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ADB:Müller, Friedrich (Dichter)

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Artikel „Müller, Friedrich“ von Erich Schmidt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 530–535, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%BCller,_Friedrich_(Dichter)&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 18:53 Uhr UTC)
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Müller: Friedrich M., Dichter und Maler, wurde am 13. Januar 1749 zu Kreuznach geboren und verlor seinen Vater, der das Gewerbe eines Bäckers und Wirthes betrieb, schon 1760. Er besuchte von 1759 bis 1763 das reformirte Gymnasium, mußte aber Geldmangels wegen ausscheiden und in der mütterlichen Wirthschaft Dienste thun. Autodidactisch bethätigte der Knabe durch kleine Thierstücke, Landschaften und Caricaturen sein Zeichentalent, wurde, von einem Gönner unterstützt, 1766 oder 1767 in Zweibrücken der Schüler des Hofmalers Konrad Manlich, veröffentlichte 1769 eine Reihe Thierstücke, gewann als „ein schöner junger verführerischer Mann von Gestalt und Wesen im Umgang“ „mit großem feurigen Auge“ die Gunst des Hofes und wirkte bei höfischen Schäferspielen als Erfinder und Darsteller mit. Seine dichterischen Anfänge fallen 1773 bis 1774. Er wählte – „zu früh“ meint Goethe – den Schriftstellernamen „Maler Müller“. J. F. Hahn empfahl ihn dem Göttinger Hain und begeisterte M. für den „unsterblichen“ Klopstock. So traten Müller’s erste Gedichte im bündischen Almanach ans Licht, strophisch und freirhythmisch gegliederte Ergüsse bardisch-ossianischer Verzückung voll Natur- und Urzeitcultus. Ein epischer Entwurf, „Der Riese Rodan“, verquickt die Adonissage mit nordischen Mythen, wie die Göttinger Antikes und Teutonisches durcheinander mengen. Volltönend, meist reimlos schüttet M. seine unklar wogenden Visionen aus. Der unbedeutendere „Rasende Geldar“ (Rhin und Luitberta), in gereimten iambischen Senaren mit [531] lyrischen Intermezzi, lehnt sich an Ossian und an Romeo und Julie an. Malerische und musikalische Züge machen sich geltend, nirgends ein Streben nach geschlossenen Kunstformen. Oden zeigen den Einfluß Klopstock’s. Anakreontische Tändeleien, wo Täubchen und Sperlinge oder Schwalben den Adler der dithyrambischen Lyrik ersetzen, mahnen an Gleim und Jacobi, aber die frischen „Mädcher“ und „Fäuncher“ sind dem bacchischen Pfälzer eigen. Davon kam wenig auf den Markt, bevor M. um die Scheide 1774/75 nach Mannheim übersiedelte, wo pfälzisches Litteraturleben künstlich und selbstgenügsam aufgezogen und 1775 eine deutsche Gesellschaft (Seuffert, Anzeiger der Zeitschrift für deutsches Alterthum und deutsche Litteratur 6, 276 ff. und 8, 267; auch Litterarische Beilage zur Karlsruher Zeitung 1879, Nr. 27 ff.) gestiftet wurde. M., das einzige echte Talent der Pfalz, schrieb in Schwan’s „Schreibtafel“ und fand in Dalberg und Gemmingen Mäcene. Er wurde mit Goethe, Jacobi, Merck, Wagner, Klinger, Lenz, Schubart, Claudius, Miller bekannt. Seine Poesie gewann ein neues Gepräge. Die „Balladen“ von 1776 folgen der populären Strömung: Ritter und Maid verdrängen die anakreontischen Paare, und Schubart rühmt, M. gehe einher wie ein Mann im alten deutschen Brustlatz und trete auf, daß der Boden dröhne. Der „Soldatenabschied“ – „Heute scheid’ ich, heute wandr’ ich“ – ist ein wirkliches Volkslied geworden.

