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ADB:Grabow, Wilhelm

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Artikel „Grabow, Wilhelm“ von Karl Wippermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 542–547, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Grabow,_Wilhelm&oldid=- (Version vom 10. Dezember 2024, 08:37 Uhr UTC)
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Grabow: Wilhelm G., preußischer Abgeordneter, geb. am 15. April 1802 in Prenzlau, † daselbst am 15. April 1874. Nach dem frühen Tode des Vaters, eines vermögenden Kaufmanns, von der Mutter erzogen, studirte er 1821–23 in Berlin die Rechte, gehörte hier der Burschenschaft an, wurde Referendar beim Kammergericht, dann Untersuchungsrichter bei den Commissionen in Spandau und Perleberg; kaum zum Assessor beim Berliner Stadtgericht ernannt, erregte er Aufmerksamkeit durch seine geschickte Leitung und glückliche Beendigung einer großes Aufsehen hervorrufenden Untersuchung gegen die Gauner Löwenthal. In Anerkennung dessen wurde er zum Justiz- und Stadtgerichtsrath in Berlin ernannt; 1836 erhielt er den rothen Adlerorden und die Stelle eines Hofgerichtsraths sowie Universitätsrichters in Greifswald. 1838 nahm er die Wahl zum Oberbürgermeister von Prenzlau auf zwölf Jahre an. Dieser Wirkungskreis hatte seine Betheiligung an den öffentlichen Angelegenheiten im Gefolge. Von 1841–47 in den märkischen Kreis- und Provinziallandtagen mit parlamentarischem Wesen sehr vertraut geworden, wurde er 1847 zum ersten Male berufen, sich durch seine vorzüglichen Eigenschaften als Parlamentarier in weiteren Kreisen auszuzeichnen. Mitglied der zweiten Kurie des preußischen Vereinigten Landtages, gehörte G. zu den 138 Mitgliedern der Linken, welche die Berufung des Landtags zu bestimmten Zeiten und die Vereinbarung einer Staatsverfassung anstrebten. Vom Landtagsmarschall Fürsten Solms nebst den ebenfalls oppositionellen Abgeordneten v. Auerswald, v. Beckerath, Milde und Graf Schwerin zum Mitgliede der Commission für Entwerfung der die Thronrede beantwortenden Adresse bestellt, trat er lebhaft gegen die Tendenz des Einberufungspatents vom 3. Februar auf, welches dem Landtage bei Weitem nicht die von einem großen Theile der Bevölkerung als zeitgemäß erstrebten Befugnisse einräumte; der unter lebhafter Mitwirkung Grabow’s zu Stande gekommene Adreßentwurf der Commission wahrte die altständischen Rechte, doch wurde demselben durch Beschluß des Plenums gerade nach dieser Richtung hin die Spitze abgebrochen. Ohne so sehr hervorzutreten wie Auerswald, Hansemann, Camphausen u. A., gehörte doch kaum ein Mitglied mit mehr Recht zu den patriotischen Männern der Minderheit, welche, obwol bahnbrechend für die freisinnige Zeitidee, mit größter Mäßigung vorgingen und sich vorsichtig vor übermäßigem Gegensatze zur Regierung hüteten. Bei der großen Verhandlung der Dreiständekurie über die Anträge auf Abänderung der ständischen Gesetzgebung suchte G. am 29. Mai 1847 zu zeigen, daß schon der Gesetzgeber von 1820 an eine bestimmte Verfassung gedacht haben müsse; namentlich deutete er auf die betreffenden Vorschläge hin, welche Preußen auf dem Wiener Congresse in dieser Beziehung gemacht, und auf den Cabinetsbefehl von 1817, durch welchen einer Commission des Staatsraths die Entwerfung einer Verfassungsurkunde übertragen war. Seine