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ADB:Hirzel, Hans Kaspar (Züricher Staatsmann)

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Artikel „Hirzel, Hans Kaspar“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 490–493, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hirzel,_Hans_Kaspar_(Z%C3%BCricher_Staatsmann)&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 19:57 Uhr UTC)
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Hirzel: Hans Kaspar H., Staatsmann, geb. am 18. November 1746, gest. am 30. Decbr. 1827. In vierter Generation vom Bürgermeister Hans Kaspar herstammend, Enkel und Sohn hoch angesehener politischer Persönlichkeiten, die, beide Hans Jakob des Namens, 1737 und 1772 zum wichtigen Staatsamte des Seckelmeisters emporgestiegen waren, war anfangs für den Militärdienst in Holland bestimmt, als der Tod seines älteren Bruders den Vater veranlaßte, nun diesen jüngeren Sohn für die politische Laufbahn in Aussicht zu nehmen. Die Lücken des öffentlichen Unterrichts hatte der private des Pfarrers Fäsi (vgl. d. Art.) sehr gut ergänzt; ein Aufenthalt in Lausanne und eine daran sich anschließende Reise über Genf nach Paris beendigte die Vorbereitung für den künftigen Beruf. 1768 trat H. in den öffentlichen Dienst, anfangs in untergeordneteren Verwaltungsämtern, die aber Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln, boten und ihn mit der hervorragenden Persönlichkeit des Bürgermeisters Heidegger (s. d. Art.) in nähere Berührung brachten. So gab ihm seine Thätigkeit als Zollschreiber den Anlaß, sich über den Fruchtverkehr eingehende Kenntnisse zu verschaffen. Von 1770 an kam er in richterlichen Funktionen zu neuen Kreisen des öffentlichen Lebens, so daß er nach einer halbjährigen Bethätigung als sogenannter Mittelrichter 1773 eine systematische Zusammenstellung des zürcherischen Stadt- und Landrechtes verfaßte. 1775 wurde H. Mitglied des großen Rathes, gerade zu der Zeit, als das französische Bundesgeschäft, 1777 abgeschlossen, eine Schöpfung seines Gönners Heidegger in erster Linie, die öffentliche Meinung in Zürich stark beschäftigte. Von 1778 an bekleidete H. nach einander mehrere höchst wichtige Verwaltungen, die ihm Gelegenheit gaben, seine Erfahrungen und die gewonnene vielseitige Einsicht nun auf größeren Wirkungskreisen zu erproben. Erst zürcherischer Landvogt in der gemeinen Herrschaft Grafschaft Baden, dann infolge des Eintrittes in den kleinen Rath nach einander Obervogt von Erlenbach, nachher besonders der weit größeren Landesabtheilung am linken Seeufer, der Obervogtei Horgen, seit 1784 zwei Male Präsident des Syndikats der Gesandten der regierenden Orte zur Prüfung der Verwaltung der vier eidgenössischen ennetbirgischen Landvogteien (der Südhälfte des jetzigen Kanton Tessin): so war Hirzel’s Persönlichkeit in steigendem Ansehen. Daneben fand er noch Zeit, in Briefen an seinen Sohn, der zu der Zeit im Auslande sich ausbildete, eine vollständige Schilderung des damaligen Standes des Kantons Zürich nach allen Seiten hin zu entwerfen. – Allein das Emportauchen der von der Seite der französischen Revolution drohenden Gefahren begann nun auch für H. der Mittelpunkt ernster neuer Aufgaben zu werden. Wegen der Gefährdung der schweizerischen Neutralität hatte er schon 1792 als einer der eidgenössischen Repräsentanten in Basel zu wirken. Andere ähnliche Sendungen folgten in den nächsten Jahren, und auch noch der letzten alteidgenössischen Tagsatzung zu Aarau, Januar 1798, wohnte H. bei. Allein inzwischen war H., 1793 [491] Mitglied des geheimen Rathes und dann alsbald Standesseckelmeister, als solcher in dem wichtigen Amte, das Großvater und Vater inne gehabt, einmüthig bestellt, zu einer der einflußreichsten und ansehnlichsten Beamtungen des heimischen Staatswesens emporgelangt; denn die beiden Standesseckelmeister hatten neben der besonders in dieser Zeit steigender Erschütterung schwierigen Leitung der