1775 veröffentlichte M. eine Reihe Idyllen: „Satyr Mopsus“, „Der Faun“, „Bacchidon und Milon“, „Der erschlagene Abel“, „Die Schafschur“, antikisirend, biblisch, modern-pfälzisch. Er, der als Kind Wald und Flur durchstreift und mit dem Auge des Malers fixirt hatte, schloß sich anfangs stofflich wie formal eng an S. Geßner an (vgl. auch R. M. Werner, Anzeiger 4, 195 ff.). Sein Mopsus entspricht Geßner’s „Uebelbelohnter Liebe“, sein Abel dem Geßner’schen. Aber nur in den älteren Skizzen herrscht die matte Färbung des Zürchers. Müller’s „erschlagener Abel“ ist voll dramatischer Kraft, lebendiger Charakteristik, und in leidenschaftlichen Tönen entdeckt Kain dem Vater seine Blutschuld. „Adams erstes Erwachen“ (1778, verbessert 1779), woraus noch B. Genelli in Weimar declamirte, strebt dagegen nach getragenerer Erhabenheit, preist andächtig stammelnd den ersten Tag, arbeitet mit feierlichen Inversionen und vollen Beschreibungen und gibt Thieren wie Menschen die strotzende Fülle des jungen Lebens. So herrscht in Müller’s antiken Idyllen eine sinnliche Urkraft wie in einigen Scenen des Goethe’schen „Satyros“. Geßner strebt nach sanfter Grazie, M. nach derber, auch ins Groteskkomische gesteigerter Natürlichkeit. Sein Bacchidon ist ein maskirter Falstaff. Sein Faun bleibt ein üppiger Weinschwelg, selbst während er die todte Gattin beklagt. An die Stelle abgezirkelter Theokritscher Wettgesänge tritt das Motiv, daß Milon singen, Bacchidon aber nur zechen will. Ueberall spürt man den Weinsegen der fröhlichen Pfalz. Und M. ließ das patriarchalische oder antike Gewand ganz fallen, um die Idylle in seiner Heimath zu localisiren, wie in demselben Jahrzehnt Jung-Stilling seine autobiographische Dorfidylle schuf und Voß die sicilische Muse nach Niedersachsen rief. Nicht Arkadien, sondern die Pfalz. „Die Schafschur“ gibt dörfische Volksscenen nach dem Leben, durchaus gegenwärtig, liebevoll oder mit satirischem Anstrich, eine Liebesverwickelung als Mittelpunkt, die Schur als Hintergrund. Das Hauptgewicht fällt auf die Gespräche und lyrischen Einlagen; man sieht deutlich die Verwandtschaft mit dem Singspiel. „Das Nußkernen“ (erst 1811 gedruckt) hat zu viel unruhige Verwickelung und einige fremde Elemente, aber alles ist dem Leben abgelauscht und zugleich im litterarischen Zusammenhang der Geniezeit: Zigeuner, vagirende Studenten, ein kecker Bursch Fritz Fröhlich, Kindesmord, Contrast der guten alten und der guten neuen Zeit; die Idylle des Sturmes und Dranges, wie „Cludine“ sein Singspiel ist. Die romantische Ritteridylle [532] „Ulrich von Coßheim“ – 1811 von Tieck aus Fragmenten zusammengestückelt und gemodelt – zeigt, daß M. die naiv vergegenwärtigten Faune und den nährenden Pfälzer Boden nur zu seinem Schaden verließ. Cultus der Vorzeit auch in der durch ihre künstlerische Verzückung an Goethe’s „Erwin“ erinnernden Prosarhapsodie auf das „Heidelberger Schloß“ und in dem durch gleiche Kraftsprache bezeichneten Hymnus auf „Kreuznach“.

