Zum Inhalt springen

ADB:Henne, Anton

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Henne, Anton“ von Hermann Wartmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 763–766, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Henne,_Anton&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 01:45 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Henn, Alexander
Band 11 (1880), S. 763–766 (Quelle).
Josef Anton Henne bei Wikisource
Anton Henne in der Wikipedia
Anton Henne in Wikidata
GND-Nummer 118886649
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|11|763|766|Henne, Anton|Hermann Wartmann|ADB:Henne, Anton}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118886649}}    

Henne: Anton H., Historiker und Politiker, geb. den 22. Juli 1798 zu Sargans im Canton St. Gallen, gest. den 22. November 1870 in Haslen bei Wolfhalden, Canton Appenzell AR. Die Großeltern von H. waren als einfache Landleute aus dem bairischen Allgäu nach dem Städtchen Sargans gezogen, damals noch dem Sitz eines eidgenössischen Landvogts. Der talent- und phantasievolle Anton – Sohn eines Schneiders, wie sein Zeitgenosse G. J. Baumgartner (s. d. A.) – wurde schon mit dem 12. Lebensjahre in das benachbarte Benedictinerkloster Pfävers gebracht, um dort zum künftigen Klosterbruder erzogen zu werden, dem Höchsten, was sich die Eltern denken mochten. Wol gelang es würdigen, milde gesinnten Lehrern, das empfängliche Gemüth des Knaben mit schwärmerischer Hingabe an den ihm bestimmten Beruf, an die Lehren und den Cultus der katholischen Kirche zu erfüllen; allein in dem mit 17 Jahren ergriffenen Noviziat brach der jugendliche Lebens-, Thaten- und Wissensdrang mit aller Macht über den Jüngling herein und trieb ihn nach zweijährigen harten, inneren Kämpfen (am 22. Juli 1817) aus den Klostermauern heraus. Mit Wonne stürzte sich H. nun zuerst an dem Lyceum in Luzern, dann an den Hochschulen von Heidelberg und Freiburg i. B. in sprachliche, geschichtliche und philosophische Studien. Die Blütezeit der Romantik nahm das ganze Sinnen und Denken des ehemaligen Klosterschülers gefangen und hat ihm für sein ganzes Leben ihren Stempel aufgedrückt. Mit besonderem Nachdruck nennt er sich später einen Schüler von Creuzer und Hug. Daneben aber ließ er alle starken Geister auf sich wirken und preist in einem Zuge Müller und Raumer, Görres und Karl Ludwig Haller, Schelling und Oken und noch manch Andern als erhabene Vorbilder und neue Propheten. Den besten alten und neuen Meistern deutscher Dichtkunst hat er in einem Bändchen „Lieder und Sagen aus der Schweiz“ (erste Aufl. 1826, zweite 1827) oft mit entschiedenem Glücke nachgeeifert. Einen weniger glücklichen Griff that er mit dem National-Heldengedicht „Diviko und das Wunderhorn oder die Lemanschlacht“ (1826), einem unförmlichen, rasch vergessenen Werke. Als H. diese dichterischen Versuche veröffentlichte, war er Lehrer der Geschichte an dem Fellenbergischen Institute in Hofwyl von 1823–1826. In dem letzteren Jahre übersiedelte er nach St. Gallen und erhielt hier als Stiftsarchivar die urkundlichen Schätze der 1805 aufgehobenen Benedictinerabtei unter seine Verwaltung. Aufgemuntert und unterstützt von seiner Oberbehörde, dem katholischen Administrationsrathe, machte er sich sofort an die Ausarbeitung der „Neuen Schweizerchronik fürs Volk“, die besonderes der volksthümlich radicalen Geschichtschreibung von Zschokke entgegen wirken sollte. Im J. 1828 erschien der erste Band (bis 1400) in streng katholischer Auffassung von Kirche und Staat. Begreiflich, daß der Verfasser dadurch viele Angriffe auf sich zog. Zu deren Abwehr veröffentlichte H. (1829) unter dem Titel „Ansichten eines Obscuranten über Katholicismus