Bemühung war vergeblich, der betreffende Antrag Graf Schwerin’s, den König mit Rücksicht auf den in der früheren Gesetzgebung begründeten Rechtsanspruch um Festsetzung regelmäßiger jährlicher Berufung des Landtags zu bitten, wurde abgelehnt; dagegen war Grabow’s Einfluß in der zweiten Kurie in Folge seines bewiesenen Tactes und seiner Mäßigung sehr groß geworden, so daß ihm in der [543] zweiten Session des vereinigten Landtags, im April 1848, unter Anderem die Abfassung des Entwurfs des Wahlgesetzes für die unter dem Namen der Preußischen Nationalversammlung bekannte „Versammlung zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung“ fast ganz zufiel und er am Ende dieser Session in den Ausschuß zur Berathung des Strafgesetzbuchs sowie in die Staatsschulden-Commission gewählt wurde. Bei den Wahlen zur preußischen Nationalversammlung war G. vom Professor Gneist zum Abgeordneten für Berlin vorgeschlagen, doch wurde er in Prenzlau gewählt. Schon gleich nach Eröffnung dieser Versammlung (22. Mai 1848) war G., der sich hier dem altliberalen Centrum anschloß, als Präsident ins Auge gefaßt, seine Wahl unterblieb jedoch, weil er damals gerade krank war, doch erfolgte sie am 27. Juni 1848, als der Präsident Milde zwei Tage zuvor in das Ministerium Hansemann getreten war. Alsbald nahmen die Verhandlungen einen geregelteren Gang; G. erwies sich streng gegen die Ruhestörer in der Versammlung und wachte sorgsam über die Aufrechthaltung der Geschäftsordnung. Die Leitung dieser Versammlung, in welcher die politischen Gegner die kleinste Blöße des Vorsitzenden sofort benutzt hätten, war nicht leicht; ihm aber gelang es trotz der größten Aufregung der Versammlung Ordnung zu erhalten; er durchschaute bei der Fragestellung mit klarem Blick[WS 1] das Sachverhältniß und wußte die Fragen so scharf zu stellen und so richtig zu ordnen, daß fast nie ein begründeter Widerspruch entstand. So fiel auf ihn die Wiederwahl zum Präsidenten, wie selbstverständlich, am 24. Juli, 21. August, 19. September und 16. October 1848. Als nach dem Rücktritte des Ministeriums Auerswald-Hansemann am 12. September 1848 H. v. Beckerath von Frankfurt a./M. nach Berlin berufen wurde (s. Bd. II S. 238), um eventuell die Bildung eines Ministeriums zu übernehmen oder in das vom General v. Pfuel zu bildende Ministerium einzutreten, hatte v. Beckerath mit G. eingehende Besprechungen über die Lage. G. erklärte die baldige Bildung eines parlamentarischen Ministeriums für nöthig, um der immer weiter um sich greifenden radikalen Richtung gegenüber eine Regierungspartei zu befestigen; er selbst lehnte jedoch beharrlich den Eintritt in ein solches Ministerium ab. Mit Umsicht und Festigkeit führte er die Leitung der Nationalversammlung selbst bei den stürmischsten Verhandlungen, z. B. bei denen vom 9. August 1848 über die blutigen Ereignisse zu Schweidnitz und vom 7. September, wonach das Ministerium Hansemann zurücktrat. Nach diesem ihrem ersten Siege bewahrte die Linke nicht mehr lange die Mäßigung. G. sah voraus, daß dieses Verhalten am Ende nur der Reaction die Wege ebnen helfe. Ein Anzeichen hierfür war ihm unter Anderem die Antwort, welche auf seine Ansprache der König Friedrich Wilhelm IV. am 15. October 1848 der ihm zum Geburtstag Glück wünschenden Abordnung der Nationalversammlung gab; G. hatte dem Könige die Versicherung ausgesprochen, daß die neuen Einrichtungen, welche die Versammlung berathen, die Bande zwischen Dynastie und Volk noch fester knüpfen würden. Darauf hatte der König erwidert: „Vergessen Sie nicht, daß wir etwas vor Anderen voraus haben: eine Macht, die man dort nicht mehr zu kennen scheint, eine angestammte Obrigkeit! ja eine angestammte Obrigkeit von Gottes Gnaden!