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ADB:Heß, Johann Jakob

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Artikel „Heß, Johann Jakob“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 289–292, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:He%C3%9F,_Johann_Jakob&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 18:57 Uhr UTC)
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Heß: Johann Jakob H., schweizerischer Staatsmann, geb. am 15. Febr. 1791, † am 18. Octbr. 1857 in Zürich. Der einzige den Vater überlebende Sohn des vorzüglichen Landschaftsmalers Ludwig H. (s. den Art.), wurde H. nach dessen frühem Tode von der Mutter erzogen, einer sehr begabten Frau, welche 1811 die zweite Gattin des damals aus Bremen nach Zürich zurückkehrenden zürcherischen Theologen Joh. Jak. Stolz († 1821, bekannt als Prediger, neutestamentlicher Exeget und Bibelübersetzer) wurde. H. war zuerst für die Kaufmannschaft bestimmt, widmete sich dann aber in Heidelberg juristischen Studien. Seit 1818 zweiter Secretär des Obergerichtes, daneben nach der Wahl Heinrich Escher’s (s. den Art.) als Oberamtmann nach Grüningen, von 1819 an, auch kurze Zeit dessen Ersatzmann am politischen Institut, seit 1825 Mitglied des Großen Rathes, stieg H. 1828 zur Stellung eines Oberrichters empor. Seiner politischen Ueberzeugung nach war er im Anfange der Restaurationszeit zunächst nach dem Umsturze der Mediation unter den Trägern einer entschieden reactionären Auffassung der Sachlage gewesen: 1814 floß aus seiner Feder eine Protestation, welche im Sinne der ultralegitimistischen Bestrebungen, parallel mit der Berner Umwälzung, eine Aenderung des bisherigen Repräsentationsverhältnisses der Stadt gegenüber der Landschaft begehrte. Aber gegen das Ende der Restaurationsepoche hatte H., dem geistigen Einflusse Paul Usteri’s folgend, den Wünschen der Reformpartei erkennbar sich angenähert. Die Mitte 1828 in Trogen neu erstandene Appenzeller Zeitung entsprach in ihren scharf eingreifenden Artikeln der Stimmung und den Hoffnungen, wie sie andererseits vorzüglich gegenüber dem Luzerner Kasimir Pfyffer in einer von H. eifrig betriebenen Correspondenz Ausdruck fanden. Ein Zeitungsangriff im August 1830 auf den Berner Schultheißen Fischer (s. den Art.), wegen der von demselben bei Anlaß der Tagsatzungseröffnung gehaltenen Präsidialrede, schloß indessen für H. mit einer moralischen Niederlage ab, indem er sich durch Fischer sagen lassen mußte, er habe weder die Wahrheit gesagt, noch die Unwahrheit widerrufen; immerhin war dieser durch einen Zürcher Oberrichter mit Namen bezeichnete Artikel gegen den Tagsatzungspräsidenten ein wichtiges Zeichen einer anders werdenden Zeit gewesen. Allein erst 1832 trat H. in bedeutenderer Weise in das politische Leben ein. Zwar war er schon bisher mit den Juristen Keller und Ulrich, sowie mit Füßli (s. den Art. W. Füßli), als Förderer und Leiter des neuen Parteiorganes, „Der Republikaner“, thätig, aber doch stets dabei etwas zurückhaltend. Um so unerwarteter dagegen kam, als über der Frage des Schutzvereines (s. dort) die Krisis im Kanton Zürich einbrach, die Wahl von H. in den durch den demonstrativen Austritt von acht Mitgliedern, darunter der beiden Bürgermeister, geschwächten Regierungsrath, 19. März 1832. Zugleich aber wurde H. auch, als zweiter Staatsvorsteher, neben dem ersten, Melchior Hirzel (s. den Art.), zum Bürgermeister erwählt. Die Häupter der in dieser Veränderung siegenden Partei, Keller und Ulrich, auf dem Felde der richterlichen Thätigkeit [290] verharrend, aber durch ihren persönlichen Einfluß, obschon sie sich mit ihrem Kreise vielfach in die Stellung kritischer Opponenten setzten, nichtsdestoweniger auf die Administration nachhaltig einwirkend, hatten eben bei der Neuwahl geflissentlich sich der Ernennung in die Executive entzogen, Parteiangehörige zweiten und dritten Ranges in den Regierungsrath vorgeschoben. Damit war auch schon der Verlauf der kantonalen Angelegenheiten für die nächsten Jahre angedeutet. So war H. selbst vor seiner Wahl als Bürgermeister gesinnt gewesen, „von Zürich, von wo er wenig Gutes mehr erwartete, wo möglich für immer fortzugehen“, nahm dann aber doch, durch Keller gedrängt, nach einigem Zögern die Wahl an, welche ihn im Gegensatze zu der geäußerten Ansicht zu einer sehr in das Gewicht fallenden politischen Stellung verpflichtete. Denn von 1832 an war H. abwechselnd je das zweite Jahr Amtsbürgermeister, dabei zwei Male, 1833 und 1839, indem der Sitz der Tagsatzung in Zürich sich befand, Bundespräsident. In dem ersten der beiden Jahre – der Zeitgenosse Baumgartner hielt H. für die gegebene Persönlichkeit in der schwierigen Lage, da derselbe „Parteimann nicht mehr, als man in dieser Zeit es zu sein gezwungen war, weniger vorgreiflich als schüchtern und zurückhaltend“ – hatte H. eine recht bedenkliche Aufgabe, angesichts der vielfach mit dem Projecte einer Bundesrevision sich berührenden inneren Wirren, vorzüglich in den Kantonen Basel und Schwyz, auf welche hinwiederum das Ausland mit gespanntester Aufmerksamkeit blickte. Als H. im März 1833 in Zürich die allgemeine Tagsatzung eröffnete, stand derselben eine Gegen-Tagsatzung zu Schwyz, durch die conservative Sarner-Conferenz berufen, gegenüber; als dann die ordentliche Jahres-Tagsatzung im Sommer beisammen war, mußte H. nach einander die Berichte von den Störungen des Landfriedens in den ersten August-Tagen erstatten, wie sie in den Angriffen von der Stadt Basel auf die Landschaft, von Inner-Schwyz auf die äußeren Kantonstheile vorlagen. Als nun gegen diese Aggressive der Reactionspartei die Tagsatzung trotz des Widerspruches der Sarner-Conferenz energische Beschlüsse faßte, hatte H. als Amtsbürgermeister am 6. August selbst Gelegenheit, persönlich hervorzutreten, wobei ihm von französischer Seite „feste und gemäßigte Haltung“ nachgerühmt wurde. Durch einen demonstrativen Besuch glaubten nämlich die Gesandten der Mächte den Bundespräsidenten einschüchtern zu können; allein H. erklärte, die Bundesbeschlüsse der letzten Tage seien der Tagsatzung durch die Nothwendigkeit abgezwungen, und was Vorwürfe wegen derselben betreffe, so lehne er sie überhaupt ab und verweise die Gesandten mit ihren Beschwerden an die Tagsatzung selbst. Zugleich aber hatte H. im kantonalen Leben die Genugthuung, in diesem Jahre als zürcherisches Standeshaupt die 1832 durch die Aufhebung des Chorherrnstiftes vorbereiteten neuen Schulanstalten, Universität und Kantonsschule, zu eröffnen, während durch den Beschluß der Niederlegung der Festungswerke der baulichen Entwickelung der Stadt ein großer Spielraum gegeben wurde. – 1834 dann kam H., jetzt zweiter Bürgermeister, vorzüglich in der Angelegenheit der polnischen Flüchtlinge und der durch dieselben veranlaßten diplomatischen Noten der Mächte zur Thätigkeit, indem er Bern’s trotziger Weigerung, die beschwichtigende Antwort des Vorortes Zürich für sich anzunehmen, und der daraus entstandenen Spannung durch Uebernahme einer Abordnung vorübergehend abhalf; dagegen war das weitere Entgegenkommen gegenüber erneuerten Forderungen, die