ADB:Giseke, Robert

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Giseke, Robert“ von Richard Moritz Meyer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 367–368, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Giseke,_Robert&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 02:32 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Gindely, Anton
Nächster>>>
Gisi, Wilhelm
Band 49 (1904), S. 367–368 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Heinrich Ludwig Robert Giseke in der Wikipedia
Robert Giseke in Wikidata
GND-Nummer 11664818X
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|49|367|368|Giseke, Robert|Richard Moritz Meyer|ADB:Giseke, Robert}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=11664818X}}    

Giseke: Robert G., Schriftsteller, geboren am 15. Januar 1827 zu Marienburg i. Pr., † am 12. December 1890 zu Leubus. Der Dichter Nikolaus Dietrich G. (s. A. D. B. IX, 192) war sein Urgroßvater, sein Vater ein Beamter, der später nach Posen und Breslau versetzt wurde. G. studirte von 1846 an in Breslau und Halle Theologie, dann wieder in Breslau Philosophie und Geschichte – eine gerade damals sehr häufige Entwicklung, aus der vielfach Schriftsteller mit Zeittendenzen hervorgingen. Das theologisch-philosophische Interesse blieb bei ihm herrschend. „Da er wegen Betheiligung an einer Adresse gegen die Regierung den Weg zum Staatsdienst versperrt sah, so wurde er Schriftsteller.“ Er erwarb 1852 in Leipzig den Doctorgrad, redigirte hier die „Novellen-Zeitung“, seit 1859 in Dresden die „Constitutionelle Zeitung“, 1861–63 die officielle „Coburgische Zeitung“. Seit 1863 lebte er in Berlin, wo ihn 1866 eine Gemüthskrankheit befiel, die seine Ueberführung in die Heilanstalt zu Leubus nöthig machte.

G. schwebte ein großer Cyklus von Zeitromanen vor, der den Typus des theologisch-philosophischen Himmelsstürmers einer Erziehung im Sinne Goethe’s unterwerfen wollte. „Moderne Titanen. Ein Roman der Gegenwart“ (3 Bde., 1851), sollte den unreifen Radicalismus in der Gährung, „Pfarr-Röschen. Ein Idyll aus unserer Zeit“ (2 Bde., 1854) als Gegenstück die starre Orthodoxie zeichnen; „Carriere. Ein Miniaturbild aus der Gegenwart“ (2 Bde., 1853) und „Kleine Welt und große Welt“ (3 Bde., 1853) sollten den gefeierten Tagesgötzen gegenüber dem ehrlichen und redlichen Streben des Alltags und im Gegensatz zu Dogma und Speculation dem Respect vor der Wirklichkeit ihre höhere Stellung anweisen. Aber schon R. Prutz, dem wir diese Deutung der Grundidee verdanken, hat (Die deutsche Litt. d. Gegenw. 2, 201 f.) betont, wie die Conception unter der flüchtigen Ausführung und der oft banalen Erfindung leidet.

