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ADB:Schlegel, Dorothea von

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Artikel „Schlegel, Dorothea“ von Franz Muncker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 372–376, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schlegel,_Dorothea_von&oldid=- (Version vom 15. Dezember 2024, 00:01 Uhr UTC)
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Band 31 (1890), S. 372–376 (Quelle).
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Schlegel: Dorothea Friederike S., die älteste reichbegabte Tochter des Philosophen Moses Mendelssohn, ursprünglich Brendel (= Veronica) geheißen, wurde in Berlin am 24. October 1763 geboren und im Hause ihres Vaters sorgfältig erzogen, auch im Sinne ihres Vaters, der für sie und ihren Bruder Joseph zunächst seine „Morgenstunden“ (1785) schrieb, philosophisch gebildet. Fünfzehn Jahre alt, heirathete sie nach dem Willen ihres Vaters ohne eigene Neigung den weder schönen noch ihr geistig ebenbürtigen Banquier Simon Veit († im November 1819), dem sie in einträchtiger, äußerlich ungetrübter Ehe vier Söhne gebar. Obwol innerlich unbefriedigt, hielt sie zunächst, zumal so lange Mendelssohn lebte, jeden Gedanken an Ehescheidung fern. Mit ihren Freundinnen Rahel Levin und Henriette Herz stand die männlich-kluge Frau im Mittelpunkt der geistig angeregten Gesellschaft Berlins, am ersten empfänglich für die neuen Ideen, als deren Verkündiger in den neunziger Jahren die beiden Brüder Schlegel auftraten. Im Juli 1797 kam der jüngere der beiden, Friedrich S., nach Berlin; im Hause von Henriette Herz lernte er bald darauf Dorothea kennen und fühlte sich weniger durch ihre Schönheit als durch ihren Verstand und Witz, ihr Verlangen nach höherer Geistesbildung, ihre herzliche Liebenswürdigkeit gefesselt. Er pries sie in Briefen an seinen Bruder als eine wackere Frau, von gediegenem Werthe, die sehr einfach sei und für nichts in und außer der Welt Sinn habe als für Liebe, Musik, Witz und Philosophie, in deren Armen er seine Jugend wiedergefunden habe, die er gar nicht mehr aus seinem Leben wegdenken könne. An sie richtete er im Sommer 1798 den Aufsatz „Ueber die Philosophie“ (im zweiten Bande des „Athenäums“ 1799 gedruckt); sie schwebte ihm während des folgenden Winters als sein weibliches Ideal bei der Abfassung des Romans „Lucinde“ (1799) vor. Sich dauernd mit der um sieben Jahre älteren Frau zu verbinden, lag vorerst nicht in seinem Plane. [373] Gleichwohl bestimmte die Innigkeit ihres Verhältnisses zu S. Dorothea, nunmehr die Lösung ihrer Ehe mit Veit zu erstreben. Henriette Herz übernahm die Vermittlung; gegen Ende des Jahres 1798 wurde die Scheidung vollzogen. Dorothea lebte von da an zu Berlin in enger Gemeinschaft mit S., wie es die „Lucinde“ nur allzu verrätherisch schilderte; sie folgte dann auch, als dieser im September 1799 nach Jena übersiedelte, dem geliebten Freunde schon zu Anfang des nächsten Monats und fand mit ihm zunächst im Hause August Wilhelm Schlegel’s Aufnahme. Bescheiden und anspruchslos, hingebungsvoll, duldend und dabei stets heiter, mit einem klaren Blick für das praktische Leben begabt, trat sie nun ganz in den Kreis romantischer Ideen und Bestrebungen ein, die ihrem innersten Wesen doch oft überfein oder doch praktisch-werthlos erscheinen mußten. Aber in begeisterter Bewunderung sah sie zu Friedrich empor; seine Ziele, seine Freunde und Feinde wurden die ihrigen. Wie sie schon in Berlin gleich ihm warme Freundschaft mit Schleiermacher und Fichte gepflegt hatte, so fühlte sie sich jetzt mit August Wilhelm und dessen Gattin Karoline