ADB:Grävell, Maximilian Karl Friedrich Wilhelm
[614] in Merseburg, gerieth er durch seine freimüthigen Anschauungen über Entfernung alles persönlichen Einflusses und unbedingter Herrschaft des Rechts in Conflicte, die 1818 zu seiner Suspension führten. Er schildert diesen Vorfall in „Neueste Behandlung eines preußischen Staatsbeamten“, 1818; „Der Staatsbeamte als Schriftsteller oder der Schriftsteller als Staatsbeamter“, 1820. Wegen eines der Censurbehörde vorgelegten Manuscriptes, „Der Bürger“, wurde vom Minister die Wegnahme desselben und eine Ordnungsstrafe von 50 Thlrn. verfügt, weswegen er sich zuletzt an die Bundesversammlung wendete. Sein Proceß endete mit Amtsentsetzung wegen gebrochener Amtsverschwiegenheit und grober Beleidigung der Staatsminister v. Bülow, v. Schuckmann und v. Kircheisen, Verurtheilung zu sechsmonatlichem Gefängniß und Unfähigkeitserklärung für alle öffentlichen Aemter. Nachdem er diese Strafe verbüßt, begab er sich auf sein Rittergut Wolfshayn, wo er in ländlicher Muße lebend die mannigfachen Rechtsstreitigkeiten seiner Nachbarin, Fürstin Pückler-Muskau, der Tochter Hardenberg’s, mit der Gemeinde Großdüben und auch die an den Uebergang der Standesherrschaft unter die preußische Verwaltung sich anschließenden Verwicklungen zu allseitiger Zufriedenheit erledigte. Doch blieben ihm auch in dieser Stellung Unannehmlichkeiten und Verfolgungen seitens der vorgesetzten Behörden nicht erspart. Für Gegenstände der Politik hatte G. von jeher ein sehr lebhaftes Interesse und zog sie deshalb in den Bereich seiner litterarischen Thätigkeit. Ein unerschütterlicher Rechtssinn, von dem Zeugniß abzulegen, ihn keinerlei Rücksicht hindern konnte, ließ ihn mit damals seltener Freimüthigkeit und Offenheit die wichtigsten Verfassungs- und Verwaltungsfragen besprechen, die angeregt und vielfach gefördert zu haben sein stetes Verdienst bleiben wird. Es gehören hierher „Antiplatonischer Staat“, 1808, 2. Aufl. 1812. – „Der Landsturm! Ein Wort an Preußens Söhne und Töchter“, 1813, die 1819 anonym veröffentlichte Kritik: „Anti-B-z-b-g (gegen v. Benzenberg) oder Beurtheilung der Schrift: Die Verwaltung des Staatskanzlers Fürsten v. Hardenberg“. – „Bedarf Preußen einer Constitution?“ 1816. – „Wie darf die Verfassung Preußens nicht werden?“ 1819. – „Das Gutachten der Immediat-Justizcommission in den Rheinprovinzen“, 1819. – „Geschwornengerichte“ (in Mathis’ Monatsschrift VII, 309–336). – „Preßwesen und Volksgeist“, 1815. – „Die Quellen des allgemeinen deutschen Staatsrechts seit 1813–20“, 1820. – „Geschichte meines Austritts aus dem Staatsdienste“, 1837. Eine populäre Darstellung charakterisirt seine Schriften: „Der Mensch, eine Untersuchung für gebildete Leser“, 1815, 4. Aufl. 1839; „Der Bürger“, 1822 und „Der Regent“, 2 Bde., 1823. Für die Praxis wurde G. Autorität durch seine trefflichen Werke: „Handbuch für praktische Juristen“, 1812–19, 4 Thle., „Commentar zu den Creditgesetzen des preußischen Staats“, 1812, Bd. VI, 1832; „Systematische Entwickelung der Theorie von hypoth. Protestationen“, 1815; „Die Lehre vom Besitz und von der Verjährung“, 1816; „Generaltheorie der Verträge“, 1821; „Die Lehre vom Nießbrauch, Miethe und Pacht nach preußischem Recht“, 1820; „Grundsteuer und Kataster“, 1821, 1822; „Praktischer Commentar zur allgemeinen Gerichtsordnung für die preußischen Staaten“, 1825–31. Nachdem der Minister v. Kamptz vergeblich versucht, den tüchtigen Juristen dem Staatsdienst zu erhalten, wurde G. auf sein wiederholtes Abschiedsgesuch 1834 in Ruhestand versetzt. Er zog mit seiner Familie nach Spremberg, wechselte aber öfters seinen Aufenthalt, lebte den Wissenschaften und nahm an der durch die Lichtfreunde hervorgerufenen kirchlichen Bewegung Antheil. Der litterarischen Muße wurde er durch die Bewegung des J. 1848 entzogen. Zu Frankfurt a. O. in die constituirende Nationalversammlung gewählt, und dem Ausschusse für die Rechtspflege zugetheilt, betheiligte er sich mit voller [615] Hingebung an den der Versammlung gestellten schweren Aufgaben. Mit einer gewissen Starrheit an dem Buchstaben des Rechts hängend, der