Zeigen schon die Idyllen[WS 1] einen an Shakespeare und Goethe genährten Hang zu dramatischer Belebung, so fand sich M. durch das werdende Mannheimer Nationaltheater, für dessen Einrichtung auch er ein jugendliches Gutachten abgab, in dieser Neigung sehr bestärkt. Fragmente von Ritterstücken sind uns erhalten, an „Götz“, „Otto“, „Lear“ anknüpfend, fern von der bald in Mannheim auftauchenden Manier eines Maier oder Babo. M. hat nur ein Drama dieser Art vollendet: „Genovefa“. Schon unter den „Balladen“ findet sich eine dem tragischen Höhepunkt desselben Stoffes geweihte Scene, 1776 erschien ein Fragment in der „Schreibtafel“, nach langer Pause große Bruchstücke in der Arnim-Brentano’schen „Zeitung für Einsiedler“, das Ganze 1811 auf Betrieb Tieck’s, der aus der Handschrift den Anlaß zu einer eigenen „Genovefa“ geschöpft hatte und M. auch einzelne Motive wie das virtuos variirte Weidenlied verdankte. Doch ist Dorothea Schlegel’s Spott, sie habe mit Verwunderung Tieck’s ganze Genovefa in der Müller’schen wieder gefunden und der häufige Vorwurf des Plagiats sehr unbillig. Vgl. auch Hebbel’s „Tagebücher“ I, 108, 140. Die fromme Genovefa, deren Sage nahe bei Kreuznach angesiedelt ist, hat M., der Romantiker der Geniezeit, der seine kindliche Phantasie aus Volksbüchern bereichert hatte und, einer der ersten, romantische Auffassung der Burgruine verräth, lang begleitet. Sein Drama gehört den Jahren 1775–1781. Es hat das Puppenspiel zur Hauptquelle, und Steffen vertritt den Hanswurst. Frei ausgeführt, gehorcht es den mächtigsten Factoren der Geniedichtung. Seine formlose Ueberfülle, die kaum in einem ganzen Bande Platz findet, nimmt wie der „Götz“ keine Rücksicht auf die Bühne. Ein möglichst umfassendes und erschöpfendes Bild der Ritterzeit soll ohne ängstliche Costümtreue in lockeren, oft stockenden Scenenfolgen mit etwa 40 Decorationen vor uns erstehen. Die Form ist, abgesehen von Einlagen („Mein Grab sei unter Weiden“) und einer älteren freirhythmischen Scene, Prosa. Ein weiches lyrisches Leitmotiv tönt romantisch durch das Ganze, das von Episoden wimmelt: derbe Dienerscenen, ein Dombaumeister Erwin mit handgreiflicher Beziehung auf „Von deutscher Baukunst“, ein recht ritterstückmäßiges Gottesgericht, Shakespeare’sche Mörder, die den Pfälzer Dialect sprechen müssen, um ganz naturalistisch zu erscheinen etc. Dragones ähnelt dem Goethe’schen Franz. Golo erscheint anfangs als ein träumerischer Doppelgänger Werther’s, bis die böse Lust seine Seele vergiftet. Seine Mutter Mathilde, ein Machtweib, halb Adelheid, halb Lady Macbeth, hetzt ihn. Eine Balconscene erinnert an „Romeo und Julie“, Genovefa’s ausgemalter Wahnsinn an Ophelia. Aber M. ist nirgends ein äußerlicher Copist wie Klinger im „Otto“, sondern er hat die aufgenommenen Anregungen originell in sich verarbeitet. Er zeigt im Golo, daß er charakterisiren kann. Er will die fromme Frau menschlich individuell gestalten, nicht typisch als Heilige. Neben krassen Auswüchsen und unnützen Retardationen stehen Liebesscenen von bewundernswerther Zartheit und Volksscenen, wie sie damals nur Goethe, allenfalls Lenz schaffen konnte, und der kleine Schmerzenreich zeugt mit echten Kindertönen für Müller’s reiche, aber disciplinlose Begabung.

