ADB:Hiltbolt von Schwangau
Welf’s VI.; ein zweiter, wahrscheinlich sein Enkel, ist von 1221–1254 in der Umgebung Konrad’s v. Winterstetten (s. A. D. B. XXXI, 68 f.) und Albrecht’s und Berthold’s v. Neifen, eines Oheims und Bruders des Minnesängers Gottfried v. Neifen (s. A. D. B. XXIII, 401 f.) nachzuweisen. Keiner von beiden kann der Dichter sein, da die erhaltenen Lieder ganz den Stempel der Frühzeit der mittelhochdeutschen Lyrik, die Farbe des 12. Jahrhunderts tragen und etwa 1190–1210 entstanden sein müssen. Die größte Wahrscheinlichkeit besitzt daher die Vermuthung von Bartsch, daß ein zufällig in Urkunden noch nicht aufgefundener Hiltbolt, der Sohn des ersten und der Vater des zweiten, der Minnesänger sei. – Er bevorzugt noch daktylischen Rhythmus; er liebt es noch, nur zwei Reime durch eine Strophe durchzuführen; er bildet noch vielfach einstrophige Lieder. Auf einen Kreuzzug beziehen sich mehrere Lieder, ohne daß die unbestimmten Anspielungen eine sichere Datirung erlaubten: er erklärt, dem König seinen Leib überallhin zu führen, aber ohne das Herz, das daheim bei der Geliebten bleibe; er verabschiedet sich vor der Kreuznahme von der Minne; er gesteht, daß ihn trotzdem die Liebe nie härter zwang als ze Sürie in dem lande. Sein eigentliches Muster ist der Elsässer Reinmar v. Hagenau (s. A. D. B. XXVIII, 93). Gleich diesem bewegt er sich durchaus in dem Gleise des streng höfischen Minneliedes der ritterlichen Gesellschaft, mit ihm theilt er die poetischen Motive, gewisse Lieblingsworte (vergân u. A.), die Mittel des Stils. Aber wie er dicht an der Grenze der bajuvarischen Lande lebt, wie seine Familie auch in Tirol Güter [185] und allerlei Beziehungen besitzt, fließen aus seiner Leier auch ein paar kräftigere, hellere Klänge, die ein klein wenig an die Nähe der Gegenden zu mahnen scheinen, wo im 12. und 13. Jahrhundert die realistische Kunst ihr Heim hat. Reminiscenzen an Walther, an Heinrich v. Morungen sind nicht zu verkennen. Aus einem schönen Lied des Letzteren (Minnesangs Frühling 126, 1 ff.) schöpft die letzte Strophe seines Tanzliedes, das sein merkwürdigstes Gedicht ist: durchaus im höfischen Ton gehalten bringt es den volksmäßigen Refrain Elle und Else tanzent wol, des man in beiden danken sol. Es darum einem jüngeren Dichter, etwa seinem Sohn, zuzuweisen, sehe ich keinen zwingenden Grund. Unter den Lobpreisungen des guten Rufs der Geliebten, der ihm seine Neigung eingeflößt habe, unter Versicherungen der Treue und Wahrhaftigkeit, Bitten um Erhörung, Klagen über die Noth der Minne, der Abneigung gegen die Merker, Zurückweisung von Verleumdungen, dem Wunsch nach heimlichem Kusse, der Verzagtheit über ihr Versagen, Trauer über verbotene Rede und den sonstigen conventionellen Zügen der höfischen Modedichtung tauchen vereinzelt hübsche poetische Einfälle von etwas selbständigerer Erfindung auf: an die Farben ihres Kranzes knüpft er eine sinnvolle Deutung und gibt damit, wie es scheint, das älteste Beispiel der Blumensprache in der altdeutschen Lyrik (bei von der Hagen Nr. 2); während die Vögel auf den Zweigen bald hoch bald tief singen, habe er nur eine einzige Melodie und werde nie fröhlich (vgl. Morungen Minnesangs Frühling 127, 34); er hat vom Po bis zum Rhein nach der Besten gesucht, wie Walther in dem bekannten Lied auf deutsche Männer- und Frauentugend, und sie in dem eigenen Herzen