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ADB:Hirt, Aloys

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Artikel „Hirt, Aloys“ von Karl Ludwig Urlichs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 477–479, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hirt,_Aloys&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:28 Uhr UTC)
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Hirt: Aloys H., geboren am 27. Juni 1759, † am 29. Juni 1839. In dem Dorfe Bella[1], welches in der fürstenbergischen Landschaft Baar, nicht weit von der Quelle der Donau, liegt, von bäuerlichen Eltern geboren, genoß H., um sich zu einem gelehrten Berufe vorzubereiten, einen dürftigen Unterricht im Gymnasium der Benediktiner zu Villingen, sodann in Freiburg und Rottweil. Auf der Universität Nancy erwarb er sich eine tüchtige Kenntniß des Französischen [478] und trieb mit Vorliebe philosophische Studien. Nach einem kurzen Aufenthalte in Freiburg studierte er von 1779–82 in Wien eifrig die Rechts- und Staatswissenschaften. Aber vorzugsweise zog ihn die Kunst an; sowohl die Lectüre der bedeutendsten kunstwissenschaftlichen Werke als die Betrachtung der Bildersammlungen entschieden seine Neigung. Entschlossen sagte er seinen Brodstudien Lebewohl und begab sich im September 1782 nach Italien. In Rom nahm er seinen dauernden Aufenthalt, der nur im J. 1793 durch einen Besuch der Eltern unterbrochen wurde. Die interessantesten Gegenden der Halbinsel durchstreifte er mit aufmerksamem Blicke; die Litteratur studierte er eifrig, und die römischen Denkmäler wurden wiederholt gemustert. So schwang er sich zu einem der kundigsten Fremdenführer der ewigen Stadt auf, von seinen Berufsgenossen vielfach angefeindet (einen erbärmlichen Prinzen nannte ihn der Maler Müller), aber von den bedeutendsten Landsleuten hoch geschätzt. Goethe setzt ihm in seinem italienischen Reisebericht ein ehrendes Denkmal, auch Herder ließ sich von ihm begleiten, und einflußreiche Verbindungen mit fürstlichen Personen bereiteten eine ehrenvolle Stellung im Vaterlande vor. Dorthin zurückzukehren veranlaßten ihn die Kriegswirren des Jahres 1796. Mit dem Dichter Matthisson verließ er Rom im Gefolge der Fürstin von Anhalt-Dessau und reiste über Triest und Wien zurück, ungewiß, wo er sich niederlassen sollte. Eine Audienz bei dem Könige Friedrich Wilhelm II. von Preußen, dem er von begünstigter Seite empfohlen war, entschied. Er entwickelte den Plan, die zerstreuten Kunstwerke der königlichen Schlösser in einem Museum zu vereinigen, ein Gedanke, der sich erst lange nachher verwirklichen sollte, aber unmittelbar die Folge hatte, daß der König den Urheber in Berlin zurückhielt. H. wurde zum Mitgliede der Akademie der Wissenschaften ernannt, in die Akademie der Künste aufgenommen, wo er öffentliche Vorlesungen zu halten hatte. Als die Universität im J. 1810 errichtet wurde, erhielt er eine ordentliche Professur in der philosophischen Facultät. Im J. 1797 besuchte der nunmehrige Hofrath seinen römischen Freund Goethe, bei dem er wohl aufgenommen wurde, und Schiller in Jena, dem er ebenfalls wohl gefiel. Kleinere Abstecher nach Dresden, Prag u. s. w. abgerechnet, blieb er in Berlin wohnhaft; nur im J. 1816 und 17 sah er Italien wieder und die Niederlande zum ersten Male. Sein Ansehen bei Hofe wurde durch kleine Irrungen, z. B. die nachträglich übel vermerkte Anordnung eines Aufzugs von Hierodulen, nicht gestört; der König Friedrich Wilhelm III. übertrug ihm die Vorbereitungen zur Einrichtung des Museums, die ihn in Streitigkeiten mit überlegenen Kennern verwickelten und wegen Kränklichkeit aufgegeben wurden. Als Schriftsteller versuchte sich H. schon in Italien. Dort entstand im J. 1791 eine italienische Schrift über das Pantheon, welche später deutsch für Wolf’s Zeitschrift für die Alterthumswissenschaft neu bearbeitet wurde. Sie stellt die Wandelungen im Plan und der Ausführung des Gebäudes auf Grund einsichtiger Beobachtung in einer anregenden Weise dar. Auch die beiden Aufsätze über Laokoon und das Kunstschöne, welche Schiller in die Horen (III, 7. 