von den Radikalen heftig verurtheilte „Kniebeugung vor den Fremden“, ein Act, an dem H. als Amtsgenosse Hirzel’s Antheil nehmen mußte, seiner eigenen Auffassung keineswegs entsprechend, so daß er im Juli des Jahres, als in der Minorität stehend, nahe daran war, sein Amt niederzulegen. Die innere Zersetzung im Regierungssystem des Kantons Zürich hatte begonnen, und sie nahm in den nächsten Jahren, insbesondere [291] angesichts der Fragen des Erziehungswesens, zu. H., jedes zweite Jahr, 1835, 1837, als Amtsbürgermeister zur Leitung der Executive berufen, „hielt sich bei seiner mehr vermittelnden Richtung gegenüber der neuen Parteistellung in beobachtender Ferne“, wie sein Biograph sich ausdrückt, und er entzog sich dergestalt im Frühjahr 1837 durch eine Reise nach Paris einer wichtigen Session des großen Rathes. Nachdem dann H. schon 1838, am 22. Juli, auf der schwyzerischen Landsgemeinde von Rothenthurm in dem häßlichen inneren Zanke der „Horn- und Klauen-Partei“ als erster eidgenössischer Vermittler, mit gutem Erfolge, sich bethätigt hatte, wurde er durch die Rückkehr des eidgenössischen Tagsatzungs-Vorranges nach Zürich für 1839 wieder das Haupt der obersten Bundesbehörde. – In gedrückter Stimmung trat er in das verhängnißvolle Jahr ein. Die Walliser Parteikämpfe, wo zwei einander gegenüberstehende Parteien und Landeshälften jede einen eigenen Abgeordneten zur Tagsatzung zu senden entschlossen waren, bereiteten Schwierigkeiten für die eidgenössischen Angelegenheiten. Für Zürich selbst sah H., wie er schon 1838 sich aussprach, eine „Sarnerei“, d. h. eine Reaction mit confessioneller Färbung, voraus; doch kam dieselbe 1839 nicht, wie er angenommen hatte, als „eine allmälige“. Als die wesentliche den Sturm nunmehr erregende Frage, über die Berufung des Verfassers des Lebens Jesu an die Hochschule, 1836 zum ersten Male aufgeworfen und abgelehnt worden war, hatte H. bedauert, daß nunmehr nicht die freisinnige Theologie in Zürich durch eine solche Vertretung vor „dem von Norddeutschland her drohenden pietistischen und orthodoxen Schnupfen“, wie er sich aussprach, bewahrt werde. Jetzt, 1839, dagegen stellte er sich, obschon er auch wieder dazwischen hinein über die hereinbrechende Reaction klagte, in eine mittlere Position. Bei der Vorlegung der großen Petition des Comités des christlichen Vereins im Großen Rath erklärte er sich am 18. März für Beachtung der öffentlichen Meinung und stimmte für die Versetzung von Strauß in den Ruhestand. Am 23. August hinwieder, als das von neuem hervortretende Centralcomité nicht alle geforderten Garantien zur Erhaltung einer religiösen Richtung im Schulwesen erfüllt sah und die Regierung eine Proclamation zur Warnung an die Gemeindevorstände gegen das Comité beschloß, stimmte H. ebenfalls hiefür. Dazwischen war von der durch H. präsidirten Tagsatzung die Reconstituirung des getrennten Kantons Wallis, freilich ohne innere Versöhnung der Gegensätze, beschlossen worden. Aber auch im leitenden Vororte selbst kam es nunmehr zum Kampfe. An jenem Beschlusse vom 23. August und dessen Folgen, an einer vom Centralcomité berufenen Volksversammlung in Kloten, vom 2. September, hatten sich die Parteien noch mehr erhitzt, war die Regierung durch die Inconsequenz ihrer Maßregeln noch mehr geschwächt. Ehe der auf den 9. September berufene Große Rath die obschwebenden Fragen an die Hand nehmen konnte, ergoß sich der durch den Allarm vom Aufgebote außerkantonaler Truppen in Bewegung gesetzte Landsturm aus dem östlichen Kantonstheil über den Tagsatzungssitz. Nach den