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ADB:Herberstein, Sigmund Freiherr von

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Artikel „Herberstein, Siegmund“ von Ludwig Geiger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 35–39, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Herberstein,_Sigmund_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 13:01 Uhr UTC)
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Herberstein: Siegmund, Freiherr von H., geb. am 23. August 1486 zu Wippach in Krain, gest. in Wien am 28. März 1566, Staatsmann und Historiker, hat über sein Leben und seine Zeit in seiner Selbstbiographie und seinen großen historischen Schriften ausführliche und höchst merkwürdige Mittheilungen gemacht. In seiner Kindheit war er so schwach, daß er von seinen Eltern nach dem Wallfahrtsort Loreto geschickt wurde; gesund zurückgekehrt, wurde er zuerst in Lonsbach [36] unterrichtet, wo er deutsch und slavonisch lernte, 1495 nach Gurk gebracht, wo er von dem Domherrn Weltzer treffliche Pflege und Unterricht erhielt, 1497 nach Wien. Schon drei Jahre später hatte er, trotz der Spöttereien seiner Standesgenossen, seine Studien soweit geführt, daß er Bakkalaureus wurde, und wahrte seinen Lehrern, besonders dem von ihm sehr gerühmten Georg Ratzensperger, treue Anhänglichkeit. Von Wien kehrte er nach Wippach zurück, besorgte für seinen Vater manche Angelegenheiten, versuchte 1509 die seinem Hause gehörige Herrschaft Mährenfels in Istrien, die mit allen daselbst gelegenen Besitzungen Maximilians an Venedig gefallen war, zurückzuerlangen, betheiligte sich in demselben Jahre in kaiserlichen Diensten an dem Feldzuge gegen Venedig und erwarb sich, besonders durch die Vertheidigung Mitterburgs großen Ruhm. Diesen Ruhm vermehrte er 1514, als er, mit der „Streitfahne“ beehrt, die Festung Maran in Friaul entsetzte; zur Belohnung dafür wurde er von dem Kaiser zum Ritter geschlagen, zu seinem Rathe ernannt und zu einer Reihe von diplomatischen Aufträgen verwendet. 1516 ging er nach Dänemark, um den König Christian II. zu einer besseren Behandlung seiner Gemahlin Isabella, der Enkelin Maximilians zu bewegen, vollzog seinen Auftrag mit großer Kühnheit, wurde ehrenvoll behandelt, richtete aber nichts aus. Kaum zurückgekehrt, wurde er nach der Schweiz geschickt und unmittelbar darauf trat er seine erste große Reise nach Polen und Rußland an (1516–1518). Diese Gesandtschaft hatte den doppelten Zweck, das zwischen Maximilian und dem König von Polen geschlossene Bündniß durch eine Heirath zu befestigen und den Czar Wassilij Iwanowitsch gegen Polen freundlicher zu stimmen. Der erstere Zweck gelang vollständig (König Sigismund heirathete die Prinzessin Bona von Mailand), der letztere mißlang, denn die gleichfalls nach Moskau erforderten polnischen Gesandten, welche ihren König wegen der von diesem vorgenommenen Belagerung von Opotschka vertheidigen sollten, traten weit mehr als Ankläger denn als Vertheidiger auf, so daß statt eines besseren Einverständnisses nur größere Feindschaft die Folge der Unterhandlungen war. Der Werth der Herbersteinschen Reise aber besteht nicht in den etwaigen diplomatischen Erfolgen, sondern in den Berichten, welche der Gesandte über Rußland machte, Berichte, welche von Maximilian mit größtem Interesse stundenlang angehört wurden und welche auch heute noch großen culturhistorischen Werth beanspruchen. Die Reise