Gleichzeitig bearbeitete M. die Faustsage, dem Volksbuch, Puppenspiel (Hanswurst in der „Situation“) und neueren Quellen folgend. 1776 erschien eine „Situation aus Faust’s Leben“, 1778 der Torso „Faust’s Leben dramatisirt [533] vom Maler Müller“ (Seuffert’s Deutsche Litteraturdenkmale 3). 1777 besprach er den Plan mit Lessing, der damals seine letzte dramaturgische Enttäuschung in Mannheim erfuhr und Müller’s enthusiastische Freundschaft (vgl. später „Auf Lessing’s Tod“) herzlich erwiederte. Vielleicht mag daher, was ursprünglich nur „Shakespeare’s Geist“ gewidmet war, eine stärkere Wendung zum Familiendrama genommen haben, wenn man in diesen Elementen nicht lieber den Einfluß sowol Lenzens als der Mannheimer Strömung erkennen will. Die Widmungsvorrede an Gemmingen ist ein burschikoses Genieprogramm. M. hat von Kindheit an Faust als einen „großen Kerl“ bewundert. Der große Monolog ist durchglüht von dem jugendlichen Feuer der Sturm- und Drangzeit, einiges überhaupt wundervoll, höchst ergreifend Faust’s Zusammentreffen mit seinem Vater. Deutet die „Genovefa“ auf Tieck, so deutet der im Ganzen viel schwächere „Faust“ auf Arnim, den Dichter von „Halle und Jerusalem“. Dasselbe Talent für das Beiwerk, dieselbe Zerfaserung der Hauptsachen, von denen nur einiges rund und hinreißend herausgearbeitet wird, dieselbe Untechnik, dieselbe souveräne Laune, kurz dieselbe im besten und schlimmsten Sinne studentische Dichtweise. M. beginnt mit einer spaßigen Höllenscene, die manche persönliche und satirische Spitze enthält, sowie M. in einem Fragment Lavater und den Gottesspürhund Kaufmann vorführt, in einem anderen Merck wegen der ungünstigen Kritik der „Situation“ anfeindet. Faust stellt sowol den Forschertitan als den turpissimus nebulo dar, den die Polizei im Spielerthurm umzingelt. Wie Arnim rückt M. Realismus und Phantastik hart nebeneinander; auch die rohe „Situation“ beweist es, vor Allem die wirre Fortsetzung. Im ersten Theil überwuchert die episodische Handlung: Studenten und Mädels; ein Geizhals und elender Scheingelehrter wird geprügelt; die hohe Polizei spielt eine komische Figur; den rüden Genieton unterbricht das köstliche Mauscheln, dem Cl. Brentano dann seinen Beifall so wenig wie der ausgezeichneten Judenradirung auf dem Titelblatte versagte.

1778 erschien das geschlossenste Drama Müller’s, „Niobe“, ein Zeugniß seiner früh gefaßten, in Mannheim nur gesteigerten Vorliebe für die Oper. Nun betritt er die Bahn Gluck’s, den Weg der Wieland, Gotter etc., aber nicht als strengerer Classicist, sondern wie er sein „lyrisches Drama“ in freien Dithyramben dahinfluthen läßt, charakterisirt er Niobe als ein antikes Kraftweib, das den Göttern trotzt, als weiblichen Prometheus. Seine Niobe bereut nicht wie die ovidische; stolz wird sie zu Stein, ihres ewigen Ruhmes sicher: eine feinsinnige Huldigung des bildenden Künstlers M., der die Niobegruppen im berühmten Antikensaal zu Mannheim bewunderte. Aber den Personen fehlt jede Individualisirung und Entwickelung, der eintönigen, am Ende dem Drama sehr widerstrebenden Handlung jeder Fortgang, der forcirten Sprache, wie voll sie auch oft braust, jede Spur der Harmonie, welche der hohe Stoff der Antike heischt; darum muß M. in Wieland’s „Abderiten“ als der tolle Niobedichter Paraspasmus figuriren.