tumultuarischen Scenen der ersten Tageshälfte dieses 6. September (vgl. Bd. XI. S. 278) begab sich, als nach der Erklärung seiner Abdankung der Regierungsrath sich aufgelöst hatte, H. in seine Privatwohnung; aber schon Nachmittags folgte er einer Einladung nach dem Stadthause, um da den Antrag zu vernehmen, daß er, zum Behufe der Vermeidung einer eidgenössischen Intervention, zur Bildung einer provisorischen Regierung die Hand bieten möchte. H. hielt das in dem Umfange für möglich, daß er, der Amtsbürgermeister der durch die Revolution des Vormittags gestürzten Regierung, schon Abends 5 Uhr des gleichen Tages in der Conferenz der Tagsatzungsgesandten erklärte, er betrachte sich noch als Vorsitzenden von Vorort und Tagsatzung und fordere die Gesandten auf, ruhig ihre Berathungen fortzusetzen. Sein eigenes späteres Urtheil [292] über die Haltung in dieser Krisis war, er habe seine persönliche Ehre seinem Vaterlande und dem Frieden zum Opfer gebracht. Am 19. September, als der neu gewählte Große Rath zusammentrat, erklärte sich H. in der Eröffnungsrede selbst im Bekenntniß abgestreiften Irrthumes als einen derjenigen, die verblendet gewesen seien und die Volksstimme lange nicht ganz erkannten. Am 23. September eröffnete H., als in förmlicher Neuwahl bestätigter erster Bürgermeister, die Sitzungen der Tagsatzung neuerdings; aber durch das Vorhalten eines Vertreters der radikalen Gruppe, des Berner Gesandten Neuhaus, H. habe noch am 2. des Monats eine Intervention zu Gunsten der früheren von ihm präsidirten Regierung bei deren Erschütterung für wünschbar erklärt, was dann H. zugab, doch nunmehr als „Verblendung“ bezeichnete, kam es zu einer peinlichen Scene, und die Discussion über die Anerkennung der Creditive der neu gewordenen Zürcher Repräsentation gab noch anderen Gesandten der radikalen Gruppe, welche Zürich für sich verloren hatte, den Anlaß zu für H. unerwünschten Erörterungen, so daß er sich Ende September glücklich pries, als für ihn die Verpflichtung des Vorsitzes bei der Tagsatzung mit deren Vertagung wegfiel. Allein überhaupt konnte es gar nicht ausbleiben, daß in der neuen Regierung Hessens Person in erster Linie allgemein der Gegenstand von Angriffen aus demjenigen Lager wurde, welches noch bis zuletzt am 6. September auch auf ihn, als auf das Haupt der noch bestehenden radikalen Regierung, seine Rechnung mitgemacht hatte und dem ehemaligen Parteigenossen die Umwandlung nicht verzieh. So gab er schon 1840, wo er als zweiter Bürgermeister im Amt stand, noch vor dem Zusammentreten der Tagsatzung, um nicht wieder gegnerisch gewordenen früheren Freunden begegnen zu müssen, seine Entlassung ein, und gleich am Tage darnach, den 23. Juni, trat er eine längere Reise an. – In den übrigen 17 Jahren seines Lebens widmete sich nun H. ganz jenen gemeinnützigen Bestrebungen, die er schon in der Zeit seiner politischen Thätigkeit eifrig und mit Vorliebe festgehalten hatte, auf dem Boden der schweizerischen gemeinnützigen Gesellschaft sowol, als für kantonale und städtisch zürcherische Aufgaben. Daneben hatte er rege Theilnahme für künstlerische Interessen und förderte besonders die Errichtung des Gebäudes und die Vermehrung der Sammlungen der zürcherischen Künstlergesellschaft. Die letztwillige Verordnung des sehr wohlhabenden kinderlosen Mannes bewies von neuem diese vorwiegend in seiner Mußezeit ihn beschäftigenden Geistesrichtungen der Fürsorge für Interessen der Wohlthätigkeit, der Wissenschaft und der Kunst.

Vgl. Pupikofer, Joh. Jak. Heß, ein biographischer Beitrag (Zürich 1859).