10. 12) aufnahm, so wie eine Reisebeschreibung über die Abruzzen und den Fuciner See (ebendaselbst II, 11. 12) sind in Rom verfaßt worden. In jenen beiden Abhandlungen zeigte sich nicht allein, was Goethe an ihm anerkannte, daß er „als ein Mann von Verstande eine vollständige Empirie recht gut zu ordnen und zu schätzen wußte“ (G. an Schiller Nr. 338), sondern auch die Nachwirkung seiner philosophischen Studien. Er war es zuerst, welcher die Winckelmann’sche Theorie des Schönen als unzureichend verwarf und die Betonung des Charakteristischen in seiner individuellen Erscheinung in die Aesthetik einführte. Schiller war, wie aus seinem Briefe an Goethe Nr. 339 und 362 sich ergibt, von den Urtheilen seines neuen Bekannten angenehm berührt und sah darin ein heilsames Gegengewicht [479] gegen Fr. Schlegels Uebertreibungen. Goethe hat in seiner Schrift „der Sammler und die Seinen“ dem Charakteristiker eine selbständige und bedeutende Rolle angewiesen. Doch auch die Schwäche desselben, daß er „beschränkte und einseitige Prämissen als allgemeine voraussetzt“, hat Goethe Nr. 360 richtig erkannt. Die Empirie des Beobachters war nicht frei von Vorurtheilen und Eigensinn, seine gelehrte Bildung nicht gründlich genug. Daher neben sehr richtigen Wahrnehmungen und Schlüssen wunderliche Irrthümer einhergingen, an denen der Verfasser eigensinnig festhielt. Den Gegenstand der Aeginetengruppe hat er zuerst bestimmt, dagegen die Giebelgruppen des Parthenon ein Jahrhundert nach Phidias entstehen lassen u. dgl. m. Auch sein wichtigstes Werk („Geschichte der Baukunst bei den Alten“, 3 Bde. 1820–27, dazu „die Baukunst nach den Grundsätzen der Alten“ 1809) ist von allerlei Mängeln dieser Art nicht frei (wie er denn z. B. das Alter der Cloaca maxima herabdrückt), die Uebertragung der Gesetze des Holzbaues auf die daraus abgeleitete Steinconstruction von kundigen Architekten, wie Hübsch, erfolgreich bestritten worden. Auch haben die neueren Entdeckungen das Material sehr bereichert, und die eindringenden Untersuchungen von Bötticher, Semper u. A. zu einer tieferen Kenntniß der alten Baukunst geführt. Aber das Buch behält dennoch seinen Werth. Für seine Zeit Epoche machend, bleibt es noch jetzt wegen der Vollständigkeit und Klarheit der Darstellung lehrreich. Die „Geschichte der bildenden Künste bei den Alten“ (1833), eine Ergänzung des genannten Werkes, zieht die Summe aus einer Reihe von Einzelabha11dlungen, welche in den Abhandlungen der Berliner Akademie, Böttiger’s Amalthea, den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik u. a. enthalten waren. An seinen Ansichten über die niedrige Stufe der homerischen Kunst, die Herleitung der Entwicklung aus Aegypten seit Ol. 30 hält der Verf. fest, obgleich sie von O. Müller und Thiersch bestritten und theilweise berichtigt waren. In diesem schwächeren Buche ist die Darstellung der Verpflanzung der griechischen Kunst nach Rom beachtenswerth. In der Polemik über neuere Kunst hat H. gegen Waagen und Rumohr den Kürzeren gezogen. Unter den verschiedenen kleineren Schriften verdient die Abhandlung über den Tempel zu Ephesus (1809) ausgezeichnet zu werden. Sehr nützlich für die Popularisierung der Archäologie hat sich das „Bilderbuch für Mythologie, Alterthum und Kunst“, 1804 und 1816 erwiesen. H. hatte während seines langen Aufenthaltes in Italien sich ein System archäologischer und ästhetischer Begriffe zurecht gemacht, welches zwar von wunderlichen Vorurtheilen (z. B. gegen Michel Angelo) nicht frei, aber in sich vollständig und gründlich war. Daß er daran eigensinnig festhielt und seinen zahlreichen Gegnern hartnäckigen Widerspruch entgegen setzte, hat der Anerkennung seiner Verdienste geschadet: sie bleiben, namentlich auf dem Gebiete der alten Baukunst, unläugbar.

Ein Verzeichniß seiner Schriften: Neuer Nekrolog der Deutschen. 1837, S. 681 ff.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 477. Z. 5 v. u. l.: Behla (st. Bella). [Bd. 15, S. 795]