“ An G. insbesondere sich wendend, rief ihm der König zu: „Halten Sie den Kopf oben! Ich habe noch einen starken Arm!“ – Als die Leidenschaftlichkeit der Nationalversammlung zu groß wurde und selbst Mitglieder der Linken am 19. October einen Tumult vor dem Sitzungshause veranlaßten, nahm G., im Bewußtsein, daß am Hofe zu Potsdam die Reaction immer mehr vorbereitet werde, welcher die Versammlung doch nicht würde widerstehen können, am 26. October 1848 den Umstand, daß die Versammlung einen von ihm über den Abgeordneten Caplan Berg verhängten Ordnungsruf nicht billigte, zum Anlaß, den Vorsitz niederzulegen. Bald darauf legte er auch sein [544] Mandat nieder. Alle Versuche, ihn von diesen Entschlüssen abzubringen, waren vergeblich gewesen. Sein Rücktritt war jedoch nichts weniger als ein Akt persönlicher Muthlosigkeit; vielmehr erhob er, während nach Octroyirung der Verfassung vom 5. December 1848 die Demokratie sich zum passiven Widerstande entschloß, von Prenzlau aus offen Verwahrung und bezeichnete den einseitigen Erlaß eines Wahlgesetzes als Verfassungsbruch. Auch erkannte er die von der Regierung einseitig wieder hergestellten Kreis- und Provinziallandtage nicht an und schied unter Verwahrung aus dem brandenburg’schen Provinziallandtage. Von der Stadt Prenzlau in die zweite Kammer des am 26. Februar 1849 zusammentretenden Landtags gewählt, zögerte er trotz jener seiner Verwahrung nicht, auf dem nunmehrigen Boden wieder wirksam zu werden. Er trat dem die Rechte bildenden Club der „Stadt London“ bei, welcher Männer der verschiedensten Richtungen umfaßte, die sämmtlich die octroyirte Verfassung anerkennen wollten und gehörte auch zum leitenden Ausschuß dieser Vereinigung. Als sich bald darauf Diejenigen. welche der Linken näher standen, unter Wentzel’s Führung als Centrum lostrennten, lehnte G. den Beitritt ab, wenngleich er diese Parteibildung billigte. Als Präsident dieser Kammer waren G. und v. Unruh, Grabow’s Nachfolger im Vorsitze der Nationalversammlung, in Frage; allein man wählte am 6. März und 2. April jedesmal mit 171 von 330 Stimmen G., weil er an dem Steuerverweigerungesbeschlusse der letzteren nicht Theil genommen. G. führte auch den Vorsitz in der Adreßcommission; man hätte ihn gern zu deren Berichterstatter bestellt, unterließ es aber, um seine Leitung der Adreßverhandlung im Plenum nicht zu entbehren. Er stimmte am 21. April für den von Rodbertus beantragten Beschluß auf Anerkennung der deutschen Reichsverfassung von 1849 als rechtsgültig und am 26. April 1849 für den von v. Unruh beantragten Beschluß, daß die Fortdauer des Belagerungszustandes über Berlin ohne Zustimmung der Kammern ungesetzlich sei, nicht aber für die beschlossene Aufforderung an die Regierung, den Belagerungszustand aufzuheben. Nachdem in Folge dieser Beschlüsse am 27. April 1849 die Kammer aufgelöst und im Mai ein neues Wahlgesetz octroyirt war, erhob G. gegen dieses Verwahrung. Dafür wurde er von der Reaction insofern verfolgt, als 1850 die Genehmigung