M. war im Sommer 1777 kurfürstlicher Cabinetsmaler geworden und wollte, nachdem er bisher nur poetische Lorbeern geerntet hatte, wieder vornehmlich die Malerei pflegen. Deshalb griff er auf den Plan einer italienischen Reise zurück. Dalberg unterstützte ihn, Karl Theodor warf eine Pension aus und eröffnete im Mai 1778 eine Subscription, an der sich auch die Weimaraner rege betheiligten. 1778 zog M. nach Rom, wo er während der ersten drei oder vier Jahre noch auf idyllischem und dramatischem Gebiete schriftstellerte, aber 1782 dem Verleger Schwan die Vollendung des „Faust“ absagte und die Feder ganz mit dem Pinsel vertauschte. Er wollte keinem anderen als Michel Angelo nachahmen, declamirte: Genie und Phantasie sei die einzige Bedingung aller Kunst, kümmerte sich nicht im Geringsten um seine technische Ausbildung und sah daher [534] die Ehren, die ihm anfangs in den römischen Künstlerkreisen zu Theil wurden, schnell dahinschwinden. Seine Specialität, die Darstellung von Teufeln (z. B. Kampf um Mosis Leiche), trug ihm später bei Kronprinz Ludwig von Baiern den Spitznamen „Teufelsmüller“ ein. 1781 sandte M. Gemälde nach Weimar: Goethe lobte den lebhaften Geist, die Imagination, selbst die Ueberlegung darin, tadelte aber den nur gestammelten Ausdruck und empfahl die Schulung an der Natur, der Antike und Raphael. Dieser Bescheid verdroß M. gewaltig. Auch ging ihm keine weitere Unterstützung aus Weimar zu und die unregelmäßige Pension vom Kurfürsten konnte den Mangel an jedem Verdienst nicht decken. Schon im Winter 1779/80 sehen wir ihn arm und siech. Halb in der Erschlaffung der Krankheit, halb aus Nahrungssorgen trat er zum Kummer seiner strenglutherischen Familie in den Katholicismus über, ohne jedoch eine mystische Richtung einzuschlagen; die neue Confession war ihm gleichgiltig.

Allmählich durch Mißerfolge und Noth der Ausübung seiner Kunst entfremdet, warf sich M. auf Kunststudien und wurde ein „ambulanter Antiquar“, ein beliebter Cicerone. Er lebte mit wenigen deutschen Meistern, z. B. mit Trippel, in näherem Verkehr. Später befehdete er Carstens. Meyer, Tischbein, Moritz waren ihm feind. Goethe ignorirte ihn. M. strich die Widmung der „Genovefa“ und überließ sich einer lang vorbereiteten, nun immer maßloser wachsenden Abneigung, besonders seit 1805, obwol Goethe 1798 den Abdruck eines Müller’schen Aufsatzes in den „Horen“ befürwortete und 1818 ihn öffentlich seinen mehrjährigen Freund und Mitarbeiter nannte. Dagegen führte der Umgang mit Klinger in Italien durch Häkeleien zur dauernden Versöhnung. M. wurde intim mit Heinse (die saftigen Briefe hat Hettner, Archiv für Litteraturgeschichte 10, 39 ff. publicirt). 1798 hatte er das Unglück wegen antirepublikanischer Handlungen aus Rom verwiesen und geplündert zu werden. In der Zeit der romantischen Romfahrten suchte Tieck die Freundschaft des halbverschollenen M. und wies zunächst die ältere und jüngere Fraction der Romantik auf Müller’s Dichtwerke, auch die ungedruckten, hin. 1811 gab Tieck mit Batt und Le Pique im Heidelberger Verlage Mohr’s, des Freundes und Buchhändlers der „Einsiedler“, drei Bände Poesien des römischen Pfälzers heraus. Auch die Brüder Schlegel traten in Verbindung mit M., den Friedrich zu Beiträgen für das „Deutsche Museum“ heranzog; M. hatte schon 1788 eine kunstkritische Zeitschrift „Der römische Pegasus“ geplant (Archiv 10, 66 ff.). Besonders wichtig wurde für M. die Gönnerschaft des bairischen Kronprinzen (vgl. Seuffert, Pick’s Monatschrift für die Geschichte Westdeutschlands 4, 663 ff.; 5, 611 ff.). Ludwig in seiner kunstsinnigen Originalität fand Gefallen an dem alternden genialischen Teufelsmüller, verschaffte ihm die seit 1798 ganz erloschene Pension wieder, dazu den Titel eines Hofmalers, engagirte ihn für Ankäufe und sorgte noch für Müller’s letzte Ruhestätte.