und Protestantismus“ eine glänzend beredte Vertheidigung seiner Lebens- und Weltanschauung, – ohne Frage weitaus das bestgeschriebene seiner zahlreichen Bücher. Sich mit Zschokke persönlich auseinander zu setzen (durch den „Offenen Brief an Herrn Forst- und Kirchenrath Zschokke“), gab es im folgenden Jahre Veranlassung, als Zschokke in seinem „Schweizerboten“ den von H. seit Anfang 1830 (bis 1838) herausgegebenen „Freimüthigen“ nicht eben freundlich bewillkommt hatte. Mit diesem Wochenblatte stellte sich H. in die Reihen Derer, welche zuerst innerhalb des Rahmens der Cantons-Verfassung [764] von 1815 freiere Bewegung verlangten, bald aber diese Verfassung selbst durch eine volksthümlichere zu ersetzen strebten und in den letzten Monaten des verhängnißvollen Revolutionsjahres die Wahl eines eigenen Verfassungsraths durchsetzten. H. wurde von einer Gemeinde seines Sarganserlandes in diese Behörde gewählt und erwies sich gleich in den ersten Sitzungen als einer ihrer bedeutendsten und einflußreichsten Redner. Es darf dem Manne die Anerkennung nicht versagt werden, daß er den bedeutenden Einfluß, den er damals durch sein geschickt redigirtes Zeitungsblatt und durch seine Beredtsamkeit im Rathe besaß, im Ganzen besonnen und verständig zur Geltung gebracht hat; obschon er in mancher Forderung der Zeit weit vorauseilte und seine Worte oft recht phantastisch klangen. Mochte es Manchen höchst überflüssig erscheinen, daß er unverzüglich nach dem Beschlusse einer Revision der Verfassung „im Vereine mit Freunden der Freiheit und des Volkes“ die von allen Seiten her laut werdenden „Volkswünsche“ in besonderer Veröffentlichung zusammenstellte und sodann eine besondere Ausgabe der Verhandlungen des Verfassungsraths folgen ließ, so erwarb er sich ohne Zweifel ein wirkliches Verdienst um den Kanton St. Gallen, als er in dem scheinbar unversöhnlichen Kampfe zwischen den Vertretern der reinen Demokratie und des reinen Repräsentativsystems in dem Verfassungsrathe das Veto oder – wie jetzt in der Schweiz gesagt wird – das facultative Referendum in Vorschlag brachte und damit den beinahe einzig möglichen Ausweg aus dem erbitterten Streite eröffnete. Es fehlte wenig, so wäre H. in Folge seiner hervorragenden Mitwirkung an dem Verfassungswerk von 1831 in die neue Regierung erhoben worden. Wirklich übertragen wurde ihm die Stelle eines Präsidenten des katholischen Erziehungsraths (1833), in welcher er sofort unter dem Namen „Der Gärtner“ eine schweiz. allgemeine Kirchen- und Schulzeitung gründete (1833–1836). In dem gleichen Jahre erschien auch der 2. Band seiner „Neuen Schweizerchronik“ (1400–1519), dem schon im folgenden Jahre der dritte folgte (1519–1833). Die gründliche Umwandlung oder Abklärung, welche durch die lebhafte Betheiligung an den politischen Kämpfen in dem Geschichtsschreiber H. vor sich gegangen war, offenbart sich nirgends deutlicher, als in dem kurzen Vorwort zu dem dritten Bande. Nach diesem sollte die Bedeutung des zweiten Bandes hauptsächlich darin liegen, daß er den Katholiken „den Abgrund zeige, in den sie taumeln werden, wenn sie nicht auf dem Pfade von 1413 und 1431 beharrlich fortkämpfen“, und daß der dritte Band die Darstellung „des gewaltsamen Durchbruchs der lange eingedämmten Menschenkraft, 1519 durch die Reformation und seit 1653 (schweiz. Bauernkrieg), besonders aber seit 1798 durch die Revolution“ enthalte. Weil diese letzte Periode dem Volke noch so fremd sei, wurde sie unter dem Titel „die schweiz. Revolution von 1798–1831“ gleichzeitig auch besonders herausgegeben. Mit einem feurigen Aufruf an die gesammte Nation zur Erklärung eines neuen Bundes aller Völkerschaften vom Rheine bis zum Jura durch selbstgewählte