seiner Wahl zum Oberbürgermeister von Magdeburg und dann die nach Ablauf der Amtszeit auf ihn, diesmal für Lebenszeit, gefallene Wiederwahl zum Oberbürgermeister von Prenzlau versagt wurde. Als ihn dann diese Stadt abermals auf zwölf Jahre wählte, ließ die Bestätigung 9 Monate auf sich warten; dann erfolgte sie durch königlichen, von keinem Minister gegengezeichneten Cabinetsbefehl. Der König schien zu fühlen, daß das Ministerium nicht wohl thue, G. wie die Mitglieder der Linken zu behandeln. In der Landtagssession von 1850 wurde G., wol mit Rücksicht auf sein Auftreten gegen die Octroyirung des Wahlgesetzes, nicht zum Präsidenten, sondern zum ersten Vicepräsidenten der zweiten Kammer gewählt, eine Stellung, welche er, zuerst neben Graf Schwerin, seit 1855 neben Simson als Präsidenten bis 1861 einnahm. Während dieser Zeit war er eifrig bemüht die verschiedenen liberalen Parteien zu vereinigen. Es gelang dies 1862, doch nannte sich die 95 Mitglieder zählende rechte Seite der Liberalen „Fraction Grabow“. Es trat nun der scharfe Conflict zwischen Regierung und Volksvertretung in der Militärfrage ein. In allen Stadien dieses Streites hat G., wie von allen Parteien zugegeben wird, als Präsident die Würde der Kammer gewahrt, sowie muthig und unerschütterlich den Standpunkt derselben geltend gemacht, besonders in seinen mehrfachen, am Beginn und Schluß der Sessionen gehaltenen Ansprachen über die innere Lage des Staates. In seiner Ansprache vom 20. Januar 1862 betonte G. hauptsächlich die Unzertrennlichkeit der dem Könige und der dem Volke zu bewahrenden Treue. „Möge es“, sagte er am [545] 20. Januar, „uns gelingen, durch endliche, feste Begründung des verfassungsmäßigen Rechtsstaats in Preußen die Zweifel und Widersprüche zu beseitigen, welche unseren, auf Deutschlands Einigung gerichteten, vom deutschen Volke lebhaft getheilten Wünschen zur Zeit noch hemmend entgegenstehen.“ Nach der am 6. März 1862 erfolgten Annahme des Antrags Hagen bezüglich des Etats wurde das Abgeordnetenhaus am 11. März aufgelöst. Unwillig hierüber, erließ der größte Theil der bisher ministeriellen constitutionellen Partei oder Fraction Grabow am 12. März ein Programm, wonach sie das liberale Ministerium fernerhin nur unter bestimmten Bedingungen unterstützen wollte. Allein das Ministerium Auerswald-Graf Schwerin trat zurück und an seine Stelle kam am 17. März das Ministerium Prinz Hohenlohe, welches sich nach den Neuwahlen vom 23. April einer feindseligen Kammer gegenüber sah. Da die Fraction Grabow bei diesen Wahlen eine Reihe von Mandaten an die Fortschrittspartei, welche sich am 14. März gebildet, verloren hatte, so ging sie am 22. Mai ganz auseinander. G. selbst, welcher in seiner Partei zuletzt für ein gutes Einvernehmen mit der Fortschrittspartei gestimmt hatte, wurde am 23. Mai mit 276 von 288 Stimmen zum Präsidenten der zweiten Kammer gewählt. In seiner Ansprache sagte er, das Princip der Einheit zwischen Fürst und Volk vernichte den in dieses hineingeworfenen Wahlruf: ob Königthum, ob Parlament. Während dieser Session gehörte G. zu dem Theil seiner bisherigen Fraction, welcher fortan den „freien parlamentarischen Verein“ oder die „Fraction Rönne“ bildete. Im weiteren Verlaufe jenes Streites übergab G. am 7. Juni 1862 an der Spitze einer Abordnung des Abgeordnetenhauses dem König Wilhelm eine Adresse; dieser