Nach langer Pause weckte diese sorglosere Existenz der letzten Jahrzehnte noch einige Herbstklänge der Müller’schen Poesie: Gelegenheitslyrik, Didactisch-epigrammatisches. Bedeutender ist die 1825 erschienene Trilogie „Adonis, Die klagende Venus, Venus Urania“, schon vor 1785 begonnen und im ersten Theil vor 1811 fertig. Der Adonisstoff hatte M. früh und oft beschäftigt. Ein opernhaftes Drama mit großen typischen Figuren sollte durch „griechischen Geist“ Goethe’s „Iphigenie“ ausstechen. Aber M., der während des langen italienischen Aufenthaltes auch das Gefühl für deutsche Sprachrichtigkeit mehr und mehr einbüßte, brachte es nur zu einem undramatischen, verschwommenen, schwülstigen Wust willkürlicher Mythenumbildung. Ebenfalls 1825 veröffentlichte M. die Novelle „Der hohe Ausspruch oder Chares und Fatime“, eine freie Verpflanzung der von ihm schon in der Knabenzeit bearbeiteten „Banise“ auf persischen Boden, [535] vielleicht nur die greisenhafte Aufwärmung eines ungelenken Jugendversuchs. Es war sein erster und einziger Anlauf zur Novelle, obwol man in der Gesellschaft sein frisches Erzählertalent liebte. Die 1803 erschienenen „Erzählungen vom Mahler Müller“ sind ein fremdes Machwerk. Gewiß um mit Goethe’s Ruhm zu ringen, nahm M. auch seinen vergilbten „Faust“, den Cotta verlegen sollte, wieder vor. Zwei Bruchstücke und Pläne, welche die Freundin des Müller’schen Alters, Therese Huber, im „Morgenblatt“ verwerthete, sind aus dieser zweiten Phase bekannt. Man spürt die Einwirkung Mephistos und Gretchens, aber auch Schink wird beachtet, und wenn Faust passiv bleibt, vielleicht gar in der eigentlichen Handlung durch ein Phantom ersetzt werden sollte, schwebten die Mannheimer Erzählungen Lessing’s von seinen beiden Entwürfen vor. Satire und Komik sind beseitigt. Die Prosa ist der Goethe’schen Form gewichen. Statt des kraftgenialen Schwunges herrscht eine malerische Tendenz, und der Kampf zwischen Sinnenlust und Tugend wird theologisch abgeschlossen. So nahm M. um 1822 Abschied von den Geschöpfen seiner Frühzeit. Er kränkelte und war dem Erblinden nahe, nachdem er sich bis etwa 1816 eine jugendliche Frische bewahrt hatte. Am 23. April 1825 erlöste der Tod den altersschwachen Greis. Wie Angelica Kaufmann wurde M. in S. Andrea bestattet, wo ihm König Ludwig 1851 eine Denktafel setzen ließ. Müller’s Verhängniß war sein Halbirtsein zwischen Poesie und Malerei, das ihm in keiner von beiden Gattungen ganze Leistungen gestattete. Sein großes dichterisches Talent gab in der kurzen deutschen Periode Versprechungen, welche die lange römische Zeit nicht erfüllte. Er versäumte völlig, was er später gegen Carstens mit geheimer Selbstkritik betonte: ein Künstler muß Technik lernen. Er arbeitete nicht an der Festigung seines Charakters und strebte nicht nach geklärter Form. So manche seiner Schöpfungen athmen einen Reiz der Ursprünglichkeit, aber der „rheinische Most“ des Maler Müller ist nie ausgegohren. Doch werden einige erste Würfe, besonders in der Idylle, fortleben.

Die ganze ältere Litteratur (Hettner, Weinhold, York von Wartenburg, Oertel etc.) verzeichnet Bernhard Seuffert in seiner gediegenen Monographie „Der Maler Müller. Im Anhang Mittheilungen aus Müller’s Nachlaß“, Berlin, Weidmann 1877. Eine Auswahl der Dichtungen gab neuestens Sauer in Spemann’s Nationallitteratur, Bd. 81; eine kleine Nachlese auch G. Weisstein in dem Privatdruck „Herrn Professor Steinthal zum 60. Geburtstag, am 16. Mai 1883.“


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Jydellen