Finanzen noch in den Rathsversammlungen, sowie in zahlreichen Commissionen, hier meist als Präsidenten, mitzuwirken. So u. a. war H. Vorsitzender einer außerordentlichen Commission, welche Vorarbeiten zu Abänderungen in den Gesetzen über Handel und Fabrikwesen treffen sollte; aber dieser Versuch einer Beschwichtigung der revolutionär sich färbenden Mißstimmung, wie sie im Stäfener Handel 1795 hervortrat (s. d. Art. J. J. Bodmer), kam nicht zur Durchführung und wurde durch den Umsturz, dem man von der Stadt her nicht vorzubeugen verstand, weit überholt. H. selbst hatte gegenüber den Bewegungen am Zürichsee zu den milder gesinnten Gliedern der Regierung gezählt, sowohl aus innerem Gefühl, als aus politischer Einsicht. Aber als dann das Jahr der Revolution, 1798, kam, gehörte auch H. voran zu den Opfern der Umwälzung, nachdem er noch vergeblich in der letzten Zeit vor dem Eintritt der französischen Gewaltherrschaft als Mitglied der außerordentlichen Landescommission sich mitbemüht hatte, unter Ausschluß fremder Einwirkung einen Uebergang in die neuen Verhältnisse zu finden. Eine seiner letzten Functionen war, die Verlegung der den ehemaligen Regierungsgliedern von den französischen Commissarien räuberisch auferlegten Oligarchen-Contribution auf die einzelnen Betheiligten zu besorgen. – Dem Privatleben, den wissenschaftlichen Studien, zu denen sich H. zurückgezogen hatte, wurde er schon im April 1799 durch den peinlichen Argwohn der sich isolirt fühlenden helvetischen Regierung entzogen. Als nämlich die kaiserlichen Waffen im Coalitionskriege siegreich vordrangen (vgl. d. Art. Hotze), wurde H. mit anderen angesehenen Männern der alten Ordnung als Geisel nach Basel abgeführt; der berühmte Theologe Lavater war einer von Hirzel’s Schicksalsgenossen. Erst gegen das Ende der Besetzung Zürichs durch die Coalition vermochten die Deportirten über deutschen Boden nach der Heimath zurückzukehren. Als dann nach der zweiten Schlacht von Zürich auch die Nordostschweiz wieder für die helvetische Republik zurückgewonnen worden, trat H. für die schwierige Aufgabe der gegenseitigen Ausscheidung des zürcherischen Staatsvermögens und des Stadtgutes als Präsident der Gemeindekammer an die Spitze dieser Organisation. Doch am Schlusse der helvetischen Periode, als sich in dem raschen Wechsel von Personen und Systemen Terrorismus und Einheitspartei abgenutzt hatten und die föderalistischen Principien 1801 neu zur Geltung kamen, entschloß sich auch H., in den helvetischen Senat zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung und, als Justizminister unter dem Präsidium von Reding (s. d. Art.), in den Vollziehungsausschuß sich wählen zu lassen. Freilich warf der hinter des abwesenden Reding Rücken in den Ostertagen 1802 durchgeführte unitaristische Staatsstreich die Dinge von neuem, mit französischer Mitwirkung, in das entgegengesetzte Lager hinüber, und H. trat nun sogleich freiwillig zurück. Allein als im Sommer des Jahres der unitaristisch gefärbte Verfassungsentwurf einzig durch den Kunstgriff gerettet wurde, daß die nicht abgegebenen zu den bejahenden Stimmen in der schriftlichen Genehmigung durch das Volk hinzugerechnet wurden, stand schon an der Spitze der mit Protestation verbundenen verwerfenden Stimmen von Zürich, und als vollends gegen die völlig isolirte helvetische Regierung die Insurrection der Demokratien der Urschweiz und der meisten früher regierenden Städte im Herbste sich erhob und jene zu ihrer rathlosen Flucht von Bern nach Lausanne zwang, war H. bei der Weigerung Zürichs, dem General Andermatt (s. d. Art.) die Thore zu öffnen, an der Spitze der Municipalität der Stadt neben Reinhard [492] (s. d. Art.), wobei mit ebenso viel Muth als Glück die bedenkliche Situation des Bombardements überstanden wurde, und darauf sah er sich in die Leitung der neuen Interimsregierung von Zürich berufen. Als Abgeordneter Zürichs neben einem solchen der Landschaft betheiligte sich