innig verbunden, und als dieses Verhältniß bald (und nicht bloß durch ihre und Friedrich’s Schuld) sich ganz und gar löste, als überhaupt Friedrich immer einsamer unter den litterarischen Genossen wurde, da war noch im Sommer 1800 der jenaische Physiker Johann Wilhelm Ritter ein Freund, mit dem man fast täglich verkehrte und im August sogar mehrere Tage auf einem gemeinsamen Ausfluge nach Dornburg zubrachte. Durch Friedrich wurde Dorothea auch in die wissenschaftliche Laufbahn getrieben. Schon in Berlin hatte sie sich an einer umarbeitenden Uebersetzung des „Faublas“ von Louvet de Couvray versucht. Jetzt in Jena begann sie, namentlich auch, um für sich und den geliebten Freund, der nach der „Lucinde“ keine rechte dichterische Stimmung wiederfand, etwas zu verdienen, einen Originalroman zu schreiben, den sie zuerst „Arthur“ betiteln wollte und dessen erster Band im Herbst 1800 fertig wurde. Nachdem Schleiermacher und Friedrich ihr die falschen Dative und Accusative herausgestrichen hatten, erschien das Werk ohne ihren Namen, von Friedrich herausgegeben und mit zwei Sonetten eingeleitet, unter dem Titel „Florentin“ zu Lübeck und Leipzig 1801. Kränklichkeit Dorotheens verhinderte die Fortsetzung, die sie noch 1805 plante. Eigne Berliner Erfahrungen und Charaktere, die sie selbst kennen gelernt hatte (darunter besonders der Kupferstecher Eduard d’Alton, August Wilhelm’s späterer künstlerischer Freund, s. A. D. B. I, 372), verwerthete sie stellenweise in ihrer Erzählung; noch mehr aber war dieselbe abhängig von litterarischen Vorbildern, unter denen Goethe’s „Wilhelm Meister“ und Tieck’s „Franz Sternbald“ die erste Stelle einnahmen. Genauer als die übrigen gleichzeitigen Nachahmer des „Wilhelm Meister“ zeichnete Dorothea Goethe’s Charaktere nach, führte sie ein Thema, das dem seinigen verwandt war, durch, bildete sie selbst seinen Stil ab. Der äußere Gang der Geschichte und verschiedene Stimmungen, die darin erklingen, auch die Grundmotive des zwecklosen Umherwanderns in der Welt, das doch nie zum wirklichen praktischen Handeln des Helden führt, und der räthselhaften Herkunft dieses Helden erinnern besonders an Tieck’s Geschichte. Aber auch die übrigen Anschauungen des romantischen Kreises und mehrere Tendenzen, welche die „Fragmente“ im „Athenäum“, Friedrich’s „Lucinde“ und Schleiermacher’s Briefe über die „Lucinde“ deutlich geoffenbart hatten, spiegelten sich unverkennbar im „Florentin“ wieder ab. Die mitunter dilettantische, immerhin aber fleißige und ein hübsches Talent bekundende Arbeit nöthigte selbst dem gegen alles, was von dieser Seite kam, voreingenommenen Schiller eine bessere Vorstellung von der Verfasserin ab. Auch zu den kritischen Unternehmungen der Freunde mußte diese gelegentlich ihre Beisteuer geben, so namentlich eine boshafte Notiz über Ramdohr’s moralische Erzählungen (im dritten Bande des [374] „Athenäum“ 1800). Sonst dachte sie an verschiedene Uebersetzungen; aber ihre vielfache Kränklichkeit ließ sie vorläufig zu nichts Größerem kommen. Im April und Mai 1801 weilte sie einige Wochen in Leipzig; als dann Friedrich Ende Novembers Jena verließ und nach Berlin reiste, blieb auch sie nicht mehr lange in der vereinsamten, durch das Zerwürfniß mit Karoline ungastlich gewordenen Stadt, sondern begab sich Ende Januars 1802 zu Charlotte Ernst, Friedrich’s Schwester, nach Dresden. Daselbst traf Friedrich bald wieder mit ihr zusammen, um im Frühling mit ihr nach Paris zu gehen. Hier ward es ihnen anfangs recht sauer; treulich arbeitete und litt Dorothea mit dem Geliebten. Auch für seine Zeitschrift „Europa“ verfaßte sie einiges, unter anderm ein „Gespräch über die neuesten Romane der Französinnen“, das sich vornehmlich mit Frau v. Staël’s „Delphine“ beschäftigte, und einzelne wenig bedeutende Gedichte. Auf Grund der besten Pariser Handschriften bearbeitete sie 1803 und 1804 in einfacher, hie und da etwas alterthümlich gefärbter Prosa die Geschichte des Zauberers Merlin in 35 Capiteln, unter gelegentlicher Beihülfe ihrer Freundin Helmine v. Chézy, die gleichzeitig die Geschichte der Euryanthe ausführte. Beide Arbeiten gab Friedrich S., der den „Merlin“ wohl auf Grammatik und Stil hin zuletzt noch prüfte, zu Leipzig 1804 in zwei Bänden heraus als „Sammlung romantischer Dichtungen des Mittelalters, aus gedruckten und handschriftlichen Quellen“. Als ein Gegengift gegen die Verlockungen der großen Stadt Paris las Dorothea viel in Luther’s Bibel. Dabei fühlte sie sich im Herzen immer mehr als Protestantin; während der Katholicismus ihr mit dem alten Judenthum, das sie verabscheute, zu viel Aehnlichkeit zu haben schien, sah sie im Protestantismus ganz die Religion Jesu und (im Sinne Schleiermacher’s) die Religion der Bildung. Den ostentativen öffentlichen Uebertritt hielt sie zuerst gar nicht für nöthig, ließ sich dann aber doch am 6. April 1804 von dem protestantischen Geistlichen Gambs an der schwedischen Capelle taufen und unmittelbar darauf mit Friedrich trauen. Seit dem vorausgehenden Herbst hatte sich ihre Lage in Paris etwas verbessert, da einige junge Kölner, unter ihnen die beiden Brüder Boisserée nebst noch ein paar Freunden sich bei ihr auf Kost und Logis eingemiethet hatten, alle entzückt von ihrer vorsorglichen Treue und Emsigkeit, die ihre Häuslichkeit so traulich zu gestalten wußte. Der Einladung der Brüder Boisserée folgte sie mit Friedrich im Spätfrühling 1804 nach Köln. Während Friedrich hier Vorlesungen hielt, öfters aber auch mehrere Monate zum Besuche von Paris oder als Gast der Frau v. Staël abwesend war, blieb sie in dürftigen Verhältnissen ruhig bei ihren Arbeiten im Hause. 1804 und 1805 bearbeitete sie wieder eine Rittergeschichte „Lother und Maller“, diesmal aus einer ungedruckten deutschen Handschrift, die ihr ein Kölner Freund, Kanonikus Wallraff, mitgetheilt hatte. Um das darin aufgestellte Bild ritterlicher Freundschaft, das sie am meisten anzog, stärker hervortreten zu lassen, ließ sie verschiedene störende oder abschwächende Episoden, manche die Aufmerksamkeit ermüdende Fehden und Abenteuer, einige sittlich anstößige Züge weg. Friedrich gab darnach die Geschichte 1805 zu Frankfurt a. M. heraus und nahm sie mit dem „Merlin“ sogar 1823 in den siebenten Band seiner sämmtlichen Werke auf. Dann übertrug Dorothea unter den Augen ihres Mannes, der sich denn auch auf dem Titelblatt allein als Uebersetzer nannte und ein Vorwort dazu verfaßte, die „Corinna“ der Frau v. Staël, die 1807–1808 in vier Bänden deutsch zu Berlin erschien und noch 1852 eine neue (dreibändige) Auflage erlebte. Auch die Bearbeitung des italienischen Ritterromans „Primaleone“ (1559) begann sie, aber ohne Lust und Liebe, da sie zu viel von dem Ihrigen hinzuthun mußte; das Werk wurde nie vollendet. Wie Friedrich sich während der Kölner Jahre immer offener zur katholischen Kirche bekannte, so neigte auch sie sich jetzt dieser [375] Confession mit aller Entschiedenheit zu, ja bestärkte, während sie selbst sich schon äußerlich zur katholischen Gemeinde hielt, ihren zuerst noch zögernden Gatten in dem Entschlusse, öffentlich zum Katholicismus überzutreten. Endlich thaten sie zu Köln am 16. April 1808 diesen Schritt; am 18. April wurde ihre Ehe durch die Kirche revalidirt. Bald darauf reiste Friedrich über