war schwierig und gefahrvoll: Von Krakau nach Wilna dauerte sie 21 Tage, von Wilna nach Nowgorod ebensolange (freilich forderte der Fuhrmann für die erstere Strecke einschließlich aller Nebenkosten nur 8 polnische Gulden), von Nowgorod bis Moskau mußte die Reise theils zu Pferde, wobei man den Entgegenkommenden ruhig die Pferde wegnahm, sobald man mit den seinigen unzufrieden war, theils zu Wasser gemacht werden. Als vor den Thoren Moskaus H. von den Beamten des Czaren willkommen geheißen wurde, mußte er den Gruß stehend anhören; so oft bei der Audienz der Name Maximilians ausgesprochen wurde, erhob sich der Czar; von Herbersteins Rede wollte der Dolmetscher nur zwei, höchstens drei Worte auf einmal übersetzen; bei der der Audienz folgenden Mahlzeit, die 4 bis 5 Stunden dauerte, wiederholte sich das Ehrenbezeigungen bekundende Aufstehen so oft, daß H. „ganz müde und machtlos in den Knieen“ wurde; am Schlusse ließ der Czar den Anwesenden große Becher reichen und von Allen a tempo auf Maximilians Wohl austrinken. Auch sonst wurde H. glänzend bewirthet (er hat das Verzeichniß der Thiere und Vorräthe hinterlassen, welche täglich in seine Küche geliefert wurden); als er einmal selbst etwas einkaufen ließ, mußte er hören, daß man dies als Beleidigung auffaßte. Trotz der vorzüglichsten Behandlung, die man ihm gewährte, war man dennoch zurückhaltend; bei Anfragen und Erkundigungen mußte er sehr vorsichtig sein und begegnete [37] öfter, als ihm lieb war, ängstlichem Achselzucken und mißtrauischen Blicken. Am 18. November 1517 reiste er von Moskau ab und war am 20. Febr. 1518 wieder in Wien. Die folgenden Jahre brachten neue Ehren und neue Reisen. Im Auftrage der Landstände von Steiermark ging er über Italien (von Rom nach Barcelona brauchte er widriger Winde wegen drei Monate) zu dem neuen König Karl, wurde von diesem ausgezeichnet und kehrte über Südfrankreich und Norditalien in etwa 7 Wochen nach Villach zurück. Auch unter Karl V. und dessen Bruder Ferdinand blieb H. der zu diplomatischen Reisen gern verwendete Beamte; während der Jahre 1521–1525 wurde er nach Worms, Schwaben, den Niederlanden, Nürnberg, Böhmen, Ungarn geschickt. Er erhielt mannigfache Ehren, so die Berechtigung, das österreichische und castilische Wappen neben dem seinigen führen zu dürfen; 1523 heirathete er, aber seine Ehe blieb kinderlos. Von großer Bedeutung ist seine zweite Gesandtschaftsreise nach Rußland (1526, 1527), deren Veranlassung theils die Erwiderung der Gesandtschaft war, welche der Czar zur Beglückwünschung Karls geschickt hatte, theils der noch immer unerfüllte Wunsch, einen Frieden zwischen Polen und Rußland zu Stande zu bringen. Der König von Polen, der H. übrigens jetzt die 1000 Gulden auszahlen ließ, die er ihm früher für das Zustandebringen der Hochzeit mit der Prinzessin Bona versprochen hatte, war ursprünglich unzufrieden, da er die Einmischung der Deutschen in die polnisch-russischen Angelegenheiten für eine Beeinträchtigung seiner Souveränetätsrechte hielt, ließ sich aber besänftigen und nahm, nachdem aufs Neue polnische Gesandten nach Moskau gefordert worden waren, den durch Herbersteins Vermittlung auf 5 Jahre geschlossenen Waffenstillstand freudig an. So war diesmal Herbersteins Aufenthalt in Moskau, der vom 26. April bis 11. Novbr. dauerte (zur Hinreise brauchte er 3½ und zur Rückreise 3 Monate) sehr erfolgreich; auch diesmal fehlte es nicht an Ehren und