darnach H., als der Sieg des Föderalismus vollendet schien, an der außerordentlichen Tagsatzung der altdemokratischen Kantone, an welche die Genossen des Erfolges sich anschlossen, die unter Reding’s Führung in Schwyz zusammentrat. Emsigst half H. bei den wichtigen Arbeiten der Tagsatzung mit, theils für den Entwurf einer neuen Centralverfassung, theils insbesondere für die diplomatische Verbindung mit den Mächten: galt es doch nun endlich jenen Artikel des Friedens von Amiens über die Unabhängigkeit der Schweiz zur Wahrheit zu machen. Aber bekanntlich griff jetzt der erste Consul mit unabweisbar starker Einmischung in die schweizerische Frage ein. Er wollte die Dinge nunmehr selbst ordnen, setzte nochmals für die Besorgung der laufenden Angelegenheiten die helvetische Regierung zu Bern ein und berief zur Festsetzung einer neuen schweizerischen Verfassung eine außerordentliche Consulta nach Paris, aus deren Arbeit unter seiner eigenen Initiative dann die wohlthätige „Vermittelung“ der Gegensätze hervorging. Zugleich hatte er wieder französische Truppen in die Schweiz einrücken lassen, bei deren Annäherung an Schwyz die dort versammelte Tagsatzung sich unter feierlicher Protestation für das unverjährbare Recht der Nation, sich selbst eine Verfassung zu geben, freiwillig auflöste. Für die hervorragendsten Mitglieder der Tagsatzung war auf der Consulta kein Platz; sie wurden vielmehr im November durch französisches Militär als Geiseln nach Aarburg zu mehrmonatlicher Verwahrung auf der dortigen Festung, bis nach der Publication der Mediationsacte im Februar 1803, verbracht, und auch H. hatte, neben Reding und anderen bedeutenden altschweizerischen Politikern, die Ehre, in den Augen des von den Unitariern hierin berathenen ersten Consuls ein solcher besonders beachtenswerther Verfechter der Unabhängigkeit seines Vaterlands zu sein. Ganz gewiß wäre er aber, in Erkenntniß der wirklichen von Frankreich her dieses Mal empfangenen politischen Wohlthat, in die neuen Behörden eingetreten, würde ihn nicht die bei zunehmendem Alter stets empfindlichere Abnahme des Gehörs davon abgehalten haben. – H. blieb von 1803 an ein aufmerksamer Beobachter der staatlichen Angelegenheiten, ohne mehr daran theilzunehmen. So erlebte er noch den abermaligen Umsturz in Folge der Ereignisse von 1813, und damals war es besonders seinem nachhaltigen Einfluß zuzuschreiben, daß Zürich in eine im Grade der bernerischen Reaction sich rückwärts bewegende gefährliche Entwickelung nicht hineingerissen wurde (vgl. Bd. XII. S. 289). Man verzichtete darauf, völlig zur alten Ordnung der Dinge zurückzukehren, und so vermochte sich die Kantonsregierung der Mediationszeit bis zur Einführung einer neuen kantonalen Verfassung provisorisch zu behaupten und als Vorortsleitung auch die eidgenössischen Dinge im Gleichgewicht zu erhalten. Die neue Umgestaltung am Ende der Restaurationszeit sah H. nicht mehr, und es war ihm auch der Schmerz erspart, den in momentaner Verdüsterung des Gemüthes eingetretenen, durch die Katastrophe Finsler’s (vgl. d. Art.) herbeigeführten Selbstmord seines höchst achtungswerthen und tüchtigen Sohnes, des Staatsrathes Hans Jacob H. († 1829), zu erleben. Gerade im Schoße seiner Familie, besonders bei der im Kanton Appenzell verheiratheten ältesten Tochter, fand vielmehr H. in den letzten Jahren seines Lebens in erster Linie, neben seinen Studien und wissenschaftlicher Lectüre, Erholung und Anregung. Im besten Sinne ein Repräsentant des politischen Lebens einer abgeschlossenen Zeit, deren Auffassung aber mit neuen Bedürfnissen zu verschmelzen er 1802 in der Ausarbeitung des Projects der Errichtung eines Bundesstaates mit kräftiger Centralgewalt redlich sich bestrebt [493] hatte, so lebte H. bis in sein 81. Lebensjahr in edler Muße, als ihn unerwartet rasch eine plötzliche Entkräftung leicht hinwegnahm.

Vgl. Nekrolog von Herrn Hs. Kaspar Hirzel, gewesenem Standesseckelmeister (Zürich 1828).