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ADB:Gressly, Amanz

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Artikel „Greßly, Amanz“ von Wilhelm von Gümbel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 642–644, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gressly,_Amanz&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 23:21 Uhr UTC)
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Greßly: Amanz G., ein hervorragender Schweizer Geologe, ist geboren am 17. Juli 1814 zu Schmelz der Einung Bärschwyl im solothurnischen Jura, als Sohn eines Glashüttenbesitzers. G. zeigte schon in seiner frühesten Jugend außergewöhnliche Begabung und Neigung zur Natur. Es verrieth sich dies durch den Eifer, mit welchem der wilde Knabe die Berge durchstreifte, Steine sammelte und nach ihrem äußeren Aussehen zu ordnen versuchte. Als er später das Gymnasium in Solothurn besuchte, betrieb er auch die classischen Studien mit ähnlichem Fleiß, ohne inzwischen seine Vorliebe zur Naturwissenschaft aufzugeben, vielmehr wußte er an der Hand von Schubert’s Naturgeschichte hierin gleichfalls sich vorzügliche Kenntnisse anzueignen. Ein bei seinem Abgange vom Gymnasium von ihm verfaßtes lateinisches Gedicht, in dem nach Art der Schiller’schen Glocke die Glasfabrikation verherrlicht war, erregte damals die allgemeine Bewunderung. 1831 bezog G. das Lyceum in Luzern, wo ihn besonders Professor Baumann durch Vorträge und persönlichen Umgang anzog und seine Bildung förderte. Schon damals trat seine rauhe und fast verwilderte Natur, die es völlig vergaß, irgend Sorgfalt auf das Aeußere zu verwenden, bemerklich hervor. Dies mag mit ein Grund gewesen sein, daß nach nur einjährigem Aufenthalte in Luzern die weitere Ausbildung Greßly’s der Obhut der Jesuiten in Freiburg anvertraut wurde, wo sein unbändiger Charakter ihn zu manchem tollen Streich verleitete. Auch hier blieb G. nur ein Jahr und bezog nun, nachdem er in Pruntrut zur Erlernung der französischen Sprache noch einige Zeit verweilt hatte, die Universität Straßburg, um den medicinischen Studien sich zu widmen. Neben seinen medicinischen Collegien waren es hier aber besonders die geologischen von Voltz und Thirria, die ihn anzogen und begeisterten, um so mehr als ihm diese Forscher öfters gestatteten an ihren geologischen Streifzügen Theil zu nehmen. Hier war es auch, wo G. an dem später berühmten Geologen Jac. Thurmann einen gleich strebsamen und gleichgesinnten Genossen fand und mit ihm innigste Freundschaft schloß. So wurde die Medicin nach und nach ganz vergessen. In seine Heimath zurückgekehrt, durchstreifte G., Wind und Wetter Trotz bietend, in nichts weniger als wohlgehaltener Kleidung das Juragebirge kreuz und quer, um geologische Forschungen anzustellen und Versteinerungen zu sammeln, mit denen er bald das väterliche Haus füllte. Als Agassiz einmal nach der Schmelz in das Vaterhaus kam und diese wohlgeordnete und mit großem Verständniß angelegte Sammlung sah, erkannte er sofort die außergewöhnliche Befähigung Greßly’s für geologische Untersuchungen und lud ihn ein nach Neuchatel überzusiedeln, was 1839 geschah. Hier arbeitete nun G. neben E. Desor[WS 1] und Karl Vogt, denen er sich aufs engste anschloß, emsigst. Bereits hatte er ein reiches Material gesammelt, das er zu einer ersten vortrefflichen Publication „Les observations géologiques sur le Jura saleurois“ in den Denkschriften der Schweiz. Naturf. Gesellschaft 1841 benutzte. Im unmittelbaren Anschlusse an die classische Arbeit Thurmann’s beschrieb G. darin mit bewunderungswürdiger Treue und Schärfe zuerst die Beschaffenheit der verschiedenen auftretenden Gesteinsarten und ihre Entstehung aus einem früheren Meere, dann die Hebung dieser Ablagerungen aus der Tiefe zu Bergketten und Hochflächen und schildert endlich die Veränderungen, welche die Gegend nach der Zusammenfaltung der Gebirgsschichten betroffen haben. G. war wol der erste, dessen Scharfblick nicht entging, daß dasselbe Schichtensystem nicht an allen Orten seiner Verbreitung dieselbe Beschaffenheit besitzt, sondern an verschiedenen Orten verschiedenes Aussehen annimmt, selbst verschiedene Versteinerungen beherbergt. Diese örtliche Entwicklungsart gleichalteriger Bildung nannte er „Facies oder aspect de terrain“ und unterschied z. B. ein Korallenfacies, d. h. Schichten mit Korallenresten, welche an einer anderen Stelle durch eine Schlammfacies [643] mit Versteinerungen von frei im Meere sich bewegenden Thiere, wie Myaciten etc. vertreten sind. G. verstand es überdies, seine