranlaßt durch Professor Georg v. Wyß lud F. A. Perthes in Gotha im J. 1873 G. ein, für die in seinem Verlag erscheinende von Heeren und Ukert begründete „Geschichte der europäischen Staaten“, die er unter die Leitung von W. v. Giesebrecht gestellt hatte, die Bearbeitung der Schweizergeschichte zu übernehmen. Nach einigem Bedenken sagte G. zu und verpflichtete sich, eine „Geschichte der Schweiz“ in fünf Bänden zu schreiben, an deren Abfassung er sich sofort machte und deren erster, bis 1039 reichender Band beinahe vollendet war, als der unermüdliche Forscher, der stets an starker Kurzsichtigkeit gelitten hatte, im Mai 1881 durch eine rasch verlaufende Erblindung in seiner Arbeit jäh aufgehalten wurde. Tief niedergeschlagen von dem schweren Schicksalsschlage reichte G. dem Bundesrath das Gesuch um seine Entlassung aus seiner amtlichen Stellung ein, die ihm unter den ehrenvollsten Ausdrücken ertheilt wurde, und zog sich zu seinem Bruder nach Solothurn zurück. Wenn er auch auf die Veröffentlichung des ersten Bandes seiner Schweizergeschichte und die Fortsetzung des Werkes verzichtete, das dann seinem Nachfolger an der St. Galler Kantonsschule, Professor Dierauer, übertragen wurde, nahm er doch nach einiger Zeit seine historischen Arbeiten wieder auf und beschäftigte sich, unterstützt von einem staunenswerthen Gedächtniß und unter Beihülfe von Vorlesern, [370] mit einer Reihe von Detailforschungen, die sich in den letzten Jahren meist auf die Geschichte mittelalterlicher Dynastenfamilien bezogen und die er zum größten Theil im „Anzeiger für Schweizerische Geschichte“ veröffentlichte, dessen Redaction er während des Jahres 1886 besorgte. Aber noch war der bedauernswerthe Mann nicht am Ende seiner Leiden angelangt. Zu der physischen Erblindung gesellte sich die geistige Umnachtung und im November 1889 mußte er in die Heil- und Pflegeanstalt Rosegg bei Solothurn übergeführt werden, in der er, ohne den Gebrauch seiner geistigen Fähigkeiten wieder erlangt zu haben, am 10. December 1893 starb.

G. war ein Mann von ausgedehntem, gründlichem Wissen und unermüdlicher Arbeitskraft, ein gewissenhafter, fleißiger Beamter, ein eifriger und scharfsinniger Forscher, dienstfertig und stets bereit, die Schätze seines Wissens Andern mitzutheilen und junge aufstrebende Talente zu unterstützen. So bewahrten ihm seine Schüler und seine Zuhörer von St. Gallen und Bern stets ein dankbares Andenken, und auch in den Kreisen der schweizerischen Historiker und Statistiker wird, dank seinen Arbeiten und Forschungen, sein Name nicht vergessen werden.

Vgl. des Unterzeichneten Nachruf „Zur Erinnerung an Dr. Wilhelm Gisi“ in: Zeitschrift f. schweiz. Statistik, 36. Jahrg. 1900, der auch separat erschienen und dem ein vollständiges Verzeichniß der sowol einzeln als in Zeitschriften veröffentlichten Arbeiten von Gisi beigefügt ist. Eine Bibliographie gibt auch W. v. Mülinen im Anzeiger f. Schweiz. Geschichte, Bd. VII, Jahrg. 1894, S. 139. – Nekrologe: „Bund“ vom 12. Dec. und „Oltner Tagblatt“ vom 13. Dec. 1893.