Dresden nach Wien. Als sich hier für ihn Aussicht zu einer Staatsanstellung zeigte, folgte ihm Dorothea im August 1808, traf in Dresden mit ihren beiden Söhnen aus erster Ehe zusammen und kam am 31. October in Wien an. Hier war endlich die Stätte ihres Bleibens gefunden: im März 1809 wurde Friedrich Secretär bei der kaiserlichen Hof- und Staatskanzlei[WS 1]. Von ihm war sie freilich während des größten Theiles des Jahres, so lang er sich im Hauptquartier des österreichischen Heeres befand, getrennt, und das geplante Wiedersehen ihrer Söhne mußte sie immer wieder verschieben, bis dieselben endlich im Frühling 1810 sie in Wien aufsuchten. Dorotheens höchster Wunsch war erfüllt, als beide hier, Philipp am 9. Juni, Jonas (nun Johannes genannt) am 26. Juli zur katholischen Kirche übertraten. Philipp kehrte schon im Herbst nach Dresden zu seinem Studium, der Malerei, zurück; sein Bruder wanderte im Februar 1811 zum gleichen Studium nach Rom. Aber schon im Juni 1811 siedelte Philipp nach Wien über; die Mutter begleitete hier seine künstlerische Arbeit mit der liebevollsten Theilnahme. Aber in erhöhtem Grade folgte ihm ihre mütterliche Liebe und ihre ängstliche Sorge, als er 1813 der Lützow’schen Freischaar sich anschloß und 1814 mit dem siegreichen Heere nach Paris zog. Voll stolzer Freude empfing sie ihn, als er nach Beendigung des Krieges im Januar 1815 in Wien eintraf, um von hier zu seinem Bruder nach Italien zu gehen. Die Bewegung der 100 Tage kam dazwischen; erst im August konnte er die Reise antreten. Wenige Monate darauf wurde Friedrich zum Legationsrath ernannt und reiste zum Bundestag nach Frankfurt a. M. ab. Dorothea folgte ihm erst im April 1816 über München. Ein Gichtleiden, das sie während des nächsten Winters viel quälte, zwang sie im Juli 1817 zum Gebrauch der Bäder in Wiesbaden. Als aber Friedrich 1818 nach Wien zurückberufen wurde, hielt sie die Sehnsucht nach ihren Söhnen nicht länger zurück. Im April 1818 trat sie die Reise nach Rom an, wo sie nahezu die nächsten zwei Jahre bei ihren Söhnen und im Kreise der Frau v. Humboldt verlebte. Friedrich besuchte sie hier 1819, als er im Gefolge des Fürsten Metternich in aller Eile durch Italien reiste. Erst im Juli 1820 kehrte sie wieder nach Wien zurück. An Friedrich’s Seite verlebte sie ziemlich ruhig das folgende Jahrzehnt, nur öfters von Kränklichkeit heimgesucht, die einigemale einen längeren Aufenthalt in Baden bei Wien nöthig machte. Am 11. Januar 1829 starb Friedrich plötzlich in Dresden. Dorothea siedelte anderthalb Jahre darnach, im September 1830, nach Frankfurt a. M. über, wohin ihr Sohn Philipp Veit ziemlich gleichzeitig als Director des Städel’schen Kunstinstituts berufen wurde. Mit ihm lebte sie hier von ihrer kleinen, erst in ihren letzten Jahren etwas erhöhten Pension ruhig und heiter, wenn auch zuletzt lebensmüde und voll Sehnsucht nach dem Jenseits. Am 3. August 1839 starb sie zu Frankfurt, im Leben viel geprüft, viel verleumdet und nur selten nach ihrem persönlichen Werthe gebührend geschätzt.

Neuer Nekrolog der Deutschen, 17. Jahrgang (1839), S. 1089–1092. – J. Fürst, Henriette Herz, ihr Leben und ihre Erinnerungen, Berlin 1850, S. 106–116. – R. Haym, Die romantische Schule, Berlin 1870. – Wilhelm Dilthey, Leben Schleiermachers, Berlin 1870, S. 469 ff., 486 ff. – Dorothea v. Schlegel geb. Mendelssohn und deren Söhne Johannes und Philipp Veit. Briefwechsel hrsg. von Dr. J. M. Raich, 2 Bände, Mainz [376] 1881. – Friedrich Schlegel’s Briefe an seinen Bruder August Wilhelm, hrsg. von Dr. Oskar F. Walzel, Berlin 1890.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Staaskanzlei