Anschauungen durch gelungene Skizzen und Bilder zu veranschaulichen und war ein Meister in der Kunst, die Gebirgsverhältnisse durch Profilzeichnungen klar zu machen. Dieses Werk allein sichert G. einen dauernden Namen in der geologischen Wissenschaft. Der außergewöhnliche Aufwand von körperlichen und geistigen Anstrengungen gab die nächste Veranlassung zu einer allerdings nur vorübergehenden Geistesstörung, bei welcher die freie Anschauung des Naturforschers mit der strengen kirchlichen Lehre, in der G. erzogen war, in einen heftigen Kampf gerieth. Nachdem er sich von diesem Leiden rasch wieder erholt hatte, konnte G. bald die frühere Thätigkeit aufs neue aufnehmen, die im Jahre 1852 hauptsächlich auf die Erforschung des aargauischen Jura gerichtet war. Je tiefer er sich aber in seine Studien versenkte, um so mehr entfremdete er sich bei seiner Neigung, sich gehen zu lassen, den Gewohnheiten und Gebräuchen, wie sie im Gesellschaftsleben beobachtet zu werden pflegen, er verwilderte mehr und mehr, so daß es selbst seinem Freunde Desor nur schwierig gelang, ihn in seinem Hause, das ihm eine gastliche Stätte bot, zu den gewöhnlichen Umgangsformen zurückzuführen. Trotzdem wurde G. damals bei zahlreichen Unternehmungen, bei denen es sich um geologische Beurtheilung handelte, z. B. Eisenbahnbauten, Bergwerksunternehmen etc. zu Rath gezogen. Sein Ausspruch traf in der Regel das Richtige. Bei dem vielgenannten Hauenstein-Tunnel hatte G. mit meisterhafter Genauigkeit durch ein Profil die Gebirgsverhältnisse klargelegt und als es in Folge der Tunnelanlage wegen Quellenabgrabungen zu einem Proceß kam, war Greßly’s Ausspruch als Experte der ausschlaggebende. Das allgemeine Vertrauen zu seinem geologischen Scharfblick berief ihn daher zu zahlreichen Ausarbeitungen bei Eisenbahnanlagen und das von ihm verfertigte Tunnelprofil bei la Chaux de Fonds fand selbst in England die größte Anerkennung. Mit Desor gemeinschaftlich bearbeitete er die geologische Beschreibung des Kantons Neuenburg: „Etudes géologiques sur le Jura neuchatelois“. Ein lang gehegter Wunsch ging 1859 in Erfüllung, als er mit Desor eine Reise nach Cette an das Mittelmeer unternehmen konnte, um hier vergleichende Studien der jetzt lebenden Meeresbevölkerung und der verschiedenen Bedingungen ihrer Existenz und Vergesellschaftung mit jener der früheren Perioden der Erde zu machen. „Die Erinnerungen eines Naturforschers aus Südfrankreich“ schildern in lebhafter und launiger Weise die Resultate dieser tiefgehenden Forschungen. Im Jahre 1861 wurde er mit C. Vogt von Dr. Berna zu einer Reise nach dem hohen Norden eingeladen. Bei dieser Reise fand G. am Nordcap, in Island und den berührten nordischen Gegenden reichlich Gelegenheit, ähnliche Studien, wie bei Cette, anzustellen, worüber C. Vogt ausführlich berichtet hat. Nach der Schweiz zurückgekehrt, beschäftigte G. sich wieder mit Specialstudien im Jura. Zunächst durchforschte er im Auftrage der Schweizer geologischen Commission in Begleitung mehrerer jüngerer Geologen, wie C. Mösch[WS 2], Waagen[WS 3] und A. Schlönbach, die Juraablagerungen durch die aargauischen, solothurnischen, bernischen bis zu den neuenburgischen Gebirgen, um die damals lebhaft behandelte Streitfrage über die Stellung des „Corallien“ als Faciesbildung und die tithonische Stufe der Entscheidung näher zu bringen. Der von G. hierüber gelieferte Bericht ist jedoch nicht im Drucke erschienen. Alsdann nahm er die geologische Untersuchung der durch den Berner Jura anzulegenden und angelegten Eisenbahnen wieder auf, mit deren Abschluß er beschäftigt war, als sich aufs neue die frühere Geistesstörung zeigte, deren Folgen G. am 13. April 1865 zu Waldau erlag. Sein Grab ist auf dem St. Niclaus-Friedhof in Solothurn mit einem Denkstein geziert, der die zutreffende Inschrift trägt:

[644] Gresslius interiit lapidum comsumptus amore
 Undique collectis non fuit hausta fames;
Ponimus hoc saxum; me hercle! totus apertus
 Gresslius hoc saxo nunc satiatus erit.


Fr. Lang, Lebensbilder eines Naturforschers, Solothurn 1873.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Pierre Jean Édouard Desor (* 13. Februar 1811 in Friedrichsdorf; † 23. Februar 1882 in Nizza), deutscher Geologe hugenottischer Abstammung, erhielt 1859 das Schweizer Bürgerrecht.
  2. Casimir Mösch (* 15. Februar 1827 in Frick (Aargau); † 18. August 1899 in Zürich), Schweizer Geologe und Stratigraf.
  3. Wilhelm Heinrich Waagen (* 23. Juni 1841 in München; † 24. März 1900 in Wien), deutscher Geologe und Paläontologe.