an Seltsamkeiten. So fiel es bei der Audienz auf, daß die deutschen Gesandten keine Geschenke mitgebracht hatten; bei der Mahlzeit fragte der Czar den Gesandten vertraulich, ob er sich schon jemals den Bart habe scheeren lassen und bekannte auf dessen bejahende Antwort, daß auch er dies bei seiner zweiten Vermählung gethan habe; und bei dem Abschied beschenkte er ihn mit einem Hofkleide und den herrlichsten Pelzwaaren. Die Gelage, zu denen der Gesandte fast mit Gewalt genöthigt wurde, waren so unmäßig, daß er sich schließlich betrunken stellte, um nur davon zu kommen; Hasen-, Bärenhetzen und eine Falkenjagd wurden veranstaltet, an denen H. theilnahm; als er aber dem schwedischen Gesandten einen Besuch machen wollte, mußte er erst die Erlaubniß des Czaren erbitten und mußte auch bei seinen ferneren Besuchen die Anwesenheit russischer Dolmetscher dulden; doch waren diese stets bereit, ihm auf alle seine geschichtlichen, geographischen u. a. Fragen die gehörige Auskunft zu geben. Von seiner Reise kam H. krank zurück: er bedurfte der Ruhe und Pflege. Doch allzulange wurde ihm diese nicht gewährt, vielmehr mußte er in den nächsten Jahren mehrmals, theilweise in wichtigen Angelegenheiten, nach Böhmen, Ungarn, Polen und erhielt dafür die Freiherrnwürde bestätigt (1537). Wenige Jahre vorher hatte er sich auch (1532) an dem Kriege gegen die Türken betheiligt. Diese aber veranlaßten eine neue wichtige Sendung, nämlich zu dem Sultan (1541), der Ofen bedrohte und Ungarn verheerte. Auch diese Sendung, die von den Zeitgenossen als die gefahrvollste und bedenklichste angesehen wurde, theils wegen der Besorgniß, die man vor der türkischen Grausamkeit hegte, theils wegen der Furcht vor den Seuchen, die in Ungarn herrschten, wurde von H. mit Kühnheit unternommen, mit verständiger Einsicht und geschickter Benutzung der Umstände durchgeführt und mit Erfolg gekrönt, obwol die Opfer, zu denen man sich verstehen mußte, sehr beträchtlich waren. Die lange Reise und die Beschwerlichkeit [38] seiner Dienste legten ihm den Wunsch nahe, seine ferneren Lebensjahre in Ruhe zuzubringen und verschafften ihm auch ein dies verheißendes königliches Versprechen. Trotzdem wurde er, grade seiner Erprobtheit wegen, noch manchmal in Anspruch genommen, zu der Reise nach Polen, die auch in den folgenden Jahren gar häufig nöthig wurden, schien keiner geeigneter als er; erst im J. 1556 bekam er Ruhe. Aber vorher und nachher hatte es ihm an Aemtern, Ehren und Würden nicht gefehlt, die seine Thätigkeit vergrößerten, aber auch die Achtung bekundeten, welche er bei seinem Fürsten genoß: er wurde in den Kriegsrath berufen, war 1547 k. Commissarius bei dem Landtage in Wien und wurde (1556) als der Erste seines Geschlechts zum Erbkämmerer von Oesterreich und Erbtruchseß von Kärnthen erhoben. Die verhältnißmäßig große Muße, welche er seit seiner türkischen Reise genoß, benutzte er zur Ausarbeitung seiner Notizen. Sein Werk über Rußland: Rerum Moscoviticarum commentarii erschien in lateinischer Sprache zuerst Wien 1549, in der von ihm herrührenden deutschen Bearbeitung Wien 1557, wurde lateinisch zehnmal, deutsch siebenmal während des 16. Jahrhunderts aufgelegt und auch ins Italienische und Böhmische übersetzt. Es zerfiel in seiner ersten Gestalt in zwei Theile: erstens Moscoviae descriptio und Itinerarium, zweitens Chorographia, so daß Glareanus mit Recht von duo volumina sprechen konnte, aber durch