In der That hat von dem groß angelegten Gesammtwerk nur der erste Theil dauernde Bedeutung. Die „Modernen Titanen“ sind „der erste Versuch, objectiv die genialen Streber, die problematischen Naturen zu charakterisiren, denen keine Lage genügt, und die doch keiner genügen. Der Roman beleuchtet mit grellen Lichtern den Wirrwarr der philosophischen, religiösen und politischen Tendenzen, der den Märztagen des Jahres 1848 vorausging (Mielke, Der deutsche Roman S. 193). Vor Gutzkow’s „Rittern vom Geist“ hat das Buch die strenge Concentration voraus, vor Spielhagen’s „Problematischen Naturen“, die (1860) immer noch in derselben Tradition stehen, die Entfernung von romanhafter Erfindung und die größere Wahrheit der Atmosphäre. Freilich hat G. diese vor allem durch eifriges Porträtiren erreicht. „Der Prophet“ ist Friedrich Rohmer, Dr. Horn Max Stirner, auf dessen Werk „Der Einzige und sein Eigenthum“ deutlichst angespielt wird; der Schriftsteller Robert Springer (3, 57) und Andere werden hinzugezogen. Doch ist G. eben nicht bei diesen Einzelporträts haften geblieben, sondern hat die ganze Stimmung jener Zeit getroffen, die, wo sie Nichts besaß, um so eifriger Alles forderte. Der Kreis der „Freien“, der sich um Stirner gruppirt, vertritt die Strömungen der begehrenden Jugend überhaupt. Die Zeitstimmung wird [368] (1, 81 f.; 3, 266 f.) direct und in Aussprüchen der handelnden Personen (wie 1, 23, Stellung zur Natur 1, 102, „freie Geister“ 1, 173) wirksam zum Ausdruck gebracht, wobei glückliche Wendungen wie „ein rasches zungenfertiges Denken“ (für den Begründer der Berliner Philosophischen Gesellschaft: 2, 170) nicht mangeln. In geschickter Vertheilung werden Typen wie die Emancipirte Lucie Ashton (3, 253), Ereignisse wie Strauß’ Leben Jesu (1, 118), Namen wie der Sallet’s (3, 39) zur Bezeichnung des Milieus verwandt, besonders aber Dichtungen wie Atta Troll (3, 59), Sue’s Mystères de Paris (3, 80) und George Sand’s Lélia (3, 38), Opern wie Euryanthe (1, 271), Norma (3, 19), Martha (3, 99), Robert der Teufel (3, 315) und eine Schilderung des Berliner Theater- und Litteraturlebens überhaupt (1, 287). Auf das Berliner Proletariat (3, 1 f.) hatte eben Bettina’s Königsbuch die Augen gelenkt, auf den Pietismus (3, 115) und den predigenden Atheismus (3, 144) andere actuelle Erscheinungen. Aber auch kleinere Motive von bezeichnender Eigenart werden geschickt eingeflochten, so die Toast-Beredsamkeit (3, 59. 173); das historische, auch von Treitschke angezogene „Pereat Gott!“ (1, 239) der Zeit Ronge’s (vgl. 1, 236; 3, 51), Tracht und Zimmereinrichtung (z. B. 2, 184 f.; 3, 154) sind nicht übersehen. So hat man hier die Elemente des geistigen Lebens in den Tagen der Berliner „Weltumstürzer“ (3, 190) und „Nihilisten“ (2, 131) in seltener Vollständigkeit beisammen. Das culturhistorisch werthvolle Document liest sich dabei zugleich als Roman nicht schlecht, wenn auch der „Held“ lediglich pathologisches Interesse erregt; und die Revolutionen in Berlin (3, 260 f.) und Wien (3, 326) sind effectvoll an den Schluß gestellt; Ernst Wagner (der Name des Helden ist wol nur zufällig der eines Jeanpaulisirenden Schriftstellers, vgl. A. D. B. XL., 486) stirbt als politischer Märtyrer unter dem Standrecht.

Die anderen Bücher bleiben hinter den „Modernen Titanen“, die Giseke’s Namen mit einer merkwürdigen Episode des deutschen Geisteslebens verknüpfen, weit zurück. G. genügte seinem großen Plan so wenig wie etwa gleichzeitig Fanny Lewald mit ihren „Wandlungen“.

Von Schriften außerhalb jenes zeitgeschichtlichen Romancyklus hebe ich etwa das Drama „Lucifer oder die Demagogen“ (1861) hervor, in dem eine kraß tendenziöse Zeichnung muckerischer Intriganten und hohler Aristokraten um eine künstliche Intrigue im Graf Waldemar-Stile herumgeschlungen wird. Die Stimmungswahrheit des Erstlingswerks war nach zehn Jahren völlig dem Arrangement herkömmlicher Schablone gewichen.

Für das Biographische: Brümmer, Lexikon d. dtsch. Dichter u. Pros. d. 19. Jhs., 4. Ausg., 2, 7. Für das Litterarhistorische: Prutz und Mielke a. a. O.