tugendhafte Männer schloß jenes Vorwort. Das Autoritätsprincip auf kirchlichem und weltlichem Gebiete war von H. im Verlaufe dieser paar Jahre vollständig an dasjenige der freien Selbstbestimmung im weitesten Sinne vertauscht worden. Als Solcher übernahm nun H. im J. 1834 die Professur der Geschichte und Erdkunde an der in seinem Sinne neu organisirten katholischen Kantonsschule, ohne jedoch deswegen seine eifrige politische Thätigkeit als Zeitungsschreiber und Mitglied verschiedener Behörden aufzugeben, und vertiefte sich dazu in die gewagtesten Speculationen über die älteste Geschichte der Menschheit. Im J. 1837 erschien das Ergebniß dieser Speculationen in einem kleinen Büchlein mit dem übermäßig langen Titel: „Die Faraone Aegyptens nach dem ägyptischen, assürischen, sikyonischen, argischen, attischen, kretischen, ilischen, thebischen und küprischen Kanon neu hergestellt“. [765] Die große Entdeckung Henne’s, die nach seiner Ansicht nur durch die Mißgunst der Kritiker nie zu der verdienten Anerkennung gelangt ist, bestand darin, daß er durch willkürliche Combination aller sagenhaften Königsreihen der vorderasiatischen und griechischen Vorgeschichte mit den überlieferten ägyptischen Königsreihen die 30 Dynastien oder 375 Pharaone des Manetho glücklich herausbrachte und ganz Vorderasien und Griechenland bis zum Auftreten der Perser und zur dorischen Wanderung in einem alten Großägypten aufgehen ließ. Der Widerspruch dieser geschichtlichen Phantasien mit der ganzen bisherigen profanen und besonders mit der alttestamentlichen Ueberlieferung gab den Gegnern Henne’s erwünschte neue Angriffspunkte, und das gerade in einer Zeit, in welcher die kirchlich-katholische Partei sich unverkennbar wieder allseitig stärkte und in der Behörde, welche die katholische Kantonsschule leitete, immer mehr Boden gewann. Schon befand sich H. im offenen Kriegszustande mit derselben, als ihm die Zürcherische Bewegung gegen die Berufung von David Strauß an die Hochschule Veranlassung gab, in zwei offenen Sendschreiben an das Zürcherische Volk und an den Zürcherischen Großen Rath des Entschiedensten Partei für Strauß zu ergreifen (1839). Zu dem Allen kam im folgenden Jahre eine neue Auflage der Schweizerchronik (abgeschlossen 1842), in welcher nicht bloß die Entdeckungen über das inzwischen „am hochländischen Rheine“ aufgefundene europäische Urvolk und über die Faraone am Nil den weitesten Kreisen vorgelegt wurden, sondern selbstverständlich auch die frühere Auffassung der mittelalterlichen, staatlichen und kirchlichen Verhältnisse gänzlich auf den Kopf gestellt war. Es bedarf keiner weiteren Erklärung mehr, warum es nach fast zweijährigen, vorangegangenen Reibungen endlich zum vollständigen Bruche zwischen der erneuerten Erziehungsbehörde und Professor H. kommen mußte. Im August 1841 wurde diesem auf den Ablauf seiner Amtsdauer (October 1842) die Entlassung von seiner Stelle angekündigt und ihm bis dahin schon jetzt der Unterricht in gewissen Fächern und Klassen entzogen. Darauf legte H. seine Professur ohne Zögern gänzlich nieder und appellirte an die Oeffentlichkeit durch die Druckschrift „Dr. Henne’s Vertreibung von der katholischen Kantonsschule in St. Gallen“ (1841). Auf eine neue Anstellung hatte H. nicht lange zu warten. Schultheiß Neuhaus berief ihn als außerordentlichen Professor der Geschichte an die junge Hochschule Bern, wo die ebenfalls von Neuhaus berufenen Gebrüder Snell sehr erfolgreich daran arbeiteten, „die Wissenschaft, insbesondere die politische, zu demokratisiren und aus Naturburschen möglichst rasch Politiker heranzubilden, wie sie der gewaltthätige letzte Schultheiß von Bern wünschte und bedurfte“. Es versteht sich, daß H. sich