diese Angaben viele Bibliographen irre führte. Das Werk ist ein historisch-geographisches, das aber nach einigen Abschnitten über Abstammung der Russen, über ältere Geschichte, in welcher ihm besonders die Klosterchronik Warlams als Quelle gedient hat, im Wesentlichen die Zeiten behandelt, welche H. selbst erlebt und die Zustände, welche er selbst mit angesehen oder über die er sich bei Zeitgenossen erkundigt hat. Er sieht scharf und genau, hat Interesse für Alles: Sitten, Gebräuche, Sprache, Religion, Verfassung und Regierungsform, Kriegswesen, Handel, geographische Eigenthümlichkeiten und berichtet schlicht und ohne Vorurtheile. Daher machte sein Werk, als eines der ersten, das über russische Zustände berichtet – über die Religion der Russen hatte eine Schrift des Wiener Bischofs Joh. Faber früher Mittheilungen gebracht – großes Aufsehen und verdient trotz mancher Fabeln und Seltsamkeiten noch heute große Beachtung. Sein Latein ist fließend und verständlich, frei von humanistischem Bombast, so daß er auch nur selten gelehrte Spielereien vorträgt, z. B. die Identificirung von Beresina und Borysthenes; sein Deutsch ist etwas schwerfällig aber lesbar. Seiner Darstellung hat er geographische Karten, Grundrisse von Städten und allerlei Abbildungen, z. B. eines Auerochsen, eines Bisunt, russischer Waffen und Geräthe u. a. beigegeben. Bei anderen Abbildungen spielt er freilich eine Hauptrolle: er hat sich in allen Lebensaltern und in allen Gewändern, die ihm von Fürsten verehrt worden, zeichnen und malen lassen und dafür gesorgt, daß alle diese Blätter auf die Nachwelt kämen. Ebenso begierig war er, das Lob, das ihm von Dichtern gespendet worden, einzuheimsen; seine Veröffentlichungen sind so voll von Lobgedichten, daß der alte Denis mit Recht sagen konnte: „nicht bald ist ein Mensch bei lebendigem Leibe so mannigfaltig in Schriften gefeiert worden, wie H.“ Er ließ sein Wappen abbilden und seine Titel dazudrucken, machte ein Verzeichniß der Könige, mit denen er gesprochen, und der Ehrengeschenke, welche er erhalten hatte. Solche Ehren verdiente er aber durch seine außerordentliche Begabung, seine diplomatische Gewandtheit, seinen unleugbaren Muth; er war ein vortrefflicher Redner, der lateinisch, deutsch, russisch, ungarisch, böhmisch und italienisch sprach; ein schöner stattlicher Mann, der den großen Strapazen seines Reiselebens wohl gewachsen war. Seine Selbstbiographie – die in Ofen 1805 von Kovachich edirt wurde, aber erst durch Karajans Veröffentlichung allgemeiner bekannt geworden ist – reicht bis 1553. Er schrieb sie wahrscheinlich bruchstückweise, auf Notizen gestützt, die er unmittelbar [39] nach den Ereignissen niederzuschreiben pflegte und unterstützt von einem reichen zuverlässigen Gedächtniß. Sie ist natürlich auch Hauptquelle der vorstehenden Schilderung und gehört, wenn sie auch ohne besonderen künstlerischen Werth ist, ihres Inhalts wegen zu den anziehendsten und inhaltsreichsten deutschen Selbstbiographieen und Sittenschilderungen, die wir aus dem 16. Jahrhundert besitzen.

Vgl. Friedr. Adelung: Siegmund Freiherr von Herberstein, mit besonderer Rücksicht auf seine Reisen in Rußland geschildert. Petersburg 1818, wo die ausführlichsten Nachweisungen zu finden sind. Seine Selbstbiographie ed. Karajan in Fontes rerum Austriacarum, Abth. I, Bd. I, S. 67–396, Actenstücke bei Miklosich und Fiedler, slavische Bibliothek, Wien 1858, II, S. 63–92.