betheuerte in seiner Antwort, daß er unverändert auf dem Boden der Verfassung und seines Programms von 1858 stehe. Bei Wiedereröffnung der Kammer am 14. Januar 1863 sprach G. sein tiefstes Bedauern darüber aus, daß der Streit immer größere Ausdehnung genommen und den Ausbau des Rechtstaats gehindert habe. „Bis zu den Stufen des Thrones", sagte er, „ist das Haus der Abgeordneten verdächtigt, verleumdet, geschmäht worden. Der Artikel 99 der Verfassung ist verletzt und nicht geschützt stehen wir einer budgetlosen Regierung gegenüber. Doch das Land ist seinen Vertretern zur Seite getreten“ etc. Aus einer großen Zahl preußischer Städte liefen bei G. Zustimmungs-Adressen zur Haltung der Kammer ein. Der zu dem allgemeinen Conflict noch getretene Streitfall über die Befugniß des Kammerpräsidenten, die Minister in der Rede zu unterbrechen, berührte, obwol er unter dem Vorsitze des Vicepräsideuten v. Bockum-Dolffs begonnen hatte, G. in erster Linie; er hatte am 15. Mai 1863 den betreffenden Briefwechsel mit dem Ministerpräsidenten zu führen. Am 27. Mai 1863, nachdem der König die Adresse des Abgeordnetenhauses entgegenzunehmen abgelehnt, nahm vor dem plötzlich angekündigten Sessionsschlusse Grabow’s Ansprache einen noch tragischeren Ton an. Er schließe die Session „in der festen Zuversicht, daß Preußens Volk, ohne die Bahn der strengsten Gesetzlichkeit auch nur einen Augenblick zu verlassen, sich in dem heftig entbrannten Verfassungskampfe um seine Verfassung und seine Vertreter schaaren und das Palladium seiner Rechte und Freiheiten gegen jede verfassungswidrige Octroyirung heilig halten und schützen werde.“ Das Abgeordnetenhaus des am 9. November 1863 eröffneten Landtags, während dessen G. nebst Genossen der bisherigen Fraction Rönne dem linken Centrum angehörte, setzte auch nach der Befreiung Schleswig-Holsteins die Opposition gegen das Ministerium Bismarck fort, lehnte den wesentlichsten Artikel des Militärgesetzes ab und verurtheilte durch Nichtbewilligung der Kriegskosten die deutsche Politik der Regierung, welche freilich auch jetzt noch nicht als der Anfang der späteren großartigen, patriotisch-deutschen Politik zu erkennen war. In der Thronrede zur Eröffnung des Landtags am [546] 14. Januar 1865 hatte der König den dringenden Wunsch nach einer Ausgleichung des schwebenden Streites erkennen lassen; allein die Mehrheit des Abgeordnetenhauses war andauernd verstimmt über die in Folge des Militärconflicts eingetretene innere Politik. Dieser Stimmung gab G. am 16. Januar bei Annahme der Präsidentenwahl in scharfer Weise Ausdruck. Er kennzeichnete die Grundlage für eine Verständigung und hielt der Regierung die Verfolgung der liberalen Presse, die Disciplinirung der liberalen Beamten, die Nichtbestätigung liberaler Communalwahlen etc. vor. „Man will“, sagte er, „das Abgeordnetenhaus zur Unterwerfung zwingen und damit der Verfassung die Lebensader unterbinden; aber das Gewissen des preußischen Volks und seiner erwählten Vertreter läßt sich durch keine Macht der Erde in der Heiligachtung der verfassungsmäßigen Rechte der Krone und des Volkes beugen.