ebenfalls dieser Partei anschloß und auf seine Weise für sie arbeitete. Zu einer hervorragenden politischen Rolle brachte er es aber neben den kräftigen und rücksichtslosen Führern des Bernischen Radicalismus nicht. Sie ließen sich seine Beihülfe in den heftigen Parteikämpfen wohl gefallen; aber gerade sie waren es, die ihn im Frühjahr 1855 durch kränkende Behandlung zum schleunigen Rücktritt von seiner Stelle veranlaßten. Die 13 in Bern zugebrachten Jahre werden nicht zu den glücklichsten in Henne’s Leben zu zählen sein. Auch die schriftstellerische Thätigkeit während derselben hatte wenige Früchte gezeitigt. Eine auf 9 Bücher angelegte „Allgemeine Geschichte von der Urzeit bis auf den heutigen Tag“ war bei den zwei ersten, im J. 1845 veröffentlichten Büchern stecken geblieben. Als dritte Abtheilung der „Pragmatischen Erzählung der kirchlichen Ereignisse in der katholischen Schweiz von der helvetischen Revolution bis auf die Gegenwart von L. Snell, Ch. W. Glück und A. Henne“ hat H. eine „Geschichtliche Darstellung der kirchlichen Vorgänge in der katholischen Schweiz von 1830 bis auf unsere Tage“ veröffentlicht. Am meisten Befriedigung wird ihm in Bern, wie s. Z. in St. Gallen, die Wirksamkeit als Lehrer geboten [766] haben; die leicht begeisterte Jugend wußte er in der That in hohem Grade an sich zu fesseln. In St. Gallen, wohin sich H. mit seiner Familie von Bern zurückzog, öffnete sich ihm durch einen Systemwechsel zunächst die Stelle eines Stiftsbibliothekars, und als er diese Stelle in Folge eines abermaligen Systemwechsels verlor (1861), diejenige eines Secretärs des Erziehungsdepartements. Daneben machte er einen vergeblichen Versuch, seinen frühern „Freimüthigen“ noch einmal ins Leben zu rufen; betheiligte er sich, wenn auch meist nur im Gefolge inzwischen emporgekommener jüngerer Kräfte, immer noch eifrig an politischen Versammlungen, und schriftstellerte fleißig. Im J. 1857 erschien unter dem Titel „Schweizergeschichte für Volk und Schule“ eine vierte Bearbeitung seiner Schweizerchronik (die zweite war zwar erst zum kleinern Theile vergriffen und die für das Sammelwerk von Heeren und Ukert bestimmte dritte blieb in der Feder stecken). Im J. 1861 folgte die ungeordnete Veröffentlichung einer unter anderm Namen schon längst bekannten Compilation spät mittelalterlicher Schweizerchroniken als „Klingenberger Chronk, wie sie Schodoler, Tschudi, Stumpf, Guilliman und Andere benutzten“, mit dem Anspruche, in dieser sog. Klingenberger Chronik eine ganz neue Grundlage für die ältere Schweizergeschichte aufgefunden zu haben; während das Neue an der Veröffentlichung sich auf den allerdings werthvollen Nachweis beschränkte, daß Tschudi das in seinem Besitz befindliche Exemplar dieser Compilation unter dem Namen „Klingenberg“ citirt und also „offenbar deren Abfassung einem Klingenberg zugeschrieben hat. Im J. 1865 endlich suchte H. unter dem Titel „Manethos, die Origines unserer Geschichte und Chronologie“ noch einmal seine Combinationen über die Pharaonen und die europäischen Urvölker zur Anerkennung zu bringen. Nebenher gingen belletristische Versuche, Novellen aus der ältesten Landesgeschichte und politische Broschüren. Es darf indeß wohl gesagt werden, daß sich H. als Politiker und Schriftsteller selbst überlebt hatte, als er im Juni 1870 sein Amt niederlegte und sich nach dem schön gelegenen Haslen am sog. Luzenberg bei Wolfhalden zurückzog. Daß aber sein schon am 22. November desselben Jahres erfolgter Tod zu keiner eingehenden Darstellung seiner vielseitigen und zeitweise recht eingreifenden Thätigkeit Anlaß gegeben hat, das findet seine Erklärung doch nur in den großen Zeitereignissen, mit denen sein Scheiden zusammenfiel.