wohnend gefunden; er vergleicht sie, die sich durch all sein Werben nicht rühren lasse, in ihrer Unbeweglichkeit dem Polarstern, den er in Anlehnung an den italienischen Ausdruck (stella tramontana) Tremundân nennt, was wiederum einem Bilde Morungen’s nahe steht, der (Minnesangs Frühling 138, 37 ff.) die Geliebte wegen ihrer Unnahbarkeit und Allen gleichmäßig gespendeter Freundlichkeit mit der Sonne vergleicht. So lassen sich auch hier überall wenigstens mittelbare Muster aufdecken. Mehrmals greift H. formelhafte sprichwörtliche Wendungen auf. Am lieblichsten ist ein Liedchen, das in zwei vierzeiligen Strophen, je einen Reim durchführend, der Vergänglichkeit von Reif und Schnee, Blumen und Klee, Winter- und Sommerfarbe der Heide die Beständigkeit der eigenen Herzensnoth gegenüberstellt und in rührender Bitte an deren schöne Urheberin ausklingt: das ist ganz der zarte, innige Ton des adlichen Minneliedes aus der besten Zeit, das ist Minnesangs Frühling! – Der Dichter scheint keine ganz unbedeutende Wirkung gehabt zu haben: drei Handschriften bringen Lieder von ihm, theilweise unter anderem Verfassernamen, und in Mitteldeutschland entlehnte von ihm eine Strophe ein weitschichtiges Minnegedicht (wohl des 14. Jahrhunderts) im Titurelston, ein förmlicher Cento, der im übrigen den tugendhaften Schreiber und Reinmar v. Zweter plündert (Roethe, Reinmar v. Zweter S. 210 Anm.) – Die litterarhistorische Betrachtung macht an Hiltbolt und seiner Familie lehrreiche Wahrnehmungen über das Verhältniß der einzelnen Generationen des schwäbischen Adels zur weltlichen Lyrik. Der Vater des Sängers aus der Generation des „milden Welf“ (s. A. D. B. XXXI, 70) und aus dessen Freundeskreis wird gleich jenem an der Dichtung der Fahrenden nach Art des älteren anonymen Spervogeltons Vergnügen gefunden haben. Sein Sohn, der Minnesänger Hiltbolt, tritt selbst als Dichter auf und folgt den Pfaden der rein höfisch-ritterlichen Kunst. Aber in seinem Tanzlied glaubt man bereits etwas von dem Geschmack der jüngeren, dritten Generation, die der dritte Hiltbolt vertritt, zu spüren: sie hält zu Gottfried v. Neifen, zu dem Kreise König Heinrich’s VII. (s. A. D. B. XI, 443), und parodirt die alten Ideale höfischer Kunst.
Schwangau: Hiltbolt v. S., Minnesänger. Er gehört zu dem Geschlecht der Herren v. S. am rechten Ufer des obern Lech (heute Hohenschwangau). Ihr Stammsitz lag noch im alten Schwabengau, der wie auch die Untersuchung der Sprache dieses Gebietes lehrt, hier ein gutes Stück über den Fluß hinüberreicht. Sie sind denn auch im 12. Jahrhundert Ministerialen der schwäbischen Herzöge, der Welfen, und gehn nach deren Aussterben in die Dienstmannschaft der Staufer über. Der Name Hiltbolt erbt sich damals bei ihnen stehend weiter: ein Hiltbolt erscheint 1146 als Zeuge in einer Urkunde seines Herrn- [186] v. d. Hagen, Minnesänger I, 280 ff. III, 632 f. IV, 190 ff. – Bartsch, deutsche Liederdichter Nr. 20 (auch in der zweiten Auflage S. XXXIX der aus v. d. Hagen IV, 190 abgeschriebene geographische Irrthum: Schwangau „am linken Ufer des obern Lechs“). – Riezler, Geschichte Baierns 3, 979. Werthlos ist die ganz dilettantische Arbeit von J. Schrott, H. v. Schwangau Minnelieder. Augsburg 1871. Der urkundliche Nachweis, den Grimme (Germania 32, 420) brachte, beruht, wie Aron (Anzeiger für deutsches Alterthum 14, 230) zeigte, auf Augentäuschung.