äußersten Rechten der Nationalversammlung angehörend, theilte er die Ansichten der Wenigen, welche die Beschlüsse der Versammlung nur als Vorschläge betrachtet wissen wollten, über welche sich dieselbe erst mit den Fürsten zu vereinigen hätte und bekämpfte leidenschaftlich die liberalen Tendenzen der Majorität. Unfähig, seine einmal gefaßten, reiflich erwogenen Anschauungen den Bedürfnissen des Augenblickes anzupassen, fand er als Redner geringen Beifall und belästigte durch zahllose Verbesserungsvorschläge, die er oft massenweise einbrachte. Dafür verfiel er dem Spott und der Verhöhnung. In die unangenehmste Lage aber brachte es ihn, daß nach Rücktritt des Ministeriums v. Gagern zu allgemeiner Ueberraschung ihm vom Reichsverweser der Vorsitz in dem neuen reactionären Ministerium übertragen wurde. Als in der Sitzung vom 17. Mai 1849 von dieser Ernennung Kunde gegeben wurde, entstand in Gegenwart des auf der Ministerbank erscheinenden Abgeordneten G. ein allgemeines Gelächter und es folgte ein von 191 gegen 12 Stimmen angenommener Antrag Welcker’s zu erklären: „Die Nationalversammlung habe zu diesem Ministerium, dessen Programm sie soeben vernommen, nicht das mindeste Vertrauen, müsse vielmehr unter den obwaltenden Umständen diese Ernennung als eine Beleidigung der Nationalversammlung ansehen.“ G. beantwortete dieses Mißtrauensvotum dahin: „Da der Reichsverweser selbst unter den jetzigen Umständen nicht zurücktreten könne, so halte er es für seine Pflicht, ihn nicht im Stiche zu lassen und ihm seine Dienste nicht zu verweigern.“ G. blieb in Frankfurt a. M., bis die ganze Centralgewalt zerfiel. Es war bedauerlich, daß ein so edler Mann in gutem Glauben (wie Haym, die deutsche Nationalversammlung, Schlußbericht Berlin 1850, S. 160, 161, vgl. S. 54, II. [1849] 108, 109 bekundet) sein weißes Haupt dem Hohne der Versammlung preisgegeben hatte. Er sprach seine damaligen Ansichten aus in: „Die Volkssouveränetät und der Reichsverweser“, 1848. – „Zu früh und zu spät. Vier Denkschriften an die Könige Friedrich Wilhelm III. und IV.“, 1848. – „Kein Oesterreich und kein Preußen! sondern ein einiges, starkes, herrliches Deutschland. Wie kann und muß es werden?“ 1849. – „Schluß! Schluß! Schluß! Sechs Reden, so in der constituirenden Reichsversammlung wegen des Schlußrufes nicht zu den Ohren gekommen sind und deshalb nur ihren Augen vorgelegt werden, da die Beherzigung noch nicht zu spät ist, nebst ausführlichen Betrachtungen über ihre Wirksamkeit“, 1849. – „Aus den Papieren eines teutschen Patrioten“, 1851. G. war auch auf religiösem Gebiete thätig („Was muß Derjenige, der von der Freimaurerei nichts Anderes weiß, als was davon allgemein bekannt ist, nothwendigerweise davon halten?“ 1810. – „Die Kirche. Ursprung und Bedeutung des deutschen Worts“, 1856). Besonders ansprechend erscheinen seine „Briefe über die Fortdauer unserer Gefühle nach dem Tode“, 1821. G. starb zu Dresden am 29. Septbr. 1860. Sein Bildniß in „Der Mensch“ (4), Leipz. 1839.
Grävell: Maximilian Karl Friedrich Wilhelm G., verdienter juristischer und philosophischer Schriftsteller, wurde geboren am 28. August 1781 zu Belgard (Hinterpommern) als Sohn eines Feldpredigers, verlor schon frühzeitig Mutter und Vater, studirte in Halle, wurde 1801 Auscultator am Berliner Stadtgericht, dann Assessor in Berlin und Plock (Südpreußen) und widmete sich, 1806 durch den polnischen Aufstand vertrieben, in Kottbus der advocatorischen Praxis, war 1809–11 Justizbeamter in Dresden, dann Assessor in Soldin, 1812 Justitiarius bei der Regierung zur Stargard, später Rath beim Militärgouvernement. Nach kurzer militärischer Laufbahn 1816 Justitiarius- Vgl. den schönen gediegenen Artikel von H. Döring in Ersch u. Gruber 78. 102–132. – Klüpfel, Gesch. d. deutschen Einheitsbestrebungen, Berl. 1872, I. 118. – F. A. Brockhaus (Verlagscatalog), Leipz. 1872. – Zöpfl, Grundsätze des gem. deutschen Staatsrechts I. § 188. – Mohl, Gesch. und Litt. d. Staatswissenschaften II. 247, 349. – Jordan, Versuche über allgem. Staatsrecht, 1828, S. 146 ff. – Rönne, Preuß. Staatsrecht (3) I. S. 23, Note 3, S. 124.