“ Es folgte bald darauf wieder die Ablehnung der Militärvorlagen. Bei Wiedereröffnung des Landtags am 15. Jan. 1866 hielt der Ministerpräsident v. Bismarck eine Ansprache, wonach die Regierung in Betreff der streitigen Punkte sich auch jetzt noch ablehnend verhielt, in der Form aber sich versöhnlich zeigte. Um so schroffer war Grabow’s Rede bei Uebernahme des Vorsitzes. Er sagte unter Anderem: „Das in der letzten Session aufgerollte Bild über die innere Lage des Staates hat sich seitdem noch mehr verfinstert. Der aus der gesetzlich nicht geordneten Armee-Organisation entsprungene Verfassungsconflict ist chronisch geworden ohne Verschulden dieses Hauses. Der politische Theil der Gesetzgebung ist gänzlich zum Stillstand gebracht. Nimmermehr werden Preußens Volk und dessen Vertreter auf die Forderung einer rückhaltlosen und gewissenhaften Ausübung seines beschworenen Rechtes verzichten.“ Die dieser Rede entsprechende Haltung des Abgeordnetenhauses führte am 23. Februar 1866 zum Schluß des Landtags. Wie Bismarck’s Begründung dieser Maßregel und die Reden, welche er seit 1863 beim Beginn und Ende des Landtags im Abgeordnetenhause hielt, den präcisesten Ausdruck des Standpunktes der preußischen Regierung, so bildeten die gerade entgegengesetzten verschiedenen Ansprachen Grabow’s den vollkommensten Ausdruck der Anschauungen der Fortschrittspartei in dem preußischen Verfassungsstreite. Als nach dem deutsch-österreichischen Kriege von 1866 der preußische Landtag im August wieder zusammentrat, erklärte G. sofort, er lehne behufs Erleichterung einer Verständigung des Abgeordnetenhauses mit der Regierung von vorn herein die Wiederwahl zum Präsidenten ab. Damit schied er aus dem parlamentarischen Leben, versöhnt, wie so Manche, durch die großen Erfolge der nunmehr vollständig enthüllten neuen deutschen Politik Preußens. Seine vortrefflichen Eigenschaften als Mann des allgemeinen Vertrauens und billiger Vermittelung, sein Gerechtigkeitssinn und seine Humanität sind auch in den Streitigkeiten der sechziger Jahre von allen Seiten anerkannt worden.

R. Haym, Reden und Redner des ersten vereinigten preuß. Landtags, Berl. 1847; Die preuß. Revolution seit d. 7. Sept. u. die Contrerevolution seit d. 10. Nov., Tagebuch von A. Ruge, Leipz. 1848 S. 33; Deutsche Chronik für d. J. 1848, Berl. 1849; Rückblicke auf d. preuß. Nat.-Vers. v. 1848 u. ihre Korphäen, Berl. 1849 S. 8; v. Unruh, Skizzen aus Preußens neuester Geschichte, Magdeb. 1849 S. 70; R. Gneist, Berliner Zustände, Polit. Skizzen a. d. Zeit v. 18. März 1848 bis 18. März 1849, S. 4, 65 u. 79; Das Ministerium Brandenburg u. d. Fraction Unruh, v. H. v. Gauvain, Potsd. 1849 S. 18–23, 352, 372 u. 496; A. Stahr, Die preuß. Revol. Oldenb. 1850, S. 267, 603, 618; Ad. Wolff, Berliner Revolut.-Chronik, Bd. III (Berl. 1854) S. 70; R. Walter, Parlamentarische Größen, Bd. II (Berl. 1851), S. 19; Das Mißtrauensvotum der zweiten Kammer, von einem Namenlosen, Berl. 1850; Gegenwart, Leipz., Brockh., Bd. II (1849) [547] S. 585, Bd. III (1849) S. 217, 225, 243 u. Bd. IV (1850) S. 615 u. 619; H. V. v. Unruh, Erfahrungen aus d. letzten 3 Jahren, Magdeb. 1851 ; Schmidt-Weißenfels, Preuß. Landtagsmänner, Bresl. 1862; Unsere Tage, Blicke a. d. Zeit in d. Zeit, Bd. V, 2. Folge, Braunschw. 1864 S. 32 u. Bd. VI (Braunschw. 1865) S. 555; Unsere Zeit, Neue Folge, Bd. X, 2. Hälfte, S. 565; National-Ztg. Nr. 13 v. 9. Jan. 1863 u. Nr. 176 v. 16. April 1874; L. Parisius, Deutschlands politische Parteien und das Ministerium Bismarck, Bd. I (Berlin 1878) S. 3, 9, 16, 52, 61.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Biick